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von AnatolGogol
Agent
Verschollen im Bermuda-Dreieck / Airport '77 (1977) - Jerry Jameson
Nachdem Universal auch mit dem zweiten Airport-Film einen großen Erfolg an der Kinokasse feiern konnte (umso mehr, da die Kosten der Giganten weniger als ein Drittel des Originals betrugen) und die Katastrophen-Film-Welle im Jahr 1977 nach wie vor auf Hochtouren lief, war es nur eine Frage der Zeit, bis mit Airport '77 ein weiterer Teil der beliebten Reihe folgte. Die Gemeinsamkeiten des auf deutsch Verschollen im Bermuda-Dreieck getauften Films mit seinem direkten Vorgänger, den Giganten, sind dabei unübersehbar. Wiederum steht eine Flugzeug-Katastrophe im Zentrum des Geschehens, wiederum gibt es ein Rennen gegen die Zeit, um Besatzung und Passagiere vor ihrem drohenden Ende zu bewahren und wiederum bekennt sich der Film klar als typischer Genre-Vertreter. Und dennoch: das Bermuda-Dreieck unterscheidet sich in einigen Dingen von seinem Vorgänger in nicht unbedingt zu erwartendem Maße.
Auffällig ist zunächst die vollständige Abwesenheit von rein humoristischen Szenen und Figuren. Gerade verglichen mit dem augenzwinkernden Exzentriker-Kabinett des Vorgängers kommt der 77er Serienbeitrag erstaunlich nüchtern daher. Airport '77 ist entsprechend ein sehr straighter und sich selbst ernstnehmender Film, der diesbezüglich weit mehr mit Filmen wie Die Höllenfahrt der Poseidon oder Flammendes Inferno gemein hat, die ebenfalls weitgehend auf Augenzwinkern und humoristische Einlagen verzichten, als mit seinen beiden direkten Vorgängern. Das ist per se sicherlich kein Makel (wie die beiden genannten Katastrophen-Klassiker beweisen), allerdings kann das Bermuda-Dreieck das Fehlen dieses gerade in den Giganten nicht unerheblichen Unterhaltungsbestandteils nicht vollständig kompensieren.
Dies liegt unter anderem auch daran, dass die Figuren dieses Mal ungewöhnlich oberflächlich ausgefallen sind. Sicherlich konnte auch Airport 1975 bereits das hohe charakterliche Niveau des Serienerstlings nicht mehr halten, aber dennoch gelang es dem Sequel seine Figuren effizient und nachhaltig dem Zuschauer nahezubringen (und sei es nur über den Freak-Faktor diverser Rollen). Beim Bermuda-Dreieck hingegen gibt es keine einzig halbwegs ausgearbeitete Figur. Schlimmer noch, der Film zeigt offensichtlich auch keinerlei Interesse daran seinen Charakteren auch nur einigermaßen Hintergrund und Tiefe zu geben. Praktisch allen Figuren gemein ist, dass sie mit einer kurzen Szene eingeführt werden mit minimalen Informationen zu ihrem Hintergrund und Dilemma und dass dies im Anschluss eigentlich nie wieder eine Rolle spielt. Diesbezügliches Paradebeispiel ist die Beziehung zwischen dem von Jack Lemmon gespielten Flugkapitän Gallagher und seiner von Brenda Vaccaro verkörperten Lebensgefährtin Eve. In ihrer ersten gemeinsamen Szene erfährt der Zuschauer, dass Eves Karriere der Vertiefung ihrer Beziehung im Wege steht. Weitere Infos über die Figuren und ihre Beziehung bekommen wir nicht, wie auch das hier eingeführte Dilemma im weiteren Verlauf des Films nie wieder aufgegriffen wird.
