Re: Der Hitchcock Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben:Einer der besten Filme, die ich je gesehen habe.
Stimme dir da absolut zu, sehr schön geschrieben! Perkins als Bates ist für mich eine der allergrößten darstellerischen Leistungen überhaupt. Besonders bemerkenswert finde ich auch wie es Hitchcock gelingt uns mit dem Mörder Bates mitfiebern zu lassen, wie wir ohne dass wir es wollen auf die Seite des Mörders gezogen werden indem wir zB ebenfalls den Atem anhalten wenn MArions Wagen für einen Moment nicht im Sumpf versinken zu droht. Zwar wissen wir zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass Bates der Mörder ist - aber wir wissen dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt und er zumindest durch die Vertuschung des Mords sich mitschuldig gemacht hat. Hier nutzt Hitch das Verständnis des Publikums für die Fürsorge des Sohnes aus und manipuliert das Publikum auf extremste Weise. Auch als Bates von Arbogast und Loomis ausgehorcht wird hofft man als Zuschauer, dass er sich nicht verplappert und hat die gleiche Unruhe wie Bates: hoffentlich ist das Verhör bald zuende. Das ist Publikums-Manipulation auf allerhöchstem Niveau. Für mich auch eine klare 10 und einer meiner Top10-Filme.

Übrigens ist das 22 Jahre später entstandene Sequel Psycho II ebenfalls sehr sehenswert, wenngleich es natürlich nicht die Qualität des Originals erreicht. Es führt die Story und die Figuren aber sehr gut fort und bietet einige sehr interessante Variationen, mit denen man als Zuschauer auch nicht rechnet. Perkins spielt kaum weniger überzeugend.
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Re: Der Hitchcock Thread

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AnatolGogol hat geschrieben: Perkins als Bates ist für mich eine der allergrößten darstellerischen Leistungen überhaupt. [...] Für mich auch eine klare 10 und einer meiner Top10-Filme.
Zustimmung! :D

Die Publikumsmanipulation empfinde ich vielleicht etwas weniger stark als du, was den Film aber in keinster Weise abschwächt. Bei mir ist es aber so gewesen, dass ich nie völlig auf Normans Seite gezogen wurde. Gewisse Sympathien zu ihm entwickeln sich, keine Frage. Während er den Tatort räumt fiebert man mit, auch das bestreite ich nicht. Aber während der "Verhörszenen" war ich eher neutral eingestellt, bzw. war der Drang, hinter die Geheimnisse zu kommen, stärker als jeder "Beschützerinstinkt" für den Motelbesitzer.

Mal sehen, welche Möglichkeiten sich über die Sylvestertage für Hitchcock anbieten. Ein Zweitwohnungsaufenthalt wird wohl der Sichtung vom Mann, der zuviel wusste zusammen mit meinem Vater vorläufig im Wege stehen, d.h. der Film muss bis Januar warten. Aber vielleicht schaue ich mir Im Schatten des Zweifels mal Abends im Bett auf dem Laptop an. :wink:
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Re: Der Hitchcock Thread

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Eine Frage an all die wahren Filmexperten in diesem Forum:

Gibt es eine DVD-Box in der alle folgenden Hitchcock-Streifen enthalten sind?

- Vertigo - Aus dem Reich der Toten
- Immer Ärger mit Harry
- Frenzy
- Topas
- Bei Anruf Mord
- Familiengrab
- Die Vögel
- Cocktail für eine Leiche
- Über den Dächern von Nizza
- Der Fremde im Zug
- Psycho
- Der unsichtbare Dritte
- Das Fenster zum Hof

Gibt es ansonsten noch irgendwelche sehr empfehlenswerten Hitchcock-Klassiker?

Re: Der Hitchcock Thread

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Hallo Jason, eine solche Box gibt es meines Wissens nicht. Allerding sind die meisten der von dir genannten Filme in folgender Box enthalten, dazu noch ein paar weitere (Der Mann, der zuviel wusste/Saboteure/Im Schatten des Zweifels/Marnie... Insgesamt 14 Filme). Ich besitze die Edition auch und finde sie sehr empfehlenswert.

