Damit mein Satz von weiter oben, Nolans Darstellung von Oppenheimer als Person entspreche dem bekannten Mythos und sei historisch umstritten, nicht bloße Behauptung bleibt, hier ein paar Worte mehr dazu für alle, die es interessiert:
Ob Oppenheimer tatsächlich, wie heute gern rezipiert und auch in der Biografie "American Prometheus" und in Nolans Film (der auf dieser Biografie beruht) dargestellt, den Bau der Atombombe aus humanistischer Perspektive zutiefst bedauert hat und ihn die vielen toten japanischen Zivilisten so schwer betroffen gemacht haben, ist bei Weitem nicht klar. Vieles von unserem heutigen Bild der Figur geht auf das Theaterstück "In der Sache J. Robert Oppenheimer" von Heinar Kipphardt aus dem Jahr 1964 zurück, welches es mit dem Wahrheitsgehalt aber nicht allzu genau nimmt und zudem durch Oppenheimers eigene (Selbst-)Darstellung beeinflusst wurde. Es gibt viele andere Quellen und Aussagen von Zeitgenossen, die genauso auch die Schlussfolgerung zulassen, die von Strauss im Film nur einmal kurz eingeworfen wird: Dass Oppenheimers späteres Auftreten als "politischer Gegner der Wasserstoffbombe" eben vor allem darüber begründet war, den Ruhm als "Vater der mächtigsten Waffe der Menschheitsgeschichte" nicht mit Edward Teller teilen zu wollen und nicht nur als der in die Geschichte einzugehen, dessen Arbeit bloß die Vorarbeit für das Lebenswerk des verhassten Konkurrenten gewesen ist. Insbesondere stieß mir dabei sauer auf, dass Nolan wie viele andere vor ihm mal wieder Oppenheimer andichtet, er sei nach der Bombardierung Japans gegen einen weiteren Einsatz von Nuklearwaffen gewesen (in einer Meetingszene mit Strauss äußert er als Einziger Bedenken über den zukünftigen Gebrauch von Atombomben), obwohl das faktisch Quatsch ist. Er hat sich sehr wohl weiterhin auch für den Ausbau von Atombomben im US-Kriegsarsenal ausgesprochen und seine kritische Meinung gegenüber Tellers Wasserstoffbomben übrigens auch sehr viel schneller wieder beigelegt, als der Film einen glauben lassen würde. In Wahrheit war er ab einem gewissen Zeitpunkt selbst Feuer und Flamme bezüglich der Technologie und hatte erkannt, dass es sich für ihn wieder lohnen würde, einer der "Ersten" bei dieser technischen Revolution zu sein. Im lesenswerten "The Achievement of American Liberalism: The New Deal and Its Legacies" von 2002 wird nachvollziehbar aufgeschlüsselt, dass Oppenheimer sich gegenüber dem damaligen AEC-Vorsitzenden Gordon Dean regelrecht begeistert davon gezeigt hat, als Teller und Stanislaw Ulam ihre wichtigsten Fortschritte bei der H-Bombe gemacht haben. Fazit: Oppenheimer als Symbolfigur für die Angst der Menschheit vor dem nuklearen Holocaust zu wählen, mag verlockend sein, ist in dieser Form von Nolan aber nur ein Wiederkäuen des kulturellen Mythos um den Physiker und wird seiner historischen Person nicht unbedingt gerecht.
AnatolGogol hat geschrieben: 8. Januar 2024 15:27
Casino Hille hat geschrieben: 8. Januar 2024 15:16Florence Pugh hält einmal ihre Brüste in die Kamera und mag keine Blume: That's it.
Das reicht doch wohl aber auch, oder?
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Ich geb's unumwunden zu - auch ohne Triggerhinweis - ich fand's klasse. Ach übrigens für die Akten: es war zweimal!
Ich wollte mich nicht explizit wegen der nackten Florence Pugh beschweren – die war schon ein Höhepunkt des Films.
![Laughing :lol:](./images/smilies/icon_lol.gif)
Aber das Problem ist halt eher, dass sich abseits von Strauss und kurioserweise Einstein nahezu alle Figuren so arg runterbrechen lassen, und das ist mir figürlich viel zu dünn für ein dreistündiges Biopic-Epos. Da erwarte ich dann schon, dass diese Charaktere etwas genauer erforscht werden. Erst recht, wenn ausgerechnet die Hauptfigur ein großes Fragezeichen bleibt. Du hast da auch recht, dass Nolan diese nur im Ungefähren behaftete Herangehensweise an Oppenheimer bewusst gewählt hat, und das kann man schon machen, aber dann muss für mich halt zumindest dessen Umfeld interessant sein.
AnatolGogol hat geschrieben: 8. Januar 2024 15:27
Dafür fand ich Rami Maleks Auftritt sehr amüsant: 2 3/4 Stunden als wortloser Statist und dann die GANZ große Szene. hahaha, da musste ich an unseren seligen Götz George denken, der Onkel Steven für Schindlers Liste eiskalt einen Korb gegeben hat, weil er kein Bock darauf hatte in ner kurzen Szene verheizt zu werden.
Genau, da sagst du was: Letztlich ist genau das auch bei mir hängengeblieben. Nolan musste mit so vielen Figuren jonglieren, die teilweise nur Mini-Auftritte bekommen, dass er sie alle mit bekannten Gesichtern besetzt hat. Würde irgendein No-Name die Malek-Rolle spielen, hätten 90 Prozent der Zuschauer bei seiner einen großen Szene längst vergessen, wer das eigentlich gewesen ist. Kann man alles gut finden und positiv bewerten, aber bei mir führte das eher dazu, dass keine Figur je so richtig zu einer Person auf der Leinwand wurde und es eigentlich bei einem Star-Auflauf blieb. Emily Blunt ist die trinkende Ehefrau, Matt Damon ist der nörgelnde General, Casey Affleck ist der gruselige Kommunisten-Jäger usw. Das waren für mich alles keine Charaktere, sondern Stars, die genau ein Attribut spielen durften.
Und ja, der Strauss-Twist ist doof und ziemlich überflüssig. Der xte Hollywood-Metakommentar auf Donald Trump in den letzten Jahren, mit dem erfolgreichen "Selfmade"-Millionär, der in die Politik will und dabei niederträchtig nur seinen Status und sein eigenes Ego im Blick hat, nicht aber politische Ziele. Für mich funktionierte die Rolle nur deshalb am besten, weil RDJ so großartig auftritt und für mich als einziger es geschafft hat, eine tatsächliche Figur zu verkörpern. Der Oscar ist ihm bereits sicher. Mit einem schwächeren Schauspieler wäre das richtig richtig blöd geworden.
Und nochmal ja, warum Ludwig Göransson absolut jede Szene in diesem Film, selbst banale Anhörungen mit seinem ultra lauten Lärm zukleistern muss, habe ich auch nicht verstanden. Mir ging das von der ersten Szene an – freundlich gesagt – auf den Sack, und das obwohl ich seinen "Tenet"-Soundtrack, der auch einiges an Doppelwumms hatte, sehr mochte.