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von Nico
Agent
So langsam scheint Fleming mit "Moonraker" aus dem Jahre 1955 seinen Stil gefunden zu haben. Wer ist Bond, was macht ihn aus, wie ist sein Leben und auf was für Missionen geht er? Auf all diese Fragen liefert der Autor im dritten Band der Reihe (für nur Film-Kenner teilweise durchaus überraschende) Antworten.
Der Roman ist sehr stark in zwei sich sehr voneinander unterscheidende Abschnitte aufgebaut. Zwar im Inhelatverzeichnis in 3 Teile unterteilt, ergibt diese Aufteilung für mich nicht unendlich viel Sinn, sind doch die Szenen im Casino und die auf und rund um Drax' Anwesen vor allem zwei Schauplätze, die das Buch prägen.
Die Handlung beginnt mit etwas, das (nicht nur) ich gerne mal in einem Film sehen würde: Bond verrichtet langweilige Büro-Arbeit und hofft auf eine neue Mission. Überraschung: Dass ein 00-Agent, derer es überhaupt nur 3 Stück gibt, auf Mission geht, kommt äußerst selten vor, so sind die maximalen Missionen, mit der Bond im Laufe seiner Karriere beauftragt werden kann, stark limitiert. Ist aber auch logisch, für den Roman-Bond (und ich meine nicht Kollege Revoked damit) ist alles halt sehr viel anstrengender als im Film. Mit Loelia Ponsonby wird uns auch eine neue Figur eingeführt, auch sie darf gerne mal in einem Film auftauchen. (Ich sehe schon, Bond 26 XXL erfüllt nahezu all meine Wünsche...)
Dann aber geht es los, wenn auch die Mission eine sehr ungewohnte ist: Bond geht mit seinem Chef M, für den er wohl deutlich mehr respekt empfindet als der Film-Bond für sein Pendant, in den Club. Die Szenen sind toll beschrieben, es wird noch mehr als in den beiden Vorgängern sehr klar, dass Bond ein Kenner und Genießer ist und mit Hugo Drax erfindet Fleming wieder einmal einen sehr ekligen übergewichtigen Antagonisten. Doch leider haben die Szenen am Spieltisch auch ein großes Problem: Man würde gerne mit Bond mitfiebern und Fleming schafft es auch, wie in CR, übers Kartenspiel eine gewisse Spannung zu erzeugen, nur: Ich habe absolut keine Ahnung von Bridge und Fleming macht auch nicht den Hauch eines Versuches, es mir zu erklären. So wird zwar irgendwie deutlich, dass Bond am Ende Drax und seinen Partner besiegt, aber wie und warum - absolut keine Ahnung. Es geht sogar so weit, dass ein Bild des Kartenblatts gezeigt wird, als würde das irgendwie helfen, die Spannung zu erhöhen. Schade. Eine verschenkte Chance.
So richtig los geht es ja auch erst im zweiten Teil, nach ca. einem Drittel des Buches. Hier fällt auf, dass lange Zeit überhaupt nicht klar ist, was eigentlich das Bedrohungsszenario ist. Bond ist bei Drax, himmelt ihn an und ermittelt - irgendwie. Was genau er eigentlich ermitteln soll, ist ihm selbst nicht ganz klar. Dieser Drax scheint doch einfach rundherum ein toller, patriotischer Typ zu sein. Der Leser weiß natürlich, dass mit Drax etwas nicht stimmen kann, aber sonderlich viel mehr als Bond weiß man zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht. Doch: Diese Atmosphäre, die Fleming da aufbaut, erzeugt eine ganz schöne Spannung. Mehr und mehr habe ich die Seiten verschlungen, um endlich dahinter zu kommen, was Drax mit Moonraker vorhat. und schließlich ist es so weit: Die Erzählperspektive wechselt, man liest durch die Augen der weiblichen Hauptfigur Gala Brand und weiß somit erstmals mehr als Bond. Es geht los, der Countdown läuft. Natürlich schafft es Bond im letzten Moment unter schier unmenschlichem Leiden (Bond leidet in den Büchern immer so schön. Er wird verbrüht, will sich opfern, muss mit seinen Zähnen einen Bunsenbrenner betätigen und verbrennt sich...), Moonraker umzulenken und die Bedrohung, von der fast niemand weiß, dass sie überhaupt existiert, abzuwenden.
Sehr viel mehr als die beiden Vorgänger lebt MR vom Tempo, das hochgehalten wird. Auch wenn effektiv wenig passiert und nicht klar ist, was verhindert werden soll, herrscht die ganze Zeit eine bedrohliche Atmosphäre vor. Man weiß, Drax hat irgendetwas vor und Bond und Gala sind auf dem Anwesen nicht sicher. Apropos Gala: Von allen drei bisherigen Frauenfiguren gefällt sie mir am besten. Sie ist eigenständig und wird durch die Beschreibungen greifbar. Spannend auch, dass Bond sie am Ende eben NICHT bekommt und so etwas bedröppelt alleine dasteht. Dennoch merkt man auch wieder hier Flemings (oder generell das 50er Jahre) Frauenbild: Egal, was passiert, ob Gala von Einer Klippe begraben wird, verprügelt wird oder gerade hinter das Geheimnis ihres "Vorgesetzten" gekommen ist: Erstmal schminken, dann ist die Welt wieder in Ordnung...
Insgesamt muss ich sagen, auch wenn natürlich nicht rundherum alles funktioniert und mir vor allem die unverständliche Bridge-Partie sauer aufstößt, dass mir MR von den drei Büchern bisher mit Abstand am besten gefällt. Man erfährt ein wenig mehr über Bonds beruflichen Alltag, die Schauplätze sind toll beschrieben und in die real existierende Landschaft eingebettet, es gibt wenige, aber prägnante Figuren, neben Gala noch die Handlanger Drax', Krebs und der Doktor, und eine permanente Spannung. Gelungen, würde ich mal sagen!
ich bin mir übrigens, ganz fernab meiner Rezension des Buches, unsicher, ob die Vorlage auch als romangetreue Verfilmung funktioniert hätte. Ich kann mir zwar Connery als Bond und den Orson Welles der späten 1960er-Jahre gut als Drax vorstellen, aber ob die dann doch Action- und generell Bedrohungsarme Handlung, die sehr auf den Schauplatz von Drax' Anwesen zentriert ist ausgereicht hätte? Andererseits wäre genau das vielleicht auch ganz spannend gewesen. Wir werden es wohl nie erfahren!
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