Re: Die Filme des Woody Allen

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Woodys Werk seit der Jahrtausendwende hat für moch doch deutlich an Reiz verloren. Das hängt mit mehreren Faktoren zusammen. Zum einen bedauere ich es sehr, dass er nur noch sporadisch als Schauspieler in seinen eigenen Filmen auftritt. Dann ist da ein stilistisch wie ich finde erkennbar modernerer Ansatz, wodurch seine Filme zwar für ein modernes Publikum leichter goutierbar sind, gleichzeitig aber auch wenn man so will einiges an Allens typischer „Identität“ verloren haben. Auch qualitativ finde ich Allens jüngere Filme nicht mehr so stark wie in den 70er-90ern (wobei auch die 90er für mich schon auf dem qualitativen Rückzug waren). Und dann ist da auch der repitative Faktor. Allens Werk ist zwar durch alle Phasen von sich wiederholenden Elementen geprägt, aber ich finde man merkt es in jüngerer Zeit verstärkt, zB war Irrational Man „schon“ wieder eine Variation des Themas aus Verbrechen und andere Kleinigkeiten und Match Point. Es ist also ein ganzes Sammelsurium an kleineren und größeren Faktoren, die mich bei Woodys neuen Filmen nicht gerade ins Kino ziehen.

Dafür schaue ich aber seine älteren Filme immer noch durchgängig (es gibt ja glücklicherweise genügend). Erst am Wochenende war Was Sie schon immer über Sex wissen wollten… dank der neuen BD dran. Was für eine Granate, für mich fraglos einer der lustigsten Filme aller Zeiten und das auf höchst intelligente Art und Weise.
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Re: Die Filme des Woody Allen

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Dann hast du Irrational Man jetzt gesehen? Mir gefiel der ja sehr gut. Ich finde schon etwas schade, dass du mit Allen so gesehen nicht mehr viel anzufangen weisst. Ich habe volles Verständnis dafür wenn ein Allen oder auch ein Eastwood mit über 70, geschweige denn über 80, keine regelmässigen Rollen mehr spielen und erfreue mich umgekehrt umso mehr daran, dass sie auch in diesem sehr hohen Alter noch Filme drehen. Der Blickwinkel eines langjährigen Allen-Kenners mag da natürlich etwas anders sein.
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Re: Die Filme des Woody Allen

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Ich finde dagegen, Anatol weiß das, daß Allen auch in den letzten 15 Jahren immer wieder großartiges gemacht hat, einige seiner Besten überhaupt stammen aus der Zeit.

Anatol, wo du einen stilistisch moderneren Ansatz siehst ist mir ein Rätsel?

Statt inszenatorischer Kraftmeierei kommen doch Allens Filme immer sehr schlicht daher, auf den ersten Blick. Denn er arbeitet ja immer mit DoPs die anerkannte Meister ihres Fachs sind. Zuletzt Storaro und Khondji.

