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von Jaybee
Agent
Mein Leben lang war ich immer super vorsichtig darin, mir über andere Menschen ein Bild, geschweige denn ein Urteil zu erlauben. Ständig hatte ich das Gefühl, nicht genug über jemanden zu wissen, seine Motivation, Gefühle und Wertvorstellungen, um sein Innenleben zu begreifen. Bis zu dem Tag, an dem ich in ein Stadtviertel musste, das als islamistische Hochburg gilt. Da bin ich zum ersten Mal einer vollverschleierten Frau begegnet. Keine Mimik, keine Gesten- nix! Ob sie diese Verschleierung freiwillig trug, ob sie gezwungen wurde, ob sie mit der Verhüllung die böse westliche Welt von sich fern halten wollte? War sie glücklich, traurig, wütend, amüsiert, aggressiv, fröhlich? Jeglicher zwischenmenschlicher Austausch, jede Kommunikation war unterbunden. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Hier hatte ich zum ersten Mal das Gefühl- NEIN! DAS GEHT NICHT! Und es war mir zum ersten Mal völlig egal, ob andere Menschen über eine solche Verschleierung diskutieren wollten.
Es gibt Dinge, die gehen einfach nicht. Es gibt sie, diese Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, um sich nicht irgendwann zu wundern, warum der eigene Bruder wegen seiner Homosexualität von der Regierung, die man nicht verhindert hat, an die Wand gestellt wurde, warum die nicht verschleierte Frau grade blutend unter einem Steinhagel zusammenbricht oder eine Schwein mit einer Knarre die Tür einer Synagoge aufschießen will. Der sehr eindeutige Text, den Fleming da geschrieben hat, ist mit ein Stein im Fundament eines sexistischen Faschismus, da muss kein gestörtes Individuum ein künstlerisches Werk uminterpretieren.
Du fragst, wer die Grenze zieht? Wer sie ziehen darf? Keiner? Na, dann zieh dich mal warm an, solltest du selber irgendwo nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen.
Ein Reiseleiterin hat es mal für die USA schön zusammengefasst: "Amerika ist das tollste, freieste Land der Welt. Wenn du weiß, jung und gesund bist. Anderenfalls hast du ein Problem."
Ich bin eine Frau und nehme mir das Recht zu sagen, dass eine frauengefährdende Grenzüberschreitung stattgefunden hat. Eine Überschreitung, die unter dem Mäntelchen der "Kunstfreiheit" mein Leben als Frau einschränkt, herabwürdigt und bedroht.
PS Was wäre, wenn die gesamte Kunst dich als Mann aufgrund der "Kunstfreiheit" über Jahre, Jahrhunderte permanent und überall als minderwertiges, dauergeiles, perverses Vieh abbilden würde? Und du könntest reden, soviel du wolltest- dein Protest würde mit einem Achselzucken abgetan, als unwichtig, lästig und lächerlich betrachtet? Man würde dir absprechen, eine Grenze ziehen zu wollen? Wie würdest du dich fühlen? Hilflos? Wütend? Angeekelt? Bedroht? Ach was, wirklich!?