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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Misery
Gibt es einen größeren Gegensatz als zwischen Literatur und Film? Allzu gerne wird angenommen, zwischen diesen beiden Meiden gäbe es nur wenig Unterschiede. Und so kommt es auch regelmäßig dazu, dass bei Verfilmungen von Bestsellern die Fans direkt laut aufschreien und sich über Änderungen, Kürzungen oder Abweichungen aufregen, ohne zu berücksichtigen, dass ein Buch ganz anderen Regeln folgt als die filmische Umsetzung. Ein guter Dialog in einem Roman kann eben in einem Film ganz furchtbar langweilig wirken und umgekehrt. Worauf es wirklich ankommt, ist doch, den Geist der Vorlage so getreu wie möglich zu übermitteln und im neuen eigenen Werk zu verpacken. Regisseur Rob Reiner stand 1990 bei seiner Verfilmung eines Stephen King Romanes vor genau dieser Aufgabe und bewies, dass eben genau das, also die originalgetreue Umsetzung ohne exakte 1:1 Umsetzung hervorragend funktionieren kann, wenn man weiß, was man übernehmen kann und was einer Anpassung bedarf.
"Misery" stellt drei Charaktere wesentlich in den Vordergrund. Genauer gesagt, könnte drei Charaktere in den Vordergrund stellen. Die Geschichte handelt schließlich vom Schriftsteller Paul Sheldon, welcher der psychopathischen Krankenschwester Annie Wilkes ausgeliefert ist und zusätzlich von der Suche nach Paul durch den Sheriff McCain. Reiner macht jedoch bei seiner Adaption recht schnell klar, dass ihn vor allem die ersten beiden Lager interessieren und so legt er das Hauptaugenmerk auch ganz allein auf Paul und Annie. Das ist gleich zu Beginn etwas schade, denn grade die Geschichte des Sheriffs, welcher hier sehr eindimensional gezeichnet wird, hätte Potenzial gehabt, Annie etwas mehr Hintergründe zu verleihen, doch im Verlauf merkt man, dass es auch ohne diese funktioniert. Genauso, wenn nicht noch bedauerlicher erscheint auch, dass mit Marc Shaiman eindeutig der falsche Komponist gewählt wurde. Sein Soundtrack weiß langezeit gar nicht, was er eigentlich mit den Bildern anfangen soll, mal wird der Horror geschickt verstärkt, mal wirkt es gar so, als wolle er ihn sogar ein wenig abschwächen, seine Grausamkeit zumindest abmindern. Hinzu kommt, dass die Regie häufig auf extreme Weitwinkel setzt, um die Klaustrophobie des Protagonisten zu betonen und damit auf das konventionellste Mittel zurückgreift, dass nur denkbar wäre. Hier fehlt "Misery" häufig der Mut und das Können zum Wagnis. Mehr noch könnte man beinahe sagen, fehlt es der Regie in diesen Punkten an Kraft und Raffinesse.
Viel besser gelingt es Rob Reiner hingegen, dass zu erzählen, was für ihn Priorität hat: den Zweikampf seiner Hauptfiguren. Ob es nun ganz allein an der Romanvorlage liegt oder das Drehbuch von William Goldman das besondere Etwas hinzufügte, es erscheint als eigentlich unerheblich, wenn man sieht, wie wunderbar dieser Teil der Handlung erzählt wird. Sehr treffend verpackt gelingt es in "Misery", Horror im alltäglichen Leben zu zeigen, in dem am Anfang eine ausweglose, aber angenehme Situation geschaffen wird, die dann immer mehr einzubrechen scheint. Noch besser ist nur, wie dann auch noch im späteren Verlauf ein Spiel mit den Erwartungen des Zuschauers getrieben wird. Immer wieder wird bewusst Intensität aus dem Grauen genommen, nur um in der nächsten Szene umso heftiger erneut aufzukommen. Auch wenn am Ende der Bogen damit etwas überspannt ist, funktioniert dies erstaunlich zielgerichtet und verfehlt seine Wirkung beinahe nie. Dazu trägt auch bei, dass die beiden Charaktere Annie Wilkes und Paul Sheldon toll geschrieben sind und ein paar schöne Dialoge mit einander teilen. Dass der Schriftsteller erst durch seine charakterliche Entwicklung vom selbstverliebten Autor zum findigen Überlebenskämpfer zum Sympathieträger führt, ist dabei genauso erfrischend, wie das Mysterium um seine verrückte Kidnapperin.
Folgerichtig also, dass Reiner alles daran setzt, seine beiden Hauptdarsteller passend in Szene zu setzen. James Caan gibt in der relativ bewegungslosen Rolle sein bestes und hat durchaus ein paar große Momente, verblasst aber nahezu neben dem, was Kathy Bates präsentiert. Gerade in der Annie-Figur liegt schließlich ein schmaler Grad zwischen einer zu zurückhaltenden Performance und völlig überzogenem Overacting, doch Bates findet den perfekten Mittelweg, diese recht komplexe Frau so diabolisch und doch menschlich wie möglich, denn nur dann wirkt der Horror schließlich, darzustellen. Ihr ist es dann auch zu verdanken, dass eindrucksvolle Szenen wie die Zertrümmerung von Pauls Fußgelenken, dass abendliche Dinner und der heftige Schlusskampf ihre Wirkung erhalten, wenn sie unkontrolliert zu schreien beginnt oder ihren beängstigenden Blick aufsetzt - die etwas einfallslose Regie allein wäre da wohl nicht unbedingt ausreichend gewesen.
Fazit: Filmisch gesehen ist "Misery" bestenfalls passabel inszeniertes Drama. Souverän erzählt, inhaltlich interessant, aber zu konventionell und zu brav an den Richtlinien des Spannungskinos entlang dargestellt. Witzigerweise schien sich Rob Reiner dieses Umstandes aber wohl selbst bewusst gewesen zu sein, setzt er doch vollständig auf das Spiel seiner beiden Stars, die ihn dafür mit vorzüglichen Leistungen belohnen und beide um ihr Leben zu agieren scheinen. Kathy Bates sticht dabei derartig heraus, dass man allein ihretwegen jeder Zeit bereit wäre, ein zweites Mal mit Paul in die düstere Hütte im Schnee zu gehen. Schauspieler und ihre Zusammenarbeit sind eben eines der großen und wichtigen Elemente, auf dass kein Autor zurückgreifen kann. Während die Charaktere dort für sich allein stehen müssen, reicht dies in einem Film nicht, wenn niemand da ist, der dem ganzen Leben verleiht. Und - so ironisch es auch ist - stellen sich gerade in "Misery" die Darsteller als das Herzstück der Inszenierung heraus.
7,5/10
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Let the sheep out, kid.