ollistone hat geschrieben: 5. April 2023 16:10
Bitte entschuldige, wenn ich so darauf herumreite, aber mit dieser Frage steht und fällt einfach meine Beurteilung des Films. Der plötzliche Abbruch einer Freundschaft und die Selbstverstümmelung als Bestrafung des anderen sind so außergewöhnlich, dass sie ebenso außergewöhnlich gut begründet werden müssen, sonst passt das für mich nicht.
Wenn das für dich so ist, ist das so für dich. Dann funktioniert der Film bei dir nicht so gut, dann liegt deine Erwartungshaltung woanders. Das ist vollkommen okay, nicht jeder Film kann jeden gleichermaßen erreichen.
Für Colm war das übrigens sehr wahrscheinlich kein plötzlicher Freundschaftsabbruch, sondern etwas, über das er sehr lange nachgedacht hat, nur konnte er es nie durchziehen. Vielleicht tat ihm Pádraic einfach zu sehr leid, vielleicht war er sich seiner Haltung auch lange unsicher. Aber eines Tages ist er aufgewacht und hat entschieden: "Entweder mache ich es jetzt radikal oder ich ziehe es nie durch." Plötzlich war daran aber gar nichts, nur sind alle außer Colm zu sehr in ihrem Trott gefangen, als dass sie die Anzeichen dafür hätten sehen können.
"I just don't like you no more" ist dann auch kein Satz, den Colm ernst meint. Er hat nicht plötzlich etwas gegen Pádraic, aber er hat das Bedürfnis, von ihm los zu kommen und sich abzukapseln von ihm. Er ist ihm überdrüssig geworden. Und er wählt einen Satz, der vernichtend ist, tödlicher als manche Schusswaffe. Er sagt etwas, was radikal ist, und er ahnt gar nicht, wie schlimm er alles dadurch macht. "I just don't like you no more" ist ein brutaler Satz, weil er jede mögliche Reaktion abtötet. Es gibt darauf keine Antwort, keine Lösungsmöglichkeit. Mit diesem Satz ist alles gesagt und alles vorbei.
Die Selbstverstümmelung ist auch keine Bestrafung des anderen, nicht wirklich zumindest, denn das kann eine Selbstverstümmelung kaum sein. Colm bestraft sich selbst. Er fügt sich Schmerzen zu, nicht Pádraic. Und das ist im Film wörtlich zu nehmen, aber aich metaphorisch, denn Colm gibt im Film die ganze Zeit anderen die Schuld für seine Traurigkeit und seine Gefühle. Er sucht die Ursache nicht bei sich, sondern bei anderen. Vergleich Colm mit Siobhan: Sie teilt viele seiner Gefühle und 'versteht' ihn, mehr als alle anderen auf der Insel, aber sie zieht Konsequenzen. Sie verlässt die Insel und nabelt sich von den Menschen und dem Ort los, der sie unglücklich macht. Sie tut aktiv etwas gegen ihr Unglück.
Colm geht nicht so gesund damit um. Er fängt nicht irgendwo neu an, er verletzt sich stattdessen irgendwann selbst - und gibt Pádraic auch noch die Schuld dafür. Er verletzt sich nicht nur einfach selbst, er nimmt sich damit die Musik, die er als so wichtig für sein Leben und sein Vermächtnis begreift. Und für all dem gibt er Pádraic die Schuld, nie sich selbst.
Das ist doch wirklich großartig geschrieben und konstruiert und man kann so viel in Colms Entscheidungen und Verhalten deuten und wie er durch sein Benehmen letztlich Pádraic mit in den Abgrund reißt. Ehrlich, ich finde das genial, das muss einem erstmal so einfallen, und es dann mit so vielen klugen Gedankengängen und raffinierten Dialogen (die Szene nachts im Pub ist 12/10, ein Gedicht!) zu verbinden, ist meisterhaft.
Und dann dieses Ende, wenn Colm all seine fünf Finger an der einen Hand los ist und auch sein Haus abgefackelt ist, und er sich zum ersten Mal seit langem leichter und befreiter fühlt (logisch, die schlüssige Entwicklung seiner Figur!), während Pádraic ihn nur noch hassen kann. Wow! Es ist wirklich kriminell, dass die Best Picture und Best Screenplay Oscars nicht ohne Bedenken an die Banshees von Inisherin gegangen sind.
Um mal einen wahllosen Beitrag zu zitieren, so kann man es sehen, aber es gibt auch noch viele andere Möglichkeiten:
Colm’s official stance is that he doesn’t like Pádraic anymore because he is a boring, trite person. That’s a common enough reason to let a friendship die, but it’s a flimsy excuse for throwing pieces of your own body on someone’s doorstep.
We get some insight into Colm’s troubles, though, when Pádraic’s sister Siobhán calls him out. Colm calls Pádraic boring, and Siobhán blows up, shouting, “You’re all boring!”
For most of the film, Colm certainly doesn’t seem to think he’s boring. He prides himself on his musical talent, telling Pádraic that bringing new tunes into the world gives his life meaning. He fills his home with interesting odds and ends. He invites students from around Ireland to study under him. Siobhán confronts him with a truth he doesn’t want to face: having talent doesn’t make him any better than the island’s other inhabitants. As Pádraic points out in the pub, simple kindness is a more admirable quality than comparing yourself to Mozart.
And deep down, Colm knows it. After he finishes his final tune and puts a violent end to his fiddling career, he admits that he’s relieved. Now he’s truly just like everybody else, living the same supposedly meaningless existence he spent his life denigrating. When Pádraic comes to burn down his house, Colm decides to consign himself to the flames. It seems that Pádraic has been a projection of Colm’s own self-loathing all along.
If only Colm hadn’t thrown his fingers at Pádraic’s house. If only Jenny the donkey hadn’t tragically died after trying to eat them. Then Colm’s house might still be standing, Pádraic would be a happier person, and Inisherin would still be home to the sweetest miniature donkey ever to grace God’s green Earth.
The end of the film depicts the literal deaths that Inisherin’s resident banshee, Mrs. McCormick, prophesied, but there’s also spiritual death. Pádraic becomes a meaner, more bitter version of himself, living alone and willing to murder the man who was once his closest friend. Colm gives up music forever, but doesn’t find anything else to fill the void.
Und wie gesagt, auch das ist noch nicht die einzige Wahrheit des Films, es gibt noch viele andere Lesarten, die ihre Berechtigung haben. Vielleicht gucke ich den Film dieses Jahr noch ein siebtes Mal, er ist ja jetzt bei Disney+ drin. An alle, die hier mitlesen, aber den Film noch nicht kennen: Angucken, ernsthaft, es wird dieses Jahr nicht mehr besser.