Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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danielcc hat geschrieben: 3. Juni 2025 13:22 Scheinbar ist das Interview komplett erfunden

https://www.spiegel.de/kultur/kino/clin ... a2e6c48540
Hab ich ja oben geschrieben.

Da ist mir sofort aufgefallen, als ich die Überschrift beim Kurier zum ersten Mal gesehen hatte.
Wäre ja sonst auch wirklich ein Coup, wenn ausgerechnet der Kurier aus Österreich als einziges Medium weltweit ein Interview zum 95. Geburtstag bekommt.

Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Vier Western hat Herr Ostholz inszeniert, vielleicht sogar fünf, je nachdem, ob man "Cry Macho" zählt oder nicht. So oder so war sein erster inszenatorischer Ausflug in das Genre, das ihn zur Ikone machte, "Ein Fremder ohne Namen". Ein herrlich beknackter deutscher Titel, enthält er doch überhaupt keinen Informationsgehalt. Es ist ein Western, mit Clint Eastwood in der Hauptrolle, natürlich wird er also ein Fremder sein, und natürlich auch weitgehend ohne Namen, da Clint eben vor allem immer Clint ist.

Jedenfalls lässt sich über "High Plains Drifter", so heißt das Teil eigentlich sagen: Eastwood muss in einer sehr dunklen Lebensphase gesteckt haben, als er den gedreht hat. Es ist ein düsterer, nihilistischer, pechschwarzer Western, aufgeladen mit mythologischem Surrealismus und der Grausamkeit des Alten Testaments. Er wird weithin als seine Abrechnung mit dem Genre angesehen, während andere ihn als seine eigene Variation der Filme betrachten, die er als Schauspieler mit Sergio Leone und Don Siegel gedreht hat. Aber Eastwood geht in Wahrheit noch viel weiter: Er übertreibt und dämonisiert seine Paraderolle als wortkarger Revolverheld zu einem amoralischen, rachsüchtigen Phantom, einer höllischen Kreatur, die plant, den Tag des Jüngsten Gerichts über eine sündige Kleinstadt zu bringen.

Wie diese Gemeinschaft in ihrer verzweifelten Suche nach einem gewalttätigen Retter jegliche Kontrolle an Eastwoods Figur abgibt, die sich innerhalb weniger Minuten als skrupelloser, empathieloser Wahnsinniger und brutaler Vergewaltiger entpuppt, geht über eine Anklage der Erzählmuster eines Genres hinaus. "High Plains Drifter" ist vielmehr eine allegorische Darstellung der vermeintlich zivilisierten Logik des amerikanischen Faschismus. Die übernatürliche Wendung um den Protagonisten (die direkt aus der "Twilight Zone" stammen könnte, und die in der deutschen Synchro leider völlig verschandelt wurde) ist die wichtigste Aussage des Films, da sie den Glauben an einen auserwählten, allmächtigen Messias als Fantasie entlarvt, die aus der unbewusst verdrängten Schuld der gewaltsamen, selbstgerechten Eroberung des nordamerikanischen Kontinents resultiert. Eigentlich spielt Leone hier nicht seine Figur aus der "Dollar"-Trilogie, sondern eine antichristliche Form von Jesus Christus.

Formal ist Eastwood in seinem zweiten Regieprojekt noch weit von seiner späteren Brillanz entfernt und versucht sich an einer Mischung aus düsterem Realismus, Neo-Noir (vor allem in der Verwendung von Schatten) und japanischen gotischen Geistergeschichten, während er noch auf der Suche nach seiner eigenen filmischen Sprache ist. Die daraus resultierende Abstraktheit wird nicht jedem gefallen, und es entsteht die ein oder andere Länge, manche Zuspitzungen sind schon fast zu cartoonesk überzeichnet, aber die zugrunde liegenden Themen sind auch heute noch aktuell. John Wayne hasste diesen Film, nun ja, natürlich tat er das. Eastwood wird es hoffentlich als Kompliment gesehen haben.
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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"Im Auftrag des Drachen" ist ein durch und durch seltsamer Pulp-Film, der offensichtlich Dutzende von Elementen einer Spyploitation-Parodie enthält, diese aber völlig ernsthaft ausspielt und durchzieht, so als sei man sich der Bewortung des Wortes "Parodie" keineswegs bewusst. Der gleichnamige Roman von Trevanian war eine böse Konterkarierung der inhärent frauenfeindlichen, homophoben und rassistischen Elemente, die in Ian Flemings James-Bond-Romanen zu finden sind. Aber als Regisseur sah Clint Eastwood das Material wahrscheinlich nur als Gelegenheit, sich selbst als amerikanisierten Bond in Aktion zu zeigen.