Amazon-Link: http://www.amazon.de/Hitchcock-Collecti ... 286&sr=8-2

Von den übrigen Filmen, nach denen du fragst, sind die meisten in dieser Box enthalten (6 Filme, keine Überschneidungen mit der anderen).

http://www.amazon.de/Alfred-Hitchcock-C ... 286&sr=8-1
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Re: Der Hitchcock Thread

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Auch wenn das jetzt so klingt, als wenn ich völlig bescheuert wäre, aber ich werde aus deinem ersten Amazon-Link nicht schlau. So wie ich das verstehe ich die von dir verlinkte Box eine Blu Ray Edition?
Ich besitze leider kein Blu-Ray Abspielgerät, daher könnte ich mit einer solchen Box natürlich nichts anfangen. Wenn ich mich da einfach nur verlesen habe, dann ist es auf jeden Fall eine interessante Collection. :)

Re: Der Hitchcock Thread

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Meine Box, die genau gleich aussieht, enthält 14 DVD's. Ausserdem gibt auch Amazon das Format als DVD an, siehe die Zeile unterhalb des Produkttitels... Ein Blu Ray Gerät besitze ich auch nicht, mit der Edition bin ich aber sehr zufrieden (ich habe sie hierzulande in einem Geschäft für ca. 110 sFr. erworben, de Bilder und dem Inhalt nach ist es aber wirklich dieselbe).

In den Kommentaren meckern sie zwar über einige der Bildformate, meinen Ansprüchen entsprechend laufen die DVD's aber tadellos (zumal ich wenig von Bildformaten verstehe). Die Box ist robust und sollte bei sorgfältiger Behandlung keine Schäden nehmen.
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Re: Der Hitchcock Thread

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JasonGideon hat geschrieben:- Vertigo - Aus dem Reich der Toten
- Immer Ärger mit Harry
- Frenzy
- Topas
- Bei Anruf Mord
- Familiengrab
- Die Vögel
- Cocktail für eine Leiche
- Über den Dächern von Nizza
- Der Fremde im Zug
- Psycho
- Der unsichtbare Dritte
- Das Fenster zum Hof

Gibt es ansonsten noch irgendwelche sehr empfehlenswerten Hitchcock-Klassiker?
Ich empfehle dir "Rebecca" (1940) - für mich gehört die Verfilmung von Daphne du Mauriers Roman in die Top 3 von Hitchcocks Werken. Und es ist übrigens der einzige Hitchcock-Film, der mit dem Oscar als Bester Film des Jahres ausgezeichnet wurde.

Hier der komplette Film:

Re: Der Hitchcock Thread

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Mit beiden Boxen kannst du nicht viel verkehrt machen bei den Preisen. Die Universal Box kannst du über Marketplace sogar für knapp über 50€ bekommen, fast neu.

Die Universal Box hat halt ein paar Macken, die auch je nach Alter der Box unterschiedlich sein können. Bei Marnie fehlt ein Dialog und einige Filme sind nicht anamorph codiert (fällt bei einem 4:3 TV aber nicht auf) oder im nicht ganz korrekten Bildformat. Die sind dann vollbild oder auf einem 16:9 TV nur "letterboxed". Außerdem ist Psyscho nach wie vor in einer gekürzten Version drauf.

Die Blu Ray Box hat (glaube ich) fast alle Fehler korrigiert, nur Psycho ist nach wie vor gekürzt. Und zumindest das ist absolut unverständlich. Schlamperei, oder einfach nur Desinteresse des Anbieters.

Es gibt auch noch eine schöne Box mit ein paar Klassikern der 40ger, und eine sehr schöne mit den britischen Thriller Klassikern aus den 30gern.

