Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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Ein freundliches Hallo an die 007-Community.

2023 jährt sich das Debüt von James Bond - der erste Roman "Casino Royale" erschien bekanntlich 1953 - zum 70. Mal. Dieses Jubiläum habe ich zum Anlass genommen und einen Artikel verfasst, der sich analytisch und kritisch mit dem Kulturphänomen 007, den Romanen und den Filmen auseinandersetzt.

James Bonds Beitrag zur Filmgeschichte wird ebenso gewürdigt, wie der Rückbezug auf den Zeitgeist der vergangenen Jahrzehnte.
Zuletzt geändert von MirkoM am 17. Dezember 2023 15:03, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte

James Bond als Spiegelbild der Moderne

Die Leinwand dient als Einfassung für einen Pistolenlauf. Ein Mann, den die
Mündung der Waffe zielsicher erfasst und dem diese folgt, geht im Profil
schnellen Schrittes vorüber. Blitzschnell wirbelt der Anzugträger herum und
schießt. Sattrotes Blut sickert von oben herab und beginnt die gesamte
Leinwand zu benetzten, während der Lauf unsicher zu schwanken beginnt und
schließlich durch ein neues Bild überblendet wird: Ein ikonisches Intro.
Vielleicht ist es sogar die markanteste, sicherlich aber die berühmteste bildliche
Einleitung der Filmgeschichte.

Man kennt diesen Effekt aus den noch jungen Tagen des Kinos. Genauso wie
wenn ein Zug auf die Kamera zurast, hat es die unmittelbarste Wirkung auf den
Zuschauer, wenn direkt auf ihn geschossen wird – was frühe Western schon als
Stilmittel nutzten. Der Gentleman, auf den hier angelegt wird, ist eine Legende.
Sein Name: Bond. James Bond. Der beste Mann Ihrer (seit 2022 Seiner)
Majestät und der erfolgreichste Agent der Welt. Und die Welt ist Bonds
Aktionsradius, ihre möglichst spektakuläre Rettung ist seine oberste Mission.

Insofern hat die Pistolenlaufsequenz (im Original: Gunbarrel sequence) neben
der sofortigen Einbindung des Publikums auch einen programmatischen
Charakter. Bond ist eine Projektionsfläche und wir – die Welt – verfolgen ihn
und seine Abenteuer auf Schritt und Tritt. Sein Schuss gilt folglich uns. Der
Superspion fordert unserer Aufmerksamkeit für zwei Stunden Realitätsflucht.
Und ist das nicht der eigentliche Sinn des Kinobesuchs? Wir sollen der Welt
abhandenkommen, wie es Ilse Aichinger einmal formulierte. Dafür haben die
Macher der Bond-Serie mit der einführenden Schablonensequenz eine geniale
Metapher gefunden.

Der Pistolenlauf dient in diesem Fall auch als ein kinetischer
Kommunikationskanal. Es ist ein Korridor zwischen der Fiktion und der
Wirklichkeit. Bond durchbricht durch seinen Schuss in unsere Augen die
Leinwand als Barriere und zieht uns durch die sich transformierende Gunbarrel
wurmlochartig aus unserem Kino-Sitz in seinen Kosmos. Und wir folgen ihm
bereitwillig – seit seinem ersten Leinwand-Einsatz 1962. Die literarische Figur
debütierte vor 70 Jahren – am 13. April 1953 erschien Ian Flemings Erstling
»CASINO ROYALE«.

Dieses Essay verfolgt nicht den Anspruch, das Phänomen James Bond
allumfassend darzustellen. Angesichts der mittlerweile kaum mehr zu
überblickenden Schar an Publikationen wäre es auch ein einigermaßen
fruchtloses Unterfangen. Stattdessen versteht sich die vorliegende Abhandlung
als eine Einführung, die produktive Ansätze zur Rezeption und Interpretation
der Figur und der Filmreihe zu bieten gedenkt.

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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I. Sex, Snobismus und Sadismus

Der Geburtsort von James Bond war »Goldeneye«. In seinem Anwesen auf
Jamaika ersann der englische Journalist, Ex-Spion und Lebemann Ian Lancaster
Fleming (1908-1964) im Januar 1952 eine Figur, die zur vielleicht
einflussreichsten fiktiven Ikone des 20. Jahrhunderts avancieren sollte. In das
kulturelle Gedächtnis hat sich dieser Actionheld, der die Codenummer 007
trägt, in einer Spanne von 70 Jahren mit seiner Lizenz zu Töten jedenfalls
nachdrücklich eingeschrieben – oder sollte man besser sagen, eingeführt?
Viele Erzählmuster, Stilmerkmale und Ingredienzien, die später den Welterfolg
auf der Kinoleinwand begründen sollten, finden sich bereits in den Romanen.
Flemings Geschichten gelten heute durchaus zu Recht als einigermaßen
altbacken und große Literatur hatte der Schriftsteller mit seiner »Pulp Fiction«
sicher auch nicht im Sinn. Aber wenn man die Faszination, die den Doppel-Null-Mann
umgibt, verstehen will, muss man zu den Büchern zurückgehen.

Was machen die reißerischen Erzählungen rund um den Eliteagenten und den
Schreibstil seines geistigen Vaters so einzigartig? Sean Connery sagte einmal
sinngemäß, dass es ebenso lächerlich wie unmöglich sei, ein Leben wie James
Bond zu führen. Seine abwegig-entrückten Abenteuer waren letztlich eine
frivole Fantasielektüre für Erwachsene, eine Mär aus Sex, Snobismus und
Sadismus, wie es die Kritik in den 1960er Jahren schon beschrieb. Bond ist
bereits als literarische Figur ein Archetypus, der für unbedingte Pflichterfüllung
sowie ungebrochene männliche Dominanz und Potenz steht, die Männer
beneiden und Frauen bewundern. Er ist eine Art mythischer Halbgott wie die
antiken Heroen. Daher sind alle Implikationen des Bond-Kosmos – die
Obsessionen und die Sehnsüchte – konsequent olympisch gesteigert. Das
Göttliche und die nach ihr strebende menschliche Hybris werden kontrastiert.
Wenn Honeychile Rider in »JAMES BOND JAGT DR. NO« splitternackt den
Fluten entsteigt, ist sie nicht nur eine aufregende Amazone, sondern erscheint
durch die paradiesische Verträumtheit dieses Moments als eine vollkommene
Göttin; sie ist wie Venus eine Schaumgeborene der See.

Neben diesem klassischen Kanon an bildlichen Referenzen dienen Fleming
auch die Feinheiten der Sprache als Chiffren für diese Art der spielerischen
Synthetisierung. Ein Paradebeispiel für diese verdichteten Wortspielereien und
Doppeldeutigkeiten stellen die Hauptfiguren des Romans »GOLDFINGER« dar.
Der titelgebende Oberschurke heißt Auric Goldfinger – mehr Assoziationen
zum begehrten Edelmetall schafft man in zwei Worten kaum. Zweimal Gold
durch den lateinischen (aurum) und englischen Sprachgebrauch und der
magische Finger. Wer denkt da nicht an den sagenhaften König Midas, der alles,
was er mit seiner Hand berührte, zu Gold werden ließ? Damit wird auch
offenkundig, dass der Antagonist nicht bloß ein spleeniger Mäzen, Philanthrop
oder Goldliebhaber ist – nein, er ist ein völlig fanatischer Fetischist. Und auch
die lesbische Gangsterbraut Pussy Galore lässt keinen Zweifel daran, was sie
Bond – wenn man ihren Nachnamen entsprechend deutet – am Ende der
Geschichte »in rauen Mengen« offerieren wird – ihre ganz unverblümt
vorangestellte Weiblichkeit.

