Hab mir TPOTC vor ein paar Tagen wieder angeschaut/angetan. Ist zweifellos und auf vielen Ebenen ein sehr starker Film, der bis an die Grenze des Erträglichen geht, um Emotionen wachzurufen. Muss vielen hier zustimmen, anders hätte das bei Gibsons Ansatz nicht funktioniert, ich sehe daher auch keine grundsätzliche Selbstgefälligkeit in der Gewalt. Wobei:
Da ist dieser unerträgliche Moment, in dem ein sichtlich amüsierter römischer Folterknecht Jesus den Arm auskugelt, um die Bohrung am Kreuz zu erreichen. War das nötig?
Ich konnte in TPOTC keinen betonten Antisemitismus erkennen, obwohl die Anschuldigungen mich auch lange Zeit davon abgehalten haben den Film zu sehen. Allerdings spielt Gibson mit dem Feuer, als er Jesus zu Pilatus (der bekanntlich äußerst grausam war, aber nicht so dargestellt wird) sagt, ihn treffe nicht die Hauptschuld für seinen Tod. Das hätte in dieser Form nicht sein müssen, und war sicher ein Hauptgrund für die Vorwürfe an den australischen Regisseur. Kaiphas und die anderen hohen Priester werden als manipulative und machthungrige Herrscher gezeichnet, was ihrer biblischen Darstellung entspricht. Demnach hat mich das ganze wenig überrascht. Man sieht am Anfang des Filmes auch, wie sie Menschenmassen zusammentrommeln lassen, um diese anschließend gegen Jesus aufzuhätzen.
Es werden aber auch großzügige, mitfühlende Juden/Jüdinnen gezeigt, die wie es auch in den Evangelien steht, versuchen Jesus zu helfen. Für die Rollen der römischen Folterer hat sich Gibson die richtigen Typen und Visagen ins Boot geholt, ähnlich wie die Nazi-Schergen in Polanskis "Der Pianist", oder in Spielbergs "Schindlers Liste".
Problematischer ist jedoch Gibsons Herangehensweise an sein Projekt. Auf der einen Seite bemüht er sich an vielen Stellen um eine "historische Rekonstitution" der Ereignisse, die sich aber aufgrund massiver Fehler und Anachronismen leicht anfechten lässt, und sich bereits schon mit dem Ansatz beißt, die symbolträchtige Sprache der Evangelien in Bilder umzusetzen, andererseits vermischt oder erweitert er an vielen Stellen die Evangelien selbst. Grundkenntnisse über die Geschichte des Christentums/Judentums sind daher von Nöten, um eine kritische Distanz zum Gezeigten herzustellen. Für Kinder un Jugendliche ist dieser Film überhaupt nicht geeignet, verstehe auch nicht die 16er Freigabe, die meiner Meinung nach viel zu mild ist. In Frankreich ist der Film ab 12 (!!!) freigegeben

. Viele Geistliche kritisierten 2004 den Film, weil dieser die Leiden Christi in den Vordergrund stelle, und nicht den eigentlichen und für das Christentum deutlich wichtigeren Zweck der Passion, nähmlich die "Auferstehung".
Nochmal zur Gewalt: Ich glaube nicht, dass diese unbedingt selbstgefällig ist, trotzdem könnte man Gibson durchaus den Vorwurf machen, er sei in seiner Gewaltdarstellung voyeuristisch. Vielleicht mag dies der Realität von Auspeitschungen/Geißelungen entsprechen, trotzdem muss man nicht in Nahaufnahme zeigen, wie einem Menschen ganze Fleischstücke aus dem Körper gerissen werden, um sein Leid zu verdeutlichen.
Vieles ist in Gibsons Passion einfach überzogen. Kein "normaler Mensch" könnte dieser Behandlung auch nur für eine Stunde standhalten. Ich glaube auch, dass Gibson hier die Übermenschlichkeit seines Protagonisten betonen wollte. Das ist aber konträr zu der Idee, Jesus als leidenden Mann aus Fleisch und Blut, der bis an das Äußerste für seine Überzeugungen gehen wird, zeigen zu wollen. Überhaupt fällt es schwer zu erkennen, WAS Mel Gibson mit diesem Film wirklich bezwecken wollte. Und darin liegt, wenn man es schon so sehen will, letzten Endes das ganze Problem. Mich hat der Film auf eine Art und Weise gepackt, wie es davor nur Filmemachern wie Michael Haneke (Funny Games) oder Pasolini (Salò) bei mir gelungen ist. Gibson mit Haneke oder Pasolini in einen Topf zu stecken, wäre aber unakzeptabel, auch wenn alle drei, durch ihre Skandalfilme populär(er) geworden sind.