Re: Der Hitchcock Thread

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Im Schatten des Zweifels 6/10
Sehr traditionell und hingabevoll inszeniert. Leider hat mich Hitchcocks Vorstadfamilien-Hinterhof-Thriller trotz guter Ansätze und gelungener Szenen als Kriminalfilm überhaupt nicht gepackt. Unterhaltsam war es trotzdem, weil - und wer den Film ernst nimmt möge mir verzeihen, vielleicht stehe ich mit dieser Meinung ja alleine da - einige der Figuren bzw. Dialoge beinahe schon infantil-dämlich sind. Man denke an das Geplapper der Mutter oder an Nachbar "Herbie", der immer schon während des Abendessens auftaucht um von seinen neuesten Mordplänen zu berichten... Köstlich. Trozdem einer von Hitchcocks schwächeren.

Der Mann, der zuviel wusste (1956er-Version) 8/10
Ungefähr auf einer Stufe mit seinem "Bruder" Topas, allerdings mit mehr visueller Raffinesse umgesetzt. Ich denke da vor allem an die Stummfilmszenen beim Konzert, während denen die Musik sehr gut zum Zuge kommt.

Marnie 6/10
Schwieriger Fall, bei dem mir aber die gewisse Faszination anderer Hitchcock-Filme fehlt. Stattdessen wird die für mich nicht ganz glaubwürdige Story auf zwei Stunden ausgewalzt und auch beim Inszenatorischen ist dem Meister abgesehen von wenigen wirklich starken Kameraeinstellungen kein grosser Wurf gelungen. Connery spielt gut und lässt nicht selten seinen Bond durchschimmern. Die wirklich harte und überzeugende Auflösung wertet den Film schliesslich auf. Leider hat Marnie für mich aber von allen Hitchcocks den schlechtesten Herrmann-Score. Zu überladen, aufdringlich und pompös kommt das langweilige Thema alle paar Sekunden daher und übertönt dabei fast noch die Dialoge.

Der zerrissene Vorhang 8/10
Noch ein Polit-Thriller, noch ein überraschend guter. Die Story braucht ein bisschen, um in die Gänge zu kommen, ist aber spannend, clever und voller guter Ideen, gespickt mit erstklassigen Darstellern in gut geschriebenen Rollen (Ludwig Donath ist köstlich) und einer kleinen Portion Klamauk. Erst in der letzten halben Stunde beginnt Hitch zu schwächeln, was an einigen unnötigen Wendungen liegt (wo kommt auf einmal dieses polnische Overacting her?).
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Re: Der Hitchcock Thread

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Das ist interessant was du über Schatten des Zweifels schreibst. Obwohl er gemeinhin als einer der besten Filme Hitchs angesehen wird sehe ich das ganz ähnlich wie du, vielleicht nicht ganz so negativ. Aber definitiv unter ferner liefen in Hitchs Oevre. Ist mir irgendwie zu betulich und hausbacken.

Marnie hingegen sehe ich erheblich positiver als du, wobei der Film wie ich finde recht schwer zugänglich ist und bei mir einige Durchläufe benötigte, bis ich ihn richtig zu schätzen wusste. Der Film steht in direkter Tradition zu Vertigo, nur dass Hitch hier die oberflächliche „Krimigeschichte“ um Marnies Diebszüge eigentlich völlig der Charakterisierung der Figuren unterordnet. Oft wird Hitch hier „Küchenpsychologie“ vorgeworfen. Das mag sein, aber ich finde es dennoch sehr effektiv wie er nach und nach seine Figuren entblättert und man im Laufe des Filmes erkennt, dass niemand so ist wie er zunächst scheint. Ich halte Connerys Darstellung einer solch negativen Figur wie Mark Rutland für ziemlich gewagt zu seinem damaligen Karrierezeitpunkt, gut einiges davon wird durch Hitchs „versöhnliche“ Inszenierung gemildert, die Mark immer in einem besseren Licht zeigt als er es eigentlich verdient (vor allem die Stilisierung als „Beschützer“). Aber möglicherweise ist dies auch bewusst von Hitch so gemacht, um den Zuschauer an der Nase herumzuführen – ähnlich wie er in Psycho bewusst Sympathie für Bates erzeugt hat. Und in diesem Zusammenhang machte sich Hitch sicherlich auch Connerys bondsches Überimage zu Nutze, da er bewusst mit dieser in der Vorstellung seines Publikums verankerten Vorstellung spielte und Rutland zu Beginn ja auch genau so charmant und kultiviert in Szene gesetzt hat. Hier gibt es dann tatsächlich Parallelen zur Bondfigur, die allerdings im Laufe des Filmes rückblickend zerstört bzw als Illusion offenbart werden.