Eine vergleichbare Bedeutung nehmen die Titel ein, für die Ian Fleming eine
besondere Begabung besaß. Sie haben eine gleichermaßen eingängig-schlagende
wie lyrisch-schwelgerische Komponente: »MOONRAKER/MONDBLITZ«, »FROM
RUSSIA WITH LOVE/LIEBESGRÜßE AUS MOSKAU« oder »YOU ONLY LIVE
TWICE/MAN LEBT NUR ZWEIMAL« – mit solchen Überschriften kann man
teutonisch-träumerische Thriller treffend umschreiben. Gewiss ist das auch
Flemings größte Leistung. Er hat dem Spionagethriller eine neue Spielart
hinzugefügt: Glorreicher Glamour anstatt von grauer Tristesse und nüchternem
Nihilismus. Sein James Bond ist ein Genießer, ein Playboy, der seinem
lasterhaften Lebensstil einen ebenso großen Stellenwert in seinem Alltag
einräumt wie dem aufreibenden Agentengeschäft.

Glücksspiel, Garderobe, Delikatessen, Drinks, Luxuskarossen und
Gespielinnen bedienen in einer zutatenreichen Mischung aus Exklusivität,
Exotik und Erotik ein wildromantisches Fernweh. Damit stehen die Missionen
des Nullnullsieben dem klassischen Abenteuergenre letztlich näher als dem
Agententhriller, der sich in der Regel einem dramatischen Realismus und
politischen Moralismus verschrieben hat. Diese Elemente werden ergänzt durch
eine Affinität zum Technizismus und leichten Anleihen bei der Science-Fiction.
Dieser latente Futurismus war für die Zeitgenossen der 1950er und 1960er
Jahre bereits in den Romanen angelegt, wurde von den Verfilmungen aber bald
rasant überholt. Durch die fantasiereichen und verspielten Plots wollte man sich
in eine bestimmte Stimmung versetzen und in eine idealtypische Welt voller
Agonie und Wollust entführen lassen. Vermutlich war das Geheimnis von
Flemings Schöpfung genau dies – die Verschmelzung der artikulierten
Attraktivität mit den aufgefahrenen Attraktionen.

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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II. Kalter Krieg(er)

Bond ist eigentlich eine Figur, die einer räumlichen und zeitlichen Verortung
entzogen ist. Er steht über den Dingen und agiert auf einer Meta-Ebene. Das
hat der Doppel-Null-Mann vielen anderen popkulturellen Protagonisten voraus.
Er ist gewissermaßen ein erwachsener Superheld. Es gibt keine überzogenen
Superkräfte oder magische Fähigkeiten wie bei den ganzen Charakteren der
Comic-Kultur. Zwar nutzt auch Bond die Technik, aber sie dient ihm letztlich
nur als ein spektakuläres Hilfsmittel für seinen Erfolg. 007 überlebt auch ohne
sie. Seine Stärken sind Instinkt, Härte, Coolness, Pflichtbewusstsein, Zielstrebigkeit,
Intellekt, Killermentalität, weltmännische Lebenserfahrung und prahlerische Potenz.
Bond erscheint als eine Art Halbgott, ohne dabei aber völlig unbesiegbar, unverletzlich
oder gar unsterblich zu sein. Aber er ist ein titanischer Teufelskerl, der unmögliche
Missionen absolviert, überirdische Schönheiten erobert und überlebensgroße Schurken
niederringt. Ein solcher Archetypus besitzt eine universelle Zeitlosigkeit.
Er ist der moderne Inbegriff des männlichen Heroen, eine idealtypische Ikone.

Vor diesem Hintergrund erscheint es einigermaßen erstaunlich, dass viele
Rezensenten den Doppel-Null-Agenten teilweise bis heute nur als eine
Ausgeburt des Antikommunismus und als ein Kind des Kalten Krieges
betrachten. Historisch mag daran wenig auszusetzen sein, denn Fleming war ein
ausgesprochener Hardliner was denn Umgang mit den Sowjets anging und seine
Romane spiegeln natürlich das politische Klima der 1950er und frühen 1960er
Jahre wieder. In diesem Sinne war Bond durchaus ein Kalter Krieger des
Westens, aber nicht so vehement wie es ihm immer wieder angedichtet wird.

Sieht man einmal von einer einzigen Ausnahme der direkten Konfrontation –
wie sie in »LIEBESGRÜßE AUS MOSKAU« stattfindet – ab, so liefert sich 007
eigentlich durchweg nur Kämpfe mit ausländischen Stellvertretern der UdSSR,
mit individuellen Schurken oder nichtstaatlichen Syndikaten. In den Filmen hat
man diese Tendenz noch verstärkt und den systemischen Gegner sukzessive
vermenschlicht, indem es sogar zu Kooperationen mit dem KGB kommt.
In »DER SPION, DER MICH LIEBTE« bekämpfen der Westen und der Osten
einen gemeinsamen Gegner. In den Bondfilmen der 1980er Jahre steht dem
bösartigen Sowjetfunktionär immer eine positive Figur des eigenen Lagers
gegenüber, die dessen Pläne mit zu vereiteln versucht. Nach dem Fall des
Eisernen Vorhangs geriet auch die Bondserie parallel ins Stocken.

Irrtümlicherweise deuteten dann viele Kommentatoren diesen Umstand als
Beweis dafür, dass der Superagent unverrückbar an den Referenzrahmen des
Kalten Krieges gebunden und damit nach 1991 überflüssig sei. Daran zeigt sich,
wie nachdrücklich die häufig eindimensionalen und klischeehaften Ansichten
über 007 auch im Feuilleton nicht selten ihren Niederschlag finden. Die
Zweiteilung der Welt in einen kapitalistischen und eine kommunistischen Block
war keineswegs eine notwendige Bedingung für Bonds Missionen, sondern
lediglich deren ursprüngliches Spielfeld, und ihr Wegfall war auch nicht
ursächlich für die Krise der Filmserie zwischen 1989 und 1995. Diese lag
letztlich an diversen filmwirtschaftlichen Querelen zwischen den Personen und
Produktionsfirmen hinter den Kulissen. Das Bonds Überleben keineswegs an
den Ost-Westkonflikt gebunden war, beweist nicht zuletzt der seinerzeit letzte
Beitrag »LIZENZ ZUM TÖTEN«, der ein halbes Jahr vor dem Mauerfall in die
Kinos kam und eine vom politischen Patt der Systeme völlig losgelöste
Geschichte erzählt, die genauso gut auch heute noch spielen könnte.

Dieser ständige Rückbezug auf den Kalten Krieg offenbart letztlich eine
fantasielose Sicht auf die Figur des 007. Er ist ein Meta-Charakter, der wie ein
astraler Archetyp über den Dingen thront – ein Übermensch im Sinne
Nietzsches. Das wird nicht nur daran erkennbar, dass es 1995 eine erfolgreiche
Rückkehr gab, die bis heute anhält, sondern auch an dem Aspekt der
Zeitlosigkeit, die seinem Geist und der Bond-Formel innewohnt. Man kann sich
den Doppel-Null-Agenten nicht nur in der Zeitspanne von 1953 bis 2023
vorstellen, sondern eben auch in der ferneren Vergangenheit und Zukunft. Im
Viktorianischen Zeitalter hätte Bond bereits als britischer Weltpolizist in den
Kolonien ermitteln oder im Stil von Phileas Fogg oder Sherlock Holmes
Schurken vom Format eines Prof. Moriarty oder Dr. Moreau in einer von Jules
Verne und H. G. Wells phantastisch erweiterten Welt jagen können.

Der von den Bondfilmen stark beeinflusste Regisseur Christopher Nolan
beweist mit seinen Science-Fiction-Thrillern »INCEPTION« und »TENET«, welche
Aufgaben 007 in einer futuristischen Gesellschaft erwarten würden. Auch in
den Visionen von Weltenschöpfern wie Philip K. Dick, Frank Herbert oder
George Lucas kann man sich einen Superagenten vorstellen, solange eben wie
Machtspiele, Klassenkämpfe, Zivilisationsbedrohung, Staatsschutz, Spionage
und Geheimnisverrat eine Rolle spielen. Im Grunde könnte Francis
Walsingham – der Geheimdienst-Chef von Königin Elisabeth I. – »seinen«
Bond auch im 16. Jahrhundert als Baronet getarnt und mit Apparaturen nach
den Entwürfen Leonardo da Vincis ausgestattet in die Schweizer Alpen
entsenden, um dort ein Verschwörer-Nest gegen die englische Krone
auszuheben.

