an und für sich ganz gut geschrieben, aber inhaltlich meiner meinung nach eine frechheit. die argumente sind aus der luft gegriffen, teilweise lächerlich, teilweise schon wirklich bedenklich.Konsens Royal
Selten wurde ein Bond-Film von den Feuilletons so einhellig bejubelt. Der neue 007-Konsens ist umso befremdlicher angesichts der Ideenarmut, dem latenten Rassismus und Sexismus in "Casino Royale", meint Jan Distelmeyer. Ein Nachtrag ohne Nachtreten.
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Mit Ereignissen wie dem aktuellen 007-Comeback ist es so eine Sache. Wer über sie öffentlich spricht, schreibt oder sendet, ist immer schon, egal wie das Urteil auch ausfallen mag, ein Teil der Maschine und ihrer Kulturpolitik: Möglichst alle Plätze besetzen, Omnipräsenz herstellen, damit die Dringlichkeit der Teilnahme am Ereignis unübersehbar wird. Das war vor zwei Jahren besonders schön 2004 beim nationalen Führer-Blockbuster "Der Untergang" zu beobachten. Aber warum sollte man aus diesen Gründen über den Bunker-Film oder James Bonds neues Abenteuer schweigen?
Die Macht, mit der sich bestimmte Filme bemerkbar machen, wirkt gerade dann besonders seltsam (und wird vielleicht gerade dann sichtbar), wenn diese Filme auch noch ein weitgehend einhelliges Echo erfahren. Das umfassende Lob für "Casino Royal" in den vergangenen 14 Tagen fügt der Wucht der Film-PR etwas Wesentliches hinzu: eine Akzeptanz, die anders als die Werbung zum Film Teil einer Diskussion ist, auch wenn diese wenig Widersprüche zeigt. Was also liegt näher, als diese Diskussion fortzusetzen, wenn man - zumal als Bond-Fan - enttäuscht aus dem Kino kommt?
Der Erfahrung, dass ein solcher Nachtrag leicht wie Nachtreten aussieht, wie eine selbstgefällige Retourkutsche, kann vielleicht am besten begegnet werden, indem man genau davon spricht. Und davon, dass es hier nicht um Wahrheit geht, sondern um Meinung - um die eigene also, die deshalb nachgetragen werden soll, weil sie oder ähnliche in der bisherigen Diskussion kaum Platz hatten. Ungerecht wird es so oder so.
Der neue 007-Konsens besteht in der Gewissheit einer "Frischzellenkur" ("Die Welt"). "Casino Royal" ist dank einer "Neujustierung" (SPIEGEL ONLINE) "ein Bond, der sich sehen lassen kann" ("SZ"), die "Wiedergeburt James Bonds" ("epd Film"), der "beste Bond seit Jahren" ("Die Welt"). Gelobt wird "das Ende der Bond-Welt, wie wir sie kennen" ("FAZ"), der "neue harte und ernsthafte Bond" ("Die Welt"), der sich "ohne die glamourösen, auch amourösen Bond-typischen Abschweifungen auf das Kerngeschäft konzentriert" ("taz"). Alles prima, ganz besonders dank der Drehbuchmitarbeit von Paul Haggis, berühmt durch "L. A. Crash" und "Million Dollar Baby".
Bond also ist "härter" (Produzentin Barbara Broccoli) und "irdischer" ("Neue Zürcher Zeitung"). Wenn aber irdischer heißt, die zentrale Verschwörung in "Casino Royal" dadurch aufzulösen, indem - wie geschehen - James die Kurznachrichten auf dem Handy seiner Freundin kontrolliert, ist die einstige Distanz zwischen 007 und kleinteiligem Stumpfsinn wie "Lenßen und Partner" auf dem kurzen Dienstweg überbrückt. Was ist neu daran, dass Bond "Gefühle zeigt" ("Tagesspiegel"), wenn er schon am Ende von "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" (1969) sich als Witwer in Tränen auflöste und in "Lizenz zum Töten" (1987) eben seiner Gefühle wegen den Dienst quittierte? Und: Bond foltern? Klasse, hatten wir seit "Stirb an einem anderen Tag" (2004) nicht mehr.
Irdisch heißt in "Casino Royal" vor allem, Ideenarmut hinter einer Ernsthaftigkeit zu verbergen, die ihrerseits auf nicht mehr allzu frische "Bourne Identity"- und "24"-Vorgaben schielt. Wie hilflos sind Drehbuch und Umsetzung, wenn man für die Spannung am Spieltisch im Casino Royal darauf angewiesen ist, Giancarlo Giannini in seiner Eigenschaft als Bond-Genosse ständig ungefragt über den Spielstand salbadern zu lassen. Oh, aufregend, jetzt liegt besonders viel Geld im Pott. Diese Diesseitigkeit des neuen 007 gipfelt in der plumpen Inanspruchnahme längst ausbuchstabierter Ideen. Wie kann man nach "Crank" und einem Film wie "Mission: Impossible 3", der nicht nur in Sachen Rhythmus und Dramaturgie diesem Bond um Längen voraus ist, die Verwendung eines Defibrillators nochmals ernsthaft in Erwägung ziehen?