Den Schluss von Marnie empfand ich immer als etwas schwach, die Art wie Marnie nach der finalen Katharsis als „geheilt“ das Haus ihrer Mutter verlässt und dem Publikum vorgegaukelt wird, dass jetzt – auch zwischen ihr und Mark – alles gut wird. Hier hätte ich mir prinzipiell eher ein schockierendes Ende im Stil von Vertigo oder ein verstörendes wie bei den Vögeln gewünscht. Andererseits dachte ich schon oft, dass Hitch vielleicht die Szene gar nicht als „real“ angesehen hat, sondern als eine Art Traum- oder Wahnsequenz. Als Indiz dafür könnte die extreme Künstlichkeit der Kulissen sowie die merkwürdig schummrige Beleuchtung herhalten. Vielleicht hat Marnie ja nach ihrem Reitunfall und der Tötung ihres geliebten Gauls endgültig den Verstand verloren und alles was folgt ist Wunsch- bzw. Wahnvorstellung. Vermutlich habe ich aber auch einfach zu viele Verhoeven-Filme gesehen und der Schluss war so gemeint wie er offensichtlich wirkt. In jedem Fall zwar nicht einer der besten, trotzdem aber einer der interessantesten Filme in Hitchs Werk, ich könnte noch Seitenlang weiterphilosophieren.

Der zerrissene Vorhang ist für mich eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits mag ich ihn sehr gern aufgrund seiner klassischen Spionagegeschichte, einer Vielzahl typischer Hitch-Elemente und weil ich Newman eigentlich immer gern sehe. Andererseits finde ich sieht man dem Film auch deutlich an, dass er viel besser hätte werden können als er es letztlich ist. Ein Schlüsselproblem bei dem Film ist für mich sein Soundtrack. Addison in allen Ehren, aber sein Score ist höchstens mittelmäßig und was noch schlimmer ist, er konterkariert den Film. Das wird besonders in der Busszene deutlich, die durch seine musikalische Untermalung eher zu einer trutschigen Überlandfahrt wird denn zu einer lebensbedrohlichen Verfolgung. Die Hintergründe um den Bruch zwischen Hitch und Herrmann während des Drehs sind ja recht gut dokumentiert, Herrmann hatte seinen Soundtrack zum Zerrissenen Vorhang auch schon zu ¾ fertig komponiert und wenn man sich diese Musik anhört in all ihrer Schwere, Düsterheit und fast schon musikalischer Brutalität, dann weiss man wie der Film mit ihr ausgesehen hätte. Es wäre die perfekte Ergänzung zur kalt und bedrohlich inszenierten Welt hinter dem eisernen Vorhang gewesen. Mit Herrmanns Musik und einigen kleineren Änderungen in Story und Inszenierung hätte Der zerrissene Vorhang der beste Film in Hitchs letzter Schaffensphase, die mit diesem Film begann, werden können. Ein Film, der in Stimmung und Wirkung eher in der Tradition von Vertigo und den Vögeln gestanden und weniger als Versuch einer Wiederholung von Der unsichtbare Dritte gewirkt hätte, wie es der Film den wir kennen tut.

