Heute mal wieder OHMSS geschaut und wie schon die letzten Male bin ich hinterher etwas ernüchtert. Den großen Klassiker, den viele Fans mittlerweile darin sehen, finde ich in den 140 Minuten so gar nicht. Dabei ist vieles dabei, was mir richtig gut gefällt: Mit Diana Rigg, Gabriele Ferzetti, Telly Savalas und Ilse Steppat hat man in den Kernrollen (Bondgirl, Bond-Verbündeter, Bond-Villain, Villain's Hench(wo)man) ausschließlich sehr starke Schauspieler besetzt, die in ihren Parts auch alle wirklich wunderbar funktionieren, oft sind schauspielerisch gerade die kleinen Momente in OHMSS exzellent (Draco und Tracy im Auto, Tracy säuselt Graf Blowy ein Gedicht vor).
Außerdem hat Hunt einige Action-Szenen wirklich so phänomenal fotografiert, das sie zu den Highlights der Serie zählen. Ganz vorne dabei ist selbstredend die Flucht vom Piz Gloria auf Skiern, die einige wahnsinnig gefährliche Bilder zeigt und auch in schönen kleine Einzeleinheiten eingeteilt wird (toll die Szene mit Bond am Abhang der Schlucht, in die er gleich zwei Männer runterschickt). Die PTS ist ähnlich großartig und richtig kunstvoll inszeniert - außerdem ist Lazenby in diesen körperlichen Nahkampfsituationen wohl der physischste und agilste Bond und strahlt dadurch auch eine waschechte Gefährlichkeit aus, die ein Roger Moore oder ein Pierce Brosnan eher nicht von Haus aus mitbringen.
Außerdem liebe ich das alternative Bond-Theme in OHMSS, generell ist der Soundtrack von John Barry gewohnt stark und wohl einer seiner besten. Die klassische 007-Erkennungsmelodie vermisse ich da insgesamt gar nicht - sie spielt auch im laufenden Film nur zweimal alibihaft, einmal beim Angriff auf Piz Gloria und einmal im Abspann (quasi als Erinnerung daran, dass Bond auch nach dem tragischen Ende weiter Bond sein wird). Auch das war lange für die Reihe sehr ungewöhnlich, bis dann im Craig-Zeitalter von der Musik wieder bewusst Abstand genommen wurde. Ein großes nennenswertes Highlight ist noch die Gumboldt-Szene, die in der deutschen Fassung lange fehlte und eigentlich ganz gewaltig redundant ist, aber so stilsicher inszeniert und musikalisch unterlegt wurde, dass ihr eine besondere Spannung innewohnt.
Es gibt für mich aber einfach vieles, was in OHMSS nicht funktioniert und das gilt selbst dann, wenn ich die unterirdische Leistung des Amateurs in der Hauptrolle ignoriere oder ausklammere (wenngleich das sehr viel verlangt ist von einer professionellen, teuren Filmproduktion). Allen voran ist mir das Pacing und die Handlungsentwicklung in OHMSS ein gewaltiger Dorn im Auge. Vieles davon geht auf Fleming zurück, sicher, aber das macht es für mich nicht besser. Der Film zerfällt regelrecht in drei Segmente: Die ersten fünfzig Minuten zeigen Bond, der sich an die Contessa heranmacht, durch sie ihren Vater kennenlernt und - um Informationen über Blofeld zu sammeln, immerhin sitzt ihm der Grantler M im Nacken - dabei den Romeo-Agent mimt, um Tracy zu erobern und so von Draco Informationen zu erhalten. Die nächste lange Passage spielt in Piz Gloria und ignoriert alles Vorherige nahezu vollkommen. Bond ist jetzt undercover in seiner Mission unterwegs, wird enttarnt, erhält gerade noch die nötigen Infos und flieht.
