"Der Intellektuelle ist der Todfeind aller Darstellenden Künste", warnte er einst, und verkündete zudem: "Die Idee, einen Film zu inszenieren, ist eine Erfindung der Kritiker - die ganze Eloquenz des Kinos wird im Schneideraum erreicht." Nun: Er muss es wissen! Orson Welles gilt als einer der einflussreichsten Regisseure des Kinos. Er war ein Multitalent, als Regisseur, Autor, Schauspieler gleichermaßen begabt, außerdem galt er als enfant terrible. Sein offizielles Ouevre wirkt im Direktvergleich zu Zeitgenossen wie John Ford, Howard Hawks oder Robert Aldrich eher überschaubar, ist aber durchsetzt von Klassikern und anerkannten Meisterwerken der Filmgeschichte. Bevor er jedoch das Kino aufmischte, revolutionierte er zuerst die Welt des Theaters. Dort begann er Anfang der 1930er seine Schauspielkarriere und mauserte sich schnell zum Regisseur für Shakespeare-Adaption. Seine Version von "Julius Caesar" war für ihre Zeit bemerkenswert: Welles erneuerte den Text und verwob dutzende damalige zeitgenössische Themen in den Stoff (darunter die Weltwirtschaftskrise) und bezog sogar das Publikum direkt in die Inszenierung mit ein. Noch bahnbrechender war nur seine Theaterinszenierung von "Macbeth", die als "Voodoo-Macbeth" in die Geschichte einging: Er änderte kein Wort des Originaltextes, ließ das gesamte Stück aber durch ausschließlich Schwarze Schauspieler aufführen, die in "Voodoo"-Kostümen der haitianischen Kultur gekleidet waren. Dem sensationellen Erfolg des Voodoo-Macbeths wegen gründeten er und sein Freund John Houseman schließlich in New York City die Theatergruppe "Mercury Theatre".
Im Zusammenhang damit entstand seine erste "Filmproduktion", bei der es jedoch 75 Jahre dauerte, ehe sie veröffentlicht wurde. Welles inszenierte 1938 für die Bühne das Stück "Too Much Johnson" und wollte es mit Filmelementen kombinieren. Drei Kurzfilme entstanden, die jeweils zu Beginn jedes Akts als Prologe gezeigt werden sollten. Das Stück kam letztlich auf die Bühne – jedoch ohne die Filmsegmente (in denen u.a. Joseph Cotten mitspielte). Der Grund: Paramount Pictures besaß damals die Filmrechte an dem Stück, sodass die Segmente nicht gespielt werden durften. Lange galten diese Kamera-Inszenierungen von Welles als verschollen, erst 208 entdeckte man eine Kopie des Films in einem italienischen Lagerhaus. Nach aufwendiger Restaurierung des Materials wurde es im Oktober 2013 schließlich beim Pordenone Silent Film Festival uraufgeführt. Im selben Jahr kam es noch zu einem anderen, heute sagenumwobenen Zwischenfall: Welles adaptierte den H.G. Wells Roman "Der Krieg der Welten" in Form einer fiktiven Reportage als Hörspiel, gesendet wurde dies beim Radiosender CBS am Abend vor Halloween. Statt wie im Roman in England siedelte Welles die Geschichte in New Jersey an. Legenden zu folge sollen damals Radiohörer das Hörspiel nicht als solches erkannt haben, sodass es zu einer Massenpanik kam, da die Zuhörer von einer tatsächlichen Invasion durch Außerirdische ausgingen. Heute gilt als umstritten, welche Auswirkungen das Hörspiel tatsächlich hatte und ob viele Berichte über Angststörungen bei Hörern bis hin zu Suizidversuchen nicht bloße Erfindungen der Boulevardpresse waren.
Die Produktionsfirma RKO Pictures schließlich lockte Welles nach Hollywood und stellte ihm eine "Carte Blanche" aus: Er konnte einen Film seiner Wahl drehen, komplett unabhängig von äußeren Einflüssen. Sein Plan sah vor, den Roman "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad zu adaptieren, doch als sich dort enorme Schwierigkeiten türmten, suchte er sich eine andere Vorlage: Das Leben des Medienzaren William Randolph Hearst. Ein Orson Welles macht dabei keine halben Sachen: Vom Drehbuch über die Regie bis zur Produktionsleitung nahm er an allen kreativen Schritten des Films teil, spielte sogar vor der Kamera die Hauptrolle. Sein Film sollte 1941 erst kommerziell nur wenig Beachtung finden, gilt heute jedoch aber als einer der besten und bedeutendsten Filme aller Zeiten: "Citizen Kane". Vieles ist über diesen Film geschrieben worden, klar ist: Bis heute beweist dieses Meisterwerk von Welles eine erstaunliche Frische und Gegenwärtigkeit. Er vermengte dutzende Stilmittel miteinander, die in dieser Kombination damals noch eine echte Neuerung waren, und holte sich seine Einflüsse von überall. Unverkennbar sind viele Einstellungen aus dem deutschen Expressionismus heraus beeinflusst, Welles selbst gab zudem "Ringo" von John Ford als Quelle der Inspiration an (er soll ihn vierzig Mal geguckt haben während der "Citizen Kane"-Dreharbeiten". Auch Elemente seiner Theaterzeit rettete er ins filmische Korsett, so finden Überblendungen in "Citizen Kane" nach dem Prinzip einer Bühnenshow statt: Ein Teil des Bildes wird nicht mehr beleuchtet, während ein anderer angestrahlt wird, um die Augen des Publikums zu führen. François Truffaut lässt sich so zitieren: "Alles, was im Kino nach 1940 Bedeutung hat, ist von Citizen Kane beeinflusst." Und schon 1941 erkannte ein Kritiker der New York Times: "Tatsächlich kommt er dicht daran, der sensationellste Film zu sein, der je in Hollywood produziert wurde." Welles durfte sich gemeinsam mit Herman J. Mankiewicz schließlich den Oscar für das "Beste Originaldrehbuch" abholen, in acht weiteren Kategorien gewann der Film trotz Nominierung nicht. Seine Oscar-Dankesrede wurde damals während der Verleihung mit Buhrufen begleitet. Man munkelt, es habe eine Einflussnahme von William Randolph Hearst gegeben, der sich durch "Citizen Kane" geschmäht fühlte.