Das Ergebnis: Eastwoods Film verliert jegliche Ironie, verzichtet auf diesen Metakommentar. Stattdessen schwelgt er in machohaftem Verhalten, einer fast unmenschlichen spielerischen Grausamkeit gegenüber Frauen, Nicht-Weißen, Schwulen und sowieso allem, was nicht Eastwood ist. Sein Protagonist, ein Kunstlehrer/Bergsteiger/Untergrund-Attentäter (der für einen ehemaligen Nazi und Albino-CIA-Chef arbeitet, der durch Bluttransfusionen und sonstiges Gebimmsel am Leben erhalten wird), sagt zu einer Indianerin in Hotpants, er „wünschte, Custer hätte gewonnen“, und haut im O-Ton so legendäre Sprüche raus wie: „I thought I’d given up rape but I’ve changed my mind.“ Einem Klischee-Schwulen (der sein Hündchen "Faggot" getauft hat) blafft er noch entgegen: „Du hast eine unheilbare Krankheit und bist zu feige, um dich umzubringen.“ Ganz klar: Der Film ist ein James-Bond-Klon, wenn alle James-Bond-Filme Hassverbrechen wären. Völlig bizarres Zeug, politisch mehr als unkorrekt, mit Passagen, die selbst in einer Parodie zu unverschämt wären. Und dennoch: Eastwood schafft es, dass das alles funktioniert ... irgendwie!

Die unglaublichen Aufnahmen der Kletterexpeditionen im Monument Valley und auf dem Eiger in der Schweiz sind atemberaubend und wurden unter extrem gefährlichen Bedingungen gedreht. Ein früher Soundtrack von John Williams schafft eine majestätische Atmosphäre und geht einem noch Wochen nicht aus dem Kopf. Oh, und mit Eastwood selbst und dem großartigen George Kennedy sind zwei bombig charismatische Stars mit von der Partie, denen man einfach gerne dabei zusieht, wie sie sich prügeln, trinken oder klettern. Der Film ist spektakulär und unterhaltsam in seiner Bildsprache, seiner Kühnheit, seinen unverschämten Tendenzen, sogar in seinem Scheitern. Insgesamt wohl ein Fehltritt in Eastwoods Filmografie, aber zumindest als filmische Kuriosität auch eine interessante Fußnote. 5/10.
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Ein klein wenig kontextuelle Einordnung:
Casino Hille hat geschrieben: Gestern 18:54 Sein Protagonist (...) sagt zu einer Indianerin in Hotpants, er „wünschte, Custer hätte gewonnen“
Der Spruch ist tatsächlich eine ironische Replik auf die Tatsache, dass das junge Mädchen den in die Jahre gekommenen Bergsteiger bei dessen Training für die Eiger-Besteigung unbarmherzig durch die Berge jagt. Die Ironie daran ist nicht zuletzt, dass Hemlock damit seine physische Unterlegenheit durch die Blume zugibt.
Casino Hille hat geschrieben: Gestern 18:54 und haut im O-Ton so legendäre Sprüche raus wie: „I thought I’d given up rape but I’ve changed my mind.“
Wiederum eine ironische Replik im Rahmen eines erotischen Schlagabtausches zwischen Hemlock und Jemima. Klingt aus dem Kontext gerissen schlimm, ist im Rahmen des eigentlichen Dialogs aber klar erkennbar ironisch gemeint, nicht zuletzt, da das anschliessende Stelldichein der beiden ja ganz eindeutig kein "rape" ist.
Casino Hille hat geschrieben: Gestern 18:54Einem Klischee-Schwulen (der sein Hündchen "Faggot" getauft hat) blafft er noch entgegen: „Du hast eine unheilbare Krankheit und bist zu feige, um dich umzubringen.“
Auch hier sollte man den figürlichen Hintergrund nicht ganz außer acht lassen: Hemlock ist in der Beziehung zu Miles sicherlich keine "Schwulenhasser", sondern sein Verhalten ist vielmehr durch den Verrat von Miles an ihm und dem damit verbundenen Tod ihres gemeinsamen Freundes motiviert. Miles und Hemlock waren Freunde, Hemlock war also sicherlich nicht immer schlecht auf Miles zu sprechen - um es mal vorsichtig auszudrücken. Die angesprochene unheilbare Krankheit ist im übrigen auch nicht auf Miles Homosexualität gemünzt, sondern als Anspielung/Drohung darauf, dass Hemlock Miles töten will als Rache für den Verrat. Miles ist in seinen Augen also eine lebende Leiche.