Und dieses Muster findet sich bei so ziemlich allen anderen Figuren: etwa dem Pärchen Olivia De Havilland und Joseph Cotton. Hier erfahren wir in der ersten gemeinsamen Szene, dass sie sich nach über 40 Jahren zum ersten Mal wiedertreffen. Eine Weiterführung davon gibt es anschliessend nicht, wie sich auch ihre Beziehung nicht weiterentwickelt. Ebenfalls fast schon drollig ist die figürliche Darstellung eines weiteren Pärchens: eine junge Kathleen Quinlan schmachtet in ihrer ersten gemeinsamen Szene den blinden Schmuse-Barden Tom Sullivan (sowas wie der männliche Nachfolger von Helen Reddy) beim Singsang einer schmalzigen Ballade an ("Beauty's in the eyes of the Beholder" - zwinkerzwinker, kapiert, ne? Er ist blind und so...). In ihrer zweiten gemeinsamen Szene schwören sie sich gegenseitige Liebe, Sullivan tätschelt der Quinlan das Gesicht, sie gibt ihm zum Dank ihren Ohrring und Tom geht daraufhin in die ewigen Jagdgründe ein. Genau so zeigt es uns der Film, ob sie vorher ein Paar waren oder die gute Kathleen beim Falsett-Geträllere sich direkt unsterblich verliebt hat - wir werden es nie erfahren. Ebenso wenig, warum ausgerechnet ein Ohrring ein Trost für einen Sterbenden sein soll.
Die einzige Ausnahme, wo Figuren ein klein wenig tiefer beleuchtet werden, ist die Beziehung zwischen Christopher Lee und Lee Grant. Hier macht der Film zumindest deutlich, dass beide sich voneinander entfremdet haben (angeblich weil Old Chris lieber zum Zeitvertreib den Welthunger bekämpfen will, indem er dem Meer Nahrung abtrotzen will (wtf?) statt seiner Gattin beim fröhlichen Zechen beizustehen). Die wahren Hintergründe dafür bleibt uns das Bermuda-Dreieck aber am Ende dann doch ebenfalls schuldig, aber immerhin wird diesen Figuren und ihrem Dilemma zumindest ein paar Szenen zugestanden.
Aber gut, man kann das dem Film vorwerfen (und irgendwo muss man es auch, weil er für diese oberflächliche Art der Figurenzeichnung dennoch erheblich Zeit aufwendet), andererseits setzt er von Anfang an aber auch ganz andere Akzente. So ist auffällig, dass im Bermuda-Dreieck die zur Katastrophe führende Schurkerei bereits sehr früh eingeführt und mit viel Zeit und Aufwand verfolgt wird. Geradezu akribisch folgt der Film den Vorbereitungen der Gangster und beobachtet sie bei jedem Schritt ihres ausgeklügelten Plans. Und hier weiss die Inszenierung von TV-Routinier Jerry Jameson durchaus mit einem gelungenen Spannungsbogen zu punkten. Auch die klaustrophobische Stimmung des unter Wasser gefangenen Flugzeuges wird gekonnt rübergebracht. Das inszenatorische Spiel mit dem sukzessiven Wassereinbruch sorgt dabei ähnlich wie die immer mehr die Kontrolle verlierenden Passagiere für die Art Nervenkitzel, die das Katastrophenfilm-Genre gemeinhin auszeichnet.
Des weiteren muss als Stärke des Bermuda-Dreiecks unbedingt die überzeugende Effektarbeit genannt werden. Sei es die Darstellung des durch die herrlich animierten Wolken unter dem Radar tieffliegenden Stevens-Jets, der Crash mit der Bohrinsel, die Notwasserung sowie das Sinken unter Wasser oder die finale Bergung mittels Luftkissen: alles wirkt bis heute erstaunlich überzeugend und ist sehr gut gealtert. Ebenfalls beeindruckend ist das aufgefahrene Navy-Schiffs- und Fluggerät, welches in Kombination mit den starken Effekten zum bemerkenswerten Scope & Scale des Films beiträgt.
