Re: Daniel Craigs Nachfolger

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Casino Hille hat geschrieben: Heute 14:26Dass seine Filme durchaus auf Emotionalität abzielen, also Gefühlsregungen hervorrufen wollen, wird kaum jemand bestreiten. Der ganze 'Charakterbogen' der Hauptfigur aus "Inception" dreht sich um den tragischen Verlust seiner toten Frau, in "Interstellar" ist eine Beziehung zwischen Papa und Tochter Dreh- und Angelpunkt des Narrativs.
Wie du sagst: das bestreite ich nicht.
Es ist mir als Zuschauer bei einem Nolan-Film aber egal, welche emotionalen Abgründe seine Charaktere zu durchlaufen haben. Es erreicht mich einfach nicht, weil die Charaktere so inszeniert sind, dass der Funke nicht auf mich überspringt.
Casino Hille hat geschrieben: Heute 14:26Bei "Oppenheimer" kam ich aus dem Kino und hatte nach drei Stunden immer noch nicht mehr Ahnung als vorher, wer der Typ ist, von dem der Film handelt. Ich habe ihn weder emotional noch psychologisch kennengelernt. Das hat mich genervt und der Film daher - trotz seiner erkennbaren Stärken - in Summe kaltgelassen.
Dito.
Casino Hille hat geschrieben: Heute 14:26Bei "A Complete Unknown" kam ich kürzlich aus dem Kino und hatte nach fast drei Stunden immer noch nicht mehr Ahnung als vorher, wer der Typ ist, von dem der Film handelt (Bob Dylan). Ich habe ihn weder emotional noch psychologisch kennengelernt. Da hat mich das begeistert und der Film daher - trotz seiner erkennbaren Schwächen - in Summe mitgenommen.
Liegt bei diesem Beispiel auch einfach am Subjekt, um das es geht.
Dylan hat sich noch nie jemandem erklärt. Daher wird auch ein James Mangold nicht auf einmal das Mysterium Dylan "nahbar" machen können. Es sei denn er erfindet und erlügt Dinge, um Emotionen oder psychische Tiefe darzustellen.

Anders als du fand ich "A Complete Unknown" in Ordnung - aber mich stört hier ebenfalls, dass er mich nicht mitreißt - und das sage ich als Dylan-Fan.

Jetzt zurück zu Bond:

Da geht es mir in diesem Kontext darum, dass der Charakter auf der Leinwand Reaktionen beim Publikum hervorruft. Das sind die Emotionen, die ich bei Nolan vermisse.
Bei Bond will ich Momente haben, in denen ich denke "Ha! Das hat er cool gemacht." und Momente, in denen ich schmunzel, weil der Charakter etwas Amüsantes gemacht hat. Auch freue ich mich, wenn Bond und seine Nebencharaktere eine gute Chemie auf der Leinwand haben.
Alles Dinge und Emotionen, die ich bei keinem Nolan-Charakter erfahre.

Dazu brauche ich Bond weder emotional oder psychologisch kennenlernen, es muss nur einfach "Klick" machen zwischen Bond und dem Publikum.

Re: Daniel Craigs Nachfolger

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Das der Funke von der Leinwand auf die Zuschauer überspringt, ist meiner Meinung nach mit das wichtigste bei einem Film.
Da war Bond für mich immer eine Konstante, egal welcher Darsteller oder welcher Film.
An anderer Stelle hier im Forum hatte ich mal von meinem doppelten Versuch berichtet, einen der neueren Jurassic Park/World Filme zu schauen.
Zweimal nach 5 Minuten abgebrochen da mir die Hauptdarsteller so unsympathisch waren, dass ich hoffte, der T-Rex kommt und frisst sie.
Wir alle haben Favoriten unter den Darstellern und Filmen, aber alle haben uns nicht kalt gelassen.
Ich mochte z.B. DC nie als Bond Darsteller, er hat mich aber trotzdem abgeholt.
Und ich schon feuchte Augen hatte, als er in NTTD starb.

