craigistheman hat geschrieben: 4. Januar 2023 10:17
Dass ausgerechnet Hille diesen kitschtriefenden Fetzen von Plot hier verteidigt, indem er auf die narrative Einfältigkeit des Actionkinos allgemein verweist
Das hab ich nicht gemacht. Und "Avatar 2" ist sicher emotional und sentimental, aber bestimmt nicht einfältig oder kitschig. Da fehlt mir wirklich jede Relation, um auch nur zu ahnen, wie du darauf kommen könntest.
craigistheman hat geschrieben: 4. Januar 2023 10:17
vor dem Hintergrund seiner pathologischen Ablehnung von NTTD, der wenigstens versucht nach Bondmaßstäben hier und da Neuland zu betreten, sehr amüsant!
Das hat NTTD nun wirklich nicht gemacht, da war abseits von kosmetischen Oberflächlichkeiten nicht eine einzige Neuerung für die Bond-Reihe drin. Außer, das Internet ist für uns noch Neuland, dann passt der Begriff.
craigistheman hat geschrieben: 4. Januar 2023 10:17
Die erste Stunde dient eigentlich nur dazu, entscheidende Plotpoints aus Teil 1 nochmal aufzugreifen und kontextualisieren. Kann man machen, ist aber redundant und stinklangweilig. Den Zuschauern darf hier ruhig mehr zugetraut werden.
Das ist aber nicht das, was in "Avatar 2" passiert. Für mich ist das eine Vereinfachung dessen, was das Script da tut. Welche "Plotpoints" aus Teil 1 werden denn "kontextualisiert"? Da fällt mir lustigerweise wirklich kein einziger ein, zumal ich nicht mal weiß, was das heißen soll.

Stattdessen funktioniert "Avatar 2" sehr gut ohne jede Kenntnis des Originals und ist eben so aufgebaut, wie man Filme aufbaut (damals, als Drehbuchautoren das in der Regel noch konnten). Du etablierst die Situation der Figuren (den Status Quo – Jake und seine Kinder), du etablierst interne Konflikte (der jüngere Bruder sucht die Gefahr, der ältere hält vor den Eltern den Kopf hin, Jakes militärischer Drill steht einer liebevollen Erziehung im Weg), du brichst den Status Quo auf (Quaritch bringt Scullys Kinder fast um und die Eltern müssen sie retten – sie verlieren ihre Sicherheit, ihren Stamm, ihr Leben etc.) und aus diesem Problem heraus, aus diesem Aufbrechen resultiert die Handlung (bei der Heldenreise nennt man das sonst "Call to Adventure", hier ist es eher "Call to Safety", erfüllt für den Plot aber den genau gleichen Zweck). Dann treffen sie in einer neuen Welt ein, sind schlagartig in einer "Fish out of Water" (oder eher: "Fish now in Water") Situation, müssen sich mit der neuen Lebensrealität akkilmaktisieren etc.
Wenn das redundant oder nicht gut konzipiert ist, dann sind von "Star Wars" bis "Lawrence von Arabien" die meisten großen Drehbücher populärer Fantasy-, Sci-Fi- oder Abenteuerstoffe scheiße.

Kann man natürlich problemlos so sehen … Ich wüsste nur gerne, was du da dem Zuschauer gerne mehr hättest zutrauen wollen: Direkt bei der Flucht der Scullys nach Waterworld anfangen und die erste Stunde einfach schneiden? Traust du dem Zuschauer damit mehr zu oder trittst du die Regeln des normalen Geschichtenerzählens einfach mit Füßen? Willst du eine persönliche Gefahr für die Figuren wirklich etablieren oder willst du sie nur behaupten? Ich bin ganz froh, dass sich James Cameron entschieden hat, die klassische, wuchtigere dramaturgische Struktur zu nutzen.
craigistheman hat geschrieben: 4. Januar 2023 10:17
Schwach finde ich auch, dass der ohnehin völlig schablonenhafte und belanglose Superantagonist aus Teil 1 wiederaufgegriffen wird, wenn auch in etwas anderer Form. Warum nicht einfach nur Carmela Soprano die Bühne überlassen - das hätte etwas gehabt. Führt mich direkt zu Punkt 2: Viel zu viele Nebencharaktere, die den ohnehin generischen Handlungsverlauf unnötig verlaaaaaangsamen. Dieses künstliche Strecken mag für Fans reizvoll sein, auf mich wirkte es eher so, als würde man durch Zitate und Seitenhiebe an den ersten Film - Kritikpunkt 3 - versuchen, die Ideenarmut des Plots zu kaschieren.