Diverse Elemente aus der Eiger Sanction mögen heute nicht mehr als politisch korrekt durchgehen, aber man sollte trotzdem immer den jeweiligen Kontext berücksichtigen. Meinem Empfinden nach bearbeitet der Film übrigens sein Thema durchaus mit einem eindeutig erkennbaren Augenzwinkern. :wink:
Zuletzt geändert von AnatolGogol am 12. September 2025 21:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Eiger Sanction heisst "Im Auftrag des Drachen"? :lol:

Lustig, ich meinte ich habe erst vor ein paar Tagen Revoked von dem Film erzählt, als wir den Eiger bestaunten. Den Film fand ich immer ganz ordentlich, wenn auch sicher unfertig, als hätten ihm entweder mehr oder weniger figürliche Ambitionen gutgetan (was die ganze Eastwood-Kennedy-Hintergrundgeschichte angeht). Ein Kunstlehrer/Bergsteiger/Untergrund-Attentäter (der für einen ehemaligen Nazi und Albino-CIA-Chef arbeitet, der durch Bluttransfusionen und sonstiges Gebimmsel am Leben erhalten wird ist doch grossartiger Spass und die Kletterszenen waren auch eindrucksvoll gedreht. Von den Hassverbrechen ist mir tatsächlich nur Hund Faggot in Erinnerung geblieben, den ich auch Panne fand, aber vor allem weil - meine ich mich zu erinnern - die dazugehörige Nebenfigur irgendwie überflüssig war.
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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GoldenProjectile hat geschrieben: Gestern 21:10 Eiger Sanction heisst "Im Auftrag des Drachen"? :lol:
Na komm, klingt doch wirklich besser als "Die Eiger-Bestrafung" :D
GoldenProjectile hat geschrieben: Gestern 21:10Von den Hassverbrechen ist mir tatsächlich nur Hund Faggot in Erinnerung geblieben, den ich auch Panne fand, aber vor allem weil - meine ich mich zu erinnern - die dazugehörige Nebenfigur irgendwie überflüssig war.
Miles überflüssig? Das ist doch mit die unterhaltsamste Figur im Film! Übrigens hat die deutsche Fassung auch sein Hündchen Faggot aufgewertet, indem man in ihn "Pinselchen" umgetauft hat. :lol: Herrlich, wenn Eastwood nachdem er Miles in der Wüste ausgesetzt hat und dessen Hündchen fahnenflüchtig in Hemlocks Jeep geflüchtet ist den Kläffer anblafft: "Halt die Klappe, du Pinsel!" :lol:
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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AnatolGogol hat geschrieben: Gestern 21:17 Na komm, klingt doch wirklich besser als "Die Eiger-Bestrafung"
War im Film irgendwo ein Drache? Ich erinnere mich nur an den Eiger :lol:
AnatolGogol hat geschrieben: Gestern 21:17 Miles überflüssig? Das ist doch mit die unterhaltsamste Figur im Film! Übrigens hat die deutsche Fassung auch sein Hündchen Faggot aufgewertet, indem man in ihn "Pinselchen" umgetauft hat. :lol: Herrlich, wenn Eastwood nachdem er Miles in der Wüste ausgesetzt hat und dessen Hündchen fahnenflüchtig in Hemlocks Jeep geflüchtet ist den Kläffer anblafft: "Halt die Klappe, du Pinsel!" :lol:
Ich arbeite hier mit vagen Erinnerungen, eher Eindrücke als konkrete Plotpoints. Die Erinnerung sagt mir, dass das Bergsteigerspektakel sich immer mal wieder an "mehr" versucht hat in Form von ausgefeilteren figürlichen Hintergrundgeschichten, Motivationen und Zusammenhängen, von denen ich den Eindruck hatte dass Eastwood sie entweder hätte weglassen oder besser ausarbeiten müssen. Nur so komme ich auf den Begriff "überflüssig" - und durch meine eigene Rezension, die ich kurz nach Sichtung geschrieben haben muss, also wird die wohl ihre Gründe gehabt haben. :mrgreen:

