Spoiler!
Pirates of the Caribbean: At World’s End (2007, Gore Verbinski)
„Close your eyes and pretend it's all a bad dream. That's how I get by.“
Leinen los und herzlich willkommen an der Bord der „Verwirrenden Gurke“! Im Namen des Kapitäns Jerry Bruckheimer und des Steuermannes Gore Verbinski begrüsse ich Sie zu dieser Kreuzfahrt in die Karibik, nach Singapur, in die Arktis, ans Ende der Welt und wieder zurück und durch einen Plot, dem wie ich Ihnen garantiere niemand wird folgen können!
Mit dem exorbitanten Produktionsbudget von dreihundert Millionen Dollar der teuerste Film aller Zeiten, startete die Produktion dieses dreistündigen filmischen Mammutbaumes bereits während den Dreharbeiten zu
Dead Man’s Chest, dem zweiten Teil der frischgebackenen Filmreihe. Dieses Mal werden all die Handlungsstränge aus eben jenem zweiten Teil direkt weitergesponnen um letzten Endes in einer alles entscheidenden Schlacht zu kulminieren. Mit dem unkomplizierten und knackigen Abenteuercharme des allerersten Teils hat der Film dabei nicht mehr wirklich viel gemein, vielmehr liefert Verbinski ein grosszügig aufgeblasenes Fantasy-Epos um Schuld und Sühne, Schicksal und Bestimmung und andere ausgelutschte Genre-Sujets.
Wie es sich für einen Film dieser Grössenordnung – sowohl in Bezug auf die Produktionswerte als auch auf die inhaltlichen und thematischen Ambitionen – gehört, ist At World’s End trotz oder gerade wegen der Laufzeit von drei überaus plotlastigen Stunden heillos überfrachtet an Charakteren, deren Bedeutung und Zuordnung für die Handlung oftmals für keinen wirklich deutlich sind. Angeführt wird das Ensemble wie gewohnt von Johnny Depp der sich mittlerweile als Parodie seiner selbst durch den Film chargiert und an allen Ecken und Enden des labyrinthischen Plots als exzentrischer Pausenclown mitmischt. Depps Performance geht dabei zwar der frische Charme und Einfallsreichtum des ersten Films weitgehend ab (was auf so einige Aspekte des Films zutrifft), nichtsdestotrotz macht es meistens Spass, sein schräges Possenspiel zu betrachten. Das fängt schon bei der ersten Szene an, die an gekünstelter Absurdität kaum noch zu überbieten ist: Sparrow steckt mit seinem Schiff in einer Wüste fest, halluziniert, grimassiert und muss sich mit imaginären Doppelgängern, einer Ziege, einem Haufen Steine und einer halben Erdnuss (!) herumärgern. Das ist bizarrer Blödsinn in seiner reinsten Form, aber genau darin liegt der Spass. Und diese idiotischen „Traumsequenzen“ ziehen sich in hübscher Regelmässigkeit durch den gesamten Film. Dem entgegengesetzt werden leider einige Szenen, in denen der Film (ernsthaft) versucht einen ernsten, schlimmer noch: emotionalen Sparrow einzuführen und diesen seriös in die Geschichte zu integrieren. Besagte Szenen sind heillose Rohrkrepierer, denn Depps abgehalfterten Kaspar als seriösen Charakter zu verkaufen hätte vielleicht noch im ersten Teil funktioniert, mit Sicherheit aber nicht in diesem.