Ein weiterer Punkt, in welchem sich Airport '77 von den beiden Vorgängern unterscheidet ist der Alphatier-Faktor (bzw. das weitgehende Fehlen eben dieses). Lancaster, Martin, Kennedy und Heston: sie alle spielten ihre Rollen als Testosteron-Übermänner, die über Zweifel und Scheitern erhaben waren. Im Bermuda-Dreieck finden sich solche Rollen hingegen nicht oder allerhöchstens in homöopathischen Dosen. Allein schon die Besetzung der Hauptrolle mit Jack Lemmon - noch dazu in der mit Abstand actionintensivsten Hauptrolle der gesamten Serie - ist verblüffend. Nun macht der legendäre Komödiant und Charakterdarsteller seine Sache durchaus gut und weiss vor allem dank vollen Körpereinsatzes in den Unter- und Im-Wasserszenen zu überzeugen. Dennoch ist sein Kapitän Gallagher trotz allen Einsatzes nicht der unfehlbare, unbeirrbare Figurentyp seiner Vorgänger. Am deutlichsten wird dies dadurch, dass er die der Katastrophe vorausgehende Entführung nicht verhindern kann und dies (nicht ganz zu Unrecht) im späteren Verlauf von Lee Grant auch vorgehalten bekommt (merke: Kinder uns Besoffene sagen immer die Wahrheit!). Und letztlich verkörpert Lemmon nun eben auch einen ganz anderen Typ als ein Heston oder ein Lancaster, auch schon rein physisch.
Noch deutlicher wird der fehlende Alphatier-Faktor an der zweiten männlichen Hauptrolle: dem philanthropischen, steinreichen Unternehmer Philip Stevens, gespielt von einem greisen und schlechtperrückten James Stewart, dem es obliegt die Rettungsaktion zu überwachen und zu steuern. Stewart ist eine Legende, ein ganz Großer - keine Frage. Aber hier wirkt er so alt und tatterig, dass man ihm seine Rolle des "Machers" einfach nicht mehr allen Ernstes abnehmen kann. Das hat dann in Kombination mit den wie bereits erwähnt schwach entwickelten Figuren den Effekt, dass die großen Stars hier bei weitem nicht so zur Geltung kommen und zur Qualität des Films beitragen wie in den Vorgängern. Schön sie an Bord zu haben, aber mehr als ihre Präsenz tragen sie (mit Ausnahme von Lemmon) nicht bei. Diesbezüglich bezeichnend ist natürlich auch, dass dieses Mal Airport-Faktotum George Kennedy alias Joe Patroni kaum mehr als einen Cameo-Auftritt hat und seine gesamte Tatkraft sich hier auf ein paar theoretische Tipps via Funk beschränken.
Und so ist es dann eben auch nicht verwunderlich, dass der dritte Airport-Film die hohe Qualität seiner Serienvorgänger nicht halten kann. In seinen besten Momenten weiss das Bermuda-Dreieck dabei allerdings durchaus zu überzeugen als erstaunlich aufwändiges und gut getrickstes Großkino, das gerade im Hinblick auf die Produktionswerte einen unerreichten Meilenstein innerhalb der Serie zu setzen weiss. Die oberflächlichen Figuren sowie das weitgehende Fehlen von humorvollen Auflockerungen und exzentrischen Nebenrollen fordern dagegen ihren Tribut vom Unterhaltungswert. Und es ist auch nicht zu übersehen, dass gerade in der zweiten Filmhälfte sich so die eine oder andere Länge einschleicht, die auch durch das massige Aufgebot an Navy-Gerät nur bedingt aufgefangen werden kann. Dennoch ist Airport '77 ein würdiger und letztlich auch typischer Vertreter der beliebten Airport-Serie und versteht sein Publikum durchaus auf angenehmem Niveau zu unterhalten. Und der Film hat nicht zuletzt auch die in meinen Augen fraglos beste Szene der gesamten Serie an Bord: wenn der zuvor so duckmäuserisch und phlegmatisch aufgetretene Christopher Lee im Angesicht der Katastrophe plötzlich energisch die Initiative ergreift und sich Captain Lemmon mit den unsterblichen Worten "Ich bin erfahrener Unterwasser-Sportler" freiwillig zum Selbstmord-Kommando aufdrängt. Was folgt ist Lees Auftritt im Muscleshirt der Marke Feinripp mit spindeldürren Armen, welche in deutlichem Kontrast zu seinem selbst angepriesenen angeblichen Status als Unterwassersportler stehen ebenso wie sein unfreiwillig komischer Abgang, wenn er unmotiviert die Flugzeugtür gegen den Kopf geschlagen bekommt. Immerhin: die Wasser-Leiche spielt Lee im Anschluss in zwei Szenen dann ausgesprochen überzeugend.
Wertung: 6,5 / 10
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"