Nach Siegels komödiantisch angehauchter Western-Übung nun also wieder ein Film mit Harry Himself hinter der Kamera. Clint spielt einen bergsteigenden, profi-killenden, Gemälde sammelnden Professor für Kunstgeschichte, der für eine geheime Regierungszelle arbeitet (bzw. gearbeitet hat, aber natürlich wieder zurückkehrt) und immer dort anzutreffen ist, wo die Post abgeht. Und wo geht die Post am meisten ab? Natürlich im Berner Oberland! Also kraxelt Clint munter die Eigerwand hoch, um einen Doppelagenten zu eliminieren, der wiederum einen seiner Leute eliminiert hat, und von dem nur bekannt ist, dass er an einem bestimmten Datum bei einer Bergsteig-Expedition anzutreffen sei. Ja ne, ist klar.

Die Geschichte, angesiedelt irgendwo zwischen James Bond und Rachethriller, ist manchmal etwas konfus und umständlich, uneingeschränkt Fahrt nimmt sie erst im letzten Drittel mit der titelgebenden Gipfelsteigung an. Man muss dem Film anrechnen, dass er versucht Handlung und Figuren mehr Tiefe zu geben durch persönliche Interessen und Motive, alte Freund- und Feindschaften die wieder ausgegraben werden und komplizierte Hintergründe über die faule Geheimdienstpolitik der konkurrierenden Weltmächte. Trotzdem hätte Clint die ersten beiden Drittel gerne etwas straffen dürfen, zum Beispiel den Subplot um Jack Cassidys spleenigen Klischeeschwulen mitsamt einem Hündchen namens "Faggot", der hauptsächlich dazu dient, noch mehr Hintergründe und vergangene Geschichten ins Geschehen mit einzuweben.

Begeisterung gibt's immer während der Bergsteigerszenen am Eiger oder in Arizona, vorstellbar als Kreuzung zwischen Everest und der Eröffnungsszene von Mission: Impossible 2. Eastwood übte seine waghalsigen Stunts in schwindelerregenden Höhen kurzerhand selber aus und filmt von weit und nah, von oben und unten um die gewaltigen Dimensionen der Kletterszenen ebenso sichtbar zu machen wie die klaustrophobische Enge der gigantischen Felswände. Häufig wechselt er sogar zwischen weit und nah innerhalb einer einzigen Einstellung, und dieser Clou verfehlt seine Wirkung kaum. Die Gefahr ist visuell jederzeit spürbar.

Ein guter, und bei genauerer Betrachtung sogar recht ambitionierter Topf aus Agententhriller, Bergsteigerfilm und Action-Ekstase, der nicht als Meisterwerk die Annalen der Filmwelt prägt und auch gerne etwas straffer und zielgerichteter hätte sein dürfen, aber durchaus einen Blick lohnt, und sei es nur für die sehr guten Kletterszenen.

Wertung: 6,5 / 10

Revoked hat geschrieben: Gestern 21:18 😅 ist mir auch sofort in den Sinn gekommen als ich Hilles Rezension gesehen habe.

#B❤️rn.
Du darfst gerne im Reise-Thread die touristische Werbetrommel rühren...
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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AnatolGogol hat geschrieben: Gestern 21:09 Diverse Elemente aus der Eiger Sanction mögen heute nicht mehr als politisch korrekt durchgehen, aber man sollte trotzdem immer den jeweiligen Kontext berücksichtigen.
Das sehe ich auch so. Aber der Kontext der Aussagen war für meinen Punkt nicht sonderlich relevant. Dass diese Aussagen und Elemente alle in dieser stark verdichteten Form in der Fülle vorhanden sind, ist im Vergleich zu bspw. den Bond-Filmen dieser Zeit absolut bemerkenswert.

Wie du das moralisch einordnest, bleibt ja dir überlassen. Das schreibe ich keinem vor. Zu erwähnen ist aber, dass viele dieser Momente selbst die Punchline sind, während in der Vorlage die Punchline hinter ihnen liegt. In den OSS 117 Filmen haut der Protagonist auch am laufenden Band derbe Kommentare heraus (viel derber als in der Eiger Sanction), aber der Witz liegt darin, dass er sowas ernsthaft sagt. In Eiger Sanction ist das für mein Empfinden anders. Warum er es überhaupt sagt und in welchem Kontext ist für diese Beobachtung erstmal nicht so wichtig.

Zumal ich am Ende ja schreibe, dass der Film u. a. auch in seinen politisch unkorrekten Unverschämtheiten unterhaltsam ist. Über den Custer Kommentar musste ich beim Anschauen lauthals lachen.
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