Re: Von Suspense & MacGuffins: Die Filme des Alfred Hitchcock

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Da ich Notorious endlich in der richtigen Sprache besitze habe ich ihn letzte Woche ein zweites Mal geschaut. Der ist halt schon bärenstark gespielt von der Bergman und wartet neben der womöglich erotischsten Kussszene der Filmgeschichte mit einigen richtig schmucken Sequenzen in Sachen Kamera und Bildkomposition auf. Ausserdem würde ich das einen (relativ) frühen mutigen Film von Hitch nennen, einen der viel weniger an seinem Kriminal- oder diesem Fall Spionagefall interessiert ist, sondern diesen mehr als reines Setting für sein Figurendrama benutzt. Vertigo hat einen vergleichbaren Ansatz später ja noch weiter auf die Spitze getrieben. Notorious ist einer der zehn besten Kickhötscher.
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Re: Der Hitchcock Thread

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Maibaum hat geschrieben: 29. Dezember 2022 23:50 Dagegen war ich von Rear Window insgesamt doch eher enttäuscht.
Sicherlich ein guter und unterhaltsamer Film mit einigen interessanten Ideen, aber da ist doch auch viel drin was ich nicht so gelungen finde. Zum Schluß macht Hitch sogar noch einen schwer erklärlichen erzählerischen Fehler. Nachdem der ganze Film von Stewarts Perspektive aus erzählt war, und deswegen die Kamera auch nie die Wohnung verlässt, gibt es, als Stewart am Ende aus dem Fenster hängt, plötzlich einen Perspektiv-Wechsel in den Garten. Wie doof ist das denn?
Maibaum, diesen "Fehler" macht Hitchcock gewissermaßen zweimal. Es gibt mitten im Film schon einmal eine Szene, in der die Kamera sogar nur für wenige Sekunden die Wohnung verlässt. Und zwar als der Hund unten im Garten tot aufgefunden wird und dessen Frauchen die ganze Nachbarschaft zusammenschreit. Da filmt Hitchcock die verschiedenen Reaktionen der Hausbewohner und dabei gibt es plötzlich eine Vorderansicht einer Frau, die das alles ergriffen beobachtet - aus einer Perspektive, die unmöglich so aus Stewarts Wohnung heraus stattfinden kann.



Meine engsten Freunde haben ja im Dezember mit mir einen Hitchcock-Marathon begonnen und wir haben gemeinsam mit "Der Mann, der zu viel wusste" von 1934 angefangen und schauen jetzt bei jedem Treffen den chronologisch nächsten Hitchcock, ohne Lücken, bis wir irgendwann bei "Familiengrab" von 1976 ankommen. Wenn ich mal Zeit habe, fasse ich alle bisherigen Sichtungen samt Kurzfazit und Wertung hier rein.
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Re: Von Suspense & MacGuffins: Die Filme des Alfred Hitchcock

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Meinst du die Frau bei 1:38?

Die Perspektive mag etwas falsch sein, aber grundsätzlich ist es auch etwas was man von der Wohnung aus sieht.

Ich habe kürzlich Family Plot zum ersten Mal wieder gesehen seit Ewigkeiten, nicht so wirklich überzeugend. Mit 7/10 fast schon etwas zu hoch eingestuft.

Außerdem überlege ich ob für North By Northwest wegen dem ein oder anderen Hollywood Käse nicht auch 9/10 angemessener sind?

Re: Von Suspense & MacGuffins: Die Filme des Alfred Hitchcock

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Maibaum hat geschrieben: Heute 11:03 Meinst du die Frau bei 1:38?

Die Perspektive mag etwas falsch sein, aber grundsätzlich ist es auch etwas was man von der Wohnung aus sieht.
"Etwas falsch" ist gut, es ist eine 180 Grad Drehung. :) Hinter der Frau befindet sich Stewarts Wohnung, wir sehen sie von vorne.

Tatsächlich sprechen Hitchcock und Truffaut auch im Buch über diesen Moment als den einen visuellen Bruch des Films, aber keiner von beiden geht näher darauf ein, warum der da ist. Es wird nur klar, dass Hitchcock sich dessen bewusst war und es ganz beabsichtigt genau dort platziert hat.
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Re: Von Suspense & MacGuffins: Die Filme des Alfred Hitchcock

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Casino Hille hat geschrieben: Heute 11:43

"Etwas falsch" ist gut, es ist eine 180 Grad Drehung. :) Hinter der Frau befindet sich Stewarts Wohnung, wir sehen sie von vorne.
Nee, das stört mich jetzt nicht so, man sieht in der Sequenz ja auch daß die Kamera auch sonst oft nah dran ist, also auch unten im Hof ist. Das ist also ohnehin kein "reiner" Film, und in der ersten Szene schläft Stewart, aber das das passt auch für mich, jedoch der Sprung in den Hof am Schluß ist ein erzähltechnischer Fehler, außerdem wäre es auch intensiver gewesen wen er bei Stewart geblieben wäre.

Aber das im Truffaut Hitchcock Buch bezieht sich ja nur auf die Hunde Szene, und Hitch sagt es sei "nur an dieser Stelle", was nicht stimmt. Und Truffauts Erklärung für die Hunde Szene, na ja, ...
Jedoch wenn abgesehen von dieser Szene die Kamera immer vom Zimmer aus schaut, dann wäre tatsächlich auch diese ganze Hunde Szene ein weiterer Fehler. Und ein Überflüssiger, denn gut sieht das so nicht aus, und nur der Blick von oben hätte mir sicher besser gefallen.

Re: Von Suspense & MacGuffins: Die Filme des Alfred Hitchcock

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Maibaum hat geschrieben: Heute 14:00 Und ich glaube für Rope erwähnt Hitchcock die diversen "richtigen" Schnitte auch nicht, erwähnt nur die kaschierten, und Truffaut sagt auch nichts dazu. Deswegen hielt sich ja auch lange die Legende Rope bestehe aus einer Einstellung, bzw sehe so aus.
Welche "diversen" Schnitte meinst du denn?
Es gibt doch nur eine Handvoll Hard Cuts, dazu genauso viele kaschierte Schnitte, weil natürlich nur so lange am Stück gedreht werden konnte wie auf eine Filmrolle passt. Mehr als 10 im gesamten Film sind das nicht.

Der erste Hard Cut ist der Sprung von außen ins Appartment am Anfang. Und dann gibt es noch vier weitere.

Re: Von Suspense & MacGuffins: Die Filme des Alfred Hitchcock

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Genau die meine ich, vom Truffaut/Hitchcock Buch her betrachtet entsteht der Eindruck die seien alle kaschiert worden. Wobei der erste natürlich auch erzählerisch Sinn macht, und definitiv gewollt war.

Gerade noch mal nachgelesen, Hitch sagt das sei "jedesmal gelöst worden", und Truffaut, der ja solche Filme wahrscheinlich x-mal gesehen hatte, widerspricht nicht. Auch der erste Schnitt, der ja zumindest offensichtlich und auffallend ist, wird nicht erwähnt.