Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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AnatolGogol hat geschrieben: 22. Dezember 2023 08:55 GoodFellas sehe ich tatsächlich auch eher weniger als Biopic bzw. es ist so ein Zwischending.
Ja, es ist ein Gangsterfilm der mit Zügen des Biopic verbunden ist. Ich habe bis zu dieser Diskussion hier nie auch nur eine Sekunde daran gedacht diese Scorsese Filme als Biopics zu bezeichnen. Aviator dagegen gehört absolut dazu.

Biopic das ist für mich eine spezielle Art von Filmen, die mich an sich erst Mal wenig interessiert, es ist mehr so die Kategorie "sein/ihr Werk, sein/ihr Leben", und dazu gehört auch nicht Raging Bull, der immerhin von jemanden handelt der damals berühmt war. Auch JFK ist keinesfalls ein Biopic, bei Nixon bin ich mir nicht sicher, aber wahrscheinlich schon.

Um ganz ehrlich zu sein empfinde ich, genau genommen, und das ist jetzt extrem subjektiv, Filme vor allem dann als Biopics, wenn sie künstlerisch bieder und etwas langweilig sind ... oh je ...

Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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Wahrscheinlich empfinden die meisten Leute Filme nur oder vor allem dann als Biopic, wenn es sich um das Leben einer ikonischen Persönlichkeit handelt, die man in der Regel kennt, jemandem vom Kaliber eines Churchill, Elvis, Nixon etc. Henry Hill ist davon halt weit entfernt, der war eine absolute Nischen-"Prominenz" und Goodfellas soll seine Bedeutung und seinen Lifestyle noch glorifizieren. Man hat das anhand des Films vielleicht gar nicht immer so auf dem Schirm wie unbedeutend er in der Mafia-Hierarchie eigentlich war, bzw. genau genommen gar kein Teil der eigentlichen Hierarchie sondern nur ein Assoziierter, und damit einer unter hunderten wenn nicht tausenden. Und seine interessantesten und eigentlich filmreifsten kriminellen Machenschaften werden von Scorsese ja sogar weggelassen (Boston Basketball) oder stark vereinfacht (Air France Raub). Somit macht es schon Sinn, wenn jemand Goodfellas nicht wirklich als Biopic wahrnimmt, auch wenn er in mancherlei Hinsicht durchaus eins ist.
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Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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iHaveCNit: Girl You Know It´s True (2023) – Simon Verhoeven – Leonine
Deutscher Kinostart: 22.12.2023
gesehen am 26.12.2023 in Samsung ONYX LED 4K
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kino 6 – Reihe 13, Platz 21 – 19:50 Uhr


Das in diesem Jahr sehr vielseitige deutsche Kino bietet nun zum Abschluss noch einmal ganz großes Kino mit einem Stoff und einem Thema, dass auch eine filmische Aufarbeitung weit von bereits vorhandenen Dokumentationen auf der ganz großen Leinwand verdient hat. Die Rede ist vom Aufstieg und Fall des von Frank Farian produzierten Disco-Pop-Duos Milli Vanilli, der bereits filmisch gesehen lange in der sogenannten Produktionshölle oder auch einfach gesagt Warteschleife hing, bis nun Simon Verhoeven den Film an den Start bringen konnte. Auch wenn ich im Zeitraum des Zenits von Milli Vanilli erst geboren wurde und noch gar nicht an die Musik gedacht habe, habe ich einen Blick riskiert, den ich nicht bereut habe.

Gegen Ende der 80er-Jahre treffen die beiden Tänzer Robert Pilatus und Fabrice Morvan aufeinander. Als Tänzerduo machen sie sich einen kleinen Namen, bis sie von der Assistentin des Musikproduzenten Frank Farian entdeckt werden. Der Musikproduzent, der ein wenig nach dem Fall von Boney M in Ungnade gefallen ist und nie den großen Erfolg in den USA erzielen konnte, sieht in dem Duo mit ihrem Look die große Chance. Während er im Hintergrund ohne große Einbindung von Rob und Fab die Songs produziert, werden Rob und Fab als „Milli Vanilli“ sehr schnell zur musikalischen Sensation, die weltweit erfolgreich wird. Doch kann die Illusion des Disco-Pop-Duos, bei dem die „Sänger“ nicht singen und ausschließlich vom Playback begleitet werden aufrecht erhalten werden und was passiert, wenn das Geheimnis ans Licht kommt ?

