Casino Hille hat geschrieben: 29. November 2022 02:29
Ich mag "Schindlers Liste" auch nicht sonderlich (ich bevorzuge "Der Pianist"), aber letztlich ist es doch ganz einfach: Michael Haneke könnte fünfhundert Holocaust-Filme drehen und würde damit nie das Publikum erreichen und berühren, das von einem Steven Spielberg erreicht und berührt wird. Das muss man neidlos anerkennen - und ja, das ist für sich genommen auch ein großer Verdienst. Ansonsten denkst du mir zu sehr in Kategorien, die es so meines Erachtens nicht gibt. Spielbergs Filme sind perfektes Handwerk, aber keine Filmkunst? Wer entscheidet das? Er macht Unterhaltungsprojekte, statt den intellektuellen Zugang zu wählen. Da bin ich bei dir. Aber über mehrere Jahrzehnte ein riesiges Publikum zu unterhalten, zu begeistern und zu inspirieren und damit sowohl den Massengeschmack als auch die Popkultur als Institution nachhaltig mehrfach (!) zu prägen und mitzudefinieren, soll keine Kunst sein? Das finde ich persönlich elitär gedacht. Vielleicht meinst du es anders - oder wir haben da eben unterschiedliche Auffassungen. So oder so wirst du Spielberg in meinen Augen damit sehr viel weniger gerecht, als ich es Haneke mit dem Begriff "Laber-Kino" geworden bin. Ich mag von Haneke übrigens "Das weiße Band" sehr, bin also dem Ösi nicht zwingend negativ gegenüber eingestellt (obwohl er mit "Funny Games" einen meiner Hassfilme verbrochen hat - zugegebenermaßen hat Opa Steven das mit "Der Soldat James Ryan" allerdings auch).
Ich trenne da nicht und empfinde es kaum als sinnvoll. Für mich kann das Erlebnis bei "Der weiße Hai" genauso groß sein wie bei "Der Pate" und "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" ist nicht mehr oder weniger wertvoll als "2001: Odyssee im Weltraum" in meiner persönlichen Ansicht, nur weil der eine "Kommerz" ist und der andere vermeintlich "Kunst". Das Medium Film ist viel zu vielfältig, um in solchen Schubladen zu denken und daraus "Gütesiegel" abzuleiten.
Ich definiere Kunst als etwas, das über das reine Vermitteln von Informationen und Inhalten hinaus auch die eigene Form reflektiert, und dadurch einen Dialog zwischen Werk und Rezipient*in zulässt. Im Idealfall verändert ein Werk den Blick auf Sachverhalte oder die Gattung/das Genre aus dem es kommt. Das lässt sich auf bildende, filmische, musikalische, etc. ... Kunst übertragen.
Ob es dann gefällt oder nicht, hängt von ganz subjektiven Faktoren ab, die letztlich mehr über das Empfinden der Rezipient*innen aussagen als über die Werke, oder die Intensionen der Urheber*innen. (Edit - habe den Satz umgebaut)
Worin diese Einstellung jetzt in irgendeiner Form „elitär“ sein soll, verstehe ich nicht, aber das können Außenstehende mit Sicherheit sehr viel besser einschätzen als man selbst

. Hätte damit eigentlch auch kein Problem, bewege ich mich schließlich auch unter anderem in „elitären“ Kreisen, oder Kreisen, die es gerne wären, was mit Sicherheit abfärbt.

Ich finde es nur amüsant, dass du mir Schubladendenken attestierst, aber im selben Atemzug eine eiltäre Haltung hinter meinem Post zu erkennen meinst, und somit exemplarisch vor Augen führst, wie sehr wir Menschen nunmal dazu neigen, in Kategorien denken - ob wir es nun beabsichtigen oder nicht.
Aber das ist nicht so schlimm, solange diese fluide genug bleiben um auch Umdenken und Entwicklungen zu ermöglichen.
Falls du deinen letzten Satz mit Gütesiegel auf das beziehst, was ich zu Haneke und Filmkunst geschrieben habe, so kann ich dir versichern, dass ich keinen besonderen Gefallen daran empfinde, Filme mit irgendwelchen Prädikaten zu versehen, oder Einteilungen vorzunehmen.
So vergebe ich in den meisten Fällen auch keine Punkte oder Sterne bei Rezensionen, sondern hebe stattdessen jene Aspekte hervor die mir gefallen/missfallen.
