Dann will ich mal vorlegen...
Giganten am Himmel / Airport 1975 (1974) – Jack Smight
Vier Jahre sind seit dem sehr erfolgreichen ersten Airport vergangen. Wir schreiben das Jahr 1974 und befinden uns auf dem Höhepunkt der Katastrophenfilm-Welle der 70er Jahre. Denn 1974 ist nicht weniger als DAS Jahr des Katastrophenfilms. Hatte vor allem Ronald Neames mit allen Wassern gewaschener The Poseidon Adventure (einmal mehr bestätigt sich mit dem deutschen Titel „Die Höllenfahrt der Poseidon“ die These, dass deutsche Film-Benamsungen einfach viel glorreicher sind) 1972 das Genre endgültig definiert, so wusste 1974 mit nicht weniger als drei absoluten Klassikern des Genres zu wuchern: The Towering Inferno/Flammendes Inferno von John Guillermin, Earthquake/Erdbeben von Mark Robson und natürlich der vermutlich quintessenzielle Flugkatastrophen-Film überhaupt, das legendäre Airport-Sequel mit den logischen Titeln Airport 1975 bzw. Giganten am Himmel.
Und gigantisch ist der Film dann auch tatsächlich in vielerlei Hinsicht. Erneut teilt der Film die figürliche Grundprämisse seines Vorgängers: auch hier müssen sich wieder zwei absolute Alpha-Viecher in Mitten einer Katastrophe der Lüfte mehr um ihre Holden kümmern, als ihnen lieb ist – gleichwohl die Gewichtung innerhalb des Films hier deutlich zu Gunsten des katastrophalen Elements ausfällt. Denn genauso desinteressiert wie sich Hollywood-Ikone Charlton Heston in seiner Rolle als Cheffluglehrer Alan Murdoch an den Beziehungs-Befindlichkeiten seiner von New Hollywood-Star Karen Black gespielten Freundin zeigt (legendäres Zitat von Chuck gleich zu Beginn des Films: „willst du mir wieder mal den alten Psalm vorbeten?“), so wenig Zeit nimmt sich der Film dann auch, um diesen Subplot weiter zu vertiefen. Ja, die beiden haben ihren Beef, aber am Ende spielt das alles keine Rolle mehr, wenn Old Chuck als Testosteron-Teufelskerl sein „Schätzchen“ und gleich noch eine ganze 747 mit rustikal-maskulinem Charme auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat.
Ähnlich verhält es sich bei Joe Patroni, einmal mehr bewundernswert-kernig von George Kennedy zum Besten gegeben. Dieser hat genau wie Murdoch ebenfalls Probleme mit seinem weiblichen Anhang, da ausgerechnet seine Frau Helen samt Filius Joe Jr. an Bord der führerlos dahin schwebenden 747 sitzen und drohen aus allen Wolken zu fallen. A propos - was aus seiner im ersten Airport angetrauten Mary und den anderen seiner Kinder geworden ist, darüber kann nur spekuliert werden. Ebenso, warum ausgerechnet das Mechaniker-As Patroni es mittlerweile zum Vizepräsidenten einer Fluglinie geschafft hat. Da sich Old Patroni aber typbedingt eh nicht lange mit vizepräsidialem Kokolores aufhält und stattdessen in bekannter Manier lieber tatkräftig die Dinge selbst in die Hand nimmt, spielt das alles am Ende auch keine wirkliche Rolle. Jedenfalls lässt sich Patroni auch von einigen kurzen sentimentalen Anwandlungen (etwa im Zwiegespräch mit seiner Frau via Funk) nicht von seiner eigentlichen Forte abhalten: auf die schlecht stehenden Chancen zu pfeifen und aufs Geratewohl hin loszulegen. So ist dann vor allem eine Szene bezeichnend für die ganze Patroni-Figur, nämlich wenn er am Ende auf dem Dach eines Rettungsfahrzeugs in voller Fahrt der landenden 747 hinterher rast.