„Girl You Know It´s True“ ist ein elektrisierend mitreißender und interessanter Film geworden, in dem der Aufstieg und Fall des Disco-Pop-Duos vor allem aus der Perspektive des von Tijan Njie und Elan Ben Ali großartig gespielten Duos Robert Pilatus und Fabrice Morvan erzählt wird und natürlich auch ein Großteil der damalig beteiligten Personen im Hintergrund auch an der Produktion des Films beteiligt waren, damit die Geschichte aus der Perspektive und den Perspektiven der Beteiligten erzählt wird – wie auch der von Matthias Schweighöfer verkörperte Frank Farian. Und hierfür nutzt der Film den interessanten inszenatorischen Kniff des Durchbrechens der Vierten Wand, wenn die Beteiligten selbst zum Publikum sprechen ohne dass dieser Kniff als pure Meta-Referenz rüberkommt. Nicht nur die chronologische, biographische Aufarbeitung der Bandgeschichte hat der Film zu bieten, sondern auch, wie die Ideen zur Musik von „Milli Vanilli“ und auch die Musikstücke selbst zustande gekommen sind und dass die gesamte Maschinerie im Hintergrund dafür ganz legaler Konsens im Musikbusiness und der Musikgeschichte ist, selbst wenn es wie im Beispiel von Milli Vanilli dazu gekommen ist, dass die Band keines der Stücke damals selbst eingesungen hat und ausschließlich die Musik vom Band begleitet hat. In seinem inszenatorischen Stil und der gesamten Optik von sowohl Kostümdesign als auch dem Design von Haaren und Make-Up bildet der Film einen sehr stimmigen atmosphärischen Eindruck vom Ende der 80er und dem Beginn der 90er-Jahre und wirft uns regelrecht in die damalige Zeit. Der Film spart auch nicht aus, welche charakterlichen Folgen sowohl schneller Erfolg mit sich bringt und was passiert, wenn man alles auf einmal ganz schnell verliert. Das, was damals scheinbar nach dem technischen Defekt eines Auftritts in Bristols glasklar gewesen ist, dass es sich bei MV um große Lügner und Betrüger handelt und dass so etwas wie eine Hauptschuld bei den Protagonisten liegt, ist im Sinne der komplett legalen, zugrundeliegenden Methoden der Musikindustrie absolut nicht wichtig. So etwas wie eine Schuldfrage ist absolut unwichtig in der Betrachtung dieses damaligen „Skandals“, weil jeder eine gewisse Teilschuld oder auch keiner eine Teilschuld tragen muss. Der Film schafft es in seiner ausdifferenzierten Aufarbeitung dieses „Skandals“ vor allem, den Beteiligten, allen voran Rob & Fab wieder etwas Würde zurückzugeben und ist als filmisches Werk auch so etwas wie eine Wiedergutmachung und hebt sich damit auch von vielen klassischen Musiker-Biopics ab.

„Girl You Know It´s True“ - My First Look – 9/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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Hätte nicht gedacht, eine solche Definitions-Diskussion los zu treten :), aber warum nicht. Das mit den Genres bzw. Schubladen ist ja immer so eine Sache. Ich denke bei historisches Persönlichkeiten sind wir uns einig, Filme wie Napoleon, Alexander, Churchill etc sind natürlich Biopics.