Auch das kann ich alles eigentlich nur sehr bedingt nachvollziehen. Stephen Lang war im ersten Film sicher kein tiefschürfender Antagonist, aber ein enorm effektiver. Der erste Teil handelte von einem Soldaten, der sein Leben lang nur Befehle befolgt hat und lernen musste, dass die Welt komplizierter und schwieriger ist, als nur das zu tun, was dein Vorgesetzter dir zubrüllt. Da einen zackigen Militär zum Antagonisten zu machen ist in vielfacher Hinsicht sinnvoll – alleine schon, weil es so nicht nur Behauptung bleibt, wenn Jake sich gegen seine Herkunft und Identität und für die Na'vi entscheidet, sondern weil du diesen abstrakten inneren Konflikt direkt auf die Figurenebene runterbrechen und visualisieren kannst (wie Kino es machen sollte, erst recht im großen Mainstream-Segment). Das ist simpel, aber effektiv und effizient, was mir wichtiger ist. Für mich war Quaritch mit Abstand die beste Figur des ersten Films.
Für Teil 2 gab es sicherlich tausend Möglichkeiten, wie man den Antagonisten gestalten soll, aber Cameron hat wie bei "Terminator 2" (mit dem T-1000) oder bei "Aliens" (mit der Queen Mama) mal wieder den vermutlich klügsten Entschluss gefasst: Den Schurken zurückzuholen und ihn jetzt in die Haut des Feindes zu stecken, das ist einfach wunderbar. Ich wusste das auch vor dem Kinobesuch gar nicht (nicht mal, dass Stephen Lang wieder mitspielt) und war sofort ganz begeistert von dieser hübschen Idee – erst recht, da er hier einen Sohn geschrieben bekommt, was ja wunderbar in das Hauptthema des Films (Müssen Eltern ihre Kinder schützen oder ist es nicht häufig eher andersrum?) einzahlt. Ich wusste wie gesagt nix davon, hatte im Kino dann gleich viele Ideen im Kopf, was man damit anstellen könnte und Cameron hat mich trotzdem nochmal angenehm überrascht. Mir hat das großen Spaß gemacht, wie er als im Kopf verhärteter Marine auf Rachetrip beginnt und dann durch seinen Sohn und durch seine Erfahrungen als Na'vi auf Pandora mehr und mehr "aufweicht", neue Perspektiven entwickelt, im großen Finale aber lange nicht aus seiner Haut kommt (ehe er dann erst seinen Sohn rettet und dann von seinem Sohn gerettet wird) … Ach, das ist alles so wunderbar schlüssig geschrieben und eine so sinnvolle Weiterentwicklung des Vorgängers, da könnte ich noch viel zu sagen. Ich freue mich auf seine Rückkehr in Teil 3, 4 und 5, denn davon kann man wohl ausgehen, er bleibt der Antagonist über den gesamten Verlauf der Reihe – und das ist gut so. Er war auch in Teil 2 mit Abstand die beste Figur des Films. Natürlich auch, weil Stephen Lang gefühlt noch besser spielt als zuvor, obwohl man ihn jetzt ja gar nicht mehr sieht.
