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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Moonraker (1979, Lewis Gilbert)
"Where are you? When will we meet? Take my unfinished life and make it complete."
- Shirley Bassey
Nach dem exorbitanten Publikumserfolg von TSWLM lag es für Produzent Broccoli nur auf der Hand, bei seinem nächsten 007-Abenteuer derselben Formel zu folgen und so lautet das Erfolgsrezept einmal mehr: "Bigger, Better, Bond". Ein anderer ausschlaggebender Faktor für die grossangelegte und üppige Herangehensweise war aber die 1977er-Sensation Star Wars, die die Filmwelt auf einen Schlag in einen regelrechten Science-Fiction-Hype versetzte. Für Broccoli, mit seinem goldenen Riecher immer am Puls der Zeit, schien die Mission somit klar: James Bond muss in den Weltraum.
Trotzdem ist es in erster Linie der Vorgänger, der in MR den Ton diktierte, nicht zuletzt da mit Roger Moore, Lewis Gilbert und Christopher Wood auch dieselbe Erfolgsbrigade vor und hinter der Kamera waltete. Und da wundert es nicht, dass MR stellenweise grosse Mühen hat, die kolossalen Fussstapfen auszufüllen. Während in TSWLM die Symbiose aus Spannung, Abenteuer und Setpieces immer genau richtig war und den Machern mit einer unverschämten Leichtigkeit von der Hand ging, springt MR ohne greifbare Aufhänger von Episode zu Episode, bzw. von einem absurden Mordanschlag auf Bond zum nächsten. Dieser Ansatz zieht sich besonders durch die sehr lang anmutenden Episoden in Kalifornien und Venedig, in denen bis auf einige berechenbar platzierte Actionszenen nicht viel passiert und die Geschichte und die Gefahr keine spürbare Form annehmen, so dass das Abenteuer erst nach rund siebzig Minuten der Laufzeit wirklich in Schwung zu kommen scheint. Die Schwierigkeit dabei ist, dass die Reise in den Orbit so fantastisch und - im wahrsten Sinne des Wortes - abgehoben ist, dass ihre längere und sehr umständliche Aufbereitung auf Mutter Erde dem nicht wirklich gerecht werden kann. Wenn es dann endlich in Richtung Finale und Raumfahrt geht, passiert das so zügig und von den bisherigen kleinen Ermittlungsschritten unabhängig, dass man auf die längeren Handlungsteile zuvor eigentlich auch hätte verzichten können.
Dass Bond die Welt dieses Mal von einer Raumstation aus rettet ist beim Publikum bis heute eine sehr umstrittene Angelegenheit, und nicht wenige halten diesen Handlungsaspekt für zu absurd, selbst für 1970er-Bondverhältnisse. Dabei ist doch gerade dieser Teil der Höhepunkt des Films, der auch den exotischen und überlebensgrossen Abenteuergeist des Vorgängers atmet. Während sich in der ersten Filmhälfte trotz der übertrieben prunkvollen Interieurs in Venedig und auf Drax' Schloss noch kein so wirklich überzeugendes Flair einstellen will, nicht zuletzt aufgrund der teilweise etwas steifen Inszenierung, kommt im Schlussakt allerbeste Bond-Magie zum Zuge. Setdesigner Ken Adam hat mal wieder ganze Arbeit geleistet, sei es mit dem Pythonteich im Inneren des Maya-Tempels, der Abschussbasis der Space Shuttles oder nicht zuletzt Drax' gewaltiger Raumstation im Erdorbit. An diesen Stellen sprüht MR geradezu vor fantasievollem Zauber, auch in der märchenhaften Art, wie Gilbert das Gesehene in Szene setzt. Die Spezialeffekte sind schlicht atemberaubend und sehen bis heute makellos aus, die Anreise zur Station mit Gilberts ruhevoller, fast schwereloser Inszenierung und Barrys mächtig-majestätischen Klängen ist wohl der beste Moment des Films und spiegelt die Fremdartigkeit und das Aufeinandertreffen von Ehrfurcht und Entdeckergeist wunderbar wider.
Die Actionszenen in MR sind eine wechselhafte Angelegenheit. Die PTS wartet mit einem der wohl spektakulärsten Stunts der Filmgeschichte auf, die Intensität und die Echtheit der Kampfszenen im freien Fall sind einfach nur immens, auch wenn der Sequenz, gerade auch im Vergleich zur Eröffnungsszene von TSWLM, ein wenig die Einbettung in einen Kontext fehlt und sie etwas allzu sehr aus dem Nichts kommt. Die übrigen Actionszenen des terrestrischen Handlungsaktes bleiben wie auch das meiste Drumherum eher mau. MR hat gleich zwei Bootsverfolgungsjagden an Bord, die erste ist vorbei, kaum dass sie angefangen hat und setzt ihren Clou, Bonds Hovercraft-Gondel, nicht als Höhepunkt, sondern als nutzloses Anhängsel am Ende der Szene ein. Die zweite am Amazonas treibt es zum ersten Mal in der Reihe zu bunt mit den Rückprojektionen und macht interessanterweise Gebrauch vom 007-Theme, das zuletzt bei Connery verwendet wurde. Gerade deshalb mutet diese musikalische Zeitreise in die 60er aber etwas merkwürdig an, da Moore und seine Filme einen ganz anderen Zeitgeist ausstrahlen.