Der Mann, der zuviel wusste ist für mich ganz großes, starkes Kino welches absolut perfekt das Ernste mit dem Heiteren verbindet. Etwas, das zB bei Der zerrissene Vorhang nur bedingt gelingt. Toll wie Hitch das Ambiente von Nordafrika und London eingefangen hat und ganz im Sinne der Geschichte zu nutzen wusste. Die Ermordung von Gelin und die Opernszene sind absolute inszenatorische Perlen. In letzterer ist es vor allem die Einbindung der Musik als entscheidendes Handlungselement sowie das völlige Auskommen ohne Dialog, die diese Szene für mich so großartig machen. Einziger kleiner Wermutstropfen ist der Schluss in der Botschaft, der für mich von der Inszenierung her immer etwas abfiel gegenüber dem Rest des Films. Aber trotzdem ein absolut gelungener Film.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Der Hitchcock Thread

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Im Schatten des Zweifels zählt für mich zu Hitchs ganz Großen Filmen. Einer seiner zentralen Filme, und nach Notorious der Beste aus den 40gern. Und er zählt auch zu denen die ich als "abgründig" bezeichne. Im Gegensatz zu den "Entertainments" zu denen Der Mann der zuviel wusste auf eine sehr schöne Weise gehört.

Marnie dagegen finde ich nicht überzeugend. Zu lang, und psyschologisch zu aufdringlich, und für mich auch in der Hinsicht nicht überzeugend.

Topas und Torn Curtain sind gute aber nicht wirklich überzeugende Spionage Thriller mit vereinzelt starken Szenen. Aber beide empfinde ich als etwas unausgegoren.