Genauso mit breit geschwellter Brust wie die beiden Hauptdarsteller agiert dann auch der von Jack Smight souverän in Szene gesetzte ganze Film: zu keinem Zeitpunkt wird auch nur der Hauch eines Zweifels aufkommen gelassen, dass der Film nicht genau wüsste, was er will. Entsprechend zielgerichtet entwickelt sich die Handlung auf die bereits früh eintretende Katastrophe hin und zelebriert im Anschluss dann förmlich die sich daraus ergebenden Kalamitäten und Herausforderungen. Subplots und Figuren werden hier dann auch eher zweckdienlich eingesetzt, das aber durchaus versiert. Denn zum einen steigert der farbige Auflauf einer ganzen Armee an figürlichen Exzentrikern den Unterhaltungswert des Films in enormem Maße und zum anderen bieten die Giganten am Himmel hier und da auch unerwartete charakterliche Nuancen. Ein diesbezügliches Paradebeispiel ist die figürliche Einführung des unglücklichen Beechcraft-Piloten Scott Freeman. In mehreren kleinen Szenen wird uns diese Figur nahegebracht, etwa im Kreise seiner Freunde, im liebevollen Gespräch mit seiner Frau oder wenn er seine beruflichen Sorgen mit dem Publikum teilt. Diese vergleichsweise kleinen Szenen sorgen für eine erstaunliche Bindung an die Figur, welche sich beim katastrophalen Crash dann insofern reüssiert, da man nicht nur schockiert ist von den Folgen des Zusammenstoßes, sondern auch in gewissem Maße berührt von Scotts tragischem Schicksal. Klar, der Film hält sich auch damit nicht lange auf, aber immerhin wird die tragische Komponente hier (wie auch später, wenn Scotts verzweifelt zurückgebliebene Ehefrau ausgerechnet von Larry Storchs Journalistenkanaille ausgenutzt wird) effektiv bedient.
Hinzu kommt ein durchgängig hohes Spannungsniveau und teilweise atemberaubende Luftaufnahmen. Bei letzteren ragt dabei fraglos der Umstieg des Piloten von einem Düsen-Heli in das derangierte 747-Cockpit heraus. Auch wenn dabei einige der Rückprojektion-Einstellungen etwas allzu statisch wirken, die real gedrehten Aufnahmen des mittels Kabels abgeseiltem Piloten sind spektakulär und werden von Smight effektiv mit den Studio-Einstellungen des Cockpits vermengt. Überhaupt kann man dem Film handwerklich wenig vorwerfen und er wirkt auch stilistisch - obwohl nur vier Jahre jünger als Airport - ein ganzes Eck moderner als sein Vorgänger und auf der Höhe seiner Zeit. War der Erstling in vielen Dingen noch unverkennbar ein Kind der (vergangenen) 60er, so ist man hier fraglos in den 70ern angekommen. Wenig getan hat sich hingegen beim hier sehr offensiv zur Schau gestellte Männer- und Frauen-Bild. Das Männer-Bild wird dabei natürlich weiterhin wesentlich von den entschlossen-tatkräftigen Hauptdarstellern geprägt. Beim Frauen-Bild könnte man auf den ersten Blick der Illusion verfallen, dass hier mit der Chefstewardess, die allein die pilotenlose 747 wie auch die zusehends dem Wahnsinn entgegen irrlichternden Passagiere irgendwie managen muss, eine starke Frauenrolle im Zentrum des Films steht.
Das ist aber in der Tat nur auf den ersten Blick so, denn recht schnell wird klar, dass Karen Black mit ihrem hinreissenden Silberblick eben doch nur die damsel in distress zum Besten geben darf, die am Ende von Old Chuck gerettet werden muss, nachdem sie sich vorsichtig ausgedrückt zuvor auch nicht immer so ganz kompetent und als Frau der Lage erwiesen hat (Stichwort: wohin mit den Konsolentrümmern? Und überhaupt was ist bitte eine Konsole?

). Dieses weitgehend unselbständige Frauen-Bild zieht sich dann auch durch so ziemlich alle anderen weiblichen Rollen, sei es die junge Stewardess, die ausgerechnet die sie permanent anzüglich anbaggernde Piloten-Crew anhimmelt. Oder die pflichtbewusste Nonne, die vom „echten Leben“ aber keinen Schimmer hat. Oder Patronis Angetraute, die eigentlich nur diese eine Funktion im Film hat – eben Patronis Angetraute (und Mutter seines Sohnes) zu sein. Oder die sich mal wieder über ihre Beziehung zu Cecil B. DeMille definierende Gloria Swanson, die mit ihren ollen Kamellen allen auf die Nerven geht. Die einzige weibliche Figur, die nicht die typische, ihr zugedachte Geschlechterrolle verkörpert ist die von Myrna Loy gespielte saufende ältere Dame Miss Devaney – aber auch diese gegen den Geschlechterstrich gebürstete Rolle dient am Ende dann lediglich zu humoristischen Zwecken. Wobei diese heute durchaus etwas anachronistisch wirkenden Geschlechterbilder den Spass in keinster Weise mindern. Im Gegenteil sogar! Denn Giganten am Himmel ist eben auch eine gigantische Zeitkapsel, die recht eindrucksvoll widerspiegelt, wie man im Jahr 1974 gelebt und gedacht hat – jedenfalls wenn man Drehbuch und Produktion dieses Films zu verantworten hatte.
