Creed (2015) – Ryan Coogler
Kaum ein anderer Leinwand-Charakter wurde so stark von seinem Darsteller geprägt wie der des „italienischen Hengstes“ Rocky Balboa von Sylvester Stallone. Über sechs Filme hinweg verlieh Stallone der Figur nicht nur absolute Authentizität, sondern ließ darüber hinaus in seiner Funktion als Drehbuchautor und Regisseur eine Menge autobiographischer Züge einfliessen. Wie das Leben der Hauptfigur so durchlief auch die Filmsaga die unterschiedlichsten Stadien von Erfolg und Qualität und fand in dem 2006 entstandenen sechsten Teil einen in dieser Güte nicht mehr für möglich gehaltenen (vermeintlichen) Abschluß. Entsprechend skeptisch musste man beim Auftauchen der ersten Informationen über ein Rocky-Spin-Off sein, da die Ausgangsidee den Sohnemann von Rockys Erzrivalen und Freund Apollo Creed ins Zentrum eines neuen Filmes zu stellen unter gütiger Mitwirkung von Stallones altem Boxidol doch stark nach einer Schnapsidee klang mit latent drohender Gefahr die Rocky-Figur zu beschädigen. Um so erstaunter muss man als vorzeitig unkender Skeptiker dann aber neidlos anerkennen, dass der fertige Film weit davon entfernt ist und dem „Franchise“ ganz neue Facetten abgewinnt bei gleichzeitiger Beibehaltung von all dem, was Fans über die Jahrzehnte so an Figur und Serie liebgewonnen haben.
Zunächst ist festzuhalten, dass Creed sich stilistisch recht deutlich vom 76er Rocky unterscheidet. Creed ist ein lupenreiner Sport-Film mit gut entwickelten Charakteren und einer kleinen Lovestory, im Gegensatz zu Avildsens Original aber eben keine Charakter- und Milieu-Drama, in welchem die Liebesgeschichte zweier sozialer Aussenseiter den Hauptanteil des Filmes einnimmt und bei dem sein Box-Hintergrund fast zufällig erscheint. Entsprechend viel Zeit wird den Boxszenen gewidmet, so gibt es dreieinhalb Ringkämpfe zu bestaunen und der Zuschauer darf viel Zeit beim Training mit den Hauptfiguren verbringen. Diese Fokusierung auf den Sportteil trägt viel zum durchgängig hohen Tempo des Films bei, da so permanent etwas passiert und zudem die Box- und Sportszenen sehr einfallsreich gefilmt sind. Gleichzeitig verbindet Regisseur Coogler diese „Action“-Elemente aber sehr gekonnt mit den Szenen, die zur Charakterisierung seiner Figuren dienen. Apollos unehelicher Spross Adonis sucht dabei bei seinem Versuch sich als Profiboxer zu etablieren Rat und Hilfe beim alten Kumpel seines Vaters Rocky und erhält diese letztlich auch. Vor allem in der Beziehung zwischen dem jungen Adonis und dem alten Rocky blüht der Film dann auch förmlich auf, da sowohl Chemie als auch die dramaturgische Entwicklung der beiden Figuren höchst zufriedenstellend sind.
Etwas weniger gelungen ist hingegen die Liebesgeschichte zwischen Adonis und einer hörgeschädigten Musikerin, die etwas zu beliebig wirkt und auch dramaturgisch nie die Bedeutung hat wie das diesbezüglich große Vorbild Rocky/Adrian. Hier und da bremsen die Zweisamkeits-Szenen das Tempo und den Fluß des Filmes sogar etwas aus, wobei das zugegebenermaßen schon Klagen auf sehr hohem Niveau ist, da auch diese romantischen Szenen durchaus Unterhaltungswert besitzen (und den einen oder anderen Aufhänger für sehr amüsante Szenen mit Rocky bieten). Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Film nicht verlieren würde ohne die Beziehungsszenen (tatsächlich sind diese sogar so inszeniert, dass man sie nahezu problemlos aus dem Film herausschneiden könnte).