Re: Die Filme des Woody Allen

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GoldenProjectile hat geschrieben:Dann hast du Irrational Man jetzt gesehen? Mir gefiel der ja sehr gut.
Ich fand ihn amüsant, allerdings mit zunehmender Laufzeit schwächer werdend und angesichts Allens Vorwerk unverkennbar mit bereits sehr ähnlich behandelten Themen bestückt. Unterm Strich ein netter 7-Punkte-Film, aber dann auch ein gutes Beispiel dafür, was mir gegenüber Allens Klassikern fehlt.
GoldenProjectile hat geschrieben:Ich finde schon etwas schade, dass du mit Allen so gesehen nicht mehr viel anzufangen weisst.
Das habe ich so aber nicht zum Ausdruck bringen wollen. Es ist immer noch gehobenes Kino und ich schau mir die meisten seiner Filme ja auch an, aber wie gesagt fehlt mir da etwas. Eigentlich recht ähnlich wie bei Bond, nur dass Allen glücklicherweise seltener daneben haut.
GoldenProjectile hat geschrieben:Ich habe volles Verständnis dafür wenn ein Allen oder auch ein Eastwood mit über 70, geschweige denn über 80, keine regelmässigen Rollen mehr spielen und erfreue mich umgekehrt umso mehr daran, dass sie auch in diesem sehr hohen Alter noch Filme drehen. Der Blickwinkel eines langjährigen Allen-Kenners mag da natürlich etwas anders sein.
Allens Verkörperung des „Stadtneurotikers“ trug wie ich finde stark zu Identität seiner Filme bei wie auch der Handlungsort New York. Allein diese beiden Aspekte bzw. ihr Fehlen tragen in seinem jüngeren Werk schon zu einem etwas anderen Stil bei. Auf Allen als Darsteller zu verzichten ist wie ich finde auch noch härter als auf Eastwood, da er seine Paraderolle auch im höheren Altern immer noch überzeugend spielen könnte im Gegensatz zu Dirty Clint. Ich sehe ein, dass die romantische Komponente bei Allen zu bedeutsam ist, als dass er noch wirklich als Protagonist in Frage käme, aber zumindest als Nebendarsteller in der Größenordnung wie in Hannah und ihre Schwestern wäre das immer noch problemlos möglich. Es ist hart auf Allen als Schauspieler zu verzichten, sein Werk als Darsteller ist für mich genau so wichtig und bedeutend wie als Regisseur, auch wenn das gerne etwas als Beiwerk abgetan wird. Aber eigentlich alle seiner Klassiker hätten mit einem anderen Hauptdarsteller nicht so gut funktioniert wie sie es mit ihm tun, der sich die Rolle auf den Leib geschrieben hat und der sie oftmals auch wirklich verkörpert.
Maibaum hat geschrieben:Ich finde dagegen, Anatol weiß das, daß Allen auch in den letzten 15 Jahren immer wieder großartiges gemacht hat, einige seiner Besten überhaupt stammen aus der Zeit.
Ich weiss, aber z.B. der viel gelobte Match Point ist für mich nur eine zu lange Variation eines zuvor bereits deutlich besser bearbeiteten Themas.
Maibaum hat geschrieben:Anatol, wo du einen stilistisch moderneren Ansatz siehst ist mir ein Rätsel?
Na allein schon dadurch, dass Allen kaum mehr selber mitspielt und viele Filme außerhalb New Yorks spielen ergibt sich ein deutlicher Bruch zum „klassischen“ Vorwerk Allens. Es ist aber mehr, Allens Einsatz von digitaler Fotografie und gewöhnungsbedürftiger „modernere“ Farbgebung weichen sehr deutlich von vielen seiner früheren Filme ab, die eine eher warme Farbgebung hatten und einen sehr klassischen, „analogen“ Look. Midnight in Paris sieht z.B. durch den irritierenden Gelbstich und die „matschige“ Auflösung sehr künstlich aus, was bedauerlich ist da gerade dieser ansonsten so gelungene und inhaltlich so klassische Allen-Film wie ich finde gerade durch Allens „klassischen Look“ erkennbar profitieren würde. Natürlich ist es bei einem so umfangreichen und dadurch zwangsläufig auch recht heterogenen Werk wie dem von Allen schwierig verallgemeinernde Aussagen zu treffen, aber viele seiner jüngeren Filme sind nach meinem Ermessen doch erkennbar kühler und eben „moderner“ fotografiert.
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Re: Die Filme des Woody Allen

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AnatolGogol hat geschrieben:da er seine Paraderolle auch im höheren Altern immer noch überzeugend spielen könnte im Gegensatz zu Dirty Clint. Ich sehe ein, dass die romantische Komponente bei Allen zu bedeutsam ist, als dass er noch wirklich als Protagonist in Frage käme, aber zumindest als Nebendarsteller in der Größenordnung wie in Hannah und ihre Schwestern wäre das immer noch problemlos möglich.
Das wäre aber in vielen Fällen nur möglich gewesen, wenn Allen die Filme von Grund auf danach ausgerichtet hätte, selbst aufzutreten. Aber bei den Filmen, die er tatsächlich gemacht hat, wäre es nicht so einfach gewesen. Zumindest bei seinen mir bekannten Werken der letzten 15 Jahre müsste grundlegend an der Handlung rumgebastelt werden, um eine Haupt- oder grössere Nebenrolle eines alten Mannes (klingt jetzt hart, aber ist ja so) zu rechtfertigen. Ansonsten wären es Pflichtauftritte, und Woody nur um des Woody Willen ist ja auch keine Lösung. Ich wüsste beispielsweise nicht, wie Woody es hätte bewerkstelligen können, in Cafe Society aufzutreten ohne von Anfang ein in erheblichen Punkten vom Film, wie er ihn gedreht hat, abweichendes Drehbuch zu schreiben. Stattdessen ist er die Erzählstimme des Films und tritt tatsächlich in einer Nebenrolle auf, nur ist er es nicht wirklich selber sondern lässt einen anderen, jüngeren Schauspieler seine frühere Paraderolle in Aussehen und Auftreten exakt kopieren.
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Re: Die Filme des Woody Allen

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GoldenProjectile hat geschrieben:Einige Allen-Lücken möchte ich aber schon mal schliessen, nur weiss ich nicht, ob es da gute Collections gibt.
Aber ich weiss! :D
Guckst du hier:
https://www.amazon.co.uk/Woody-Allen-Co ... 129&sr=8-1

20 Filme aus seiner Hochphase für unter 15 Pfund - außerhalb BD gibt es nix besseres wenns um Woody geht. :wink:

Für die Filme der 90er ist diese Collection hier zu empfehlen:
https://www.amazon.de/Woody-Allen-Colle ... 433&sr=1-2
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Re: Die Filme des Woody Allen

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Hört, hört! Die Box kannte ich eigentlich schon, hab sie aber bisher nur zu grausigen Preisen gesehen (im Laden des Vertrauens über 100 Franken). Da habe ich mal wieder nicht an die Briten gedacht, dabei sollte ich es mittlerweile besser wissen. Gut möglich, dass ich mir die beschaffe. Besitzen tu ich nämlich keinen einzigen von Allen. Alle die ich kenne waren ausgeliehen oder im Kino.
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Re: Die Filme des Woody Allen

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Ich habe eine ältere Ausgabe der Box. Mit anderem Cover und "nur" 19 Filmen. Stardust Memories fehlt bei mir, aber davon hatte ich ohnehin schon die UK DVD (sogar mit deutschem Ton).