Und mir gefällt auch allerhand „Schund“, der sich auch als solchen ausgibt.
Mit Sicherheit hätte Haneke im Falle eines Holocaustfilmes nicht mit derselben Infrastruktur zu rechnen wie Spielberg, dem auch 1993 mehrere Produktionsfirmen und Anteile an großen Konzernen gehörten, der schon damals eine unglaubliche Macht auf die US-Filmindustrie auszuüben vermochte und sich auch die besten Slots für seine eigenen Produktion und die Produktionen seiner Freunde sichern konnte.
Somit würde Haneke natürlich weniger Menschen erreichen, das ist aber ein Problem des Dispositivs und nicht des Diskurses. Es ist eben leichter ein Produkt zu vermarkten, das Fragen beantwortet, als eines, das Fragen aufwirft.
Dir gefällt Das Weiße Band - mir auch, sehr sogar. Da hast du es ja - das ist eigentlich Hanekes Beitrag zum Thema Holocaust (u.a. denn der Film lässt sich auf jede Form von Indokrnierung durch eine Ideologie und damit einhergehende Konsequenzen übertragen). Haneke hat den Zeitraum der Handlung ja nicht willkürlich gewählt, werden die Kinder in den 30er Jahren schließlich jene sein, die die Nationalsozialisten stark machen, sich ihnen gar anschließen und wegschauen werden, wenn sie nicht sogar selbst Verbrechen begehen, das reproduzieren werden, was ihnen durch ihre brutale Erziehung zu Teil wurde. Das, was Hanekes Film so wertvoll und in meinen Augen auch künstlerisch gehaltvoll macht, ist die Ambivalenz mit der er sich dem Thema annähert. Keine Figur ist hier eindimensional, keine Sachverhalt „einfach“. Hier lässt sich ein wahres Bestreben nach Austausch erkennen, verlässt sich Haneke in erster Linie auf die Kraft der Suggestion um seine Geschichte zu erzählen.
Haneke würde von vornerein nicht auf die Idee kommen ein KZ, oder Vernichtungslager, also ein Ort, der sich im Ausmaß seiner menschenverachtenden Grausamkeit jeglicher Vorstllungskraft entzieht, auf der Leinwand zu rekonstruieren. Das ist auch nicht nötig, um die richtigen Fragen zu stellen. Nur möchten die Menschen meistens berührt und aufgewühlt werden, ohne danach schlecht zu schlafen, oder mit Schuldgefühlen aus dem Kino zu gehen, was natürlich auch ihr gutes Recht ist. Dann ist ein Schindler's List genau das richtige für sie. Auch hier kann ich aber die handwerkliche Qualität des Filmes würdigen, sowie die schauspielerischen Leistungen. Aufgrund seiner Nähe zu filmtechnischen Praktiken der Nouvelle Vague und des italienischen Neorealismus stellt in Spielbergs Schaffen ein Ausnahme-Phänomen dar, erwarten wir einen Regisseuren wie ihn schließlich nicht unbedingt auf diesem Terrain. Es zeugt von einer Form der ästhetischen Auseinandersetzung, die ich mir aber auch im Umgang mit der Thematik des Filmes gewünscht hätte.
Zu Spielberg:
Unbestreitbar hat er großes geleistet und die Popkultur der ausgehenden Siebziger und Achtziger geprägt, wie wenig andere. Aber das haben McDonalds und der Coke-Konzern auch, deswegen ist es noch lange keine „Kunst“. Wenn Andy Warhol oder Ai Wei Wei den Coca Cola-Schriftzug in ihren Arbeiten rekontextualisieren, dann kann so etwas wie eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten entstehen - das würde ich dann schon eher als „Kunst“ bezeichnen, da hier auch die Form und das was eine Form überhaupt sein kann neuverhandelt wird. Richtig scheiße und blöd und prätentiös kann und darf das trotzdem sein.
Spielberg verhandelt in seinen Filmen nichts neu, und reflektiert schon gar nicht die Form seiner Arbeiten. Indiana Jones als Genrehybrid mit Zitaten und Selbstzitaten versehen, ließe sich zwar als Produkt der Postmoderne lesen, doch zeigt Spielberg an keiner Stelle Interesse sich mit Strukturen auseinanderzusetzen. Im Gegenteil - er nutzt diese Strukturen zu seinen Gunsten, und zu Gunsten der Profitmaximierung. Das ist sehr clever, meinetwegen sogar genial, aber eben nicht geistvoll.