In diesem Sinne hoffe ich auf einen Bondfilm, der eine gute Story, eine gute Regie und einen guten James Bond hat.
Sprich, die Tradition fortsetzt.

Re: Daniel Craigs Nachfolger

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dernamenlose hat geschrieben: Heute 16:29 Eine Szene wie in Pulp Fiction, wo Marvin plötzlich aus dem Nichts das Gesicht weggeschossen wird, was den Verlauf der Geschichte völlig verändert, gibt es bei Nolan vermutlich nie.
Muss es auch nicht, darum geht es nicht. Eine Szene wie in "Pulp Fiction" könnte es bei Nolan auch geben. Die ist in dem Moment einfach nur ein Handlungsauslöser, nur eben in Vorbereitung und Zündung ein verteufelt ungewöhnlicher.

Nolan ist ein äußerst analytischer Filmemacher. Liest man seine Drehbücher, dann hat man schnell das Gefühl, man befindet sich bei einem IQ-Test und bekommt gerade ein anspruchsvolleres Logikrätsel. Alles in seinen Filmen verfolgt einen konkreten erzählerischen Zweck. Jede Szene muss mindestens einen wichtigen neuen Erzählbaustein einführen oder auf einen anderen - oft eher auf mehrere - einzahlen. Wir können das Präzision, Effizienz oder was auch immer nennen, aber wirklich alles bei Nolan zahlt immer auf etwas Größeres ein. Ausnahmslos alles.

Und genau deshalb gibt es für mich in vielen seiner Filme gar keinen Raum zum Atmen. Bei Nolan gibt es so gut wie nie naturalistische, wirklich menschelnde Momente. Die Emotionen, die die Figuren ausdrücken, sei es die Liebe zu den Kindern in "Inception", die Vater-Tochter-Beziehung in "Interstellar", die Verzweiflung und Reue in "Oppenheimer" und und und ..., sind immer Teil eines Plotpoints, sie gehören zu der Checkliste, die abgehakt wird.

Nolans Figuren existieren nie. Sie sind nicht. Sie treiben immer die Handlung voran oder ihnen passiert die Handlung, aber es gibt wenig Momente, in denen sie einfach sind. Manchmal hat er das drin. Die vielleicht berühmteste Szene aus "Dunkirk" (drei Soldaten schauen einem anderen zu, wie er ins Wasser geht) geht in diese Richtung. In "Prestige" oder "Inception" finde ich sowas vereinzelt. Aber insgesamt gibt es bei Nolan diesen Raum nicht, weil seine Filme wie ein Uhrwerk laufen sollen, weil jede Szene, jeder Dialog, eigentlich jede Sekunde optimal darauf abgestimmt wird, den Film voranzubringen und den nächsten Plotpunkt abzuarbeiten.

Nolan ist in seinem Storytelling so präzise und effizient wie möglich. Szenenaufbau, Charaktergestaltung, Schnitt, Dialogwriting - alles ist immer Teil des Größeren. Deshalb sind viele seiner Filme oft über weite Strecken mehr Montagen als Szenenfolgen, bei "Oppenheimer" hat er das auf die Spitze getrieben. Und das kann auf manche artifiziell wirken.

Ich glaube in "Interstellar" zu keiner Sekunde die Beziehung zwischen Papi und Tochter, weil wirklich alles, was sie gemeinsam tun, immer den Plot vorantreibt, weil es keinen Moment gibt, in dem diese Figuren nicht über den Plot oder über ihre Beziehung reden. Da kann McConaughey noch so großartig gespielt weinen. Und ich habe auch in "Tenet" dem Protagonisten nicht eine Sekunde abgenommen, dass er aufgrund seines altruistischen Wesens unbedingt der gepeinigten Debicki helfen will. Weil die Figuren das zwar sagen, aber es eben letztlich nur ein Plotpoint ist. Ich nehme es hin, aber ich fühle es nicht.
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Let the sheep out, kid.