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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III. Serieller Stil und flexible Formel

An der zuvor angesprochenen zeitlichen Übertragbarkeit und thematischen
Flexibilität werden die Gründe für den Erfolg und die Relevanz der Bond-Reihe
erkennbar. Diese umfasst zwei Komponenten. Zum einen die Bond-Formel, die
bereits früh von Kritik und Forschung beschrieben wurde, und zum anderen
deren stetige kreative Abwandlung und Einbettung in einen seriellen Stil. Dass
es ein Erfolgsrezept in den Romanen gibt, das in der Folge auf die Filme
übertragen und in diesen dann perfektioniert wurde, haben verschiedene
Autoren herausgearbeitet. Einer der frühsten Rezipienten war der Semiotik-
Professor und spätere Belletristik-Bestsellerautor Umberto Eco, der bereits
1966 eine Analyse der Fleming-Bücher vorlegte.

Eco erkannte, dass die literarischen Abenteuer von 007 einem
gleichbleibenden Schema folgen und der Autor diese Schablone konsequent
anwendet. Der Untersuchung entsprang die durchbuchstabierbare
A.B.C.D.E.F.G.H.I.-Methode, die sich wie folgt auflösen lässt: A – »M« erteilt
Bond einen Auftrag, B – der Schurke tritt auf, C – Bond oder der Schurke
bringen dem jeweils anderen eine Niederlage bei, D – die Frau tritt auf, E –
Bond konsumiert die Frau oder beginnt sie zu verführen, F – der Schurke
nimmt Bond (mit der Frau) gefangen, G – Bond wird vom Schurken (mit der
Frau) gefoltert, H – Bond besiegt den Schurken, I – Bond erholt sich und
genießt die Frau, die ihn dann wieder verlässt. Für die Franchise wurden dann
später noch ausführlichere und präzisere Varianten der Bond-Formel
beschrieben, die auch die Strukturen des filmischen Aufbaus berücksichtigen.
Stellvertretend sei der langjährige Bond-Chronist Siegfried Tesche genannt, der
eine 14-stufige Bond-Formel extrahiert.

An diesem Punkt wird deutlich, dass Ian Fleming und später auch die Bond-
Produzenten ganz bewusst eine klassische Struktur anwenden, die – wie bereits
impliziert – Bond zu einem Heros stilisiert, der eine überlebensgroße Aufgabe
erfüllen muss. Interessanterweise existiert eine große Übereistimmung zwischen
den einzelnen Prinzipien und Stationen der Bond-Formel und dem
erzählerischen Konzept der Heldenreise wie sie Joseph Campbell in 17
Schritten definiert. Gewiss haben Bonds literarischer Vater und seine filmischen
Macher sich bewusst oder unbewusst auf diese wirkmächtige Abfolge von
Abenteuern bezogen. Campbells Buch »Der Heros in tausend Gestalten« von
1949 hat das Kino Hollywoods enorm geprägt und seine Thesen und
Beschreibungen lieferten dem Genrefilm Handlungsanweisungen von
universellem Charakter.

Der stufige Ablauf von Reise, Naturgewalt, Verführung, Antagonismus,
Prüfungen und Erlösung lässt sich aber natürlich bis in die (vor-)antike Epik
zurückverfolgen. Somit sind sowohl Campbells Heldenreise wie auch die Bond-
Formel Abwandlungen der homerischen Odyssee und ihrer Vorläufer. Auch
007 ist dieser sagenhafte Held, der mit großem Mut und Geschick Gefahren auf
sich nimmt, um seine und damit unsere Welt zu retten. Die erlösende
Belohnung für Bond ist dann seinem archaischen Naturell gemäß der
ekstatische Intimgenuss. Die vormodernen Mythen weisen ein
identitätsstiftendes Moment auf, weswegen Campbell ihre deckungsgleichen
Grundthemen und Erzähletappen als existenzielle Elemente des menschlichen
Selbstverständnisses begreift. Er deutet diese historischen Leitlinien als
psychologische Grundpfeiler der Zivilisation. Das bedeutet, dass man diese
essenzielle Narrative beständig neu anordnen und interpretieren kann.

In diesem Sinne sind die Bondfilme moderne und postmoderne Heldenepen
des industriellen und digitalen Zeitalters. Mit einem großen Unterschied: Für
den klassischen Heroen erfolgt bis zum Ende der Erzählung eine psychische
Transformation, ein Reife- und Erkenntnisprozess, den man als Rezipient
mitzugehen und nachzuempfinden vermag. Diese Form der Erlösung gibt es
für den Agenten nicht. 007 kommt nie an, er bleibt stets auf der Suche. Am
Ende jeder Mission wartet auf ihn nur ein flüchtiger Wimpernschlag voll
wollüstiger Wonne. Aber genau darin liegt der immerwährende Reiz der Bond-Formel.
Strukturell ist man derart konditioniert, dass man zwar präzise erwarten
kann, was unmittelbar als nächstes passieren wird, aber eben nicht auf welche
Weise. Durch die stetige Abwandlung und Ausprägung des »Wie«, kann man
das Interesse des Publikums immer wieder aufs Neue entfachen. Das
Geheimnis liegt in der verspielten Wiederholung der wunderlichen Weltrettung.

Daraus folgt unmittelbar die Etablierung eines seriellen Stils, der auch die
äußere Form möglichst umfassend wahrt. Besonders deutlich wird dieser
Aspekt an den ersten 16 Bondfilmen, die gerade einmal von fünf Regisseuren
stilistisch geprägt wurden. Rundherum ist eine wohltuende Ritualisierung
gewünscht. Inhalt und Verpackung verschmelzen zu einem annährend
perfekten Produkt, das man alljährlich frisch und aktualisiert konsumieren kann.
Der Mythos Bond bedient damit in einer massenpsychologischen Logik auch
einen Mechanismus des Marktes. Oder wie ein teutonischer Tycoon 007 einmal
ungemein treffend entgegnet: »Die Leute kriegen, was sie wollen.«

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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IV. Tradition in neuem Gewand

Wenn man sich vergegenwärtigt, auf welchen traditionellen Mustern Bonds
Erfolg gründet, dann kann man sein Image als geschmackvollen Garanten für
klassischen Genretopp noch nachdrücklicher begreifen. Doch was folgt aus der
Anlehnung an altertümliche Sagen und das Konstrukt der Heldenreise? Welche
Wandlungen durchläuft 007? Und welche reinkarnative Kraft kann konservative
Inhalte in das Gewand des Neuen kleiden?

Der Rückgriff auf mythische Erzählmuster und eine archetypische Heldenfigur
gibt der Bond-Serie einen zeitlosen und universellen Habitus. Wie sonst könnte
man erklären, dass ein britischer Agent, der die Menschheit aus einer dezidiert
westlichen Perspektive betrachtet und rettet, auf der ganzen Welt verstanden
und geschätzt wird? Einen solchen Siegeszug kann man nur antreten, wenn man
mit einer klaren (Bild-)Sprache übergreifende Zivilisationsthemen auf eine solch
grundsätzliche und uremotionale Weise thematisiert, dass alle Menschen einen
Zugang dazu finden. Dieser Erfolg des Doppel-Null-Mannes, in einer Spanne
von nur wenigen Jahrzehnten Bestandteil eines nicht nur kollektiven sondern
eines globalen Gedächtnisses zu werden, hat eine einmalige Qualität, die seine
normative Nähe zu den Heldenerzählungen der Altvorderen noch zusätzlich
unterstreicht. Der Schauspieler Adolfo Celi brachte dieses virale Vermögen von
007 einmal treffsicher auf den Punkt als er resümierte: »Ich war in den entferntesten
Winkeln Afrikas und Asiens, wo nichts von der westlichen Welt ankommt, wo keiner
Namen wie »Jesus« oder »Mohammed« kennt, aber ein jeder kennt James Bond.«

In diesen Zusammenhang wird die Bedeutung seiner individuellen Fähigkeiten
ersichtlich, die auf seinen Reisen und Rettungsmissionen kulturübergreifend zu
kollektiven Kompetenzen verschmelzen. Dahingehend ist Bond Odysseus nicht
unähnlich, der seine Abenteuer mit einer Mischung aus physischer Tatkraft,
Mut, taktischer Intelligenz, Wissen und handwerklichem Können beschreitet –
und sie sind beide übereinstimmend nicht zuletzt auch exzellente Schützen.
Man kann diesen Heldentypus als den komplettesten begreifen. Der Agent ist
eine formvollendete Macher-Persönlichkeit, die in allen Bereichen Geschick
beweist und jede Situation zu antizipieren vermag. So assimiliert er fremde
Gebräuche und infiltriert verwunschene Festungen (»MAN LEBT NUR
ZWEIMAL«), kämpft gegen die (Raub-)Tierwelt und die unbarmherzigen
Naturelemente (»LEBEN UND STERBEN LASSEN«) und muss perfide
Prüfungsparcours bewältigen (»JAMES BOND JAGT DR. NO«).