Bei Good Fellas wäre ich auch zurück haltender, eben weil Hill wenig bekannt ist. Und die mafiösen Strukturen hier sehr im Fokus stehen. Ich würde sagen ein Film mit biographischen Zügen bzw. "nach einer wahren Geschichte". Nixon ist so ein Zwischending, da sehr stark von Stone interpretiert. JFK ist für mich kein Biopic, sondern ein Stone-Essay über JFKs Ermordung. 13 Days ist ebenfalls keins, hier geht es um die Kubakrise und letztlich auch nur 14 Tage im Leben JFKs.
http://www.vodkasreviews.de


https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/

Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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vodkamartini hat geschrieben: 28. Dezember 2023 00:02 Hätte nicht gedacht, eine solche Definitions-Diskussion los zu treten :)
Die ist aber interessant und bietet einiges an Interpretationsspielraum. Wahrscheinlich denken die meisten (ich inbegriffen) beim Begriff "Biopic" zuerst einmal an grosse Schinken mit (oft) dem Namen des Protagonisten im Titel, die einen möglichst grossen Lebensabschnitt einer möglichst legendären Persönlichkeit schildern und weniger bis kaum an freiere Auslegungen des Genres - "freier" nicht einmal nur in Hinsicht auf die historische Genauigkeit, sondern auf in Hinsicht auf die Stoffwahl und die erzählerische Herangehensweise. Aber sind nicht z.B. The Social Network, Raging Bull, 12 Years a Slave, Bonnie & Clyde und Hacksaw Ridge auch per Definition Biopics, solange man nicht eine sehr restriktive Definition verwendet? Nur nennt man die gefühlt kaum Biopics, sondern gewichtet andere Genres die sie bedienen höher. Aber da sind wir halt wieder bei der restriktiven Definition.

Und Goodfellas... Doch, eigentlich ist das rundum ein Biopic. Aber dass man das anders wahrnimmt liegt wahrscheinlich daran, dass Henry Hill ausserhalb des Films als Person wenig bekannt ist und in der Handlung mehr den Beobachter als den aktiven Part darstellt (wie gesagt, seine beiden grössten Coups wurden weggelassen bzw. stark gekürzt), womit der Film an sich den Protagonisten auch ein gutes Stückweit überschattet.
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Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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Ach Leute, glaubt mir bitte, ich will eigentlich nicht, aber ein bisschen negativer muss ich bei "Girl You Know It's True" dann doch sein. Auf der Habenseite gibt es einiges zu verzeichnen: Die beiden Hauptdarsteller sind exzellent besetzt und tragen viel zur kurzweiligen Freude bei, die der Film verbreitet. Die Geschichte von Milli Vanilli hat einfach so viele Hooks, so viele Wendungen und so viel Drama, dass sie sich einfach sehr gut für eine Leinwandumsetzung eignet. Simon Verhoeven inszeniert das die meiste Zeit schmissig, er versteht den Appeal, den Milli Vanilli hatte und er fängt über diese wiedergegebene Faszination für deren Musik und Stil auch das Zeitkolorit stimmig ein. Im Grunde könnte man sagen, diese Geschichte ist durch ihre ohnehin konsequente Verbindung aus Spektakel / Show und Drama / Fallhöhe schon für sich packend, aber damit würde man trotzdem verkennen, dass Verhoeven diese verschiedenen Bausteine und Spielarten einfach gekonnt zusammenbringt - sieht im fertigen Produkt leicht aus, aber das täuscht, dahinter steckt vor allem viel Fleißarbeit.