Re: Der Hitchcock Thread

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AnatolGogol hat geschrieben:Das ist interessant was du über Schatten des Zweifels schreibst. Obwohl er gemeinhin als einer der besten Filme Hitchs angesehen wird sehe ich das ganz ähnlich wie du, vielleicht nicht ganz so negativ. Aber definitiv unter ferner liefen in Hitchs Oevre. Ist mir irgendwie zu betulich und hausbacken.
Ich sehe das genau so. Als Kriminalfilm gibt mir die Story zu wenig her, da auch Joseph Cottens Charakter ziemlich blass bleibt und man als Zuschauer - soweit ich mich erinnern kann - auch nicht wirklich über seine Verbrechen aufgeklärt wird. Ich habe die Zankereien zwischen Henry Travers und Hume Cronyn als weitaus amüsanter empfunden und sie sind mir auch stärker im Gedächtnis geblieben, zusammen mit der einen oder anderen witzigen Szene z.B. beim Besuch der Bibliothek, eine Minute nachdem sie um neun Uhr geschlossen hat und die Bibliothekarin dann etwas von "mitten in der Nacht" sagt...
AnatolGogol hat geschrieben: Marnie hingegen sehe ich erheblich positiver als du, wobei der Film wie ich finde recht schwer zugänglich ist und bei mir einige Durchläufe benötigte, bis ich ihn richtig zu schätzen wusste. Der Film steht in direkter Tradition zu Vertigo, nur dass Hitch hier die oberflächliche „Krimigeschichte“ um Marnies Diebszüge eigentlich völlig der Charakterisierung der Figuren unterordnet. Oft wird Hitch hier „Küchenpsychologie“ vorgeworfen. Das mag sein, aber ich finde es dennoch sehr effektiv wie er nach und nach seine Figuren entblättert und man im Laufe des Filmes erkennt, dass niemand so ist wie er zunächst scheint. Ich halte Connerys Darstellung einer solch negativen Figur wie Mark Rutland für ziemlich gewagt zu seinem damaligen Karrierezeitpunkt, gut einiges davon wird durch Hitchs „versöhnliche“ Inszenierung gemildert, die Mark immer in einem besseren Licht zeigt als er es eigentlich verdient (vor allem die Stilisierung als „Beschützer“). Aber möglicherweise ist dies auch bewusst von Hitch so gemacht, um den Zuschauer an der Nase herumzuführen – ähnlich wie er in Psycho bewusst Sympathie für Bates erzeugt hat. Und in diesem Zusammenhang machte sich Hitch sicherlich auch Connerys bondsches Überimage zu Nutze, da er bewusst mit dieser in der Vorstellung seines Publikums verankerten Vorstellung spielte und Rutland zu Beginn ja auch genau so charmant und kultiviert in Szene gesetzt hat. Hier gibt es dann tatsächlich Parallelen zur Bondfigur, die allerdings im Laufe des Filmes rückblickend zerstört bzw als Illusion offenbart werden.
Marnies Psychologie, ob Küchen- oder nicht, wäre gar nicht mal ein uninteressanter Ansatz, wird aber in meinen Augen mit einigen Mängeln umgesetzt. Da wären die fehlenden oder zumindest unglaubwürdigen Motive von Connerys Mark Rutland, das theatralisch-aufgesetzte Spiel von ,Tippi` (was für ein Name) Hedren, der wenig prägnante und dafür umso aufdringlichere Score, die in meinen Augen überflüssige Ausdehnung des Geschehens auf zwei Stunden sowie einige Ansätze, die ab einem gewissen Punkt nicht mehr weiterverfolgt werden (Das mehrfach angedeutete Interesse von Diane Baker an ihrem Schwager Sean Connery sowie ihre Eifersucht auf Marnie). Kein Totalausfall, aber für mich der schwächste Film in der Universal-Collection.
AnatolGogol hat geschrieben:Der zerrissene Vorhang ist für mich eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits mag ich ihn sehr gern aufgrund seiner klassischen Spionagegeschichte, einer Vielzahl typischer Hitch-Elemente und weil ich Newman eigentlich immer gern sehe. Andererseits finde ich sieht man dem Film auch deutlich an, dass er viel besser hätte werden können als er es letztlich ist. [...] Mit Herrmanns Musik und einigen kleineren Änderungen in Story und Inszenierung hätte Der zerrissene Vorhang der beste Film in Hitchs letzter Schaffensphase, die mit diesem Film begann, werden können. Ein Film, der in Stimmung und Wirkung eher in der Tradition von Vertigo und den Vögeln gestanden und weniger als Versuch einer Wiederholung von Der unsichtbare Dritte gewirkt hätte, wie es der Film den wir kennen tut.
Kann ich in etwa so unterschreiben, nur was die Musik betrifft mangelt es mir an Wissen, allerdings liebe ich auch alle Herrmann-Scores ausser Marnie. Vor allem mit Psycho ist dem Komponisten ein absolutes Meisterwerk gelungen, ich höre den Soundtrack sehr gerne wenn ich unter der Dusche stehe. :)
Meine anfängliche Euphorie bezüglich dem Zerrissenen Vorhang hat sich nun auch ein wenig gelegt und der Film sich unter Topas und dem Mann, der zuviel wusste eingependelt. Alle drei Filme betrachte ich aufgrund des gemeinsamen Genres Spionage-/Polit-Thriller relativ ähnlich. Aber Torn Curtain hapert bei näherer Betrachtung tatsächlich sogar etwas mehr als Topas in Sachen Pacing und Feinrhythmus. Viele Einzelszenen gefallen mir als solche aber ausserordentlich gut, zum Beispiel die gesamte Szene auf dem Bauernhof mit Wolfgang Kieling (grossartig!) oder die aufkeimende Animosität zwischen Newman und Donath bei ihren Basteleien an verworrenenen Formeln.
AnatolGogol hat geschrieben:Der Mann, der zuviel wusste ist für mich ganz großes, starkes Kino welches absolut perfekt das Ernste mit dem Heiteren verbindet. Etwas, das zB bei Der zerrissene Vorhang nur bedingt gelingt. Toll wie Hitch das Ambiente von Nordafrika und London eingefangen hat und ganz im Sinne der Geschichte zu nutzen wusste. Die Ermordung von Gelin und die Opernszene sind absolute inszenatorische Perlen. In letzterer ist es vor allem die Einbindung der Musik als entscheidendes Handlungselement sowie das völlige Auskommen ohne Dialog, die diese Szene für mich so großartig machen. Einziger kleiner Wermutstropfen ist der Schluss in der Botschaft, der für mich von der Inszenierung her immer etwas abfiel gegenüber dem Rest des Films. Aber trotzdem ein absolut gelungener Film.
Auch hier kann ich dir zustimmen. Sehr schön, wie der Film eine Art Spionagegeschichte erzählt, ohne wie bei Topas oder dem Vorhang im direkten Umfeld von Geheimdiensten zu spielen. Die Szene beim Konzert ist brillant, hier wird der Film wahrhaftig zu einem Stummfilm. Überhaupt ist Der Mann, der zuviel wusste visuell und inszenatorisch auf eine subtile Art und Weise überaus raffiniert. Zum Glück wird auch das "lästige Kind", wie es im Film so treffend genannt wird, relativ früh ins Hinterzimmer der Kirche verfrachtet. :wink:
So schön das Spektakel auch ist, einen entscheidenden Haken hat es für mich dennoch: nachdem ich den Film gesehen habe, hat mich Doris Days Que Sera, Sera noch über eine Woche lang tagtäglich verfolgt. Ohrwürmer können sehr bemühend sein...
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Re: Der Hitchcock Thread