Bond verkörpert einen weitgereisten Weltbürger, der in einer Mischung aus
enzyklopädischem Wissen und Erfahrung ein umfassender Kenner von Kunst
und Kultur(en) ist. Zudem ist der Doppel-Null-Mann ein Muster an Stil und
Etikette. 007 ist ein Ehrenmann, der den richtigen Sinn für Kleidung, Haltung
und Umgangsformen mitbringt. Seine kulinarische Extraganz wird von
Vorgesetzten und Feinden ebenso gefürchtet wie seine Vorliebe für
Markenprodukte – gleich zweimal entlarvt er die Handlanger aufgrund ihrer
mangelnden verräterischen Weinkenntnisse. Zugleich residiert Bond in den
besten Hotels und tummelt sich an den Spieltischen der glamourösesten
Casinos. Luxusgüter wie Anzüge, Uhren und Sportwagen werden von dem
Product Placement-Pionier munter vorgeführt und künden vom Glanz des
großen Geldes und gutsituierten Lebensstils. Spiegelbildlich zu vielen seiner
gutbetuchten Gegner pflegt Bond in Gesellschaftskreisen ein umtriebiges
Upper-Class-Gebaren, obwohl er ein nicht übermäßig wohlhabender Waise und
darüber hinaus – wie einer seiner Widersacher anmerkt – nur »einer von »Ms«
kultivierteren Zinnsoldaten« ist.

Umberto Eco hat genau diesen Aspekt als Leistung der Bondromane und
später auch der Filme beschrieben. Was die Menschen reizt, ist Mischung aus
Fiktion und Realität. Und das Reale sind die Konsumgüter und ihr Genuss, den
Fleming ausgiebig und mit detailreicher Akkuratesse beschreibt. Demgegenüber
schildert der Autor den Überfall auf Fort Knox nur rudimentär – weil man das
Alltägliche liebevoll aufnimmt und daneben das Phantastische mit
bereichernder Leichtigkeit akzeptiert. Es ist diese minutiöse Montage-Technik,
die den Bond-Mythos immer wieder in eine zeitgemäße Mode hüllt.

007 hat sich über die Jahrzehnte stetig gewandelt. Vom rauen und
desillusionierten Romancharakter über den animalisch-autoritären Sean
Connery, den viril-verschmitzten George Lazenby, den lässig-ironischen Roger
Moore, den trocken-gewissenhaften Timothy Dalton und den leutselig
renommistischen Pierce Brosnan bis hin zum abgeklärt-getriebenen Daniel
Craig hat der Charakter viele Interpretationen erfahren. Für die kommende
Dekade wird ein frischer und unverbrauchter Akteur den Staffelstab
übernehmen und den Agenten in einer neue Ära führen. An einer Stelle im
filmischen 007-Kosmos säuselt eine Blondine schmachtend: »Allmählich gefallen
Sie mir, Mr. Bond.« – und das wird er auch weiterhin, gleichwohl welche neuen
Seiten und Gesichter der Mann mit der Lizenz zum Töten von sich zeigt.

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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V. Exilant des alten Europa

Die stetige Kombination von Tradition und Innovation darf nicht darüber
hinweg täuschen, dass Bonds Wandlungsmöglichkeiten – speziell bezogen auf
seine Identität und Rolle in Welt – limitiert sind. Stellvertretend kann man hier
die amüsierte Anklage eines Gegenspielers ins Feld führen, der 007 seine genuin
gestrige Sozialisation genüsslich vorhält: »England… das Empire… MI-6… Sie
leben auch in einer Ruine. Sie wissen es nur noch nicht.«

Ein anderer Widersacher – wie sein Vorredner ein abtrünniger Ex-Agent des
Secret Service – wirft dem Doppel-Null-Mann auf vergleichbare Weise eine
geradezu pathetisches Festhalten an scheinbar überkommenen Idealen und
Prinzipien vor, wenn er sagt: »James Bond, der getreue Terrier Ihrer Majestät… […]
Vertrauen…, was für ein altmodischer Gedanke.« Diese früheren Kollegen haben
sich und ihre Agenda privatisiert und damit gleichsam kapitalisiert. Sie
spionieren und töten für den Meistbietenden und damit unter wirtschaftlichen
Gesichtspunkten ausschließlich für die eigene Gewinnmarge. Bond hat ein
völlig anderes Berufsethos. Er ist kein Freischärler oder Rebell, sondern ein
unverrückbarer Teil des Systems – ein linientreuer Befehlsempfänger und ein
Muster an staatsdienender, fragloser und unbedingter Pflichterfüllung.

Das bringt zwei Problematiken mit sich. Primär ist 007 eigentlich keine
heroische Figur, obwohl sein ganzes Auftreten dem Helden-Charakter
nachempfunden ist. Der Doppel-Null-Mann ist ein kompromissloser Killer –
der »Abzugsfinger Ihrer Majestät«. Seine Lizenz zum Töten ist prinzipiell
unmoralisch und undemokratisch. Was unterscheidet den Agenten von einem
jener politischen Attentäter, die die Zivilgesellschaft bedrohen? Das funktioniert
nur, weil Bond per Definition auf der richtigen Seite steht und die Schurken
eliminiert. Und falls dies einmal nicht der Fall wäre – wenn wie in »DER HAUCH
DES TODES« ein irrtümlicher Tötungsauftrag ergeht – darf man darauf
vertrauen, dass 007 seinem Instinkt folgt und die richtige Entscheidung trifft.
Sekundär ist der Doppel-Null-Agent erkennbar eine Ausgeburt des Empires
und des alten Europa.

Bond ist damit gewissermaßen der letzte Repräsentant eines europäischen
Souveräns, wo der Kontinent doch geschlossen die exekutive Kompetenz von
imperialer Hegemonie spätestens mit dem Kalten Krieg und seiner Auflösung
vollends eingebüßt hat. Besonders augenfällig ist das massive Gefälle zwischen
Schein und Sein in Bezug auf politische Einflussnahme und
nachrichtendienstliche Macht beim Vereinigten Königreich – der einstigen
Weltmacht. Dieses Missverhältnis wird auch immer in der Reihe gespiegelt,
wenn ein nordkoreanischer Oberst beispielsweise anmerkt: »Wir rührend, dass ihr
Briten immer noch glaubt, die Weltpolizei spielen zu dürfen.«

Zugleich wird daran überdeutlich, dass der Agent die ungebrochene
Selbstverständlichkeit des englischen Empire verkörpert. Als eine Art
Übermensch steht er damit auch sinnbildlich für den einstigen imperialistischen
Glanz mit kolonialer Perspektive. Dieses Erbe des Empires hallt jedoch nur
noch wie ein Echo in Bond nach – den dieser ist ein aufgeklärter, liberaler und
moderner Brite. Als solcher ist Nullnullsieben aber auch ein konservativer
Kulturkämpfer für altgediente Werte und tradierter Normen. Bond ist ein Mann
von ehrhaften Ethos und integrer Identität; und damit ein Wiedergänger der
verlorengegangenen Souveränität ureuropäischer Vormacht. Deshalb ist es auch
fast unmöglich ihn charakterlich oder ethnisch zu verändern und umzudeuten.
Somit sind all die progressiven (Besetzungs-)Vorschläge der jüngeren Zeit
lediglich gut gemeint, aber keinesfalls gut.