Depps Blödeleien und der damit verbundene meist sehr oberflächliche Fanservice bietet einen grundsoliden Nährboden für die Rückkehr eines weiteren Hauptcharakters: Hector Barbossa, der von Geoffrey Rush verkörperte, schamlos charismatische Piratenteufel aus dem ersten Film. War die Figur im stilvollsten Abenteuer des Jahres 2003 noch ein verschlagener, sinisterer und dennoch irgendwie sympathischer Erzrivale Sparrows, so werden diese Beziehung und die Charakterzüge Barbossas hier masslos überzeichnet, und Depp und Rush zanken sich den gesamten Film über wie zwei alte Waschweiber, was sich in zahlreichen köstlich blöden Wortgefechten und Slapstick-Szenen niederschlägt (
Klick mich!), bei denen dem „dynamischen Duo“ die Spielfreude aus sämtlichen Poren tropft. Diesen beiden „Helden“, bei vernünftiger Betrachtung sind sie vielmehr „Anti-“, wird mit Lord Beckett, seines Zeichens machtsüchtiger Kommandant der Handelsflotte, ein würdiger Oberschurke entgegengesetzt, der durch das Spiel des theatererfahrenen Tom Hollander so richtig schön schleimig, süffisant und theatralisch daherkommt. Schleimig ist auch der dämonische Meeresgeist Davy Jones wieder mal, wenn auch nur äusserlich. Die im Vorgänger zumindest noch ansatzweise bedrohliche Figur wird hier zum lispelnden Tintenfisch degradiert, der für Beckett die Drecksarbeit erledigt, und dabei für einen auf dem Papier so einfallsreichen Charakter erstaunlich blass und langweilig daherkommt. In einem der viel zu vielen Subplots wird nun auch die gesamte Hintergrundgeschichte des Davy Jones, seine vermeintlich tragische Beziehung zur Meeresgöttin (!) Calypso aufgerollt. Dabei versteht sich Verbinski mal wieder als Meister darin, spannende Ideen stark aufzubauen um sie nachher genüsslich wegzuwerfen: in einer der besten Szenen des Films treffen sich Jones und Calypso in einem von mysteriöser Atmosphäre erfüllten Szenario zu ihrer Gänsehaut erregenden Leitmelodie. Der Verdammte stellt seine Peinigerin zur Rede, Verbinski taucht genau wie in Dead Man’s Chest wieder ein in diese potentiell so traurig-schöne Schauergeschichte. Aber wenn Calypso letzten Endes den Grund für ihr Fernbleiben offenbart, wenn man erfährt das dieser gesamte Fluch, der Hass und die thematische Grundlage des zweiten und dritten Films nur darauf basieren, dass die Olle an einem bestimmten Tag keinen Bock hatte, ihren Liebhaber von der See zu holen, dann kann man nur mit dem Kopf schütteln. Calypso selbst hat in ihrer Inszenierung und der Darstellung durch die grandiose Naomie Harris nur noch wenig von der faszinierenden und geheimnisvollen Dschungelhexe aus dem Vorgänger und bleibt die meiste Zeit über belangloses Supporting-Personal.
Neben den bereits genannten Figuren dürfen natürlich auch Orlando Bloom und Keira Knightley mal wieder mitmischen. Die Liebesgeschichte der beiden, die Anno 2003 noch genau den richtigen, simplen aber funktionierenden Rahmen gebildet hat, hat sich mittlerweile mehr als totgelaufen und die meiste Zeit der drei Stunden könnte und würde man gerne auf das prätentiöse und blass gespielte Beziehungsgeplänkel des Pärchens verzichten. Der schwächste Einfall ist aber in meinen Augen, dass nun auch der einst unschuldige, tapfere Heldentypus (Turner) und die schlagfertige Prinzessin in Nöten (Swann) völlig an der Prämisse vorbei in Piratenrollen gedrängt werden. Das mag in Turners Falle noch einigermassen Sinn ergeben, die Knightley als oberste Piratenkönigin – die meiste Zeit mit einer Art Trichter auf dem Kopf und pathetische „Wir ziehen in den Krieg!“-Reden schwingend – ist aber nur ermüdend und hat mit der Figur nur noch den Namen gemein. Die von Stellan Skarsgård gespielte Figur ist ein weiteres Beispiel für die totale Überfrachtung des Films, so unmotiviert und nebensächlich laufen der Charakter und der mit ihr verbundene Handlungsstrang neben dem ganzen Spektakel daher, um am Ende auch noch irgendwie aufgelöst zu werden. Und auch die beliebten Nebencharaktere des ersten Films, Jack Davenport und Jonathan Pryce, werden der Vollständigkeit halber in lieblosen Cameos verheizt. Neuzugänge gibt es auch wieder deren reichlich, neben den ganz netten Kurzauftritten des bunt zusammengewürfelten „Piratenrates“ darf John-Woo-Star Chow Yun-Fat einige witzige Auftritte als fernöstlicher Seeräuber absolvieren, wird dabei exotisch und für die Filmreihe auch neuartig in Szene gesetzt, bleibt letzten Endes aber auch nur eine weitgehend blasse Randfigur. Der einzige der hier wirklich den Vogel abschiesst und dessen Auftritt eine charmante und rundum gelungene Idee zugrunde liegt ist Keith Richards (!) als cooler, alter, gitarrenspielender (!!) Piratenrocker und Vater von Jack Sparrow (!!!). Depp nannte Richards ja als wichtigste Inspiration für seine Interpretation der Rolle, folglich ist es ein witziger Einfall, das Rolling-Stones-Urgestein hier mitspielen zu lassen und dazu noch so cool in Szene zu setzen.