Die gepriesene neue Härte, mit der Bond ahnungslos weniger seiner eigenen Vergangenheit oder Identität als vielmehr seinen (eben nicht allzu) neuen Kino- und TV-Vorbildern hinterherrennt, geht einher mit der Rückkehr der Bond-Frauen zu alten Leisten, die sich über Aussehen, Wortwechsel und Opfer definieren. Es wird nicht mehr gekämpft (wie noch im zu Unrecht so bekrittelten "Stirb an einem anderen Tag"), sondern gelitten; Vesper Lynd (Eva Green) opfert sich gleich zweimal, und beide Male, natürlich, für einen Mann, den sie liebt. Diese stereotype Tragik weiblicher Bestimmung ist das neue alte Gadget, an dessen Seite sich ein weiteres gesellt.
Die viel gepriesene Auftakt-Actionszene, in der Bond den schwarzen Finsterling Mollaka, gespielt vom Extremsportler Sébastien Foucan, über Straßen, Baustellen, Stahlträger und Kräne jagt, lebt eben nicht nur von Physis und Choreographie. Sie lebt ebenso von der Aktivierung rassistischer Klischees, deren zufolge Sébastien Foucan mit ausgestellt affenartiger Geschicklichkeit springt und hetzt, während Bond an entscheidenden Stellen Hirn und Technik einsetzt, um den Wettstreit der Körper für sich zu entscheiden. Dies wäre eine andere "Vielschichtigkeit der Action" ("taz").
Wenn Bond sich als neuer Muskelkörper selbst feiert und wie weiland Ursula Andress und zuletzt Halle Berry ostentativ als Schauobjekt den Fluten entsteigt, dann steht dieser Körper auch - und vielleicht zuerst - für die Fähigkeit zur "Arbeit", die hier ja so betont schnörkellos verrichtet werden soll. Es ist der Glamour des Funktionierens, der hier erstrahlt; Sex ist da nur eine der verschiedenen Funktionsweisen. Das mag man als Selbstkritik im 007-Kosmos verstehen, vielleicht aber auch als Hohelied der Arbeit und des Werktüchtigen, dessen Zurichtung hier nicht zufällig an "Men's Health" erinnert. Ich bin fit für den Job. In einer kurzen Ausnahme-Rezension zu "Casino Royal", in der "Die Zeit" Kritik übt an der "Umdeutung zum ernsthaften Action-Killer", wird die Sehnsucht formuliert nach jenem Bond, der uns vorführt, "dass Arbeit nicht alles ist". Eben diese von "Casino Royal" negierte Vorführung wäre deshalb kostbar, weil sie weniger in diese Zeit passt.
ich zitiere jetzt mal 2 auszüge, mir schlagen noch weitere sauer auf, aber aus zeitlichen gründen belasse ich es vorerst mal bei den folgenden 2:
die produzenten als rassisten zu bezeichnen ist wohl das dümmste und inkompetenteste was ich in der letzten zeit gelesen habe. eigentlich ein ziemlich starkes stück, wenn jemand versucht den film auf solch eine ebene zu bringen. sowas darf sich journalist nennen... bedenklich!Die viel gepriesene Auftakt-Actionszene, in der Bond den schwarzen Finsterling Mollaka, gespielt vom Extremsportler Sébastien Foucan, über Straßen, Baustellen, Stahlträger und Kräne jagt, lebt eben nicht nur von Physis und Choreographie. Sie lebt ebenso von der Aktivierung rassistischer Klischees, deren zufolge Sébastien Foucan mit ausgestellt affenartiger Geschicklichkeit springt und hetzt, während Bond an entscheidenden Stellen Hirn und Technik einsetzt, um den Wettstreit der Körper für sich zu entscheiden. Dies wäre eine andere "Vielschichtigkeit der Action" ("taz").
bei der verfolgungsjagd geht es doch nicht darum, dass der böse von einem schwarzen dargestellt wird und "affenartig" vor bond davonrennt und springt, so ist die extremsportart parkour nun mal, hier sind geschicklichkeit, langjähriges training und ausdauer gefragt, und die bondfilme sind wieder mal quasi einer der pioniere, die diese sportart in einem blockbuster verwenden.
weiters hat bond schon immer versucht, egal ob seine gegner nun schwarz oder weiß waren, die bösewichte mit grips (oder qs gadgets!) und weniger körperlicher anstrengung auszutricksen. außerdem gibt es im film genauso gute schwarze darsteller und böse weiße darsteller... ehrlich gesagt frage ich mich, wer hier rassist ist - die produzenten oder der autor des artikels?!
diese aussage alleine sagt ja schon sehr viel über den autor und dessen filmgeschmack/verständnis aus. "crank" ist zugegeben ein toller film, aber im selben satz "mission: impossible 3" zu nennen und diesen film auch noch ernsthaft mit CR vergleichen?! für mich ist "mission: impossible 3" die größte enttäuschung des gesamten kinojahres, und das sage ich nicht weil ich bondfan bin und CR toll finde, ich habe mich im frühjahr sehr auf M:I3 gefreut und wurde leider im großen und ganzen enttäuscht, nichts mehr vom flair und agentenfeeling aus M:I1 da. die defi-szene ist in CR deutlich besser gemacht, ich persönlich habe bis jetzt keine sekunde dabei an M:I 3 gedacht...Wie kann man nach "Crank" und einem Film wie "Mission: Impossible 3", der nicht nur in Sachen Rhythmus und Dramaturgie diesem Bond um Längen voraus ist, die Verwendung eines Defibrillators nochmals ernsthaft in Erwägung ziehen?
auch die DAD-argumente sind alles andere als standhaft. mir kommts schon fast vor, jetzt wo so viele positive kritiken zu CR aufgetaucht sind, fühlt er sich irgendwie gezwungen etwas negatives zu schreiben, um nicht mit der bösen masse mitzuschwimmen und um irgendwie für aufregung zu sorgen...