Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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iHaveCNit: The 15:17 to Paris (2018)

Der 19.04.2018 war extrem vollgeladen mit Filmen, die ich sehen wollte. Im Kino habe ich „Lady Bird“ ; „Stronger“ ; „Roman J. Isreal Esq“ und „Solange ich atme“ gesehen. Doch an diesem Tag kam auch der neue Clint Eastwood-Film „The 15:17 to Paris“ in die Kinos. In meinen Augen darf man einer Legende wie Clint Eastwood auch den ein oder anderen Fehltritt durchgehen lassen, denn bei diesem hier ist Eastwood mit dem interessanten Konzept ein Risiko eingegangen, das sich nicht wirklich ausgezahlt hat.

Auf einer Zugfahrt am 21.08.2015 in einem Thalys zwischen Amsterdam und Paris gelingt es den drei gerade durch Europa reisenden US-Soldaten Spencer Stone, Alek Skarlatos und Anthony Sadler einen Amoklauf eines islamistischen Terroristen zu vereiteln.

Ich fand das Konzept des Films schon sehr interessant und es ist eine vollkommen riskante und mutige Entscheidung, dass die realen Helden von damals sich selbst spielen. Das ist zum einen authentisch und wir bekommen auch mal unverbrauchte Gesichter auf der Leinwand zu sehen, aber man spürt den ganzen Film über das schauspielerische Unvermögen der drei Herren. Da wäre es besser gewesen, wenn man Schauspieler gecastet hätte, die die Soldaten spielen, anstatt die Soldaten selbst schauspielern zu lassen Der Film ist mit 94 Minuten schon sehr kurz geworden, aber auch hier plätschert er mehr vor sich hin als dass er an Fahrt aufnimmt. Wir kämpfen uns durch eine vermutlich zu Teilen durchkonstruierte Biografie der 3 Herren, die als Außenseiter Freunde wurden und dann unterschiedliche Laufbahnen beim Militär gemacht haben sowie ihre Motivationen hierzu. Wir werden Zeuge der gemeinsamen Europareise, die nur bedingt notwendig ist, um die Geschichte des Films zu erzählen. Es dauert knapp über eine Stunde, bis sich die eigentlich wichtige Handlung und somit auch der Höhepunkt des Films entfaltet, die auch nur wenige Minuten andauert. Amerikaner lieben ihre Heldengeschichten und dieser Film liefert eine klare Botschaft: „Egal aus welcher Ecke du kommst und welche Voraussetzungen du mitbringst – du kannst alles schaffen und Heldentaten vollbringen.“ Da reicht es auch vollkommen aus, einfach irgendetwas schlimmes für das Land überlebt zu haben – wie Jeff Bauman, Überlebender des Bostonattentats, gespielt von Jake Gyllenhaal im Film „Stronger“, der zeitgleich gestartet ist. Dort hat man sehr tiefgründig und ausdifferenziert die amerikanische Glorifizierung der Helden dargestellt, wohingegen das ganze in „The 15:17 to Paris“ dann doch sehr oberflächlich und platt geworden ist. Und man darf nicht vergessen, dass das Nachspiel der Heldentat mit seinem Zusammenschnitt aus Original-Aufnahmen und gefilmten Beiwerk dann noch den letzten Funken manipulativen Patriotismus aus dem Film quetscht. Aber wenigstens hat der Film mich vielleicht für eine Zugreise durch Europa inspiriert.

„The 15:17 to Paris“ - My First Look – 5/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Two Mules for Sister Sara (1970, Don Siegel)

Irgendwann zwischen der Blaupause Coogan's Bluff und dem Feinschliff Dirty Harry hat das Gespann aus Actionregisseur Siegel und Superstar Eastwood noch diesen schmucken Western gedreht, in dem niemand geringeres als Shirley MacLaine eine ebenso taffe wie undurchschaubare Nonne spielt, die vom alten Clint in der mexikanischen Wüste von Banditen, Klapperschlangen und allerhand anderem Getier gerettet wird. Alsbald tuckert das ungleiche Gespann hoch zu Ross durch Mexiko, um die einheimische Armee zu unterstützen und den französischen Kolonialisten eins aufs Maul zu geben.