Den "viel zu viele Nebencharaktere"-Vorwurf verstehe ich nur, wenn man "Avatar 2" als einen anderen Film sieht, als er geworden ist. Das ist ein Epos um eine Familie und ihre Konflikte untereinander und jene von außerhalb. Und gemessen daran ist der Film noch personell enorm reduziert, wichtig sind nur die Scullys, Quaritch, Spider, und die Anführer des Wasserstammes (Cliff Curtis und Kate Winslet). Viel mehr Figuren gibt es nicht, aber Cameron ist natürlich exzellent darin, dann auch den vielen kleinen Nebenfiguren (die es im jeden Film gibt) noch ein paar hübsche Momente zu geben, sodass sie dann mehr sind, als sie es vielleicht im ursprünglichen Script mal waren. Der Walfänger zum Beispiel und dieser Biologe, das sind zwei auf Papierebene nicht existente Figuren, aber Cameron gibt ihnen sehr schöne kurze Szenen, in denen ich mehr Eindruck von ihnen bekomme als ich in anderen Filmen nach zweieinhalb Stunden von der Hauptfigur habe. Wunderbar. Für mich ist das fast mustergültig.
So oder so: Hier wird selbstverständlich nicht der "komplette Handlungsverlauf verlangsamt", weil die Handlung das ist, was du siehst – eine Familie kämpft ums Überleben und um den inneren Zusammenhalt ihres Familienbundes. Und jeder kleine Randaspekt der Geschichte zahlt auf dieses Oberthema ein, wie es bei einem guten Drehbuch sein sollte. Alles ist mindestens thematisch verbunden, nichts passiert abseits vom Kern der Erzählung. Sogar die "Rettung der Wale" und diese ganze Tierschutz-Nummer wird da mit gedacht, in dem die Tiere einen direkten emotionalen und familiären Bezug zu den Wasser-Na'vi bekommen. Sehr smart und da wären 99% der Filmemacher nicht draufgekommen, sondern hätten Familiengeschichte und Tierschutz nebeneinander laufen lassen. "ideenarmut" sehe ich da keine, eher einen großen Ideenreichtum.
craigistheman hat geschrieben: 4. Januar 2023 10:17
Der Plot besteht nur aus völlig austauschbaren und zusammengeklauten Versatzstücken, die überdies hinaus noch so vorhersehbar sind, dass es mir während der Sichtung Spaß bereitete, Wetten mit mir selbst abzuschließen. Alle Motive kennen wir nicht nur bereits, wir haben diese auch schon deutlich besser umgesetzt gesehen. Der verstoßene Bruder vs. dem Musterknaben, das introvertierte, sonderbare Kind, das am Ende den Tag rettet, Mobbing und Ausgrenzung, etc. ...
Kann ich verstehen. Mit Sicherheit ist vieles, was in "Avatar 2" für denjenigen vorhersehbar, der schon mal einen Abenteuerfilm gesehen hat und daher weiß, wie Handlungen aufgebaut werden, wie man gute Drehbücher schreibt etc. So wie ich bei 95 Prozent aller Filme genau weiß, wie sie enden werden, spätestens nach den ersten 15 Minuten. Das ist der Fluch all derer, die viel ins Kino gehen und viele Filme gucken. Der Vorwurf dahinter erschließt sich mir aber nach wie vor nicht. Dann sollte man vernünftigerweise eigentlich kaum ins Kino gehen, zumindest nicht bei Sachen, die halbwegs in Richtung Popularität zielen, da die immer nach bestimmten Formeln gestrickt werden (einfach weil es bewährte Strukturen gibt, die narrativ effizient sind und damit kommerziell). "Jurassic Park" ist super vorhersehbar, "Der weiße Hai" ist absolut vorhersehbar, "Krieg der Sterne" ist hyper-vorhersehbar, jeder Bond-Film, jeder Indy-Film, selbst "Stirb langsam" ist zu tausend Prozent vorhersehbar – und um die Leute im Peckinpah-Thread zu ärgern, auch dessen Filme haben viele Elemente, die vorhersehbar sind. Das ist für mich kein Kriterium.