Sobald er dann wieder auf Tracy trifft ist OHMSS eigentlich nur noch durchgängig ein Actionfilm. Tracy und Bond fliehen, halten zwei Minuten zum Schmusen und Verloben an, fliehen weiter, Tracy wird erwischt, Bond guckt bockig, Tracy wird befreit, Blofeld wird bekämpft usw. Ab diesem Punkt gibt es nur noch wenig Handlung, nur noch wenig zu erzählen, stattdessen wird viel Ski gefahren und noch viel mehr mit Maschinengewehren rumgeballert. Bei keinem anderen Bondfilm vor GE/TND empfinde es als so stark wie bei OHMSS, dass irgendwann nur noch in den Actionmodus geschaltet und eine Verfolgungsjagd und Ballerei nach der anderen gezündet wird. Bis auf die Szene in der Scheune und die andere Szene in Ms Büro findet in OHMSS ab Bonds Flucht vom Schilthorn nur noch (zugegeben: durchweg ziemlich gute) Action statt - mir ist das zu viel bei gleichzeitig zu wenig Handlung.
Besonders schwach ist aber der Plot selbst in meinen Augen. Die ganze Ermittlungspassage in OHMSS ist für mich nicht gut genug konstruiert. Bond kommt auf dem Berg an, gibt sich als asexueller (oder homosexueller?) Sir Hillary Bray aus und versucht, mehr über Blofeld und seinen nächsten großen Plan in Erfahrung zu bringen. Als er merkt, dass er damit nicht weitkommen wird, lässt er sich auf gleich mehrere Affären mit den Berg-Patientinnen ein und hofft, irgendwie so mehr rauszubekommen. Aber: Tut er nicht. Bis auf die Tatsache, dass die Damen nachts mit Hypnoseblödsinn aus der Flowerpower-Zeit der 60er vollgedröhnt werden, erfährt Bond absolut nix. Als er schließlich auffliegt, muss Blofeld ihm daher einfach alles verraten, was Bond in den vergangenen 45 Minuten nicht mal ansatzweise in Erfahrung bringen konnte. Es ist ein von uns Fans oft bereitwillig abgenicktes Klischee, dass der Bösewicht gegenüber dem gefangenen Bond breit seine Pläne erläutert, aber nirgendwo ist das für mich blöder als in OHMSS, weil es hauptsächlich deshalb passiert, da der Film sich vorher keine Mühe gegeben hat, Bond beim Ermitteln tatsächlich etwas entdecken zu lassen.
Man vergleiche das mal mit den beiden direkten Vorgängern TB und YOLT, die Bond dauerhaft dabei zeigen, wie er nach Spuren und Hinweisen sucht, wie er nach und nach klüger wird und mehr hinter die Verstecke und Pläne der Schurken kommt. Sicherlich ist kein Bond davor gefeit, auf Zufälle und Unwahrscheinlichkeiten zu setzen, aber während ich in YOLT sehr gut nachvollziehen kann, wie 007 seinem Ziel immer näher kommt und letztlich erst Osatos Beteiligung (und damit auch SPECTRE als Drahtzieher) und dann Blofelds Vulkanversteck entdeckt, bekommt er in OHMSS eine geschlagene dreiviertel Stunde nix gebacken und braucht Kojak, damit der ihm den Film spoilert. Richtig absurd ist dann, dass Blofeld seine Nemesis in einen Raum sperrt, der a) durch etwas Sabotage seitens der Doppel-Null mal eben den einzigen Weg rauf und runter vom Berg erschweren könnte und b) ein Fenster hat.
Schon klar, die Villains nehmen Bond immer gefangen, statt ihn umzubringen, aber ihn in einem Raum mit Fenster einzusperren (welches dann auch gar nicht so schwer zu erreichen ist), ist schon eine hübsche Dummheit. In MR gibt es so eine Szene zumindest in Ansätzen auch, aber da braucht Bond wenigstens ein Q-Gadget, um zu entkommen. In OHMSS braucht er nur einigermaßen sportlich zu sein.