Die Geschichte ist eine köstliche Mixtur aus fidelem Kriegsabenteuer und etwas, das schon nahe an eine Screwball-Komödie grenzt. Wie sich MacLaine und Eastwood vor allem in der ersten Hälfte die Bälle zuspielen ist grossartig. Shirley gibt die mit allen Wassern gewaschene Nonne in allerhand nicht-nonnenhaften Tätigkeiten mit solch einem Esprit, dass man kaum glauben mass dass sie mit dem halben Set verkracht war. Clint dagegen steht auf der Schwelle zwischen Man with no Name und Josey Wales - ja, er unterscheidet sich nicht gross von seinen anderen Westerndarstellungen der 60er und 70er, aber ihm zuzuschauen wie er schiesst, raucht, spuckt, knurrt, reitet, die Augen zusammenkneift und mit Dynamitstangen hantiert ist einfach nur eine Wonne, erneut natürlich vor allem im ungewöhnlichen und oftmals sehr unterhaltsamen Wechselspiel mit MacLaine. Im zweiten Teil nimmt die Geschichte mit dem Handlungspunkt um den Rebellenangriff auf ein französisches Fort deutlich mehr die Züge eines Kriegsabenteuers an, was durch den fliessenden Übergang aber gut gelöst ist und in ein kurzes, aber sehr knackiges und äusserst heftiges Actionspektakel mündet.

Von Siegel gewohnt stylisch in pittoresken Scope-Aufnahmen der mexikanischen Wildnis inszeniert und von Morricone mit einem saucoolen Score irgendwo an der Schnittmenge zwischen Fistful of Dollars und Geheimnis der Handschuhe unterlegt hat mir dieser schräge Western, in Mexiko gedreht und teils nach Italien schielend, grossen Spass gemacht. Eine Art Kreuzung aus Josey Wales, Major Dundee, den Dollar-Filmen und klassischen Screwball-Elemente, dazu noch Cool Clint auf dem Höhepunkt seiner "Ich brauche gar nicht zu spielen, ich bin Dirty Harry auf einem Gaul und lass den Duke wie 'nen Opa aussehen"-Westernära. Super.

Wertung: 8 / 10
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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@Eric: Grandioser Kurztext, genauso (inklusive der 8er Note) sehe ich Two Mules for Sister Sara (dessen deutscher Titel übrigens auf trashige Art sehr schön ist) auch. Der Film macht einen doch klar bemerkbaren Bruch zu Beginn des letzten Drittels vom selbstironischen Western-Screwball hin zu einem doch auch grafisch harten Kriegsfilm, aber wie du völlig richtig anmerkst ist der Übergang überaus fließend und die Figuren auch liebenswert genug, dass diese "neue Ernsthaftigkeit" vollkommen funktioniert. MacLaine ist natürlich eine Augenweide, wird aber erst im Zusammenspiel mit dem gewohnt saucoolen Eastwood zu etwas besonderem und abgesehen von dem erstaunlich guten Pacing der Geschichte ist es - wie immer - Ennio Morricone und seine gewitzte wie absurd mitreißende Titelmelodie, die TMfSS zu einem sehr vergnüglichen Westernfilmabend werden lässt, die ich nach dem schmutzigen Harald ebenfalls für die zweitbeste Clint/Don-Paarung halte.
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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AnatolGogol hat geschrieben: 15. Januar 2019 14:22 Für mich sind die Maultiere nach Harry zusammen mit dem Knast die zweitbeste Clint/Don-Kollaboration. Übrigens: wunderbar formulierte Kritik, mein lieber GP - das liest sich wie irische Butter! :D
Gracias! Wie liest sich denn irische Butter?
Casino Hille hat geschrieben: 15. Januar 2019 14:50 @Eric: Grandioser Kurztext
Gracias!
Casino Hille hat geschrieben: 15. Januar 2019 14:50 Ennio Morricone und seine gewitzte wie absurd mitreißende Titelmelodie
Au ja, ein sicherer Kandidat für den besten Morricone-Score aller Zeiten! Nur - welcher Morricone-Score ist das nicht?