Wenn dir die einzelnen Motive nicht gefallen, klar, da kann man nix machen, das ist dann so, und wenn du sie für zu schwach hältst, um über drei Stunden Laufzeit zu tragen – wunderbar, auch das ist okay, kann man nicht ändern. Eigentlich will ich "Avatar 2" auch gar nicht so sehr über die Maßen verteidigen, aber ich sehe schlicht keine ernsthaften erzählerischen handwerklichen Mängel in dem, was Cameron da tut. Man kann das alles natürlich ein bisschen langweilig finden, weil es eben so klassisch und typisch ist, weil er nur und wirklich ausschließlich auf ausgetretenen Pfaden wandelt. Vielleicht geht deine Empfindung ja in die Richtung. Aber da bin ich dann lieber zum tausendsten Mal auf einem Pfad, auf dem ich sicher im Ziel ankomme und die Zeit genieße, als mich irgendwo im Dickicht zu verlaufen.
Wir kommen da nicht zusammen, craigistheman. Für mich ist das Erlebnis-Kino, ein absoluter Überwältigungsfilm. Dafür will ich ins Kino gehen. Und auch erzählerisch, aber zudem noch inszenatorisch, auf Figurenebene und und und ist das für mich wirklich Lichtjahre von NTTD und anderem Blockbuster-Unfug der letzten Jahre entfernt. Ich kann da wirklich nicht mit übertreiben, wie weit auseinander das in meinem Kopf ist. Von einer gut geschriebenen Geschichte lasse ich mich immer gerne mitreißen, und "Avatar 2" konnte mich mitreißen und emotional berühren. Da war sonst im Kino dieses Jahr und noch mehr letztes und vorletztes Jahr weitgehend Fehlanzeige in der Disziplin, da kann Cameron etwas besser als all die anderen, die da draußen Filme machen.
danielcc hat geschrieben: 3. Januar 2023 18:56
Dennoch finde ich, das WIE bei Avatar nicht so spannend. Ja, es gibt viel Neues zu bestaunen aber ehrlich gesagt bewegen mich CGI Welten nicht. Ob das nun alles im Wasser, im Feuer, im Wald, auf Bergen oder im Weltall ist, ist mir recht egal. Bleiben Handlung, Dialoge, Figuren. Da finde ich Avatar 2 sehr durchschnittlich. Man kann kaum lachen, es ist aber auch nicht sonderlich spannend. Interessiert mich Jake? Nö! Interessiert mich sonst wer? Nö. Ist das was aufregend gut geschrieben? Nö. GIbt es Stunts die mir den Atem rauben? Nö.
Türlich, das höre ich auch im Umfeld häufiger, das ist vollkommen okay. Mit CGI-Welten und CGI-Figuren mitzufiebern fällt einigen schwer oder zumindest schwerer. Andere gehen genau dafür in "Avatar", weil sie das wollen, weil sie das Fremde und Exotische so spannend und schön finden. Das ist sozusagen Eskapismus auf Figurenebene runtergebrochen. Ich habe allerdings in "Avatar 2" viel gelacht und mich auch gerne von der Geschichte mitreißen lassen, sodass die letzten 45 Minuten wirklich extrem spannend waren. Das fand ich außergewöhnlich gut gemacht, die lange Schlacht auf hoher See, der tragische Todesfall, das sehr persönliche Standing zwischen den Scullys und Quaritch, der Untergang des Schiffs etc. Mich haben die Figuren auch durchaus abgeholt, gerade Quaritch und die Kiri (also die Weaver Tochter) waren toll, genauso die Kate-Winslet-Figur (die hatte was, kann ich nicht beschreiben, aber ich hätte sie gerne noch mehr im Film gehabt).
Ich bin davon ja selbst überrascht, wie gut mir "The Way of Water" gefiel, weil ich "Avatar" zwar mochte und für einen teils sehr guten, meist guten Film halte, aber von der Fortsetzung keinen so großen Qualitätssprung erwartet hätte. Aber der hat ganz toll funktioniert, das hat alles viel Sinn ergeben, war herausragend inszeniert und very entertaining. Hätte ich vorher nicht gedacht, aber das war ein Volltreffer, locker einer von Camerons besten. Allein diese irren Actionszenen, wow, das ist so fulminant montiert und durchgetaktet, der Wahnsinn.