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von Nico
Agent
Die Lektüre von „From Russia with Love“ / „Liebesgrüße aus Moskau“ kann ich in etwa mit einem Wort beschreiben: „spannend“. Und damit meine ich nicht mal unbedingt eine Spannung in der Handlung, die mich durchgehend dabei bleiben ließ, nein, es ist vielmehr ein Gefühl, das mir bei der Lektüre kam. Spannend auf vielen Ebenen.
Es fängt schon mit der Zweiteilung dieses wortwörtlichen Spionage-Abenteuers an. Die ersten 130 (!) Seiten des Buches taucht der Protagonist unserer Lieblings-Reihe überhaupt nicht auf, stattdessen erfährt der geneigte Leser erst einmal bis ins Detail die Hintergrundgeschichte von Red Grant. Grundsätzlich erst einmal spannend, aber doch zu viel. So detailliert hätte es nicht sein müssen, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Figur dann erst einmal wieder komplett aus der Handlung verschwindet und erst kurz vor Schluss wieder auftaucht, jedoch ohne dass etwas aus seiner Hintergrundgeschichte groß eine Rolle spielen würde…
Dann wird es völlig absurd. Hochrangige Russen, die ich alle nicht auseinanderhalten kann, stehen im Kreis und überlegen sich, was sie mal wieder so richtig Böses machen könnten. Eine spannende, aber doch wirklich abstruse und ungewollt komödiantische Vorstellung. Und dann auch noch Rosa Klebb im Nachthemd - Brrrr. So sehr ich es auch schätze, lange Passagen ohne die Hauptfigur serviert zu bekommen, so artet Fleming an dieser Stelle doch ein wenig zu sehr aus und der Wunsch, die eigentliche Handlung möge endlich beginnen, setzt irgendwann ein.
Zum Glück tut sie es nach einem guten Drittel des Buches dann auch. Uns James taucht auf und kriegt gleich mal ein Bild einer jungen Russin vorgesetzt, die ihn scharf findet. Ja geil, er ist halt ein Macker, was soll da schon schief gehen? Ich fand es durchaus spannend, dass weder M noch Bond, im krassen Gegensatz zur Verfilmung, hier eine Falle wittern und sich einfach mal drauf stürzen. Dass der Leser es sowohl hier, als auch im weiteren Verlauf des Buches, besser weiß, ist ein dramaturgischer Kniff, der mir sehr gefällt. Man schaut Bond lange dabei zu, wie er in die Falle rennt - spannend!
Es folgen einige unterhaltsame Szenen in Istanbul, bis es dann endlich zum Zusammentreffen von Tanja und Bond kommt. Man hüpft gemeinsam ins Bett und zack - ist man schon im Orientexpress. Fleming fackelt nicht lange, es geht sofort los. Die Lektor - Verzeihung: Spektor muss nicht groß entwendet werden, Tanja nimmt sie einfach nach der Arbeit mit. Kein Wunder, gibt es ja hier kein SPECTRE als dritte Partei, die da mit rumpfuscht, die Maschine ist ja Teil des Plans der Sowjets.
Die Szenen im Orientexpress unterhalten durchaus, vor allem, als dann endlich ein ominöser blonder Agent mit einsteigt. Es kommt zum (wirklich spannenden!) finalen Kampf, in dem letzten Endes selbstverständlich unser James die Oberhand behält und ganz zum Schluss darf er auch noch Rosa Klebb kalt machen. Doch halt! Was ist das? Ein Cliffhanger?! Bond sackt vorm aus CR bekannten Mathis zu Boden und das Buch endet deutlich spektakulärer als jedes seiner Vorgänger! Spannend!
Die Figuren, die Fleming in FRWL skizziert, machen durch die Bank weg Spaß. Auf der Villain-Seite gibt es den wirklich sehr detailliert beschriebenen Grant, die ekelerregende Rosa Klebb (arme Lenya, wer hat eigentlich damals das Buch gelesen und gedacht „Ja! Die Lotte ist es!“?), Kronsteen, der leider relativ blass bleibt, und einige gesichtslose Russen. Ihnen gegenüber stehen natürlich der in den letzten Romanen schon ausreichend charakterisierte James Bond, die sehr ambivalente Figur Tatjana Romanova, die eigentlich von allen Seiten nur benutzt wird und doch ihr eigenes Ding durchziehen will (ich gebe zu, dieser plötzliche Wandel ihrerseits von der Staatstreuen Agentin hin zur eigensinnigen Frau, die raus aus Russland will (warum??) hat mich etwas überrascht), und vor allem Darko Kerim alias Kerim Bey. Natürlich hatte ich bei der Lektüre stets Pedro Amendariz vor Augen und der Kerim im Buch ist die meiste Zeit nicht weniger sympathisch, doch - man mag es für übertrieben halten - seine absolut abstoßende Erzählung über seinen Umgang mit seinen Frauen, hat die Figur für mich nachhaltig beschädigt. Sicher ist die heutige Sichtweise nochmal eine andere, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass sowas nicht auch schon 1957 hart an der Grenze war, um damit eine der „guten“ Figuren zu charakterisieren.
Noch ein paar Worte zum Vergleich Buch - Film: Nachdem die ersten vier Bücher ja mehr oder weniger lose adaptiert wurden, ist FRWL der erste Roman, der wirklich zu einem Großteil im Film gelandet ist. (Logisch, war ja auch erst der zweite) Sehr sehr viel, sowohl was die übergeordnete Handlung, als auch einzelne Szenen oder die Konstellation der Figuren und deren Beziehungen untereinander angeht, findet sich in der Verfilmung wieder. Einen großen Unterschied gibt es jedoch bei den beteiligten Parteien: Ist es im Roman recht simpel, die Sowjets wollen die Briten blamieren und Bond umbringen und die Briten hätten gerne eine Spektor, mischt im Film noch SPECTRE als übergeordnete Instanz mit, die das Schachspiel noch einmal deutlich verkompliziert und die Puppen tanzen lässt. Hier sind beide Seiten nur Mittel zum Zweck. (Wozu will SPECTRE eigentlich die Lektor?) Das bringt nochmal eine ganz andere Dynamik in die Geschichte und füllt die etwas dünne Handlung des Buches, von dem ja 130 Seiten wegfallen, etwas auf.
Abschließend lässt sich sagen, dass mir, obwohl der Start etwas holprig war, FRWL insgesamt sehr gut gefallen hat. Der zweite Teil des Buches ist rund, die Figuren sind gut gezeichnet und es war im wahrsten Sinne des Wortes: Spannend.
Funfact: Bond wünscht sich, der MI6 würde explodierende Zigaretten benutzen. Na, das wär ja mal was!
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