Re: Kreuz und Quer - News & Wissenswertes aus der Filmwelt

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GoldenProjectile hat geschrieben:Namenloser, ich sehe das genauso. Psycho und Rear Window sind seine besten, seine aufregendsten, seine spannendsten Filme, und das obgleich sie in ihrer Wirkung vollkommen unterschiedlich sind. Der eine ist eine zermürbende und intensive Horrorreise in den Abgrund der Psyche, der andere ein gleichermassen launiges, kluges wie spannendes Kammerspiel. Vertigo komplettiert für mich die Hitch-Top-3.
Tja, glücklicherweise sind die ersten beiden Plätze bei uns gleich belegt, denn der dritte unterscheidet sich fatal: Mich hat Vertigo gelangweilt, und nur in wenigen Momenten packen können, sich viel zu sehr in Nebensächlichkeiten verloren und hatte noch dazu einen völlig unglaubwürdigen Hauptdarsteller. Wobei das nicht anseiner Interpretation der Rolle lag, sondern daran wie sie geschrieben war. Den Detektiv, oder was auch immer er davor war, habe ich ihm keine Sekunde abgenommen, weil er nahezu alles falsch macht, was man (beispielsweise bei Verfolgungen) falsch machen kann.
Nee, Vertigo dürfte der langweiligste Hitchcock gewesen sein, den ich bislang gesehen habe...
Aber mit dieser Meinung stehe ich wohl leider allein auf weiter Flur...
"You only need to hang mean bastards, but mean bastards you need to hang."

Re: Zuletzt gesehener Film

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Habe gerade Rear Window gesehen ....
Ich werde jetzt kein Review schreiben, nur ein paar Stichworte, da mir im Moment die Zeit dazu fehlt.
Ich bin beeindruckt, wie viel mehr hinter einem scheinbar einfachen Film steckt, als gedacht! Dadurch, dass die Handlung auf einen einzigen Raum beschränkt wird, wird man dazu gezwungen, sich voll und ganz auf das Geschehen zu konzentrieren; ich habe mehrfach im Film das Gefühl, einen Film in einem Film zu sehen. An keiner Stelle ist dies deutlicher zu sehen als die einfach wunderbare Grace Kelly in Thornwalds Wohnung klettert und Jeff an seinen Rollstuhl gefesselt alles mit ansehen muss. Genauso wie wir, wenn wir einen Film schauen, in dem etwas Schreckliches passiert, wir aber, gefesselt an den Kinositz, ebenso wenig ausrichten können. Jeff macht das, was wir als Zuschauer machen: Er schaut durch ein Fernrohr in Ausschnitte der Leben anderer Leute. Der Film funktioniert als herrliche Analogie zum Film selbst und dessen Wirkung auf uns. Komplexität in der Einfachheit; Romanzen gepaart mit Krimis und Tragödien, all das in einem einzigen Innenhof, unabhängig von uns selbst und doch werden wir beeinflusst, auch wenn wir es nicht merken. Besonders bemerkenswert ist die Musik des Filmes, die durch die Protagonisten (der Komponist rechts oben im Studio) selbst hervorgebracht wird und daher eine ganz spezielle Wirkung entfaltet.
Mir fällt es im Moment schwer, eine Wertung abzugeben, ich habe das Gefühl, dass Rear Window einer der Filme ist, den man erst nach mehrmaligem Sehen richtig einschätzen kann, von daher nehme ich mir das Recht heraus, den Film fürs erste unbewertet zu lassen. Ich kann mir aber schwer eine Punktzahl unter 8.5 vorstellen ;)

Re: Zuletzt gesehener Film

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Ich empfehle übrigens parallel zu einem Hitchcock Marathon immer mal wieder zu den Filmen im großartigen Buch "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" nachzulesen. Da lernt man dann immer sehr viele Hintergründe und Gedanken von Hitch zu den Filmen und der Inszenierung. Mir hat das sehr viel gebracht.

