GoldenProjectile hat geschrieben: 4. Dezember 2021 10:10
Diese Passivität der Leute rundum ist wohl Mendes' Markenzeichen. SF ist schon so der Bondfilm mit dem kleinsten Figurenkarussell, und dass es rundum nur noch ein paar teilnahmslose Statisten gibt trägt zum leeren und theaterhaften Charakter bei. In SP wirkt die völlige Menschenleere in Rom, Tanger und London schon geradezu surreal.
Agent 1770 hat geschrieben: 4. Dezember 2021 10:38
Was mich diesbezüglich in SP immer königlich amüsiert: Mitten in der Nacht zertrümmert Bond eine Wand im Hotelzimmer, davor randaliert er ebenfalls schon rum, aber es gibt keinerlei Beschwerden wegen Ruhestörung oder sonsteine Reaktion. Klasse
Er randaliert im Zug mit Hinx, Einrichtungsgegenstände gehen zu Bruch aber die Fahrt geht ganz normal ohne Unterbrechung weiter. Niemand nimmt Bond in Gewahrsam, stattdessen kann sich dieser anschließend mit Madi vergnügen, ohne dass irgendwann das Zugpersonal an der Tür klopft und Bond zur Rede stellt.
Da ich die Craig-Filme jüngst alle nochmal gesehen habe, greife ich das mal kurz auf:
Ich sehe das in Summe anders. Skyfall ist aber in der Tat wohl der Bond-Film mit den wenigsten relevanten Charakteren und personell fast etwas unterbesetzt, aber er gewinnt daraus auch seine Stärke, weil er seine eher psychologische Handlung sehr effizient auf ein vergleichsweise kleines Ensemble verteilen kann. Außerdem muss ja nicht Film der Reihe exakt so wie alle anderen sein, von daher finde ich das insgesamt bei Skyfall vollkommen in Ordnung. Es ist ein intimerer Film, und das spiegelt sich in der Figuren-Konstellation wieder. Da ich Severine eher überflüssig finde und sie meines Erachtens sehr schlecht geschrieben ist, würde mir Skyfall wohl sogar noch besser gefallen, wenn er noch eine größere handelnde Figur weniger an Bord hätte.
Ansonsten kann ich in Spectre keine surreale Menschenleere entdecken, die es so nicht auch in anderen Bonds gäbe (dafür in der PTS die bislang größte Massenszene in über 60 Jahren Bond). In Tangier laufen Menschen auf den Straßen herum, in Rom wird ein Autofahrer sehr direkt (und witzig) in die Verfolgungsjagd involviert (zudem spielt die Szene um 3 Uhr nachts, da ist bei uns in Hamburg an einem Wochentag auch kaum einer draußen unterwegs). Die Szene im Zug ist natürlich ein Fehler, da kloppen sich Bond und Hinx durch mehrere Abteile, aber der Zug scheint völlig leer zu sein und niemand sich am Demolieren mehrerer Wagons zu stören, aber auch das ist im Bond-Universum nicht ungewöhnlich. In LALD und TSWLM gibt es Kampfszenen in Zügen, die richtig Lärm machen, aber auch da kommt niemand hinterher und will Bond zur Rede stellen.
Besser noch: In anderen Craig-Filmen findet sich exakt das auch. In Casino Royale wird mitten in der Nacht im Hotel auf Bond und Vesper geschossen und Bond und die beiden nigerianischen Attentäter kloppen sich durch das ganze Treppenhaus, aber niemand im Hotel scheint davon wach zu werden, auch Personal gibt es scheinbar keines. In Skyfall reißt Bond mit einem Bagger einen Zugwaggon auf, aber der fährt danach fröhlich weiter. Eine Notbremse oder so scheint kein Passagier zu ziehen, dem Lokführer ist es offenbar auch egal. Trotzdem: Dass man nicht mal ein paar Leute einblendet, die nach dem Beginn der Bond/Hinx-Prügelei fluchtartig den Speisewagen verlassen, ist sicher ein Versäumnis.
Insgesamt würde ich - um direkt zum Threadtitel zurückzukommen - über Skyfall insgesamt sagen, dass es ein alles in Allem gelungener Versuch war, einen Bond-Film mal tatsächlich anders aufzuziehen. Während Casino Royale und Quantum of Solace durch etwas krampfhafte Modernisierungen Erneuerung antäuschen, hat Mendes in Skyfall wirklich Ideen, einen Bond anders zu erzählen, intimer zu gestalten. Über weite Strecken funktioniert das sehr gut und ist vernünftig gebaut. Severine und ihr ganzer Part sind misogyner Unfug, die Dialoge haben einen starken Hang zur Theatralik (der berüchtigte Trailer-Sprech kommt in Perlen wie "Ein paar Männer wollen uns töten. Wir töten sie vorher!" stark durch und manchmal werden die Figuren auf diese aufdringliche Art in den Dialogen psychoanalysiert, die ich immer mit Christopher Nolan verbinde), und das letzte Drittel setzt auf zu viel uninspirierte Western-Ballerei und leistet sich ein paar "Hand klatscht an die Stirn"-Momente (M und Kincaide machen auf ihrer Flucht durchs dunkle Dickicht ernsthaft die Taschenlampe an) ...
Ansonsten ist Skyfall aber ein recht angenehmer Bond, mit Craigs bester Performance in der Rolle, Denchs bester Performance in ihrer Rolle, hübschen Bildern vom überschätzten Roger Deakins, einem Score, der so gut war, dass Newman ihn für Spectre gleich nochmal benutzt hat (
) und einigen richtig starken Szenen, dazu zähle ich vor allem Silvas ersten Auftritt, Bonds Rasur durch Eve, den Silhouettenkampf gegen die Geister-Glatze und die erste gemeinsame Szene von M und Mallory (Fiennes ist fantastisch in Skyfall - was haben die bloß danach aus ihm gemacht?) ... Ich konnte dieses Mal selbst mit Bardem ganz gut leben. Ja, er spielt an sich eine flachere und weniger komplexe Version seiner bärenstarken "No Country for Old Men"-Rolle (und offenbar dachte man bei EON, man müsse ihm aus Hommage-Gründen auch wieder ein komisches totes Tier anstelle eines Toupets auf den Kopf pflanzen), und ja, er chargiert gewaltig, aber von wenigen dümmlicheren Momenten abgesehen, funktioniert er schon gut - gerade weil im Kontrast zu seiner Psychopathen-Schau alle anderen vergleichsweise straight auftreten. Macht in Summe irgendwas zwischen 7 und 8 von 10 Punkten.
Kein Desaster wie die beiden Nachfolger, denen nicht viel einfällt und die mit Bond auch kaum was anfangen können, aber doch überraschenderweise besser als der eher überschätzte und strukturell teils unglücklich aufgebaute Casino Royale.