Greatest Showman
Es ist ein herrliches Bild, mit dem „Greatest Showman“ eröffnet: Ein johlendes und stampfendes Publikum starrt auf die leere Zirkusmanege, während hinter ihnen für sie unsichtbar ein silhouettenhafter Mann in tänzerischen Bewegungen ihre Begeisterungskurve wie ein Puppenspieler zu lenken scheint. Leise, fast hypnotisierend säuselt er: „Ladies and gents, this is the moment you’ve waited for.“ Danach bricht in dem Zirkuszelt ein Inferno los. Akrobaten, wilde Tiere, Schausteller in allen Größen und Formen wirbeln durch die Gegend und präsentieren eine gigantomanische Bühnenshow. Und die Zuschauer? Sie jubeln im Chor: „This is the greatest show!“ – Jedem anderen Film würde man gar Hybris vorwerfen, sich selbst so anzukündigen. Doch Regiedebütant Michael Gracey verspricht nicht zu viel. Er hält das Niveau des brillanten Einstiegs konstant 105 Minuten lang und präsentiert den besten Musicalfilm seiner Generation.
Selten hat sich die große Leinwand so bezahlt gemacht wie hier: „Greatest Showman“ ist weniger Film als ein Erlebnis, ein perfekt inszenierter audiovisueller Rausch, der jeden Freund opulenter Bildgestaltung tief in den Sessel drücken wird. Die Handlung rund um die Erfindung des Zirkus-Geschäfts orientiert sich sehr lose an der wahren Biografie des Entertainers P.T. Barnum, doch Gracey erhebt für sich nie den Anspruch, eine wahre Geschichte zu erzählen. Der Vorwurf, die Historie zu schönen, wäre jedoch fehl am Platz: Auf höchst ansprechende Weise zieht die Regie die gesamte Erzählung selbst als „Show“ auf und entlarvt sich gekonnt immer wieder selbst ob ihrer Künstlichkeit. Als in einer Sequenz Barnum und seine Frau über die Dächer von New York tanzen, ist der Hintergrund der New Yorker Skyline inklusive überdimensional großem Mond so überdeutlich ein Gemälde, dass der Zuschauer hier bewusst einen Bruch der Vierten Wand erfahren soll. Barnum, der Zeit seines Lebens immer als „Trickster“ kritsiert wurde, der das Publikum nur täusche, erfährt hier sein filmisches Äquivalent: „Greatest Showman“ schreit immer wieder nach Bühnenkulissen und sucht die offensichtliche Illusion, und zementiert gerade darin seine Aussage ganz im Sinne seines großen Vorbilds: Nicht die Show muss echt sein, sondern die Gefühle, die ihre Macher darin verwirklichen und im Betrachter somit auslösen können. So erweist sich das bildgewaltige Musical als eine Liebeserklärung an die Kunst und das Showbusiness, in dem Wahrhaftigkeit der Zweck und Illusion das Mittel ist.