Es folgten weitere Filme, die heute bei Cineasten für leuchtende Augen sorgten – obgleich keiner von ihnen kommerziell die Kassen so recht klingeln ließ. "Der Glanz des Hauses Amberson" gilt heute noch als Meisterstück, dabei nahm man den Film im Entstehungsprozess Welles aus der Hand, entfernte über 50 Minuten, forderte neue Filmmusik an. "Als sei sie von einem Rasenmäher geschnitten worden", kommentierte der Maestro das, was von seinem Endprodukt übrig blieb. Mit ähnlichen Problemen musste sich Orson Welles immer wieder rumschlagen. Als er 1947 seinen Film noir "Die Lady von Shanghai" fertigstellte, war Produzent Harry Cohn dermaßen entsetzt über das Endprodukt, dass er demjenigen 1.000 Dollar bot, der ihm die wirre und unverständliche Handlung erklären könne. Welles selbst ließ sich von Cohn so sehr verunsichern, dass viele Szenen neu gefilmt und umgeschrieben wurden. Am Ende schnitt man ein 150 Minuten Werk auf 87 Minuten runter. Zweimal nahm sich Welles danach Shakespeare auf der Leinwand an, vielleicht auch im Glauben, hier würde man ihm wenigstens nicht in den Text reinreden. Sein "Macbeth" gilt als eine der bizarrsten Adaptionen des britischen Dichters, wenn in schrägen Pappmaschee-Kulissen die kostümierten Darsteller asketisch auftretend die Verse vor sich her murmeln. Seine folgende "Othello"-Verfilmung geriet wieder außer Kontrolle. Die Dreharbeiten dauerten gar drei Jahre, der Produzent meldete mitten im Entstehungsprozess Insolvenz an, und selbst Welles konnte mit seinem eigenen Geld das Projekt nur schwerlich über Wasser halten. Aus über drei Stunden Filmmaterial schnitt Welles schließlich einen 91-Minüter. Aber so entsteht ja die Eloquenz des Kinos …
Man könnte noch viel über ihn erzählen. Dass er etwa 1949 als Harry Lime im brillanten Noir "Der dritte Mann" von Carol Reed zu einem der berühmtesten und prägnantesten Schurken der Filmgeschichte wurde. Dass er 1958 mit "Im Zeichen des Bösen" einen Roman adaptierte, den er eigenen Angaben nach nie las und dabei jenen Film drehte, von dem man heute gerne sagt, er habe die Schwarze Serie, den "klassischen" Film noir zu Grabe getragen – übrigens war es auch der Film, der ihn aus Hollywood vertrieb, als ihm dort wieder die Bevormundung durch Studiobosse ereilte. Später in Europa nahm er sich nach Shakespeare noch Franz Kafka an ("Der Prozess", 1962) und mehrere seiner späten Werke erst viele Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Seinen letzten Film, mit dem in den 80er Jahren sein Comeback plante ("The Other Side of the World") konnte er aufgrund seines Todes 1985 nie fertigstellen, erst 2017/18 kam es dank Netflix zu einer fertigen Schnittfassung und Veröffentlichung. Verrückt auch bloß, den Film zu nennen, in dem er seinen letzten Auftritt hatte: "Transformers – Der Kampf um Cybertron", eine Zeichentrickverfilmung der gleichnamigen Hasbro-Actionfiguren, in dem Orson Welles dem gottähnlichen Roboter-Alien Unicron seine markante Stimme lieh. Die Veröffentlichung des FIlms erlebte er nicht mehr mit.
Visionär, innovativ, unberechenbar, nie kompromissbereit – vieles ist Orson Welles gewesen. Vor allem aber eines jener Genies, ohne die das Kino definitiv um einer ihrer markantesten Stimmen ärmer wäre. Eine Stimme, die es u.a. in den James-Bond-Kosmos schaffte, wenn auch nur in der Spoof-Komödie "Casino Royale" von 1967 (er spielte dort den Le Chiffre), dafür aber dem Star-Wars-Universum verwehrt bleib. Obwohl man zwar ursprünglich darüber nachdachte, ihn für diese rein sprachliche Rolle zu wählen, entschied man sich letztlich für ein damals weniger bekanntes Organ – und so wurde nicht er, sondern James Earl Jones zur ikonischen Stimme hinter Darth Vader.
Eloquence of Cinema – Die Filme des Orson Welles
1https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/
Let the sheep out, kid.
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