Und genau wie im Erstling steht der Spass auch bei diesem Film im Zentrum. Denn das Spiel mit dem Nervenkitzel in Form einer filmischen Achterbahnfahrt ist fraglos der eigentliche Kern von Giganten am Himmel. Ein besonders hohes Tempo legt der Film dabei – wiederum in Analogie zum Vorgänger – keineswegs an den Tag. Besonders sein Publikum zu überraschen vermag der Film dann auch nicht. Aber dafür liefert er genau das, für was die Zuschauer ihre Karte gelöst haben: um beim Spektakel dabei zu sein und zuschauen zu dürfen, wie sich erwachsene Männer und Frauen im Angesicht einer Katastrophe entweder zum Narren machen oder eben als Giganten am Himmel erweisen.
Wertung: 8 / 10
P.S.: Junge, Junge, wird an Bord der Red Eye Special gepichelt. Was da an Alkohol weggebechert wird, das macht jeder gut laufenden Kneipe alle Ehre. Lustig auch, wie Scotts Kumpels ihm kurz vor Antritt seines verhängnisvollen Fluges noch den Flachmann anbieten (auch wenn Old Scott ihn wenig kameradschaftlich ablehnt). Und dabei ist dieses mal die hochprozentige Legende Dean Martin ja gar nicht als Kapitän mit an Bord...
P.S.2: Unser aller Lieblings-Exzentriker, der von Sid Caesar gespielte, allen anderen Passagieren ungefragt seinen verbalen Senf zumutende Barney, erzählt Miss Devaney, dass ihm der Produzent des Films, in welchem er als Statist dabei war, bei seinem nächsten Film eine grössere Rolle versprochen hat (wen wundert es angesichts Barneys während der Katastrophe eindrucksvoll zur Schau gestellter mimischer Fähigkeiten). Nun, der Film, der an Bord gezeigt wird ist American Graffiti und dessen Produzent bekanntlich Francis Ford Coppola. Bleibt lediglich die Frage offen, welche grössere Rolle in Apocalypse Now Francis dem guten Barney zugedacht hat...
P.S.3: Linda Blair spielt in den Giganten ja praktisch die gleiche Rolle wie ein Jahr zuvor in Friedkins Exorzisten. Gut, natürlich minus Pazuzu-Besessenheit, aber ansonsten wird auch hier wieder an das Mitleid des Zuschauers für das arme, kranke, unschuldige, junge Mädchen appelliert. Wobei man sich durchaus die Frage stellen kann, ob die Gitarre-spielende, Folksong-schmetternde lustige Nonne Helen Reddy vielleicht am Ende nicht sogar besser zur Teufelsaustreibung geeignet gewesen wäre als die Padres Merrin und Karras. Jedenfalls macht der Film unmissverständlich klar, dass Reddys Singsang auch den stärksten Gegner an den Rand des Deliriums bringt: so fühlt sich eine Stewardess nach gefühlt stundenlanger Reddyscher Folksong-Trällerei genötigt dazu die augenscheinlich völlig entkräftete Blair-Mutter nach ihrem Befinden zu fragen, während Linda herself widerstandslos am Wegknacken ist...
P.S.4: A propos Gitarre: Linda Blair ist wohl die einzige Person weltweit, die einen Sechssaiter als Kuscheltier-Ersatz missbraucht. Jedenfalls spielt sie den ganzen Film über keinen Ton, geschweige denn einen Akkord auf dem Instrument und drückt es stattdessen zweckentfremdend als hölzernes Stofftier fest an sich. Ist ja auch ungeheuer kuschelig, so eine Klampfe...
P.S.5: Einer der denkwürdigsten Giganten ist fraglos der via Telefon konsultierte Transplantations-Doktor. Die ganze Szene ist so schreiend schlecht, dass sie 1:1 aus Airplane sein könnte. Wenn der gemütliche Onkel mit seiner dicken Hornbrille in seinem 70er Jahre-Polyester-Anzug vor einer Wand voll mit Diplomen im jovialen Plauderton den Columbia-Lakeien und damit das Publikum über den Ernst der Lage rund um das arme, kranke, unschuldige, junge Mädchen aufklärt könnte ich mich jedes Mal wegwerfen vor Lachen ("Wie geht's?" "Viel Arbeit, wie gewöhnlich!"). Nie war ein dramaturgisches Ausrufezeichen so unterhaltsam wie in Form unseres Hornbrillen-Docs.