Ich habe noch ein paar wenige Clints auf Lager, bevor wir ihn in der inoffiziellen Sister Sara Fortsetzung (ohne Sara und mit nur einem Maultier) leider wohl ein letztes Mal auf der grossen Leinwand geniessen dürfen.
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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GoldenProjectile hat geschrieben: 15. Januar 2019 16:27Au ja, ein sicherer Kandidat für den besten Morricone-Score aller Zeiten! Nur - welcher Morricone-Score ist das nicht?
Korrekt, da könnte ich mich niemals entscheiden. Morricone ist und bleibt einfach der ungeschlagene Maestro der Filmmusik.

Und die Titelmusik von Two Mules for Sister Sara ist sogar so gut, dass sie auch heute noch immer wieder zitiert wird. U.a. in der jüngeren Filmgeschichte etwa von Quentin Tarantino in "Django Unchained" oder gar von Guy Ritchie in "Sherlock Holmes: A Game of Shadows". :D



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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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The Eiger Sanction (1975, Clint Eastwood)

Nach Siegels komödiantisch angehauchter Western-Übung nun also wieder ein Film mit Harry Himself hinter der Kamera. Clint spielt einen bergsteigenden, profi-killenden, Gemälde sammelnden Professor für Kunstgeschichte, der für eine geheime Regierungszelle arbeitet (bzw. gearbeitet hat, aber natürlich wieder zurückkehrt) und immer dort anzutreffen ist, wo die Post abgeht. Und wo geht die Post am meisten ab? Natürlich im Berner Oberland! Also kraxelt Clint munter die Eigerwand hoch, um einen Doppelagenten zu eliminieren, der wiederum einen seiner Leute eliminiert hat, und von dem nur bekannt ist, dass er an einem bestimmten Datum bei einer Bergsteig-Expedition anzutreffen sei. Ja ne, ist klar.

Die Geschichte, angesiedelt irgendwo zwischen James Bond und Rachethriller, ist manchmal etwas konfus und umständlich, uneingeschränkt Fahrt nimmt sie erst im letzten Drittel mit der titelgebenden Gipfelsteigung an. Man muss dem Film anrechnen, dass er versucht Handlung und Figuren mehr Tiefe zu geben durch persönliche Interessen und Motive, alte Freund- und Feindschaften die wieder ausgegraben werden und komplizierte Hintergründe über die faule Geheimdienstpolitik der konkurrierenden Weltmächte. Trotzdem hätte Clint die ersten beiden Drittel gerne etwas straffen dürfen, zum Beispiel den Subplot um Jack Cassidys spleenigen Klischeeschwulen mitsamt einem Hündchen namens "Faggot", der hauptsächlich dazu dient, noch mehr Hintergründe und vergangene Geschichten ins Geschehen mit einzuweben.

Begeisterung gibt's immer während der Bergsteigerszenen am Eiger oder in Arizona, vorstellbar als Kreuzung zwischen Everest und der Eröffnungsszene von Mission: Impossible 2. Eastwood übte seine waghalsigen Stunts in schwindelerregenden Höhen kurzerhand selber aus und filmt von weit und nah, von oben und unten um die gewaltigen Dimensionen der Kletterszenen ebenso sichtbar zu machen wie die klaustrophobische Enge der gigantischen Felswände. Häufig wechselt er sogar zwischen weit und nah innerhalb einer einzigen Einstellung, und dieser Clou verfehlt seine Wirkung kaum. Die Gefahr ist visuell jederzeit spürbar.

Ein guter, und bei genauerer Betrachtung sogar recht ambitionierter Topf aus Agententhriller, Bergsteigerfilm und Action-Ekstase, der nicht als Meisterwerk die Annalen der Filmwelt prägt und auch gerne etwas straffer und zielgerichteter hätte sein dürfen, aber durchaus einen Blick lohnt, und sei es nur für die sehr guten Kletterszenen.