Folge man der heutigen Identitätspolitik würde man den klassischen Bond
zerstören und eine fragmentierten beliebigen Helden übriglassen. Folglich muss
man sich entscheiden: Entweder man passt 007 den neuen Diversitäts-Normen
an und transformiert ihn damit zu einem völlig neuen kinetischen Konstrukt
oder man entscheidet sich ihn fallenzulassen, weil sein genuiner Geist endgültig
aus der Zeit gefallen ist. Letzteres wird aufgrund des finanziellen Erfolgs wohl
nicht unmittelbar geschehen. Aber man sollte sich nichts vormachen. Der
Zeitgeist wendet sich gegen den Weltretter wie nie zuvor: Bond ist (toxisch)
männlich, weiß, heterosexuell, sexistisch, soldatisch, autoritär, materialistisch,
mordlüstern sowie ein Sekundant des repressiven Sicherheitsstaates – und damit
nicht zuletzt ein Exilant des alten Europa.

Das muss man bedenken, wenn man den Agenten leichtsinnig im Hinblick auf
die Ethnie, die Hautfarbe, das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung
verändern möchte. Sein Selbst ist unverrückbar festgefügt und steht damit im
krassen Gegensatz zum Identitätsbegriff der Gegenwart; nicht umsonst gilt sein
geistiger Vater Ian Fleming heute teilweise zu Recht als chauvinistischer und
rassistischer Snob. Ein Grund, warum die Originalausgaben zum Jubiläum
in einer Edition erscheinen, die mit sensiblen Korrekturen in Bezug auf
den Sprachduktus und einem einleitenden Warnhinweis diesem Hintergrund
Rechnung tragen. Vielleicht schaffen es die Filmemacher in naher Zukunft
gewisse Konventionen sachte zu korrigieren. Schon die Verschiebungen der
Craig-Ära waren ein vorsichtiges Wagnis. Folglich ist auch weiterhin ein feines
Fingerspitzengefühl vonnöten, denn ansonsten lebt Nullnullsieben nicht lange
genug, um an einem anderen Tag zu sterben.

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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VI. Seismograph der westlichen Welt

Kommt man zu dem Schluss, dass James Bond eine Gallionsfigur für den
verlorenen europäischen Autoritarismus darstellt, wird deutlich, wie wenig er
inhaltlich eigentlich noch in die Gegenwart passt. Aber der Agent bleibt
relevant, weil er sich nicht in der Abbildung dieses Aspekts erschöpft. 007 steht
auch für die geostrategische Ideologie der NATO-Länder, die
konsumkapitalistische Dominanz der Industriestaaten und ihrer weiterhin im
Wesentlichen weißen Leitkultur. Das macht ihn zu einem präzisen Gradmesser
für den politisch-gesellschaftlichen Zustand des Westens. Je nach Zeitgeist und
Weltlage ändert der Doppel-Null-Mann seinen Blick und seine Position in
Bezug auf anglobritische Allianzen und globale Konflikte.

In den 1960er, 1970er und 1980er Jahren kämpfte 007 primär gegen
Individualisten mit anarchischer Agenda oder gegen Geheimorganisationen wie
S.P.E.C.T.R.E. Zugleich blieben in der Logik des Kalten Krieges aber natürlich
die kommunistischen Länder der systemische Feind. Das wird daran deutlich,
dass auch eigenständige Akteure wie Goldfinger, Scaramanga oder Zorin dem
Wirken der Sowjets indirekt Vorschub leisten. Sind die meisten dieser Schurken
in den Fleming-Romanen Auslandsagenten der UdSSR, wird dieser Aspekt in
den Filmen zum Teil gemindert. Scaramanga und Zorin agieren zwar durchweg
autark, sind aber immerhin ehemalige Agenten des Ostens, mit dem sie
geschäftlich noch immer in Verbindung stehen. Gleiches gilt für Rosa Klebb,
die für Blofeld arbeitet, aber früher dem KGB vorstand. Die Botschaft bleibt
damit mit der Flemings vergleichbar: Solche finsteren Figuren findet man vor
allem auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Trotzdem sind die
Bondfilme ab 1977 einer generellen Entspannungspolitik verpflichtet, die die
Russen teils als zivilisierte Mitspieler im Wettstreit der Systeme zeichnet. So
kommt es mehrfach zu Partnerschaften und Kollaborationen, auch wenn es in
»OCTOPUSSY« und »DER HAUCH DES TODES« noch einmal zu einer Form von
antisowjetischer Agitation kommt. Prinzipiell sind die Bond-Macher der
realpolitischen Annäherung oft voraus.

Neben Russland ist vor allem die Volksrepublik China ein ideologischer Feind
– der immer konspirativ im Hintergrund bleibt. Dahinter steckt die diffuse
Angst vor der »gelben Gefahr«, die spätestens seit dem Anfang des 20.
Jahrhunderts in der westlichen Kultur tief verwurzelt zu sein scheint. Diese
Furcht wird nun durch die Kulturrevolution, den »Großen Sprung nach vorn«
und Chinas Streben nach der Atombombe genährt. Im Westen scheint man in
dem chinesischen Kommunismus eine größere Gefahr zu sehen, als in dem
sowjetischen Pendant. In den Bondfilmen ist dieser Kulturkampf vor allem in
den Anfangsjahren präsent. So ist Dr. No zwar S.P.E.C.T.R.E.-Mitglied, aber
eben auch ein chinesischer Wissenschaftler, der die Atomkraft
instrumentalisiert. Die Volksrepublik liefert Goldfinger einen Sprengkopf und
technisches Personal für seinen Angriff auf Fort Knox, während sie in »MAN
LEBT NUR ZWEIMAL« als dritte Macht im Dunkeln agiert, die die USA und die
Sowjetunion zum Krieg anzustacheln beabsichtigt. Nicht zuletzt wird die
menschenverachtende Politik Chinas auch in dem Umstand symbolisiert, dass
Schurken wie Blofeld, Stromberg oder Drax eine Vorliebe für Mao-Anzüge
besitzen.

Solange der Ost-West-Konflikt akut blieb, stand der Westen auch geschlossen
und durch Ideale vereint zusammen. Die Glorifizierung des Freiheitskampfes
der Mudschaheddin und der »War on Drugs«-Politik der Reagan-Regierung in
den beiden Dalton-Beiträgen Ende der Achtziger Jahre erscheint dafür
symptomatisch. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs gehen eine
Orientierungslosigkeit und eine schleichende Desillusionierung einher. In
»GOLDENEYE« wird das deutlich, wenn es an einer Stelle heißt: »Wieso haben wir
all die Diktaturen gestürzt, all diese Regime sabotiert? […] Alles wofür du Leib und Leben
riskierst, hat sich geändert.« Diese Worte kommen zwar von einem Verräter, aber
die Tendenz erscheint klar: Man beginnt, die eingeübten Mantras und eigenen
Ideologien zu hinterfragen. (NATO-)Verbündete sich zwar noch Mitstreiter,
aber mehr aus Gewohnheit, denn aus ideeller Überzeugung. Der Kitt der
Allianzen löst sich, während die Kritik an den Machenschaften der CIA und der
eigenen Geheimdienste sich bahnbricht, wie es in »EIN QUANTUM TROST« und
»SKYFALL« erkennbar wird. Der Westen muss sich eingestehen, dass er seine
Ideale verloren hat oder sie hinsichtlich seiner dominant-hegemonialen Rolle in
der Welt stets nur wie ein Feigenblatt vor sich hertrug.

Folglich richtet sich die Nabelschau nach innen. Die westliche Welt hat ihr
Selbstverständnis verloren und weiß nicht mehr, für was sie eigentlich (und vor
allem vereint) steht – auch die Feindbilder verschwimmen zusehends. Seit
»LIZENZ ZUM TÖTEN« ist Bond immer persönlich involviert, seine Metier und
seine Methoden werden ständig infrage gestellt. Zugleich nagen Selbstzweifel an
ihm. Er ist zu einem Gezeichneten geworden, der scheitern kann. Umso stärker
die identitätsstiftende Ideologie des Westens versagt, desto mehr verkrampft
Nullnullsieben in seiner Funktion als Weltpolizist. In seine tagesaktuelle
Gussform ergießt sich der geistige Zustand der westlichen Gemeinschaft.

