Invincible1958 hat geschrieben: 2. Oktober 2021 14:58
Ich hinterfrage auch nicht, warum Leo nicht einfach zu Kate mit auf die im Wasser schwimmende Holztür geklettert ist, um nicht zu erfrieren.
Leo versucht ja auch, auf die Holztür zu klettern, aber die beiden sind gemeinsam zu schwer und die Tür sinkt ab. Einer von beiden musste also im Wasser bleiben. Cameron zeigt das und es ist gut, dass er das zeigt, ansonsten wäre das eine vergurkte Szene. Also ist das ein eher schlechtes Beispiel. Es gibt viele Fälle, in denen es Sinn ergibt, nicht zu hinterfragen. Warum hat Stromberg in TSWLM eine riesige Unterwasserbasis? Wie hat Blofeld seine Festung im Vulkan in YOLT bauen können, ohne das es jemand bemerkt hat? Sowas zu hinterfragen wäre am Kern der Filme vorbei, denn dann kann man auch fragen, warum die Geheimdienstarbeit in den Bond-Filmen eigentlich so anders ist als in der Realität und wieso Bond nie Papierkram erledigt. Damit würde man ein fundamentales Verständnis der Gesetzmäßigkeiten des Kinos offenbaren.
Aber das sind nun mal im Kern ganz andere Überlegungen als alle, die ich hier anstelle – auch wenn einige das wieso auch immer nicht verstehen oder einsehen möchten. Ich freue mich ja für euch, wenn ihr sowas ausblenden könnt, wenn es euch einfach nicht interessiert, wenn ihr da einen anderen Anspruch an das Drehbuch habt. Prima, dann gefällt euch der Film! Ich würde ihn ja auch gerne mögen. Aber da ticken wir eben alle unterschiedlich. Mich stört es, wenn ich das Gefühl habe, die Autoren haben sich nicht die leiseste Mühe gegeben und haben ihren Plot von hinten durch die Brust ins Auge konstruiert.
Ein Beispiel: Der Vulkankrater in YOLT ist eine Prämisse, nämlich: "Was, wenn ein Superschurke sein Hauptquartier in einem Vulkankrater hätte?". Nomi ist eine Prämisse, nämlich: "Was, wenn James Bond eine schwarze, weibliche Nachfolgerin als 007 hätte?". Beides sind coole Ideen. Die Frage ist: Wer hat mit seiner Idee mehr angefangen? Und da kommen wir dann eben in subjektive Gefilde: Der Vulkankrater ist ein riesiges, beeindruckendes Set, in dem eine lange, ausführliche Actionszene stattfindet, am Ende wird das ganze Teil sogar in die Luft gesprengt. Ein Mega-Spektakel. Es erfüllt seinen Zweck. Bei Nomi finde ich: Sie taucht auf, hat in allen Actionszenen vielleicht einen halbwegs coolen Moment, aber weder scheint sie Bond groß zu stören, noch bereichert sie an irgendeiner Stelle die Handlungsentwicklung durch ihre speziellen Fähigkeiten oder Kenntnisse. Und dann vorm großen Finale gibt sie Bond die 007 wieder (obwohl da nie ein Konflikt zwischen den beiden deswegen war, also: Warum hatte sie die überhaupt und war nicht einfach 005?), und verabschiedet sich aus dem Film, als Bond tatsächlich eine Partnerin brauchen könnte?
Es wäre sooo viel einfacher gewesen, dieser Rolle einen Wert zu geben, und man müsste den Film dafür kaum ändern. X-beliebiges Beispiel: Zeigt sie uns als großen James-Bond-Fan. Als eine Frau, die ihr Leben lang von der Legende James Bond gehört hat und die stolz wie Oscar ist, als sie selbst die neue 007 wird, als sie das erste Mal Bond trifft etc. Als eine Art Groupie (natürlich auf erwachsene Weise). Dann in der Kuba-Action liefern die beiden sich einen sportlichen Wettkampf, den Bond natürlich gewinnt, aber bei dem er anerkennt, dass sie ihm gewachsen ist. In Norwegen integriert man sie mehr in die Action. Sie taucht im Wald ebenfalls auf, als Bond, Maddie und Mathilde aussteigen. Sie will mit 007 kämpfen, aber er sagt ihr: "Bleib bei den Mädels, ich bin gleich zurück." Als dann das Auto mit Magnussen sich überschlägt, hört Nomi das, will Bond helfen und verlässt Maddie und Mathilde. Dadurch kann Safin die 2 entführen. Bond gibt (zurecht) ihr die Schuld!
Was haben wir jetzt? Spannung und Konflikt durch Persönlichkeit. Nomi ist mehr als eine coole Allrounderin, sie ist ein großer James-Bond-Fan und genau das wird zu Maddies Verhängnis, weil sie unbedingt nach James sehen muss, statt die zu beschützen, die in Not sind. Und jetzt lässt sich der Showdown ebenso einfach umschreiben: In der Stürmung von Safins Schurkenversteck ist es jetzt nicht Mathilde, die sich selbst aus Safins Fängen befreit, sondern es ist Nomi, die das Mädchen rettet und zu Bond zurückbringt und sich damit wieder sein Vertrauen verdient, welches sie zuvor verloren hat. Wenn er dann die Mädels in das Boot setzt, sagt er zu Nomi: "Du fährst mit ihnen." Sie antwortet: "Aber James …" Er sagt: "Ich würde niemand anderem meine Familie anvertrauen als dir, 007." Fertig! An dem Punkt ergibt es dann sogar Sinn, Nomi aus dem Spiel zu nehmen, sie hat eine hübsche Charakterentwicklung (sie tut nämlich jetzt, was nötig ist, statt James Bond nachzueifern) und zwischen ihr und Bond gibt es eine Beziehung, die nicht statisch ist, sondern sich entwickelt. Und längt es den Film? Nö. Macht es ihn komplizierter? Nö.
Das ist übrigens nur eine von zig Ideen, die man umsetzen könnte, um dieser Figur Persönlichkeit und Identität zu verleihen. Ich sage nicht: So hätte es sein müssen. So hätte ich es gerne gesehen. Ich sage nur: Die Figur, wie sie jetzt ist, funktioniert für mich nicht, weil sie nicht mehr als eine Idee ist, die genauso beliebig durch eine andere ersetzt hätte werden können. Und das hätte ich gerne anders. Bei meiner vorgeschlagenen Idee wäre sie direkt mit dem Thema "Vermächtnis" des Films verknüpft: Sie würde sich vor unseren Augen zu jemandem entwickeln, den 007 schätzt und vertraut. Das erhöht sein Opfer: Nicht nur weiß er seine Familie in Sicherheit, sondern dank Nomi auch sein Land – und seine Nummer 007. Aber ich weiß schon: Ich hinterfrage zu viel, die Figur ist gut wie sie ist, ich habe sie einfach nicht verstanden, etc. etc.