Ja, verstehe.
Mich wundert das, denn wenn ich an den direkten DN-Nachfolger FRWL denke, liegen da für mich Welten. FRWL hat tatsächlich interessante Figuren mit spannenden Dynamiken untereinander. Man hat ein ganzes Schurkengespann, deren Verhältnis untereinander fesselt, gerade die Beziehung von Kronsteen und Rosa Klebb ist von Beginn an vielversprechend. Red Grant ist eine konstante Präsenz im Film und jeder seiner Auftritte lässt die unvermeidliche Konfrontation mit Bond näher rücken. Tatjana ist eine schön gestaltete Frauenfigur (fast schon die wahre Hauptfigur des Films), die sichtlich mehr und mehr hin und her gerissen ist zwischen ihrer Verpflichtung fürs Vaterland (und ihrer Angst vor Rosa Klebb) und der Anziehung, die sie im sexuellen Sinne wegen Bond und im geistlichen Sinne aufgrund Vorzüge des freien Westens verspürt. Bond ist in DN durchgängig Herr der Lage, während er in FRWL sehr auf die Hilfe des schillernden Kerim Bey angewiesen ist, aber zwischen diesen beiden Figuren formt sich auch ein Vertrauensverhältnis und Kerim Bey ist fast sowas wie eine deutlich ältere Version Bonds. Und dann ist da eben der Punkt, dass nach wenigen Minuten klar ist, worum es im Film geht und wir somit sehr gut nachvollziehen können, wie der Plan von SPECTRE punktgenau gelingt und Bond immer tiefer in die Falle tappt ...
Sowas alles macht für mich Spannung aus und da fällt DN dann eher dünn aus. Als Film, der zum Auftakt der Reihe den Charakter Bonds etablieren soll, funktioniert er gewiss ganz hervorragend (es ist einfach erstaunlich, wie viel von der Bond-Formel in DN schon vorhanden ist und wie wenig sie letztlich im Nachgang optimieren und perfektionieren mussten). Aber die Figuren um Bond herum sind kaum interessant, am ehesten noch der nervöse und sich dennoch seiner Pflicht bewusste Quarrel. Die Frauenfiguren sind dafür kaum der Rede wert, vor allem Honey taucht erst nach einer Stunde im Film auf und spielt nach wenigen Minuten schon gleich praktisch keine Rolle mehr. Felix Leiter ist ein Trottel (Ich muss immer lachen, wenn er ganz stolz erzählt, sie hätten auf allen Inseln nach Spuren für das Toplping der Raketen gesucht - außer auf Crab Key, weil da ja eine große Forschungseinrichtung samt Radarstation steht und sie da nicht hindürfen
, genial Felix! Ich frag mich, von wo aus das Toppling wohl stattfindet ...) und obwohl Jack Lord und Sean Connery ganz gut harmonieren, entwickelt sich keine richtige Freundschaft oder sonstiges zwischen ihnen. Und Dr. No ist zwar per se kein schlechter Schurke, aber er taucht erst kurz vor Schluss auf, hat nur eine echte Szene und dann kommt der Film auch schon sehr schnell zum Schluss.
Ich versteh aber, was Daniel an dem Film so gefällt. Kein anderer Bond-Film ist so sehr ein BOND-Film wie DN. Nach diesem Film hatte damals 1962 jeder eine sehr genaue Vorstellung davon, wer dieser Charakter ist und was man von ihm erwarten kann, und trotz einiger Anpassungen und Modifikationen hat er sich letztlich seit 62 Jahren kaum geändert. Darin ist DN wirklich gut und es gibt sehr viele schöne kleine Momente, die einem aber viel über die Figur und ihre Art und Denkweise verraten. Und das alles, ohne das die Figur sich vorstellen muss oder eine Wandlung zu der Persona hin durchmacht. Bond wird in DN so gezeigt und behandelt, als sei das nicht sein erster Kinofilm, sondern sein fünfter oder zehnter oder fünfzigster. Das ist schon bemerkenswert und zeigt, wie sehr Broccoli, Saltzman und Young ganz genau vor Augen hatten, was für Filme sie basierend auf Flemings Vorlagen machen wollen.