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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VII. Dekaden Dämmerung

»A brave new world.« – könnte man meinen, wenn man Bonds Verhältnis zum
aktuellen Zeitgeist beschreiben wollte. Kann 007 sich verändern und sich
abermals erfolgreich für eine neue Dekade transformieren? Grundsätzlich
bewies er bislang ein valides Können bei der Anpassung an den jeweiligen
Zeitgeist, der Abbildung von Umbruchsphasen und der leisen Ahnung
unmittelbar bevorstehender sanfter und schwerer Umwälzungen. Wird der sich
beständig verjüngende Lebemann wieder eine erfolgreiche Frischzellenkur
absolvieren und am Puls der sich nun manifestierenden neuen Ära bleiben?

In der Vergangenheit war Bond darin ein wahrer Meister. Anhand seiner
Filmographie kann man gewissermaßen die Genese der westlich dominierten
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und des frühen 21. Jahrhunderts
nachempfinden. Die beiden ersten Bondfilme 1962/63 markierten den
Übergang von den politisch und gesellschaftlich erstarrten 1950er Jahren in ein
Jahrzehnt des Aufbruchs. Der Kalte Krieg wurde nicht nur filmisch auf
Nebenkriegsschauplätze (Balkan/Istanbul) verlagert, sondern auch der freie
Geist einer Epoche des Eskapismus war spürbar, während die Missionen
Nummer 3 und 4 1964/65 bereits den Sog der Swinging Sixties mit ihrem
Lifestyle und visionären (Technik-)Design einfingen.

Ab 1965 verschob sich der Fokus zudem mehr hin zu einem materialistischen
Futurismus, der dann – um die Themen einer bevorstehenden atomare
Eskalation und der bahnbrechenden Eroberung des Weltraums kreisend – in
»MAN LEBT NUR ZWEIMAL« (1967) kulminierte. Die Bondstreifen von 1969 und
1971 bildeten dann kongenial die nur innerhalb weniger Jahre vollzogene
Umbruchszeit von der 68er-Flower-Power-Zeit hin zu der ernüchternden
Desillusionierung Anfang der 1970er Jahre ab. Die stilvollen Sechziger Jahre
waren ebenso passe wie die alten Gewissheiten von vor 1968. Es war eine
Sollbruchstelle für Vertrauen und Idealismus, die Eigenverantwortung,
Skeptizismus und Paranoia begünstigte. Nicht von ungefähr entlarvt ein
abgeschmackter selbstparodistischer Bond in »DIAMANTENFIEBER« die
Mondlandung in verspielter Verschwörer-Manier als Hoax.

Besonders symptomatisch bildeten die 007-Filme der Siebziger Jahre die
Entwicklungen in der Welt ab. In den ersten Roger Moore-Missionen 1973/74
sind die Rohstoff- und Finanzkrisen der Zeit und die ständige Suche nach
Orientierung in einer unsicherer werdenden Welt mit ungewisser Zukunft
omnipräsent. Das wird auch durch die unterschwellige Thematisierung der
Probleme in den USA (afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung) und in Asien
(Kambodscha/Vietnam) deutlich. Demgegenüber widmeten sich die beiden
Gigantomie-Bondstreifen 1977/79 – dem aktuellen Zeitgeist und einem Blick in
die Zukunft simultan Rechnung tragend – globalen und existenzialistischen
Themen. Maritime und sphärische Welten standen in einem austarierten
Spannungsfeld von Utopie und Dystopie im Blickpunkt des Interesses. Mit den
Achtziger Jahren und den Jahrgängen 1981, 1983 und 1985 wurden der Rückfall
in den konfrontativen Konservativismus in Großbritannien und Amerika und
eine Wiederverschärfung des Kalten Krieges durch Computerlenksysteme und
Raketenabwehrschirme zum Thema. Ebenso spielte der zeitgleiche Verfall auf
Retroabenteuer (»INDIANA JONES«-Filme) und den pionierhaften Konzern-
Technizismus (»ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT«, »TRON«) eine bedeutende Rolle.

Glasnost und Perestroika läuteten eine Entspannungsperiode ein. Man spürte,
dass sich die 1980er Jahre dem Ende entgegen neigten. Trotz der
Thematisierung des letzten großen Stellvertreter-Krieges zwischen den
Machtblöcken richteten die Bondfilme von 1987 und 1989 ihr Augenmerk mit
anglo-russischen Allianzen, kriminellen Kartellen und nihilistischem
Neoliberalismus bereits prophetisch auf die Zeit nach dem Ost-West-Konflikt.
Nach einer Phase des unbändigen Umbruchs für die globale Geopolitik fand
sich 007 in 1990er Jahren in einer neuen Welt wieder. Die Missionen der Jahre
1995, 1997 und 1999 waren geprägt von einer Melange aus Vintage und
Progression. Waffenschmuggel, Rohstoffscharrer und Machtmissbrauch durch
privatwirtschaftliche Potentaten standen im Fokus, während man Anlauf nahm,
um mit der Jahrtausendwende in ein Zeitalter der tricktechnischen Revolution
zu starten. Mit »STIRB AN EINEM ANDEREN TAG« (2002) hielten eine
überfordernde Computerspiel-Ästhetik und die zeitgenössische Realitätsflucht
in den Effektzauber von am Rechner perfekt durchdesignten Welten Einzug.

In den 007-Streifen von 2006/08 spiegelte sich eine durch den 9/11-
Terrorismus und durch internationale Staats- und Bankenkrisen verunsicherte
Gesellschaft, die zu politischer Paranoia und einer Zersplitterung des Westens
führte. Die jüngsten Jahrgänge 2012, 2015 und 2021 führen die zeitgleiche
Verzahnung und Diffusion der Zivilgesellschaft durch die digitalen Medien vor,
die täuschender Transparenz, populistischer Egomanie und viraler Verrohung
Vorschub leistet. Man darf gespannt sein, welche Kommentare der Agent mit
den Nachfolgern von »KEINE ZEIT ZU STERBEN« zum gesellschaftspolitischen
Diskurs beisteuern wird – vorausgesetzt, dass er sein einmal gegebenes
Versprechen nie wieder bricht: »Ich war nie weg.«

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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VIII. Wiederholung als Prinzip

Viele Zuschauer und Kritiker sind sich einig, dass die Bondfilme eigentlich
einem Theaterstück gleichen, das alljährlich in Nuancen abweichend
wiederaufgeführt wird. Lars-Olav Beier meinte in Bezug auf die Reihe einmal
treffend, dass »nach vielen Variationen des Immergleichen sich alles in Wohlgefallen
auflöst«. Für die meisten Rezipienten dürfte die Bond-Serie einer großen
Wundertüte gleichen. Man kennt einige der reizvollen Situationen und
spektakulären Highlights, aber könnte wohl kaum sagen, in welchen Filmen
diese nun konkret vorkamen. Die Franchise präsentiert sich durch die Bond-
Formel und den seriellen Stil als ein geschlossener Block, in dem den einzelnen
Filmbeiträgen keine so große Bedeutung beikommt wie bei anderen
Kinomarken.

Zwar besitzen diverse Bondstreifen eine prägnantere Relevanz für die
Filmhistorie und die Serie sowie ihre Entwicklung als andere, aber das generelle
Prinzip folgt dem Erfolgsmuster, der Kette stets ein neues Glied hinzufügen zu
wollen. Es geht um konstante Kontinuität und tradierte Tradition. Bond
avanciert damit gewissermaßen simultan zum dynastischen Ahnherrn und
Erben des Action-Genres. Das hat ihm von vielen Zeiten gleichsam
Bewunderung wie Kritik eingebracht. Die Faszination liegt vor allem darin, in
einem eng gefassten Rahmen zaghafte Neujustierungen vorzunehmen und
einen sensiblen Sinn für verspielte Varianz an den Tag zu legen, ohne dabei
Gefahr zu laufen, sich nur stur zu kopieren. In diesem ausgesprochen schmalen
Aktionsradius nicht nur zu bestehen sondern auch auftrumpfen zu können, liegt
eine große Kunst. Es ist ein Drahtseilakt zwischen der Tradition und der
Progression, bei dem man sich in schwindelerregender Fallhöhe weder zu stark
nach der klassisch-konservativen noch zu sehr nach der innovativ-reformerischen
Seite neigen darf.