Ich verstehe auch bis heute nicht, welche Funktion Campbell im Film eigentlich genau hat. Ist er dazu da, um Spannung zu erzeugen, weil wir glauben sollen, dass er Bond im Zweifel zur Hilfe kommen wird? Aber warum wird er dann gefangengenommen, bevor Bond in Bedrängnis gerät? Was soll seine Figur, was sollen seine Szenen?
Es gibt aber auch später noch einige Momente, die für mich nur unzureichend aufgehen und bei denen Hunt dem dramatischen Gewicht, mit dem er seinen Film beladen will, einfach für meinen Geschmack nicht gerecht wird. Bond ist in Tracy verliebt, das arbeitet er gut heraus. Erst lässt er Satchmo dafür mal richtig losschmettern, dann bekommt Tracy im letzten Drittel in der Action einen sehr aktiven Posten (gute Idee, sie das Auto fahren zu lassen beim Stock Car Rennen) und schließlich landen sie zusammen in der arg kitschigen Scheunenszene. Alles in Ordnung. Es war auch ein schöner Einfall, die bewusstlose Tracy im Fenster in Ms Büro zu spiegeln, während Bond besorgt nach draußen schaut. Blöd ist aber, dass der Moment von Tracys Rettung dann überhaupt nicht genutzt wird.
Was meine ich damit? Nachdem Tracy sich selbst per Zweikampf aus einer misslichen Lage befreit und Bond und Draco sich durch einen Haufen von SPECTRE-Deppen geballert haben, gibt es überhaupt keine gemeinsame Szene mehr zwischen den beiden, bis zur abschließenden Hochzeit. Bond läuft einmal um die Ecke, ruft "Tracy", geht zwei Schritte auf sie zu und ballert dann direkt die nächsten Bösewichte ab und rennt davon in Richtung Blofelds Labor. Tracy ruft dann noch ein paar Mal schrill "James", bis der genervte Papa seine Brut ins Land der Träume boxt. Bonds Wiedersehen mit Tracy passiert buchstäblich im Vorbeigehen, danach jagt er Kojak hinterher. Das ist irgendwie ein bisschen wenig nach all dem Gewicht, den diese Rettungsmission haben soll (insbesondere, da Bond dafür über den Kopf seines Vorgesetzten hinweg agiert und mit einem Gangsterboss kooperiert).
Nun will ich vom lange Zeit längsten Film der Reihe nicht unbedingt erwarten, dass er noch länger sein müsste, aber ein wenig mehr Interaktion zwischen Bond und Tracy zwischen ihrer Gefangennahme und der Hochzeit wäre doch nett gewesen. Zumal ich den eigentlichen Showdown wie gesagt enttäuschend finde: Die Klopperei auf dem Bob zwischen Blofeld und Bond ist einer der erschütterndsten Einsätze von Rückprojektionen der Bond-Geschichte. EON hat sich bezüglich dieser Technik nie mit Ruhm bekleckert (besonders mies fallen so auch Momente in DN, MR, AVTAK und LTK auf), aber teilweise veranstaltet das Hintergrundbild in diesem Fall ein groteskes Rambazamba, welches rein gar nichts mehr mit physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu tun hat. Das wäre 1969 definitiv besser gegangen.
Klingt jetzt alles sehr negativ, ist nur bedingt so gemeint. Tatsächlich wollte ich mich mit diesem Post einfach mal mehr auf das Negative konzentrieren, da der Film ja in diesem Forum generell sehr gut wegkommt und sich so mehr Diskussionsmöglichkeit bietet. Bitte seht den Text also nicht als Review, sondern als lose Meinungsansammlung. Wichtig: Ich mag OHMSS, so wie ich wirklich fast alle Filme der Reihe sehr mag. Er hat starke Action, tolle Darsteller, teilweise bemerkenswerte Aufnahmen, eine der coolsten Locations der Reihe (Piz Gloria) und einen fantastischen Soundtrack, dessen markantes Leitmotiv ich privat häufig höre. Ich mag nur einfach von den ersten 11-16 Bondfilmen nahezu alle mehr als diesen.