15 Pfund sind wieviel Euro? Scheint jeden falls momentan deutlich billiger zu sein als die deutsche Ausgabe, und die ist auch schon sehr billig.

Re: Die Filme des Woody Allen

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Ich hatte am WE Gelegenheit Café Society zu sehen und fand ihn ganz ok, mehr aber auch nicht. Wiederholungen sind in Allens Oevre nun bei Leibe nix neues und ich würde das grundsätzlich auch nicht negativ bewerten, allerdings kommt bei CS bei den diversen Deja-vus erschwerend hinzu, dass viele der Szenen und Elemente recht beliebig erscheinen und die Story nicht selten vor sich hin plätschert. Irgendwie alles so ne Art Allen light, nette kurzweilige Unterhaltung, aber ohne wirklichen Eindruck bei mir zu hinterlassen. Eisenberg und Stewart schlagen in dieselbe Kerbe, sie harmonieren gut und vor allem Eisenberg brachte den Wandel seiner Figur darstellerisch sehr überzeugend rüber. Aber auch hier hatte ich permanent den Eindruck, dass die Darsteller nicht dasselbe Gewicht rüberbrachten wie viele ihrer Allenschen Vorgänger – wenn man versteht was ich meine. Visuell ist der Film ebenfalls eine zweischneidige Angelegenheit für mich: manche Szenen waren schlicht atemberaubend schön bebildert, z.B. die in märchenhaften Blautönen gehaltene anfängliche Hollywood-Party, vieles war aber auch abenteuerlich schauderhaft verdreht im üblichen modernen teal&orange. Leider auch das nix neues für Allen, es mutet für einen langjährigen Fan schon merkwürdig an, wie der Meister seine neueren Filme alle im Gelb ersaufen lässt, gleichzeitig aber inhaltlich und stilistisch die Retroschiene unbeirrt bedient. Passt meiner Ansicht nach nicht zusammen und entwertet die Filme.
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Re: Die Filme des Woody Allen

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Woodys jüngster Film Wonder Wheel ist mal wieder völlig typisch für den Stil seines Schöpfers. Die Geschichte kreuzt Kammerspiel (weniger geographisch gemeint als wie Szenen und Auftritte der Charaktere "theaterhaft" strukturiert werden), Krimi, Liebesdrama und ein bisschen schwarze Komödie, und alles trägt die unverkennbare und längst etablierte Handschrift des Filmemachers bzw. vor allem des Autoren Woody Allen. Der Film ist stark in der Tradition von Woodys jüngerem, exotischem Output, obwohl er wieder in NYC spielt. Ich stelle mir den alten Kauz grade vor, wie er nicht auf seinen Exotikfimmel der letzten rund zwanzig Jahre verzichten wollte, aber er plötzlich gemerkt hat dass Coney Island Beach exotisch genug ist und man um dort zu drehen nicht mal aus NYC raus muss. Was für ein grossartiger Kompromiss.

Wonder Wheel hat insgesamt Spass gemacht, auch wenn es dem Drehbuch nicht immer ganz gelingt, die verschiedenen Motive und kleineren Geschichten flüssig miteinander zu führen und im letzten Akt alles ein bisschen nachlässt (der Winslet-Charakter ging mir am Ende gehörig auf den Keks). Ein Highlight ist dafür die Belushi-Rolle, in welcher der alte Jim voll aufgehen darf. Ist der Film Woody-light? Ja, vielleicht schon ein bisschen, aber im Grossen und Ganzen wurde ich gut unterhalten. 7 Punkte.

PS@Anatol: Im Gegensatz zu Magic in the Moonlight, Irrational Man und Café Society ist mir diesmal Woodys neue Vorliebe für groteske Farben auch (störend) aufgefallen. Das hat aber vor allem den Grund, dass der Altmeister munter zwischen nüchtern-natürlicher Farbgebung und in hellorangenem, schummrigem Licht ersaufenden Szenen wechselt. Die Begleitung war der Ansicht, Allen habe sich zu viele Nicolas Winding Refn Filme angeschaut. Dahinter steckt wohl irgendeine Intention, immerhin ändert sich die Licht- und Farbsetzung manchmal mitten in einer Einstellung. Es hat glaube ich etwas damit zu tun dass Winslets aktueller Stand der Dinge auf der einen und die Erinnerungen an ihr "altes" Leben auf der anderen Seite so unterschiedlich betont werden - aber sinnvoll ersichtlich wird das Konzept nicht und bleibt so mehr als unentschlossen anmutende optische Kuriosität hängen.
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