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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Mad Max: Der Vollstrecker
„Auf diese Art geht die Welt zugrunde. Nicht mit einem Knall: mit Gewimmer“, schrieb T. S. Eliot in seinem berühmten Gedicht „Die hohlen Männer“. Doch wie klang dieses Gewimmer, als die Welt von „Mad Max“ unterging? Eine hörbar alte Erzählerstimme aus dem Off versucht zu Beginn der Fortsetzung „Der Vollstrecker“ davon zu berichten. Doch er selbst hat den Zerfall der alten Welt nicht miterlebt. Er weiß nur, dass es einen Krieg gab, der wegen des immer knapper werdenden Öls geführt wurde, und dass „die Politiker“ sich zusammensetzten „und redeten und redeten“. Vielleicht wimmerten sie auch.
Der Australier George Miller hatte sich 1979 mit wenig Budget und noch weniger Erfahrung an einer Endzeitvision versucht, und in „Mad Max“ eine Welt gezeichnet, deren Gesetze nur noch von psychopathischen Bikern und ein paar wenigen, nicht minder psychopathischen Cops auf den Straßen verhandelt wurden. Nach dem Erfolg dieses Films über einen Mann, der durch ein Trauma – den Verlust seiner Familie – zum Mythos wurde, kamen Angebote aus Hollywood rein. Den ersten Teil dessen, was später die „Rambo“-Filmreihe wurde, bot man ihn an, ein Rock’n’Roll-Drama namens „Roxanne“ hatte er bereits in Arbeit. Doch die Verlockung war zu groß, zurückzukehren in die kahle und raue Welt von „Mad Max“.
Da insbesondere dieser zweite Teil die Blaupause für Jahrzehnte des Dystopie-Kinos wurde, ist es mittlerweile leicht zu übersehen, wie persönlich die Vision dieses zerstörten Australiens für Miller war. Er hatte nicht nur ein ambivalentes Verhältnis zu Fahrzeugen, nachdem gleich drei seiner engsten Freunde in jungen Jahren bei Autounfällen verstarben, sondern hatte 1973 auch die Ölpreiskrise miterlebt und kannte persönlich einige Familien, die im Zuge der daraus resultierenden Inflation ihre Existenz verloren. Seine „Mad Max“-Reihe reflektiert die Angst vor einer globalen Öl-Knappheit und treibt auf die Spitze, wie abhängig sämtliche moderne zivilisatorische Errungenschaften vom sprichwörtlichen schwarzen Gold sind.
So berichtet der Mann aus dem Off also, dass die Welt unterging, zur Wüste wurde, in der die Anarchie gilt, in der jeder jeden für einen Liter Benzin töten würde. Und er erzählt von einem, den er in dieser Einöde kennenlernte, der über die Straßen zog und als der titelgebende Vollstrecker sein einsames Dasein fristete: Max Rockatansky, erneut gespielt vom ultracoolen Mel Gibson, der mit diesem Sequel endgültig zum Superstar avancierte. Wer den Vorgänger nicht gesehen hat: Kein Problem, die eröffnende Montage erklärt nochmal kurz, was geschehen ist. Sie könnte genauso gut aber auch weggelassen werden. Max mag im Vorgänger noch den Anschein eines Charakters erwecken, doch jetzt wird er nur noch als Mythos behandelt, als Idee eines Heldentypus, von dem andere in Sagen berichten.
Wer in der Wüste dreht und von wortkargen, ewig getriebenen Helden ohne Heimat erzählt, der weiß, dass sein Setting schnell in den Hintergrund rückt und beim Zuschauer Gedanken an einen Western evoziert werden. Miller versucht gar nicht, diese Inspirationen zu verheimlichen. Neben den Samurai-Filmen eines Akira Kurosawa waren die Italowestern des Sergio Leone eine wichtige Inspirationsquelle für ihn. Wortkarg ist Max noch mehr als seine Inspirationsquellen: Nur 16 Sätze spricht er im Verlauf des Films, zwei davon lauten: „Ich bin nur wegen des Benzins gekommen.“
Der Plot könnte für einen Western kaum klassischer sein: Nach einer kurzen, effektiven und vor allem explosiven Einführungsszene, die Max bei der täglichen Jagd nach Sprit zeigt, stößt der ehemalige Polizist, der seine einstige Lederuniform noch immer wie eine Rüstung trägt, auf einen Siedlertreck, der von Outlaws bedroht wird. Statt mit Pferden und Postkutschen voller Gold, sitzt diese verzweifelte Gruppe in futuristischen Quads und auf einem großen Tankwagen voller Öl, der irgendwie über die Frontier, die Grenze, ins gelobte Land gebracht werden soll, von dem in Erzählungen zu hören ist.
Dumm nur, dass der maskierte Muskelberg Hummungus, gekleidet wie ein BDSM-Sklave, und seine motorisierten Punk-Psychos die Siedler aus ihrer Festung nicht entkommen lassen, sondern sie rund um die Uhr belagern. Max, kein Held im klassischen Sinne (mehr), kann einem der Siedler retten und sie zu einem Deal überreden: Sie geben ihm literweise Öl, dafür hilft er ihnen, den tonnenschweren Tanker an Hummungus‘ Schergen vorbeizukriegen. Der Loner, mag er noch so profitgierig und kalt wirken, lässt hinter seiner harten Schale ein Herz erahnen und hilft den Verzweifelten in Not. Mel Gibson als filmischer Erbe von Clint Eastwood.