Oftmals ist dieses Unterfangen den Machern innerhalb der Bond-Reihe
gelungen, aber beileibe nicht immer. Zu Recht werden einige Serieneinträge als
beliebige und belanglose Werke eingeschätzt. Aber auch diese erkennbar
schwachen Jahrgänge weisen nicht selten eine besonders intensive
Assimilierung von Zeitgeistphänomenen in Kultur und Gesellschaft auf. Und
aufgrund des hohen technischen Produktionsstandards der hinter der Marke
stehenden Firma Eon Productions Ltd. gilt die Regel: Auch ein schlechter
Bondfilm überragt noch immer einen beträchtlichen Teil der sonstigen
Mitbewerber innerhalb des Genres. Bei 007 bemüht man sich folglich nicht nur
um ein hohes künstlerisches Level, sondern ist auch bestrebt, den Agenten in
seiner eigenen Liga spielen zu lassen. Das hat in 1960er und 1970er Jahren sehr
gut funktioniert, aber seit den frühen 1980er Jahren hat Bond diesen Nimbus
wegen den massiven Änderungen im Blockbuster-Kino mehr und mehr
eingebüßt. Der Branchenprimus von einst spielt heute nur noch oben mit.

In diesem Sinne muss man auch die immer wieder zögerliche Mutlosigkeit bei
der Gestaltung neuer Bondstreifen und die Entstehung inspirationsloser
Beiträge deuten. Im Zweifelsfall ist den Machern am Ende der finanzielle
Erfolg wichtiger als der künstlerische Anspruch. Und Nullnullsiebens größtes
Pfund ist nun einmal seine lange Tradition. Da wärmt man lieber einmal zu viel
und zu plakativ klassische Zutaten und klischeetriefende Trademarks auf, als
Gefahr zu laufen, das Publikum zu verlieren. Letztlich ist das ja auch der
richtige Ansatz, denn Bond lebt von der Formelhaftigkeit, den seriell
ausgeprägten Stilblüten und den liebgewonnen Macho-Manierismen. Auch
wenn sich am Ende alles in Wohlgefallen auflöst, bleibt Wiederholung doch das
oberste Prinzip. Insofern könnte man mit einem abgewandelten Ausspruch
antworten: »Wir haben schon alles gesehen, nur noch nicht von 007.«

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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IX. Quantität und Qualität

Wenn im vorherigen Abschnitt das Spannungsfeld zwischen regelmäßigem
Filmnachschub und künstlerischen Anspruch angerissen wurde, erscheint es
mehr als angebracht, das allgemeine Verhältnis von Quantität und Qualität bei
den Filmbeiträgen der James Bond-Franchise einmal eingehender zu betrachten.
Unter Kinoenthusiasten und Filmliebhabern gibt es diese verbreitete
Vorstellung, die auch andere Künste betrifft, das besonders qualitätsvolle und
hochkarätige Werke in der Regel eine langen Vorlauf brauchen und erst in einen
intensiven künstlerischen Prozess entstehen – getreu dem Motto: »Gut Ding will
Weile haben.«

Dieser Ansatz ist jedoch nur eine mögliche Bedingung für gelungene Kunst,
aber keinesfalls ein unausweichliches Gesetz. Es gibt mindestens ebenso viele
Beispiele, wo immenser Zeitdruck und gedrängte Eile ein wegweisendes Werk
hervorbrachten. Das gilt auch für die Filmgeschichte. Man denke nur an Alfred
Hitchcock, der mit »VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN«, »DER
UNSICHTBARE DRITTE« und »PSYCHO« Meisterwerke bisweilen im Jahrestakt
schuf. Im Genrefilm und dem Blockbuster-Kino ist bei einer solchen
Veröffentlichungs-Frequenz schnell von Fließbandproduktion und
Dutzendware die Rede. Einen solchen Ruf hat sich auch die James Bond-Serie
gleich zu Beginn eingehandelt. Die Filme werden in der Öffentlichkeit nicht
selten als weitgehend ambitionslos heruntergekurbelte Massenprodukte
wahrgenommen. Ein berechtigter Vorwurf?

Zumindest in den ersten 27 Jahren entstanden in schneller Abfolge 16
Bondstreifen – die ersten vier sogar in jährlichem Turnus. Aber sagt das etwas
über die Qualität der einzelnen Beiträge aus? Die vier Missionen von 1962 bis
1965 gelten allesamt als stilbildende Klassiker der Reihe und auch als die besten
Bondfilme überhaupt, während einige spätere Serieneinträge, die im Abstand
von zwei oder drei Jahren ins Kino kamen, deutlich weniger gelungen sind. Nun
beruhten die frühen Streifen noch auf den Romanen von Fleming und eine
Franchise hat zumeist in ihrer Startphase die meiste Frische und
Innovationskraft, aber dessen unbenommen offenbart diese Erkenntnis, dass
der Vorwurf von inflationärer Fertigung und dem damit einhergehenden
Qualitätsverschleiß häufig zu Unrecht erhoben wird.

Noch deutlicher wird dies, wenn man sich den jüngeren Abschnitt der Reihe
betrachtet. In den 34 Jahren seit 1989 wurden gerade einmal neun neue 007-
Filme in die Kinos gebracht. Das bedeutet, im Schnitt werden die Bondstreifen
der Gegenwart alle dreieinhalb Jahre veröffentlicht. Paradoxerweise gelten die
Abenteuer des Agenten noch immer als plumpe Popcorn-Produkte der
Filmindustrie. Auf die schwankende Klasse der einzelnen Beiträge haben die
länger werdenden Produktionsphasen offensichtlich keinen nennenswerten
Effekt. Nur zwei bis drei Einsätze aus der Periode von Pierce Brosnan bis
Daniel Craig werden gemeinhin über dem Serienschnitt eingeordnet, während
weitaus mehr Filme der »Fließband«-Ära 1962-1989 wertgeschätzt werden.

Der Veröffentlichungsrhythmus ist im Hinblick auf die künstlerische Finesse
ein Mythos, aber nicht hinsichtlich des finanziellen Erfolgs. Denn die Distanzen
zwischen den Beiträgen wachsen auch deswegen, weil Produktion und Verleih
erkannt haben, dass eine längere Entwöhnung danach wieder mehr Zuschauer
für einen neuen Kinostreich in die Säle lockt. Aber die sich rasant
digitalisierende Medienlandschaft und einschneidende Ereignisse wie die
Corona-Pandemie unterlaufen diese Strategie nun sukzessive. Die zweite
Produzentengarde um Michael G. Wilson und Barbara Broccoli wird die
Verantwortung über die Bond-Familie bald an die dritte Generation übergeben.
Die Erben müssen sich gut überlegen, wie sie 007 dann ausrichten wollen. In
der Welt der Streaming-Dienste und Multimedia-Plattformen gelten andere
Ansprüche an Labels hinsichtlich Verfügbarkeit, Imagepflege und dem
Nachschub von Novitäten.

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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X. Zeiten ändern sich, Mr. Bond

»Diamonds are forever.« – aber ist es die 007-Reihe auch? Gefühlt war Bond für
den heutigen Zuschauer immer da – konstant präsent. Ein alter Klassiker, der
stets aufs Neue unerschütterlich seinen Weg geht und turnusgemäß eine neue
Mission im Kino erlebt. Bei näherer Betrachtung sind die Filme trotz des
Erfolges nicht solche Selbstläufer wie man zu meinen glaubt. Auch hier lohnt
ein genauerer Blick zurück und nach vorn, um zu erkennen, dass das Franchise-
Wesen auch mit einem weltmännischen Womanizer an der Spitze ein äußerst
fragiles Gebilde sein kann. Bereits nach den epochemachenden frühen
Bondbeiträgen der 1960er Jahre stand die Serie auf der Kippe. Sean Connery
war der Rolle überdrüssig, aber er war Bond – eine untrennbare Symbiose.
Würde das Publikum einen anderen 007 akzeptieren?