Wertung: 6,5 / 10
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Ich seh Clints Kraxelfilm dann doch deutlich positiver, außer einem etwas entschleunigten Tempo sehe ich praktisch keine Negativpunkte. Die Grundprämisse von Film und Hauptfigur irgendwo zwischen James Bond, Indiana Jones und Luis Trenker ist so originell wie grossartig. Das genretechnische Wechselspiel zwischen Agententhrill und Bergsteigerabenteuer, welches effektiv durch die sehr unterschiedlichen Locations betont wird, harmoniert prächtig. Auch geniesse ich es Clint auch mal in einem etwas anderen Genre als dem Western oder Copfilm seine Paraderolle des wortkargen, ultracoolen Einzelgängers variieren zu sehen (Firefox wäre da der andere, allerdings in Summe doch nicht ganz so gelungene Präzedenzfall - aber strenggenommen spielt er da ja auch nicht den typischen Clint, sondern "wildert" figürlich mit seinem psychisch-angeschlagenen Vietnam-Veteranen im Drama-Genre). Clint war selten (oder nie?) cooler als hier wenn er Jack Cassidys Bodyguard erst Honig ums Maul schmiert, um ihm im nächsten Moment selbiges zu verbeulen oder wenn er Cassidys Pinscher nach Entledigung dessen Herrchens mit zeknittertem Gesichtsausdruck anzischt (wobei die Bemerkung erlaubt sei, dass „Pinselchen“ in der deutschen Synchro als Name des Kläffers dann wesentlich witziger ist als das plakative „Faggot“ im Original). Hinzu kommt eine ganze Reihe an sehr farbig gezeichneten Figuren, sei es der bereits erwähnte und zur Hochform als Klische-Tunte auflaufende Cassidy, der zwischen skurril, unheimlich und witzig hin- und herschwankende Obermotz Dragon, der servil-debile Pope oder der ebenfalls bereits angeführte tumbe Superbodyguard von Cassidy. Am liebsten mag ich aber George Kennedys leutselige Darstellung von Clints bestem Kumpel, vor allem da die Chemie zwischen dem jovial-gemütlichen Big George und dem knurrig-zynischen Clint einfach famos ist und man daher die Freundschaft der beiden von der ersten Sekunde an abkauft (was insbesondere hinsichtlich des abschliessenden Twists von enormer Bedeutung ist und diesem die notwenige Glaubwürdigkeit und Dramatik verleiht). Nicht zu vergessen natürlich gleich drei rauchend-heisse Grazien, die dem ollen Clint ordentlich den Kopf zu verdrehen wissen (oder auch nicht im Falle unserer Immenhof-Heidi). Man merkt schon, den Film mag ich einfach – und dabei habe ich noch nicht einmal die phänomenalen Actionszenen und Williams beschwingten 70s-Soundtrack erwähnt. :D
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Ich mochte den Film, aber denke er hätte davon profitiert, wenn er entweder etwas länger gewesen wäre (um die Hintergrundgeschichten und Charaktere mehr zu vertiefen und stärker in die Gegenwartshandlung einzubinden, und der finalen Auflösung mehr Gravitas zu verleihen, in der vorliegenden Version profitiert sie zwar von der Chemie zwischen Clint und George, leidet aber etwas unter der dramaturgischen Verwebung der Handlung) oder aber kürzer (um stärker als knalliges Bergsteig-Sanktions-Abenteuer zu funktionieren). In letzterem Falle müssten dann halt in meinen Augen Cassidys Tunterich samt Pinselchen (das ist wirklich besser als sein plumper und unlustiger Original-Name) weg, weil es als aus der Hintergrundgeschichte entwickelte Nebenhandlung eines der Elemente ist, welches zwar ambitioniert, im Gesamtkontext aber nicht vollständig ausgefeilt ist.

In ersterem Falle hätte ich auch gerne mehr vom suspekten Freytag, dem jovialen Meyer und dem verzweifelt nach Anerkennung suchenden Montaigne gesehen, um das Katz-und-Maus-Spiel am Eiger auch abseits der waghalsigen Kletterszenen noch spannender und vielschichtiger zu gestalten. Man merkt, ich halte den Film für voll bzw. überladen mit guten und interessanten Elementen, Handlungsbausteinen und Figuren, man hätte all dem nur noch gerechter werden, oder halt alternativ einen Teil davon opfern können.

Mal schauen, ob ich die beiden anderen Clints (einmal nur Darsteller, einmal Darsteller-Regie-Doppelpack) noch schaffe, bevor hierzulande das Maultier über die Leinwände galoppiert.
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