Rear Window liebe ich auch besonders - aber fast mehr weil er eine bestimmte Stimmung und Atmosphäre schafft die mich immer wieder aufs neue fasziniert. Vor allem die Nacht mit dem Gewitter und Regen fesselt mich immer. Das kann ich so hautnah nachvollziehen als würde ich diese heiße, gewittrige Sommernacht selbst erleben.
"It's been a long time - and finally, here we are"

Re: Zuletzt gesehener Film

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FreddyKruemel2 hat geschrieben:Mir fällt es im Moment schwer, eine Wertung abzugeben, ich habe das Gefühl, dass Rear Window einer der Filme ist, den man erst nach mehrmaligem Sehen richtig einschätzen kann, von daher nehme ich mir das Recht heraus, den Film fürs erste unbewertet zu lassen. Ich kann mir aber schwer eine Punktzahl unter 8.5 vorstellen ;)
Bei mir war schon nach der ersten Sichtung klar, dass das ein runder 10er ist. Hitchcocks bester zusammen mit Psycho, konzeptionell gleichermassen simpel und genial, erzählerisch ein brillanter Spagat zwischen Hochspannungsthriller, Kriminalpuzzle, poetischer Lebensstudie und Liebesfilm, Stewart und Kelly sind ein grandioses Paar...
We'll always have Marburg

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Re: Zuletzt gesehener Film

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GoldenProjectile hat geschrieben:Bei mir war schon nach der ersten Sichtung klar, dass das ein runder 10er ist. Hitchcocks bester zusammen mit Psycho, konzeptionell gleichermassen simpel und genial, erzählerisch ein brillanter Spagat zwischen Hochspannungsthriller, Kriminalpuzzle, poetischer Lebensstudie und Liebesfilm, Stewart und Kelly sind ein grandioses Paar...
Das hast du gut zusammengefasst! Ich würde sogar noch etwas Humor mit einfügen, man denke an das Ehepaar, das im Regen schnell die Matratze vom Balkon ins Haus schafft, die einsame Frau die fast wie bei Dinner for One einem imaginären Gegenüber Wein einschenkt ... Herrlich auch immer Stewarts Gesichtsausdruck wenn sein Blick über das geschlossene Fenster wandert, in dem das junge Pärchen wohnt. Eine der wenigen Geschichten, die uns verborgen bleibt.
danielcc hat geschrieben:Ich empfehle übrigens parallel zu einem Hitchcock Marathon immer mal wieder zu den Filmen im großartigen Buch "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" nachzulesen. Da lernt man dann immer sehr viele Hintergründe und Gedanken von Hitch zu den Filmen und der Inszenierung. Mir hat das sehr viel gebracht.

Rear Window liebe ich auch besonders - aber fast mehr weil er eine bestimmte Stimmung und Atmosphäre schafft die mich immer wieder aufs neue fasziniert. Vor allem die Nacht mit dem Gewitter und Regen fesselt mich immer. Das kann ich so hautnah nachvollziehen als würde ich diese heiße, gewittrige Sommernacht selbst erleben.
Vielen Dank für den Tipp, werde ich mir im Bücherladen mal anschauen :)

Für mich kann kein noch so cleverer oder gut inszenierter Film eine Höchstwertung bekommen, wenn die Atmosphäre nicht da ist, wenn ich mich nicht völlig in den Film hineingezogen fühle. Gerade bei dem von dir beschriebenen Sommernachtsgewitter kommt bei mir auch immer diese ganz spezielle Art von Stimmung auf. Und wie dann am nächsten Morgen die Sonne scheint, dazu heitere Musik und der ganze Hof bereits erwacht und auf den Beinen ist, das ist einfach meisterhaft gemacht! Rear Window kann durch den ganzen Film hindurch eine wunderbare Atmosphäre beschwören, was den Film mMn dann auch in die höchsten Punktzahlen hervorstoßen lässt!

Re: Zuletzt gesehener Film

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Vertigo: Kann man hier auch eine 11 vergeben? :D

