Meine Freundin und ich haben gerade "Memento" angeschaut. Für sie war es das erste Mal, für mich das erste Mal seit ... äh, 10 Jahren? Oh je. Jedenfalls: Im Netz trifft man nach wie vor gerne die Meinung, es handle sich bei diesem Film eigentlich um Nolans größtes Meisterwerk, und in Teilen kann ich das nachvollziehen, denn in "Memento" ist wirklich schon alles drin, was seine Filmografie später ausmacht. Das Spiel mit Zeit und Erzählzeit, der Wechsel zwischen Subjektiver Wahrnehmung und Objektiver Wahrheit, die ambitionierte Struktur mit Rückblenden innerhalb von Rückblenden und Rückblenden, die sich als Fake entpuppen, die tote Ehefrau und der dadurch traumatisierte Protagonist, der große Schlusstwist am Ende, der alles nochmal auf den Kopf stellt und einen das Konzept neu hinterfragen lässt ...
Es ist alles schon in "Memento" da. Besonders frappierend fand ich, wie offensichtlich in "Inception" vieles aus "Memento" recycelt wird. Die Rückblenden zur toten Ehefrau in "Memento" und der Wahrheit hinter ihrem Tod werden sogar auf die exakt gleich verpuzzelte Art und Weise integriert wie bei "Inception". Nolans Films sind untereinander alle irgendwie verwandt, aber die beiden dürften sich wirklich am ähnlichsten sind.
"Memento" hat mir etwas besser gefallen, als ich ihn in Erinnerung hatte, aber er ist noch immer die Art Film, die ich nicht so richtig mag, die ich wohl eher respektiere als bewundere. Das Rückwärts-Erzählen des Films ist ein genialer Kniff und versetzt einen gekonnt in die Sichtweise des Protagonisten, und es zwingt Nolan zugleich dazu, jede Szene mit einem Cliffhanger zu beginnen und zu beenden. Da stört es nicht mal, dass da im Detail so einiges nicht wirklich logisch ist und eher konstruiert wirkt (wenn man richtig drüber nachdenkt), denn das Drehbuch ist ansonsten wirklich mustergültig auf diese Verschachtelung hin ausgetüftelt.
Durch das effiziente Editing und die sehr präzise geschriebenen Momente, mit denen jede Szene eröffnet und schließt, ist "Memento" um ein Vielfaches übersichtlicher, als er eigentlich sein dürfte. Nolan achtet immer darauf, dass das Publikum ihm bei seinen verrückteren Konzepten trotzdem noch folgen kann, und gerade "Memento" hat da die besondere Schwierigkeit, den Zuschauer an die Hand nehmen zu müssen, damit er bei dieser invertierten Struktur überhaupt folgen kann. Man ist immer in medias res.
Klingt doch eigentlich super oder? Naja: Als filmische Puzzle-Erfahrung ist "Memento" nahezu einzigartig, stimmt. Aber er ist eben eigentlich auch nie mehr als das: ein filmisches Puzzle. Eine intellektuelle Spielerei. Eine meisterhafte Konstruktion, sicher, aber eine eiskalte. Der viszerale Nervenkitzel, den diese Spielerei auslöst, sorgt für einen tollen Sog, weil das Gehirn sich umstellen muss, weil es Informationen plötzlich anders zu "fressen" bekommt, als wir es aus dem Kino gewohnt sind. Sobald diese Umstellung aber erfolgt ist - so ging es mir jedenfalls -, bleibt vom Gesamtwerk eigentlich nur wenig übrig.
Nolans Film ist auch der Versuch einer Dekonstruktion von Tropen und Klischees des Noir-Genres, was spätestens offensichtlich wird, wenn sich Carrie-Anne Moss als (untypische) Femme Fatale versucht. Und als solches Spiel mit Genre funktioniert "Memento" dann weniger, es fehlt ihm aus meiner Sicht an wirklich klugen Überlegungen. Vor allem, weil im großen "Finale" (eigentlich die Mitte der Handlung, aber das Ende des Films - klar soweit?) dann die Schlusspointe mir einen Keyer-Soze-Twist auftischen will, der alles, was zuvor passiert ist, etwas ad absurdum führt.
