GoldenProjectile hat geschrieben:Ich wollte halt ursprünglich doch nichts schreiben weil sich die Beschäftigung des Forums mit Scorsese gefühlt ausschliesslich darauf begrenzt zu sagen dass früher alles besser war, aber auch davon abgesehen nur wenig Interesse vorhanden zu sein scheint, denn auch seine anerkannten Klassiker sind selten bis nie Gesprächsthema, was ich erstaunlich finde wenn ich sehe wie die User dafür seitenlang über Blade Runner (und QoS

) philosophieren können. Temptation of Christ wurde kürzlich mal angezapft, aber weil ich den selber noch nicht gesehen habe konnte ich nicht mit einsteigen.
Dann will ich mal mit gutem Beispiel vorangehen und mir einen seiner Klassiker zur Brust nehmen:
Leider muss ich bei Casino feststellen, dass er mir von Sichtung zu Sichtung weniger gefällt. Vieles von dem, was mir an seinen jüngeren Werken wie Departed oder Wolf of Wall Street nicht gefallen hat ist auch hier in sehr deutlichem Maße präsent.
Zum einen ist der Film für mein Empfinden einfach viel zu lang, da ein Minimum an Handlung und Charakterentwicklung eine extrem lange Zeitspanne einnimmt. Dieses Empfinden hängt sicherlich auch damit zusammen, dass ich diesen ganzen „Szenen einer Ehe“-Plot nicht wirklich sonderlich interessant oder gar spannend finde. Nach dem dritten und vierten praktisch gleich ablaufenden Vorfall (Sie hintergeht ihn, er kommt ihr dahinter, dann fliegen die Fetzen, dann gibt es wieder eine „Versöhnung“ auf Zeit) zieht es sich dann doch gewaltig. Sharon Stone spielt das Miststück dabei fraglos formidabel, allerdings nutzt sich ihr charakterlicher Amoklauf durch die vielen Wiederholungen zunehmend ab.
Darüber hinaus ist der Mafia-Plot unverkennbar eine Neuauflage von Good Fellas, nur sind hier Handlung und Figuren deutlich schwächer und man erlebt vor allem bei Pesci halt quasi eine Neuauflage von bereits gesehenem. Ja, Pesci im over-the-Top-Modus ist unterhaltsam, aber auch dies nutzt sich ab und seine Rolle in Good Fellas gab einfach deutlich mehr her. Wie man generell festhalten kann, dass die Hauptfiguren in Caino keine wirkliche Entwicklung durchmachen, sondern am Ende des Films auch nicht anders dastehen, als zu Beginn.
Die Good Fellas-Parallelen werden durch Scorseses Inszenierungsstil noch weiter unterstrichen und auch hier ist für mich alles etwas schwächer als im fünf Jahre zuvor entstandenen Film. Sein Trademark, die Verwendung von zeitgnössischer Musik, ist manchmal schon sehr plakativ eingesetzt. Ich meine „Working in a coal mine“ während er die Geldmaschinerie des Casinos zeigt oder die „And I love You“-Schnulze während Stone De Niro hintergeht (und ihn gerade nicht liebt bzw. Woods hörig ist) ist mir als zu vermittelnde „Botschaft“ viel zu aufdringlich, da wäre mir eine subtilere Vorgehensweise lieber gewesen.
Dafür hat er fraglos ein Händchen für die Verwendung von Stones-Musik und einige sehr gelungene Kameraeinstellungen hat Casino auch vorzuweisen. Die Darsteller sind durch die Bank gut, aber wie erwähnt hat man bei Pesci und auch bei De Niro das Gefühl, alles schon mal gesehen zu haben – und eben besser. Woods wie auch seine Rolle ist recht verschenkt angesichts der Tatsache, dass er sehr wenig Screentime bekommt.
Unterm Strich bleibt Casino so für mich ein „mixed bag“, wobei die guten Seiten die schlechten immer noch überwiegen, aber trotzdem aufgrund der übertriebenen Laufzeit, des repitativen Charakters des Films sowie des generell nicht wirklich „spektakulären“ Grundthemas (Szenen einer Ehe) schon ein etwas zäher Eindruck zurückbleibt. Das sind für mich dann gerade so eben 6,5 Punkte.
P.S. Ich hab den Film seinerzeit nicht im Kino gesehen und auf VHS, TV und DVD fiel mir aufgrund der viel niedrigeren Auflösung die extrem schecht getrickste Anfangsszene daher nie auf – jetzt auf BD aber schon: also den „unsichtbaren“ Umschnitt von De Niro im Auto auf die Puppe im Auto hätte man wirklich besser lösen können. Durch den minimal veränderten Kamerawinkel und die sehr unterschiedliche Beleuchtung wird der Schnitt sofort deutlich, auch die Puppe kann man kaum übersehen („eine Nase Q, keine Banane!“). Kein Beinbruch, aber schon ein vermeidbarer, unschöner Makel. Zudem wundere ich mich jedesmal wieder, warum Scorsese in dieser Anfangsszene eine Person durch die Luft fliegen lässt, während später im Film
Ace sich ja vor der Explosion aus der Wagentür retten kann
. Manipulation des Publikums a la Stagefright
um den Eindruck zu erwecken, die Geschichte wird von einem Toten erzählt?