Abartig gut ist, wie dieser Stoff als moderner Musicalfilm funktioniert. Nicht umsonst avancierte der phänomenale Soundtrack bereits vor Veröffentlichung des Films zum Charteroberer: Jeder der neun Songs erweist sich als musikalische Granate! Die Genrevielfalt, mit der die Kompositionen aufwarten, ist famos: Moderner Pop wird nonchalant mit Rock kombiniert, wo an anderer Stelle operettenhafte Balladen geschmettert werden. Alles wichtige wird vorbildlich über die Melodien, die Texte und die Choreographien transportiert. „Come Alive“ ist eine Ode an den Eskapismus, „A Million Dreams“ beschwört die Macht der Fantasie, während „The Other Side“ das Für- und Wider des Showgeschäfts äußerst stimmig abwägt. Doch was wären die Ohrwurm-starken Songs ohne entsprechende Interpreten? Hier muss man seiner Euphorie freien Lauf lassen und ein großes Lob verpacken: Ohne Hauptdarsteller Hugh Jackman würde der Film wohl rund 60 Prozent seiner Magie einbüßen. Jackman, der seinerseits über ein halbes Jahrzehnt hinweg versuchte, den Stoff ins Kino zu bringen, steckt so viel Herzblut in seine facettenreiche Darstellung, dass nicht nur jeder Filmaward gerechtfertigt wäre, sondern man diese Performance schon nach dem „Greatest Show“-Opener als die beste Leistung seiner Karriere ausweisen muss. Gesanglich agiert er durchgehend auf Broadway-Niveau und jede Sekunde seiner Leinwandzeit wird zum puren Genuss für Auge und Ohr. Eine der großen Leistungen ihrer Zeit! In weiteren Rollen überraschen besonders die ehemaligen Disney-Stars Zendaya und Zac Efron, die mimisch (besonders erstere) überaus ausdrucksstark den obligatorischen Romantik-Part spielen, und den visuellen Höhepunkt des Films porträtieren, als sie ihren Song „Rewrite the Stars“ performant an einem Trapez bei surrealer Bedeutung an- und miteinander durch die Lüfte schwingen.
Abgerundet wird der Cast durch drei Damen: Rebecca Ferguson, die sich als Opernsängerin Jenny Lind für die komplexe Ballade „Never Enough“ von Pop-Star Loren Allred stimmlich doublen lässt, ist ebenso hinreißend anzusehen wie Michelle Williams, die mit „Tightropes“ die klassischste Musical-Nummer meistert und als Barnums Ehefrau den wohl emotional komplexesten Part verkörpert. Eine wahre Entdeckung ist Keala Settle: Sie spielt eine der Schaustellerinnen des Zirkus‘ und leistet stimmlich in ihrem Song „This is me“ eine Meisterleistung. Der Song ist kompositorisch wie gesanglich ein unangefochtenes Meisterwerk. Neben seiner Hommage an Bühnenshows hat es nämlich noch eine zweite Message: Steht zwar Barnum im Zentrum, vergisst der Film nie, auf wessen Leistungen sein Erfolg beruht. Es sind die „Freaks“, die Außenseiter der Gesellschaft, denen sich Gracey verpflichtet fühlt. Kleinwüchsige, beharrte Primadonnen und dunkelhäutige Artisten sind die, die das Interesse des Zirkus-Publikums wecken. Hier finden jene Anerkennung und Bestimmung, denen dies im Privatleben nie vergönnt war. Eine Botschaft, deren Aktualität außer Frage steht. Trotz zeitgenössischer Musik und Message ist der überzeugenden Kostümarbeit sei Dank das Zeitkolorit schön eingefangen. Angemessen funkelnd, aber nicht zu unangebracht protzig glänzend können hier Kleider, Fracks und Zirkusgarderoben bestaunen. Das alles ist – auch narrativ – leichtfüßig, aber gerne im richtigen Rahmen dramatisch ausschraffiert. Große Kunst, das sagt „Greatest Showman“, ist alles, was die Augen zum Leuchten bringt. Und wessen Augen hier nicht leuchten, der muss sie für das Gesamtbild wohl verschlossen haben.
Fazit: Spätestens, wenn Hugh Jackman in „From now on“ auch das letzte trockene Auge zum erweichen bringt, weiß man, dass „Greatest Showman“ der Film sein wird, an dem sich andere Genrevertreter die nächsten Jahre messen müssen. Michael Gracey vollbringt ein Meisterwerk, eine einmalige Renaissance der Showkultur. Er geht back to the roots: Nicht das große Geld, sondern Familie, Freundschaft, Liebe und Spaß stehen im Vordergrund. Diesen Trip will man sofort ein zweites Mal erleben. Um dann mit dem Zirkus-Publikum im Chor zu jubeln: „This IS the greatest show!“
10/10
http://derkinoblog.de/greatest-showman-kritik/