Die Aikido-Prügelei in der venezianischen Glaserei ist eine nette Idee und gut choreographiert, wenn auch bei Weitem kein Höhepunkt. Nicht zuletzt auch, weil Bonds Gegner Chang einer der profillosesten und langweiligsten Handlanger der Serie bleibt. Ähnlich verhält es sich mit den Attentaten auf Bond bei Drax' kalifornischem Schloss. Vor allem die Zentrifugenszene ist eine schöne Einzelepisode, von Moore gut gespielt und von Gilbert nett inszeniert mit den Erinnerungsfetzen an das pfeilschiessende Armband. Aber es will sich während Bonds dortigem Aufenthalt einfach keine dynamische Steigerung der Geschichte einstellen. Auch die behäbige Keilerei auf der Zuckerhut-Gondel schlägt in eine ähnliche Kerbe. Es läuft alles immer wieder auf das Schlussdrittel hinaus, sicherlich sind die dortigen Laser-Schiessereien gewöhnungsbedürftig, aber durch den Umstand, dass sie in ein vitales und stimmungsvolles Setpiece eingebettet sind, funktionieren auch sie. Eigentlich lässt sich dem Film ab Bonds Eintreffen im Tempel kein Vorwurf mehr machen, die Balance aus Action, Bildgewalt, Inszenierung und Spannungsbögen klappt von diesem Punkt an wunderbar und bringt MR schwung- und fantasievoll zu Ende.
Moore setzt absolut souverän seine Rollenauslegung aus TSWLM fort und führt als galanter Sympathieträger durch den Film. Ihm gegenüber steht mit Michael Lonsdale als Hugo Drax ein viel kritisierter Bösewicht, der nicht zu den allerbesten gehören mag, aber mit seiner konsequent blasiert-gelangweilten Art durchaus Akzente setzt, vor allem - wie könnte es anders sein - im Schlussakt, als sich der pure Wahnsinn seines Vorhabens endlich herauskristallisiert. Auch in der Ausgestaltung des Bondgirls folgt MR deutlich dem überlebensgrossen Vorbild TSWLM, und stellt 007 einmal mehr eine Agentin auf derselben Mission zur Seite. Verglichen mit Barbara Bachs Anya bleibt Lois Chiles' Holly Goodhead die schwächer entwickelte Rolle in Bezug auf ihre Beziehung zu Old Rog, spielt dafür aber vor allem stimmlich besser und darf im Finale nicht als Damsel in Distress, sondern als gleichwertige Akteurin mit anpacken.
Wichtigstes Element der Besetzung bleibt aber Richard Kiels Rückkehr als Publikumsliebling Jaws, der in seinem ersten Film die ideale Balance aus auflockernder Komik und pausenloser Gefahr dargestellt hatte. Sein erster richtiger Auftritt in MR bei einem Mordversuch inmitten des Karnevals von Rio steht in bester TSWLM-Manier und bildet einen seiner denkwürdigsten Auftritte. Im Anschluss schlägt seine Rolle natürlich einen anderen Weg ein, wobei seine Bekehrung zum Guten nur die logische Konsequenz darstellt. Nach anderthalb Filmen stoischer Rückkehr wäre sein Tod absolut witzlos gewesen und jedem, der ihn längst als Figur ins Herz geschlossen hat, sauer aufgestossen. Jaws' stummfilmartige Liebesgeschichte mit der kleinen Dolly ist ziemlich weit hergeholt und im ersten Augenblick ein dicker Brocken, unterm Strich aber eine anrührende Entwicklung und ein würdiger Abschluss der Rolle. Die letzten Szenen an Bord der zusammenstürzenden Raumstation und der Hinweis auf ein mögliches Überleben der beiden gehören auf ihre Art zu den schönsten Momenten der gesamten Bondreihe.
MR ist ein zweischneidiges Schwert. Das letzte Drittel meistert den heiklen Sprung ins Weltall mit Bravour und bietet herausregende Effekte und Szenenbauten in Kombination mit schwungvollem Abenteuermärchen und majestätisch-mythischer Stimmung. Bis dahin vergehen aber leider rund siebzig Minuten, in denen der Film nur sehr schwer in Bewegung kommt. Die Geschichte kann kein erzählerisches Eigenleben entwickeln und bleibt eine Aneinanderreihung von mal mehr, mal deutlich weniger gelungenen Versatzstücken, die Schwierigkeiten damit haben, inhaltlich wie auch dramaturgisch, auf den grossen Höhepunkt im All hinzuarbeiten. Dem unmittelbaren Vorgänger und häufig zum Vergleich herangezogenen grossen Bruder kann MR damit leider nur am Ende vollständig das Wasser reichen.
Wertung: 6 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.