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von MirkoM
Agent
II. Kalter Krieg(er)
Bond ist eigentlich eine Figur, die einer räumlichen und zeitlichen Verortung
entzogen ist. Er steht über den Dingen und agiert auf einer Meta-Ebene. Das
hat der Doppel-Null-Mann vielen anderen popkulturellen Protagonisten voraus.
Er ist gewissermaßen ein erwachsener Superheld. Es gibt keine überzogenen
Superkräfte oder magische Fähigkeiten wie bei den ganzen Charakteren der
Comic-Kultur. Zwar nutzt auch Bond die Technik, aber sie dient ihm letztlich
nur als ein spektakuläres Hilfsmittel für seinen Erfolg. 007 überlebt auch ohne
sie. Seine Stärken sind Instinkt, Härte, Coolness, Pflichtbewusstsein, Zielstrebigkeit,
Intellekt, Killermentalität, weltmännische Lebenserfahrung und prahlerische Potenz.
Bond erscheint als eine Art Halbgott, ohne dabei aber völlig unbesiegbar, unverletzlich
oder gar unsterblich zu sein. Aber er ist ein titanischer Teufelskerl, der unmögliche
Missionen absolviert, überirdische Schönheiten erobert und überlebensgroße Schurken
niederringt. Ein solcher Archetypus besitzt eine universelle Zeitlosigkeit.
Er ist der moderne Inbegriff des männlichen Heroen, eine idealtypische Ikone.
Vor diesem Hintergrund erscheint es einigermaßen erstaunlich, dass viele
Rezensenten den Doppel-Null-Agenten teilweise bis heute nur als eine
Ausgeburt des Antikommunismus und als ein Kind des Kalten Krieges
betrachten. Historisch mag daran wenig auszusetzen sein, denn Fleming war ein
ausgesprochener Hardliner was denn Umgang mit den Sowjets anging und seine
Romane spiegeln natürlich das politische Klima der 1950er und frühen 1960er
Jahre wieder. In diesem Sinne war Bond durchaus ein Kalter Krieger des
Westens, aber nicht so vehement wie es ihm immer wieder angedichtet wird.
Sieht man einmal von einer einzigen Ausnahme der direkten Konfrontation –
wie sie in »LIEBESGRÜßE AUS MOSKAU« stattfindet – ab, so liefert sich 007
eigentlich durchweg nur Kämpfe mit ausländischen Stellvertretern der UdSSR,
mit individuellen Schurken oder nichtstaatlichen Syndikaten. In den Filmen hat
man diese Tendenz noch verstärkt und den systemischen Gegner sukzessive
vermenschlicht, indem es sogar zu Kooperationen mit dem KGB kommt.
In »DER SPION, DER MICH LIEBTE« bekämpfen der Westen und der Osten
einen gemeinsamen Gegner. In den Bondfilmen der 1980er Jahre steht dem
bösartigen Sowjetfunktionär immer eine positive Figur des eigenen Lagers
gegenüber, die dessen Pläne mit zu vereiteln versucht. Nach dem Fall des
Eisernen Vorhangs geriet auch die Bondserie parallel ins Stocken.
Irrtümlicherweise deuteten dann viele Kommentatoren diesen Umstand als
Beweis dafür, dass der Superagent unverrückbar an den Referenzrahmen des
Kalten Krieges gebunden und damit nach 1991 überflüssig sei. Daran zeigt sich,
wie nachdrücklich die häufig eindimensionalen und klischeehaften Ansichten
über 007 auch im Feuilleton nicht selten ihren Niederschlag finden. Die
Zweiteilung der Welt in einen kapitalistischen und eine kommunistischen Block
war keineswegs eine notwendige Bedingung für Bonds Missionen, sondern
lediglich deren ursprüngliches Spielfeld, und ihr Wegfall war auch nicht
ursächlich für die Krise der Filmserie zwischen 1989 und 1995. Diese lag
letztlich an diversen filmwirtschaftlichen Querelen zwischen den Personen und
Produktionsfirmen hinter den Kulissen. Das Bonds Überleben keineswegs an
den Ost-Westkonflikt gebunden war, beweist nicht zuletzt der seinerzeit letzte
Beitrag »LIZENZ ZUM TÖTEN«, der ein halbes Jahr vor dem Mauerfall in die
Kinos kam und eine vom politischen Patt der Systeme völlig losgelöste
Geschichte erzählt, die genauso gut auch heute noch spielen könnte.
Dieser ständige Rückbezug auf den Kalten Krieg offenbart letztlich eine
fantasielose Sicht auf die Figur des 007. Er ist ein Meta-Charakter, der wie ein
astraler Archetyp über den Dingen thront – ein Übermensch im Sinne
Nietzsches. Das wird nicht nur daran erkennbar, dass es 1995 eine erfolgreiche
Rückkehr gab, die bis heute anhält, sondern auch an dem Aspekt der
Zeitlosigkeit, die seinem Geist und der Bond-Formel innewohnt. Man kann sich
den Doppel-Null-Agenten nicht nur in der Zeitspanne von 1953 bis 2023
vorstellen, sondern eben auch in der ferneren Vergangenheit und Zukunft. Im
Viktorianischen Zeitalter hätte Bond bereits als britischer Weltpolizist in den
Kolonien ermitteln oder im Stil von Phileas Fogg oder Sherlock Holmes
Schurken vom Format eines Prof. Moriarty oder Dr. Moreau in einer von Jules
Verne und H. G. Wells phantastisch erweiterten Welt jagen können.
Der von den Bondfilmen stark beeinflusste Regisseur Christopher Nolan
beweist mit seinen Science-Fiction-Thrillern »INCEPTION« und »TENET«, welche
Aufgaben 007 in einer futuristischen Gesellschaft erwarten würden. Auch in
den Visionen von Weltenschöpfern wie Philip K. Dick, Frank Herbert oder
George Lucas kann man sich einen Superagenten vorstellen, solange eben wie
Machtspiele, Klassenkämpfe, Zivilisationsbedrohung, Staatsschutz, Spionage
und Geheimnisverrat eine Rolle spielen. Im Grunde könnte Francis
Walsingham – der Geheimdienst-Chef von Königin Elisabeth I. – »seinen«
Bond auch im 16. Jahrhundert als Baronet getarnt und mit Apparaturen nach
den Entwürfen Leonardo da Vincis ausgestattet in die Schweizer Alpen
entsenden, um dort ein Verschwörer-Nest gegen die englische Krone
auszuheben.