Plötzlich flüchtet der Film sich in eine recht fadenscheinige philosophische Überlegung, flieht komplett in die Willkür des unzuverlässigen Erzählers, und in dem Moment, in dem Nolan sich nackig machen müsste, die Karten auf den Tisch gehören, grinst er einen an und ruft: "Gotcha!"
Ein Problem, warum der Film trotz seiner reizvollen Struktur mich nie fesseln konnte, ist wohl, weil das zentrale Mysterium für mich nicht so interessant ist, und weil die Figuren nur wenig hergeben. Guy Pearce mag ich als Darsteller durchaus, und er bekommt hier viel zu tun, darf manchmal aber auch wahnsinnig unnatürliche Sätze sagen, vor allem im Zusammenspiel mit Carrie-Anne Moss, die als Charakter für mich nicht richtig funktioniert (eine lange Szene, in der sie ihm gegenüber verkündet, wie sie ihn gleich zu ihren Gunsten verarschen wird, ist besonders "gimmicky" und eigentlich ein wenig lachhaft). Ihr "Matrix"-Kollege Joe Pantoliano ist dafür die interessanteste Person im Film, und er spielt diesen nie vertrauenswürdigen, aber irgendwie markanten Scheißer sehr überzeugend.
Letztlich hat mich/bzw. uns "Memento" also nur bedingt überzeugt. Er ist interessant anzuschauen und die Erfahrung, eine Geschichte rückwärts vorgeführt zu bekommen, hat einen großen Reiz, und triggert die eigene Neugierde und das Bedürfnis des Hirns, alles zu erklären und in Zusammenhänge zu bringen, Kontexte zu finden. Als intellektueller Mitmach-Noir hat das seine effektiven Momente. Vieles von meinen Problemen nimmt man beim direkten Anschauen auch nur bedingt wahr, erst in den letzten 10 Minuten merkte ich, wie wenig mich die dramatischen Enthüllungen noch mitnehmen und wenig echtes Interesse ich eigentlich an diesen Figuren entwickelt habe.
Nimmt man also all die formalen Metzchen mal weg (und es mag jetzt für beinharte Fans albern sein, den Film so zu kritisieren; dessen bin ich mir bewusst), bleibt ein vom Ende gedacht dürftiger Krimi, der ohne seine zahlreichen, teils sehr aus dem Hut gezauberten Pointen nur wenig innere Spannung birgt, und thematisch wie motivisch zugleich dünn und konfus ausfällt.
So bleibt für mich unklar, welchen Punkt Nolan bezüglich der Subjektivität der Erinnerung machen will. Der Überbau mit dieser (falschen) Erinnerung, von der der Protagonist in den Schwarz-Weiß-Segmenten am Telefon erzählt, soll letztlich darauf hinauslaufen, dass unser Erinnern von Dingen und Erfahrungen immer in Teilen unzuverlässig ist. Das ist eine interessante Aussage, und verrät eigentlich auch einiges über unsere Identitätsbildung (oder das, was wir dafür halten), läuft der Struktur des Films aber merkwürdig hart entgegen. Wir als Zuschauer arbeiten (genau wie die Guy Pearce Figur) konsequent gegen die fadenscheinigen Erklärungen und Halbwahrheiten an, die sich im Laufe der Zeit offenbaren, nur damit Nolan sich im Schlussteil in die Philosophie verdrückt und ausruft: "Ätschibätschi, was sind schon Wahrheiten?"
Der genrekonstruierte Noir-Twist, das die Hauptfigur nie weiß, ob sie von Pantoliano oder Moss manipuliert wird, und im Schlussteil offenbart, in Wahrheit sich selbst manipuliert zu haben, ist allerdings pfiffig, zumindest das muss ich Nolan wirklich zugestehen - wenngleich er aufgrund der Rückwärts-Struktur ab einem gewissen Punkt absehbar wird.
Macht summa summarum 6/10, vielleicht meiner Bewunderung für die Konstruktion wegen 6,5/10.