Inhaltlich und erzählerisch beschreitet At World’s End wie ich bereits mehrfach angedeutet habe keine besonders einfallsreichen oder lobenswerten Wege. Gerade wenn man bedenkt mit welch einfacher und doch charmanter Simplizität diese Filmreihe ihren Anfang genommen hat, wollen die in der ersten Fortsetzung bereits markant angedeuteten und in der zweiten auf die Spitze getriebenen Zaunpfahlwinke in Richtung grosses, düsteres Fantasy-Epos nicht so wirklich passen. Zu viele Handlungsstränge sind insgesamt zu planlos um zu viele Charaktere herum arrangiert, ausserdem wechseln die Figuren innerhalb des Filmplots andauernd ihre Seiten, schliessen neue Bündnisse, verraten diese wieder und gehen Pakte mit anderen Parteien ein. Letzten Endes weiss keiner mehr – wahrscheinlich nicht einmal die Schreiberlinge – welcher der Piraten was plant, klare „Gut“- und „Böse“-Parteien gibt es keine mehr und spannungsvolle Ambivalenz bei den Figuren ist auch Fehlanzeige, da der gesamte Film dafür zu plan- und lieblos entwickelt ist. Dazu kommt noch dass sich der bedeutungsschwangere und auf ganz viel „düster“ und „Schicksal“ ausgerichtete Anstrich des Films fürchterlich mit der die meisten Zeit abgehaltenen Schmierenkomödie beisst, sei es freiwillig, wenn Sparrow und Hector mal wieder einen Schwanzvergleich mit Ferngläsern austragen, Nighys Fischmutant überdeutlich pompös auf Deck rumtrampelt und Pintel und Ragetti reihenweise dümmliche Kalauer vom Stapel lassen, oder unfreiwillig, wenn die Knightley mit ihrem albernen Hut in der Takelage rumturnend etwas von Freiheit und Gerechtigkeit brüllt, oder gefühlte fünf der Charaktere und Parteien einander innert zehn Sekunden gegeneinander ausspielen, verraten und die Seiten wechseln. Mit dem eleganten und schwungvollen Mix aus Humor und Grusel des ersten Films hat das Ganze nur noch wenig gemein, dafür ist At World’s End insgesamt leider viel zu plakativ, überfrachtet und zu sehr mit dem Holzhammer umgesetzt.
Wenn man es aber schafft, an all diesen Mängeln, Makeln und Ausrutschern, an all den Schwächen, überladenen Handlungssträngen und verschenkten Nebenfiguren vorbeizusehen, muss man doch konstatieren, dass das Ganze auf eine sehr besondere Art und Weise irgendwie Spass macht. Als epochales und ausladendes Fantasy-Spektakel höchstens in Ansätzen leidlich geglückt, funktioniert der dritte Pirates of the Caribbean dafür umso mehr als grossangelegter Fanservice voller mal mehr, mal weniger gut geglückter Anspielungen und Running Gags, kindischem Piratengezanke, absurden Dialogverschnitten aus den Vorgängern und Slapstick-Einlagen. Während die Atmosphäre und der Ideenreichtum zurückbleiben, werden Comedy und Eigenparodie ausser Rand und Band häufig gleich in der Breitseite geboten. Darüber hinaus muss ich noch anmerken, dass Dynamik und Schnitt für sich gesehen meistens ziemlich gut funktionieren, gerade auch in Zusammenspiel mit der Musik und dem überladenen Humor. So zum Beispiel in dem überlangen und völlig absurden Finale Grande oder der „Parlay“-Szene auf der Sandbank, in der sich Verbinski und Zimmer grosszügig bei Spiel mir das Lied vom Tod bedienen. Und wenn diese Schlacht erst einmal überstanden ist, kommt auch schon das Grossjuwel des Films, die phänomenale Schlussszene im Geist, Stil und Charme des wunderbaren Erstlings – mit einem Vorgeschmack darauf, dass die Reise noch längst nicht vorbei ist…
Trommelwirbel, ich kann es selbst nicht fassen! 6 / 10