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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
The Island - Die Insel
Wenn man zu den Großen in Hollywood gehört, dann erarbeitet man sich auch immer einen gewissen Ruf. Der von Regisseur Michael Bay ist dabei im Vergleich ein eher zweifelhafter. Trotz mehrerer erfolgreicher Blockbuster und einer nicht gerade kleinen Fangemeinde im Bereich des Actiongenres, wird er von Kritikern regelrecht gehasst und seine Filme werden regelmäßig in der Luft zerrissen. "Stumpfsinnig", "albern", "sexistisch", "oberflächlich", und mit vielen weiteren ähnlich schmeichelhaften Begriffen werden seine Werke oft bezeichnet und das sicherlich nicht immer ganz zu Unrecht. Ein Großteil seiner Filmografie ist in der Tat so anspruchslos, wie ein Kinofilm auch nur sein kann und allerhöchstens in optischer Hinsicht eindrucksvoll. Und so erwartete auch kaum jemand etwas anderes, als 2005 unter seine Führung der Sci-Fi-Actionstreifen "The Island - Die Insel" in den Kinos anlief. Doch eines und das mussten später selbst die größten Bay-Hasser zugeben, ist dieser Film ganz sicher nicht gewesen: Zu erwarten!
Natürlich sollte man vorab nicht zu viel erwarten. "The Island" ist ein Film von Michael Bay und das sieht man auch. Will sagen, es gibt mehrere große Actionsequenzen, die nicht nur bildgewaltig inszeniert sind, sondern vor lauter Bombast den Rahmen an der einen oder anderen Stelle sogar zu sprengen drohen. Filmkenner wissen, dass wenn Bay einmal richtig loslegt, er so schnell nicht wieder aufhören kann. Die Verfolgungsjagden und davon gibt es insgesamt 2 sehr lange und aufwendige, sind dementsprechend auch völliges Over-the-top-Kino, in dem kein Stein auf dem anderen bleibt. Dies muss man natürlich mögen und selbst dem ein oder anderen Actionfan kann es hier mitunter zu viel werden, aber handwerklich sind diese Szenen absolut top und Bays Inszenierung ist packend, ergreifend und aufregend. Nah an den Protagonisten gefilmt, der Einsatz von Zeitlupen, viele Zooms, willkürlich wirkende, aber präzise gesetzte Kameraschwenks und noch vieles mehr gehört zu seinem Repertoire und es ist auch beim mehrfachen Sehen immer noch effektiv und zielgerichtet. Soweit ist das alles das, was man bereits vorher eigentlich erwarten konnte. Das spannende an "The Island" ist dann aber vor allem etwas, was für einen Bay-Film absolut untypisch ist. Die Handlung.
Und hier muss man lobend anerkennen, dass man sich wirklich Gedanken gemacht hat. Die gar nicht einmal so weithergeholte Geschichte von Klonen im Wert von 5 Millionen Dollar als menschliche Ersatzteillager, die im Geheimen von einem Konzern unter der Erde gezüchtet werden, ist ebenso erschreckend, wie grausam und wird in den ersten 60 Minuten von Bay sehr behutsam aufgebaut, folgt dabei immer einer inneren Logik und wird sorgsam entwickelt. Die Klon-Thematik dient dabei nicht einfach nur als Aufhänger, sondern steht wirklich im Mittelpunkt des Interesses und ist ebenso spannend wie zum Nachdenken anregend. Für ihr Drehbuch können sich daher die Autoren Caspian Tredwell-Owen, Alex Kurtzman und Roberto Orci gehörig auf die Schulter klopfen, denn dieses findet stets genau den richtigen Mittelweg zwischen Aufklärung und Mysterium, Beschleunigung und Entschleunigung und unter Bays souveräner Regie geht dieses Zusammenspiel dann umso besser auf. Kein Wunder, dass diese Mischung einige Topstars angelockt hat. Ewan McGregor überzeugt in der Rolle des neugierigen Klons Lincoln Six-Echo mit Charisma und einer gewissen Leichtfüßigkeit und schafft es zudem, einen subtilen trockenen Humor über die gesamte Laufzeit aufrecht zu erhalten und funktioniert später beinahe ebenso gut, wenn er sein "menschliches" Gegenstück darstellen darf, welches um einiges schleimiger und verlogener daher kommt. Seiner Filmpartnerin Scarlett Johansson gelingt es dafür ebenfalls hervorragend, der anfänglichen Naivität ihrer Figur langsam ein aufgeklärteres Verhalten weichen zu lassen. Djimon Hounsou und Steve Buscemi überzeugen in clever arrangierten Nebenrollen, während Sean Bean leider nur einen Standardbösewicht spielen darf.
Optisch ist "The Island" allerdings ein Augenschmaus, von der 25 Millionen teuren futuristischen Yacht über die Luxusvilla oder die aufwendigen Sets für die Beheimatung der Klone, alles ist überlebensgroß, aufwendig und extravagant. Besonders gefällt dabei das Spiel mit den Farben, wenn die Klontürme noch in klassischen Schwarz-, Weiß- und Grautönen gehalten sind, bis sich dann in der freien Welt die volle Farbenpracht entfalten darf. Das ist nicht nur intelligent gemacht, sondern ein Fest für die Sinne und eine tolle Idee sowieso. Einen Vorwurf muss Bay sich dann aber dennoch gefallen lassen, denn man wird kaum wegdiskutieren können, dass "The Island" sich wie eine zweigeteilte Angelegenheit anfühlt. Besonders deswegen, weil nach der ersten Stunde das Tempo extrem anzieht und die zweite Hälfte einem regelrechten Actionoverkill nahe kommt, der im direkten Kontrast zur ruhigen Stimmung davor steht. Warum anders als bei Bays sonstigen Filmen dies aber hier kaum stört, liegt eben vor allem daran. Während der Zuschauer sich in anderen Actionfilmen oft von den visuellen Eindrücken erschlagen fühlt, ist er hier perfekt an die Protagonisten gebunden und gerät mit ihnen in diese furchtbare Situation. Dabei täuscht die Regie, besonders im viel zu einfältigen Showdown, natürlich zu keiner Sekunde vor, mehr bieten zu wollen, als einen hochspannenden Actionthriller im Sci-Fi-Gewand mit etwas Tiefgang, aber wenn die Paarung so gelungen aufgeht, wie hier, lassen sich kleine Schwächen sicher verschmerzen.
Fazit: Die anspruchsvolle Hintergrundgeschichte um die Ausbeutung von geklontem Leben und der Wichtigkeit von menschlicher Neugier ist nicht Michael Bays Hauptanliegen. Sein Augenmerk liegt auf großspurigen Actionszenen und wem diese im Weg sind, der sollte um "The Island - Die Insel" einen großen Bogen machen. Insgesamt jedoch bleibt überraschenderweise festzustellen, dass diese beiden unterschiedlichen "Filme", die hier fusioniert worden, erschreckend gut miteinander harmonieren und so ein Sci-Fi-Film der besonders gelungenen Sorte entstanden ist, in dem beinahe alles stimmt. Eine einzige letzte kleine Frage weht dafür allerdings hin und wieder durch die Trümmer zerstörter Werbetafeln und explodierter Autoteile: Hätte ein Regisseur von einem anderen Kaliber vielleicht sogar noch mehr rausgeholt?
8,5/10
Zuletzt geändert von
Casino Hille am 24. Oktober 2014 23:32, insgesamt 2-mal geändert.
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