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Ich finde gerade die Motivation von Mark ist das Schlüsselelement des ganzen Films und wird von Hitch geschickt durch Marks Taten verdeutlicht. Zu Beginn könnte man ja noch glauben, er sei in Marnie verliebt und seine Handlungen wären durch echte Fürsorge motiviert. Gerade hier spielt Hitch auch sehr geschickt mit Connerys Image als Charmeur und Frauenliebling. Im Laufe des Films lässt Hitchcock dann aber langsam die Maske fallen und entlarvt Marks wirkliche Motivation: er will Marnie besitzen, kontrollieren und dominieren. Er allein entscheidet über Marnie, er zwingt sie gegen ihren Willen zur Heirat und zu „seiner“ Therapie in Form der Konfrontation mit ihrer Mutter bzw. ihrer Vergangenheit. Das ganze gipfelt in der verstörenden Vergewaltigung, der ultimativen Form von Machtausübung über einen anderen Menschen. Marnie wird gemeinhin als Hitchcocks persönlichster Film bezeichnet und man muss ihn auch als genau das sehen: Kontrolle und Bestimmung über Frauen war viele Jahre ein bestimmendes Thema in Hitchcocks Leben, diverse seiner Darstellerinnen können ein trauriges Lied davon singen. Das ganze gipfelte in seinen unerwiderten Annäherungsversuchen gegenüber Tippi Hedren – ausgerechnet am Set von Marnie. Für Hedren muss dieser Dreh die Hölle gewesen sein, vor der Kamera musste sie eine extrem schwierige und verstörende Rolle spielen und off-camera erlebte sie im echten Leben praktisch das gleiche in der Beziehung zu Hitch, der zunehmend bösartiger ihr gegenüber wurde. Hitchcock hatte sie vor den Vögeln praktisch aus dem Nichts entdeckt und ganz nach seinen Vorstellungen „gestaltet“. In den Jahren zuvor gab es bereits ähnliche Versuche mit etablierten Schauspielerinnen, die letztlich aber Hitchs bestimmende und auch mit eindeutigen Absichten gekennzeichnete Fremdsteuerung zurückwiesen. Und genau darum geht es letztlich in Marnie, wie es auch in Vertigo das Schlüsselthema war. Erstaunlich, wie offen und wie wenig schmeichelhaft gegenüber sich selbst Hitchcock seine menschliche Schwäche in seinen Filmen thematisiert hat.
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