Der Film stellt entsprechend seines Titels die Figur des Adonis ins Zentrum und folgt seinem Aufstieg und seinen diversen Problemen, die er zu überwinden hat. Wer nun aber befürchtet, dass der vielgeliebte Rocky nur eine bessere Nebenrolle einnimmt sei beruhigt: Stallones Boxerikone spielt ganz klar die zweite Hauptrolle und ist ebenfalls über nahezu die komplette Laufzeit präsent. Zum Glück, denn Stallone ist das Herz und die Seele des Films. Hauptdarsteller Michael B. Jordan macht seine Sache als innerlich zerrissener, oftmals überambitionierter Adonis sehr gut, auch wenn er nicht über das immense Charisma von Stallone verfügt. Coogler ist aber klug genug genau deshalb Jordan auch in vielen Szenen mit Stallone zu kombinieren, wodurch vor allem der jüngere Darsteller (aber auch wie bereits erwähnt der Film an sich) profitiert. Es wird gerne vergessen, dass Stallone seine Karriere im Charakterfach begann und dort durchaus beachtliche Leistungen ablieferte bevor sein Status als Action-Superstar ihn fast vollständig auf kommerzielle Rollen festlegte. Creed zeigt eindrucksvoll, dass Stallone über die Jahre nichts von seinen darstellerischen Fähigkeiten eingebüsst hat. Was seinen Rocky Anno 2016 so interessant macht ist, dass Stallone ihm durchaus neue Facetten abgewinnt. Rocky ist müde geworden, wenn er zu Beginn des Film über Apollo sinniert, dass die Zeit ihn letztlich besiegt hat, so spricht er zu einem guten Teil auch von sich selbst. Durch den Verlust von Adrian und Paulie ist ihm praktisch nichts mehr geblieben für was es sich noch lohnt zu leben und erst die Beziehung zu seinem neuen „Ziehsohn“ Adonis gibt ihm einen Grund zum Weiterleben. Die Brüchigkeit und Subtilität mit der Stallone seinen ausgebrannten Paradecharakter spielt ist bemerkenswert, etwa in einer Szene in der sich Adonis nach Rockys Sohn erkundigt (der Film zeigt ein Bild von Stallone mit dessen mittlerweile verstorbenen Sohn Sage als Kind) ist der Schmerz des Verlustes den Stallone in seine Darstellung legt (Rocky Sohn Robert hat Philadelphia und damit Rocky den Rücken gekehrt) geradezu fühlbar. Spielt Stallone in Creed besser als in Rocky? Nein, aber er spielt anders und kaum weniger beeindruckend,
gerade auch in den Passagen in der zweiten Filmhälfte, in der er seine Figur im Zuge der Krebserkrankung so depremiert und schwach wie nie zuvor spielt
. Gebt dem Mann den Oscar, er hat ihn längst verdient!
Die große Stärke von Cooglers Film neben seinem herausragenden zweiten Hauptdarsteller ist dann die Tatsache, dass er viele Dinge bewusst anders macht als seine Franchise-Vorgänger. So legt Creed weit mehr Wert auf visuelle Gestaltung und nutzt die Kamera deutlich einfalls- und variantenreicher. Etwa wird keiner der diversen Boxkämpfe auf die gleiche Art inszeniert, jeder Kampf weist passend zur Dramaturgie und Entwicklung der Adonis-Figur ihre eigene Charakteristik auf. So ist beispielsweise Adonis erster richtiger Profikampf sehr direkt mit hohem Handheld-Anteil in Szene gesetzt während der finale WM-Kampf dann ganz im Stile der früheren großen Rocky-Ringschlachten inszeniert ist (und glücklicherweise nicht in dem realistischen TV-Look von Rocky Balboa). Doch auch letzterem drückt Coogler seinen eigenen Stempel auf, wie er generell viele schon Rocky-obligatorische Teile wie die Tranings-Montage oder den „Gonna-Fly-Lauf“ auf eine sehr eigenständige Art zeigt. Denn genau das ist Creed in vielen Dingen: ein Blick auf die bekannte Rocky-Reihe von einem anderen Betrachtungswinkel. Alles ist da, aber eben doch alles in bisschen anders. Hier macht es sich wirklich bezahlt, dass Stallone sich von seinem „Baby“ verabschiedet hat und Coogler die Verantwortung für Drehbuch und Regie überlassen hat, da nur so dieser „Blick von außen“, diese gelungene Modernisierung möglich war. Und glücklicherweise erweist sich Coogler als großer Fan der Serie, dessen Liebe zu den alten Filmen in vielen Szenen offensichtlich wird und der nicht nur Dinge verändert und modernisiert des Änderns willen.
Mit Creed erlebt die Rocky-Saga eine in dieser Form nicht mehr für möglich gehaltene Fortsetzung und mehr als das eine regelrechte Wiedergeburt. Regisseur Coogler beweist dabei genau das richtige Händchen für seine Mischung aus eigenständiger Neuausrichtung und traditioneller Hommage, wodurch sein Film zu keinem Zeitpunkt klischeehaft oder altbekannt wirkt (wie beispielsweise in jüngster Zeit Southpaw). Dies ist um so erstaunlicher, da in Papierform der Film fast schon ein Quasi-Remake des Originals darstellt: nicht mehr ganz junger Boxer ist unzufrieden mit seinem bisherigen Leben, sieht sich als Versager und will im Boxen Anerkennung finden, sucht Unterstützung beim weisen Boxmentor, der sie ihm erst versagt, sie ihm dann aber doch gewährt und letztlich genau so viel von der Beziehung profitiert, der junge Boxer findet Halt in einer neuen Liebe und bekommt überraschend die Chance um den WM-Titel zu kämpfen.
Selbst das Ende des Kampfes entspricht mit seiner „Sieger der Herzen“-Botschaft dann exakt dem Original, wobei man sich hier etwas mehr Originalität gewünscht hätte.
Dennoch ist Creed letztlich viel zu eigenständig und dramaturgisch und inszenatorisch viel zu versiert, als dass dieser Remake-Charakter wirklich auffallen würde – wie gesagt eben wie ein frischer Blick von außen. Ein paar kleinere Schönheitsfehler verhindern den ganz großen Wurf, aber auch so ist Creed ein herausragender Film geworden, der Lust auf mehr macht, aber gleichzeitig auch sehr deutlich macht, wie wichtig und unentbehrlich Stallone nachwievor für die Serie ist.
Wertung: 9 / 10