Der Australier George Lazenby konnte sich 1969 nicht durchsetzen. Und
obwohl Connery für einen Film zurückkehrte, schwebte die Unsicherheit über
der Reihe. Dann folgte Roger Moore dem Schotten nach. Die frühen 1970er
Jahre waren eine Umbruchszeit, die auch für die Bondfilme schwierig war. Mit
den zwei großen Blockbustern »DER SPION, DER MICH LIEBTE« und
»MOONRAKER – STRENG GEHEIM« schaffte es Moore nicht nur das Erbe
Connerys erfolgreich anzutreten, sondern auch den Nachweis zu erbringen,
dass bei Nullnullsieben – wie bei jeder überlebensgroßen fiktiven (Bühnen-)
Figur – die Darsteller sich den Staffelstab übergeben können. Erst dadurch
wurde die James Bond-Reihe in letzter Konsequenz wirklich zu einer Serie.

Zugleich drohte der etablierten Marke in den 1970er und 1980er Jahren durch
einen erbitterten Konkurrenten Ungemach. Kevin McClory war im Besitz der
Rechte an »FEUERBALL«, der Organisation S.P.E.C.T.R.E. und Bonds Erzfeind
Ernst Stavro Blofeld. Die Produzenten und McClory überzogen sich
wechselseitig mit Klagen und versuchten die Filmprojekte der jeweils anderen
Partei zu behindern. Die Ambitionen des Iren waren insofern auch
existenzbedrohend für die Broccoli-Familie, da dieser gerichtlich versuchte, das
alleinige Verfilmungsrecht an der Figur James Bond zu erstreiten. Auch wenn
dieses Unterfangen erfolglos blieb, gelang es McClory 1983 seinen eigenen
Bondfilm ins Kino zu bringen – das Remake »SAG NIEMALS NIE«. Danach
konnte der Ire zwar keinen Stich mehr setzen, aber blieb ein steter Unruheherd.
Erst nach dessen Tod 2006 einigte man sich mit den Erben und erhielt den
Rechtestock zurück.

Die unsicherste Phase für Bonds Überleben war aber sicherlich die Zeit
zwischen 1989 und 1995. Hinter den Kulissen hatten Rechteverhandlungen und
Finanzspekulationen die Reihe auf Jahre blockiert, während die Welt sich rasant
wandelte. Es kamen ein neuer Darsteller und eine neue Produzentengeneration
an Bord. Aber die Serie war nie wieder dieselbe. Die beiden verpassten
regulären Missionen 1991 und 1993 mit Timothy Dalton fehlen der Franchise
als Entwicklungsschritte bis heute. »GOLDENEYE« war dann 1995 ein
Achtungserfolg, aber eben auch einer mit ängstlich angezogener Handbremse.
Die gerissene Traditionslinie wird seitdem ohne die alte Selbstgewissheit mit
fasernder Naht fortgeführt. Die Produktionen gestalten sich langwieriger, die
zeitlichen Abstände zwischen den Beiträgen wachsen zusehends. Seit 1995
waren fast alle neuen Bondstreifen zitternde Zangengeburten.

Und auch die eineinhalb-jährige Verschiebung des jüngsten Teils hat endgültig
gezeigt, dass sich auch die alteingesessenen Bondfilme der neuen Zeit anpassen
müssen. In einer sich radikal wandelnden Medienwelt kann der Agent nicht
mehr auf den Kinosaal als alleinigem Einsatzort beharren. Was die Zukunft für
007 bereithält, kann man nur spekulieren. Es wäre aber ratsam, wenn Bond sich
– einer Lebensweisheit seines alten Lehrmeisters »Q« folgend – nicht nur auf
sein schier grenzenloses Glück verlassen würde. Die Devise lautet: »Immer einen
Fluchtweg offenhalten.«

Re: Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

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XI. Zielpunkt Zukunft

Wenn eingangs davon gesprochen wurde, dass Bond auch im Elisabethanischen
oder Viktorianischen Zeitalter oder gar in ferner (Cyber-)Zukunft sein
Aktionsfeld haben könnte, dann ist das primär aus einem situativen Standpunkt
aus gedacht und nicht retrospektiv zu verstehen. 007 und seine Erfolgsformel
haben einen zeitlosen Gestus, aber sie funktionieren stets am besten in der
jeweiligen Gegenwart. Durch die Assimilierung des aktuellen Zeitgeistes
verändern sich der Doppel-Null-Mann und seine Welt, prägen diesen zugleich
mit und legen in der Rückschau dadurch exemplarisch gewisse Strömungen
eines konkreten Zeitabschnitts und einer Dekade offen. Das betrifft zwar auch
gesellschaftliche Umbrüche, aber eben nur zum Teil. Grundsätzlich findet sich
in den Filmen eine Mixtur aus klassischer und tagesaktueller Ideologie, aber der
glorifizierte Glamour einer Welt, die sich durchweg »larger than life« gebärdet,
kann nur bedingt auf die soziale Realität Bezug nehmen.

Was die Bond-Reihe jedoch auf exzellente Art und Weise nachzuzeichnen
versteht, das sind das momentane politische Klima, die geostrategische
Situation aus Sicht des Westens und technologische Innovationsschübe. Zwar
erlebt Nullnullsieben seine Abenteuer natürlich stets im hier und jetzt, aber
anders als bei vielen anderen Action-Helden erschöpfen sich die futuristischen
Elemente meist nicht in technischen Spielereien, sondern sind nicht selten in
einen Gesamtentwurf von bestehenden Tendenzen und baldigen
Entwicklungen eines industriellen Trend- und Fortschrittdenkens eingebettet.
Dadurch heben sich die James Bond-Streifen von anderen Filmen des Genres
erkennbar ab, ohne dabei den Bezug zur Gegenwart zu verlieren oder dezidiert
ein Science-Fiction-Sujet zu verfolgen. 007-Produzent Albert R. Broccoli
kommentierte dieses Spezifikum der Serie einmal sehr treffend mit der
Anmerkung, dass Bonds Missionen sich »fünf Minuten in der Zukunft« ereignen
würden. Dazu passt, dass nach der partiellen Retrogestaltung der Craig-Ära
Amazon als neuer Teilhaber der Marke 007 bereits angekündigt hat, demnächst
wieder verstärkt auf Zukunftsvisionen und Science Fiction-Themen setzen zu
wollen.

Auch die scheinbar absurdesten Voraussagen der der Bondfilme werden
irgendwann zumindest partiell Realität, wie das Beispiel »MOONRAKER –
STRENG GEHEIM« zeigt. 44 Jahre später fliegen Milliardäre wie Elon Musk, Jeff
Bezos oder Richard Branson in den Orbit und eröffnen kommerzielle Shuttle-
Touren, simultan gedenkt Donald J. Trump eine eigene schlagkräftige »Space
Force« im All patrouillieren lassen, während die Volksrepublik China eine
eigene Weltraumstation aufbaut und die erste Generation der Laserwaffen
entwickelt. Was bleibt folglich von diesen Nullnullsieben Dekaden
Kulturgeschichte? Francis Fukuyama löste in den 1990er Jahren ein lautes Echo
aus, als er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vom »Ende der Geschichte«
sprach, was den Beginn einer idealen Zivilisationsordnung im Geiste Gene
Roddenberrys zu implizieren schien. Oftmals ist es gar nicht entscheidend, ob
diese Einlassungen das Diktum des Faktischen erfüllen. Denn vielfach liegt ihr
wahrer Kern und der größere Erkenntnisgewinn in dem, was sie über die
gegenwärtigen Strömungen des Zeitgeists aussagen, indem sie entstehen und
den sie kennzeichnen.

James Bond war stets ein Spiegelbild seiner Zeit und ein empfindlicher
Seismograph für dämmernde Dekaden und epochale Umbrüche. Er ist damit
nicht nur ein schillernder Bestanteil der Filmgeschichte oder ein singulärer
Vertreter der Popkultur, sondern sein enormer Einfluss weist darüber hinaus.
Bond ist eine der ganz wenigen Mythen, den die Moderne hervorgebracht und
in einer globalen Dimension geprägt hat. Seinen schlagkräftigsten Slogan darf
man in seiner stur mantrahaften Wiederholung und seinem annährend
apodiktischen Anspruch daher als generationsübergreifendes Gesetz der
Gegenwart begreifen:

»James Bond will return.«