Auf dem Rüttelsieb
Von Wolfram Knorr
Marc Forster, halb Deutscher, halb Schweizer, darf den nächsten Bond inszenieren. Er dürfte der Richtige sein.
Das Überwältigungskino hat Konjunktur. Seine momentane Hoch-Zeit belegt die mediale Reaktion auf eine Personalie, die sowohl Schweizer als auch deutsche Medien mit Stolz für sich beanspruchen: Marc Forster, der in Ulm geboren wurde und in Davos gelebt hat, darf den nächsten, 22. James Bond inszenieren. Eine reine Kommerzproduktion, entschieden von der federführenden Bond-Produzentin Barbara Broccoli; dennoch wird im deutschsprachigen Raum die Wahl für den 38-jährigen Forster wie ein Ritterschlag behandelt.
So meldete die Augsburger Allgemeine, Forster sei «in Au aufgewachsen» und dort «in den Kindergarten und in die erste Grundschulklasse» gegangen; er sei «ein Illertisser Gewächs». (Au ist ein Stadtteil von Illertissen, und Illertissen liegt bei Ulm.) Blick online wusste, nicht weniger stolz, «der in Davos aufgewachsene Sohn eines Schweizer Arztes und einer deutschen Architektin sei genau die richtige Wahl». Und Daniel Haberthür, Präsident des James Bond Club: «Es freut uns wirklich ausserordentlich, dass nach Ursula Andress wieder jemand Grosses aus unserem Land kommt – auch wenn Marc Forster ja eigentlich nur ein halber Schweizer ist.» Schade; aber dafür ging er hier ins renommierte Institut Montana Zugerberg, machte die Matura und entschied sich danach weder für Deutschland noch die Schweiz, sondern für New York, um an der Filmschule der New York University zu studieren. Eine äusserst kluge Entscheidung.
Nicht nur weil Forster hierzulande erst fest umarmt wurde, als er mit «Monster’s Ball» (2001) reüssierte und seine Hauptdarstellerin Halle Berry als erste Afroamerikanerin mit einem Oscar (2002) ausgezeichnet wurde; nicht nur weil er sich der quälenden Gremien-Mentalität entzog, die im deutschsprachigen Kulturraum über die Filmproduktionen entscheidet; und nicht nur weil hier einfallsreiche Drehbücher sowieso rar sind, sondern weil vor allem der Film in den USA grundsätzlich geschätzt wird.
Film als Ware (kreisch!)
Als Marc Forster 1990 nach New York übersiedelte, war der «Handelskrieg» um die richtige Zuordnung der audiovisuellen Medien zwischen Europa und den USA in vollem Gang. Jack Valenti, damals Chef der MPAA (Motion Picture Association of America), blockiere die Liberalisierung des audiovisuellen Weltmarktes, hiess es landauf, landab. Es ging um das Gatt-Abkommen (General Agreement on Tariffs and Trade), das den Dienstleistungs- und Warenverkehr (für die Amis gehörte der Film dazu) regeln sollte.
Das Geschrei war hier gewaltig: Film als Ware (kreisch!). Der Antiamerikanismus war wieder salonfähig. Wer sich damals in die USA absetzte, wie etwa Roland Emmerich («Independence Day»), galt halt als kommerzfixiert, nach dem Schulterzuck-Motto: Na ja, wenn’s ihn glücklich macht.
Forsters Talent wurde erst spät erkannt
Marc Forster dagegen wird nun gelobt, für einen Blockbuster ausgewählt worden zu sein und das Angebot angenommen zu haben. So ändern sich die Zeiten. Seinen ersten Film drehte er mit geliehenen 10 000 Dollar («Loun-gers»), und auf dem Slamdance Festival erhielt er dafür den Publikumspreis (1995).
Forster schrieb Drehbücher, die abgelehnt wurden, und hielt sich finanziell durch Gönner aus der Schweiz über Wasser. 2000 gelang ihm ein erster Durchbruch mit «Everything Put Together»; in Sundance, dem Camelot der besessenen Jungfilmer, wurde das Opus für den Jurypreis nominiert. Den erhielt er zwar nicht, dafür was Wertvolleres: einen Agenten, der endlich sein Talent erkannte und die Autoren des Todesstrafen-Dramas «Monster’s Ball» überzeugen konnte, Marc Forster die Regie zu übertragen.
Die Karriere des Regisseurs begann mit staunenswerter Unaufgeregtheit und Neugier aufs Spiel mit unterschiedlichen Genres. «Finding Neverland» (2004), «Stay» (2005) und «Stranger Than Fiction» (2006), Drama, Thriller, Komödie, mal konventionell inszeniert, mal experimentell, mal wunderbar komisch getingelt – als habe er die reizvollen Gattungen wie «fliegende Holländer», die nicht vor Anker gehen wollen, gekapert: mit charmanter und eigensinniger «Flüchtigkeit».
Für den Geheimagenten James Bond, diesen quecksilbrigen Svengali, ungehobelt und kultiviert, wollüstig elegant und wölfisch hungrig, der sich wie glitzernder Sternenstaub immer schön verflüchtigt, könnte Marc Forster tatsächlich die richtige Wahl sein. Immerhin setzte er sich gegen die Kollegen Alex Proyas («I, Robot») und Tony Scott («Déjà Vu») durch, die in der engeren Wahl standen und aus der ausgebufften Clip- und Werbebranche kommen.
Europäer mit der Lizenz zum Töten
Das Wirtschaftsunternehmen mit dem Logo «Bond» überlässt nichts dem Zufall. Ein hochprofessionelles Stunt- und Trickteam sorgt für die bengalischen Sensationen, der Drehbuchprofi Paul Haggis («Crash»), Clint-Eastwood-Freund und Bond-Script-Doctor («Casino Royale») für die Zungenpeitsch-Dialoge und ein ausgebufftes Produktionsteam für den Rest. Für Marc Forster, der mal die Regie eines «Harry Potter»-Sequels ablehnte (was für seine kreative Integrität spricht), ist Bond eine Herausforderung, zumal der Kerl mit der Lizenz zum Töten Europäer ist.
Das wahre Rüttelsieb aber wird für Marc Forster ein anderes sein: Die beinharten Showbiz-Fuzzis werden beim Dreh sein Stehvermögen testen. Man darf gespannt sein.