Man kann dieses narrative Konstrukt simpel nennen, aber Miller denkt als Regisseur vor allem in Bildern, die bei ihm eine eigene cineastische Grammatik entwickeln. Motorengeräusche, Menschengeschrei, Lederuniformen und Explosionen formen eine innovative, komplexe Syntax. Die inszenatorischen Einfälle sind charakteristisch und teils brillant: Als Max zum Beispiel einmal, er hatte sich gerade eigensinnig aus dem Staub gemacht und war von ein paar Raudis überfallen und beinahe getötet worden, von einem Gyrocopter-Piloten – köstlich-humorvoll gespielt von Bruce Spence als degenerierte Grimassen-Version eines James-Coburn-Archetypen – gerettet wird, filmt Miller den zugerichteten Gibson frei in der Luft schwebend, während unter ihm die Erde vorbeizieht.
Visuell ist „Mad Max: Der Vollstrecker“ ein großes Vergnügen. Die Wüstenlandschaften werden von Kamera-Ass Dean Semler ebenso spektakulär in Szene gesetzt, wie die Designs für die „Wasteland“-genannte Postapokalypse vielseitig ausfallen. Die Kostüme und Karosserien der Schurken sind auf maximale Einprägsamkeit hingedacht, über achtzig Autos wurden umgebaut, über die Hälfte von ihnen beim Dreh der Actionszenen zerstört. Ebendiese sind nicht nur rasant, sondern auch durchtränkt von schwarzem Humor, und so erinnert die insgesamt schräg-gezeichnete Welt mitunter an die Logik alter Comic-Strips. Als Max etwa einmal mit einem Truck-Vorderbau durch das Lager von Hummungus brettert, reißt er dabei eines der vielen Zelte um und darunter zum Vorschein kommt ein Pärchen, das gerade dem Liebesspiel nachgeht und verdutzt dreinblickt.
So humorvoll angereichert es also zugeht, ist „Der Vollstrecker“ dennoch ein überaus gewaltvoller Film. Einmal schneidet ein kleiner stummer Junge per Bumerang-Wurf einem Schurken den Kopf auf, in mehreren anderen Szenen hat Hummungus zwei gefangene Siedler vorne an seinen Wagen gebunden, als seien sie lebendige Schutzschilde. Max hat in seinem ikonischen Auto, dem V8 Interceptor, auch einen Hund bei sich, der für ein paar erheiternde Momente sorgt, aber – man ahnt es in diesem Genre – den Film nicht überlebt.
Das große Crescendo ist dann jener Moment, der diese Fortsetzung zu einem Genre-Primus werden ließ – so wählten ihn beispielsweise die Leser des Rolling Stone im Jahr 2015 zum besten Actionfilm aller Zeiten. Kein Wunder, ging doch die finale dreizehnminütige Verfolgungsjagd, bei der Hummungus und Co. dem Tankwagen – gefahren von Max – nachjagen, in die Annalen der Filmgeschichte ein, gilt neben den berühmten Autojagden aus „Bullitt“, „Ronin“ und „Die Blechpiraten“ als eine der besten, die je gedreht wurden. Über 200 Stunts flossen in die wahnwitzige Sequenz ein, mehrere davon waren so gefährlich, dass die involvierten Fahrer ungewöhnlicherweise gebeten wurden, zwölf Stunden vor Dreh nichts mehr zu essen – falls sie im Nachgang sofort operiert werden müssten.
Dieser, einer der größten Autoschrottplätze der Kinowelt, ist in seiner virtuosen choreographischen Dynamik, in seinen wahnwitzigen Bewegungsrhythmen, nicht zu übertreffen. Autos krachen bei voller Geschwindigkeit ineinander, Männer und Frauen turnen auf, am und unter dem Tankwagen, ein finaler Zusammenstoß zerfetzt den Wagen des Gegners in tausende Teile. Brian May, der schon beim ersten Teil komponierte, liefert dazu eine ungeheuer treibende, Bass-lastige Filmmusik, die ihn zur tragenden musikalischen Gestalt des Australian New Wave machte und stark an den ersten Satz aus der Orchestersuite „Die Planeten“ von Gustav Holst angelehnt ist, Titel: „Mars, der Kriegsbringer“.
Einen Kracher bewahrt sich George Miller für die Schlussszene auf: Die halsbrecherischen Manöver und pointierten Überdrehungen, die diesen Kino-Auftritt des Vollstreckers als überaus grimmigen Realfilm-Cartoon ausweisen, entpuppen sich als die Nacherzählung des kleinen stummen Jungen mit dem tödlichen Bumerang. Er ist der Off-Erzähler vom Anfang und bezeugt, er habe seinen Helden nach diesem Abenteuer nie wieder gesehen. Nicht nur nährt dies den Max-Mythos, es erklärt die stilistischen Eigenarten des Films – können diese doch nun als kindliche Ausschmückung verstanden werden.
„Mad Max“ war die Einleitung, die Fortsetzung lieferte den Popkultur-Kult. Regisseure wie Guillermo del Toro, Robert Rodriguez und Zack Snyder geben den zweiten „Mad Max“ als ihren Lieblingsfilm an. Eine Welle an hingeschluderten „Mad Max“-Imitationsprojekten – größtenteils in Italien gedreht – prägten das Trash-Kino der 80er. Später waren Blockbuster wie „Waterworld“ und „Mortal Engines“ sichtbar vom irren Max inspiriert, ebenso die Spielreihe „Fallout“ und ihre Serienadaption. Dank George Miller und Mel Gibson glauben wir daher mittlerweile fest zu wissen: Wenn die Welt einmal untergeht, dann wird das Wimmern gehörig knallen.
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Let the sheep out, kid.