Der Film hinterlässt eine unglaubliche Nachwirkung, die ich so bei noch keinem andern Film erlebt habe.
Ich glaube, keine Szene hat mich derart gefesselt wie die letzte, in der Scottie Madeleine (oder Judy) die Turmtreppe hinauf zwingt. Da ich gerade gestern Rear Window gesehen habe: Eigentlich fühlte ich mich genauso wie Jeff, der an seinen Rollstuhl gefesselt mit ansehen muss, wie die gute Grace Kelly in Thorvalds Wohnung eindringt und dieser zurückkommt. Sehr schön, wie Hitchcock diesen Moment auf zwei so unterschiedliche Arten in seinen Filmen untergebracht hat.
Vertigo ist nicht leicht zu interpretieren, er ist wie ein Traum aus dem man aufwacht und sich nicht sicher ist was wahr ist und was nicht. Dabei wirkt er an keiner Stelle billig oder gezwungen, wie manch andere Filme heutzutage, die glauben, sie würden mehr Tiefe darstellen als sie eigentlich haben. Vertigo steigert sich von einer schlichten Einfachheit in einen unglaublich fesselnden Thriller, der einen nicht mehr loslässt. Gerade dass Hitchcock nicht zeigt, wie Scottie vom Hinabstürzen von der Regenrinne gerettet wird, gibt dem ganzen Film noch mal eine Dimension drauf, was den Interpretatinosspielraum anbetrifft.

So weit kann ich sagen, dass North by Northwest, Rear Window und Vertigo allesamt die 10 bekommen.

Re: Zuletzt gesehener Film

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FreddyKruemel2 hat geschrieben:So weit kann ich sagen, dass North by Northwest, Rear Window und Vertigo allesamt die 10 bekommen.
Brav...

Vertigo ist ein wunderschöner und komplex spannender Film, der seine faszinierenden Bilder, intelligentes Storytelling und Herrmanns grandios-verstörenden Soundtrack in eine wunderbare Symbiose bringt und damit eine Atmosphäre erzeugt, die beinahe schon furchteinflössend ist und beim ersten Besuch im Missionarsdorf ihren (vorläufigen) Höhepunkt erreicht.

Arbeitest du dich jetzt durch alle Hitchcocks? Kennst du seinen allerbesten, Psycho?
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Re: Der Hitchcock Thread

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FreddyKruemel2 hat geschrieben:Vertigo: Kann man hier auch eine 11 vergeben? :D
Und du standest nach deinen Ausführungen zu "Rear Window" schon so hoch im Kurs bei mir. Und mit einem Satz ist nun alles kaputt :wink:
Ich halte Vertigo ja nach wie vor für den überbewertetsten Hitchcock-Film überhaupt. Und es war der einzige, der mich wirklich gelangweilt hat, in dem mir der Protagonist unglaubwürdig erschien und Hitchcocks Fähigkeiten nur punktuell zu sehen waren. Nee, Vertigo liegt bei mir vermutlich nur bei 4 oder 5 von 10 Punkten. Vielleicht sollte ich ihn mir mal anschaffen um ihn nochmal zu sehen. Nur irgendwie verspüre ich absolut keine Lust dazu.
GoldenProjectile hat geschrieben:Hitchcocks bester zusammen mit Psycho
Immerhin sind wir uns bei den ersten beiden Plätzen einig. Beide Filme sind gleichermaßen genial, auch wenn sie vollkommen unterschiedlich sind. Während "Rear Window" streckenweise auch als Komödie durchgehen könnte, wenn auch als eine eher subtile (ohne, dass ich damit die grandiose Spannung im geringsten kleinreden will), entfaltet "Psycho" sein ganzes Grauen erst in der allerletzten Szene, in der der Zuschauer schon meint, alles wäre vorbei. Unterschwelliges Grauen der Extraklasse!
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Re: Der Hitchcock Thread

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dernamenlose hat geschrieben: Ich halte Vertigo ja nach wie vor für den überbewertetsten Hitchcock-Film überhaupt. Und es war der einzige, der mich wirklich gelangweilt hat, in dem mir der Protagonist unglaubwürdig erschien und Hitchcocks Fähigkeiten nur punktuell zu sehen waren.
Na ja, auch wenn es keiner meiner Favoriten ist, Hitchcocks Fähigkeiten kommen hier schon sehr, sehr gut zur Geltung. Und warum die Stewart Figur hier unglaubwürdig sein soll kann ich auch nicht nachvollziehen, schon gar nicht im Vergleich zu den meisten anderen Hitchcock Helden.

Re: Der Hitchcock Thread

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Ich kann ihn einfach nicht als ehemaligen Detektiv ernst nehmen, weil er schon bei den simpelsten Verfolungen alles falsch macht, was man nur falsch machen kann. Das liegt nicht so sehr an Szeward, sondern an den Bildern, also eher an der Regie.
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