Den sehr hohen Wertungen mag ich aber nicht ganz folgen. Dafür ist doch zu vieles dabei, was leider typisch für das deutsche Mainstream-Kino ist. Der Humor ist sehr steif und an einigen Stellen einfach störend überzeichnet. Insbesondere gilt das für Matthias Schweighöfer, der - bei aller Liebe für Exzentriker - seinen Frank Farian zu arg überdreht und damit leider zu oft zur Karikatur wird. Wenn man sich parallel mal die Milli Vanilli Doku bei Paramount+ anschaut, bekommt da ein etwas authentischeres und ausgewogeneres Bild. Außerdem verliert "Girl You Know It's True" nach hinten doch an dramaturgischer Qualität. Die eigentliche Tragödie, die in dem Stoff steckt, die wird dann nur auf personeller Ebene herausgekitzelt, aber über die Musikindustrie als solche und vor allem auch über die unangenehmen Implikationen des Milli-Vanilli-Niedergangs hinsichtlich Konsumkultur bleibt Verhoeven sehr dünn aufgestellt. Das ist für sich okay, man könnte positiv sagen, er setzt eben einen Schwerpunkt. Aber ich finde im Gesamtwerk, dass er so nicht ganz das komplette Ausmaß der Geschichte abbildet und sozusagen Potenzial liegen lässt. Er spart am Ende ja auch noch einiges an Ereignissen aus, um nicht zu vernichtend zu enden, aber das verwässerte den großen dramatischen Fall der Erfolgsstory für mich dann auch wieder einigermaßen.

Also: Ja, "Girl You Know It's True" ist schwer unterhaltsam und macht Laune, er ist flott, schmissig, gut arrangiert und braucht sich vor anderen Musiker-Biopics der vergangenen Jahre aus Hollywood nicht verstecken. Das gilt sowohl für seine Stärken als auch für seine Schwächen - von denen er leider ein paar mit im Repertoire hat.
https://filmduelle.de/

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Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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GoldenProjectile hat geschrieben: 28. Dezember 2023 00:27
Wahrscheinlich denken die meisten (ich inbegriffen) beim Begriff "Biopic" zuerst einmal an grosse Schinken mit (oft) dem Namen des Protagonisten im Titel, die einen möglichst grossen Lebensabschnitt einer möglichst legendären Persönlichkeit schildern und weniger bis kaum an freiere Auslegungen des Genres - "freier" nicht einmal nur in Hinsicht auf die historische Genauigkeit, sondern auf in Hinsicht auf die Stoffwahl und die erzählerische Herangehensweise.
Ja, so ungefähr. Natürlich kann man das auch anders definieren, und dann fällt jeder Film drunter der so tut als basiere er auf einer "wahren" Geschcihte.

Aber Bonnie und Clyde z.b., klar die beiden haben gelebt, und ein paar Fakten mögen auch im Film drin sein, aber ich denke das ist im Wesentlichen eine damals moderne (und komplexe) Interpretation der Legende. Ähnliches gilt für fast jeden Western der von den mythologischen Figuren des Westens handelt, als Biopic geht da fast keiner durch. They Died with Their Boots On etwa hangelt sich auch an den Eckdaten General Custers entlang, ist aber trotzdem komplett erlogen, eine filmische Verklärung eines zweifelhaften Charakters zu einem typischen Hollywood Helden. Kaum ein Western ist wirklich ein Versuch historisch genau zu sein.

Also für mich bleibt es dabei, Biopics sind diese "Sein Werk, sein Leben" Filme, die können natürlich auch historisch zweifelhaft sein, es ist ja immer auch eine Interpretation, aber sie sollten sich zumindest versuchen an die Fakten zu halten.
Biopics verstehen sich vor allem erst einmal als Biographien, und nicht jeder Film der vorgibt auf etwas wahrem zu beruhen ist deswegen gleich ein Biopic.

Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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Das sehe ich genauso. Sie sins damit dem literarischen Äquivalent sehr ähnlich. Ein gutes Beispiel ist der neue Napoleon Film. Er hält sich weitestgehend an Fakten, wobei er wiederum einige interpretiert, andere weglässt und vor allem bei Charakter Napoleons sich einige interpretatorische Freiheiten nimmt. Dennoch ein lupenreines Biopic.

Bonnie und Clyde oder Butch Cassidy und Sundance Kid sind viel mehr Gangsterfilm bzw. Western. Habe beide nie als Biopics empfunden. Das sind Genrefilme mit biographischen Hintergrund. Klingt spitzfindig, ich weiß, aber bleibe ich dabei. In diese Kategorie fällt dann auch so etwas wie Good Fellas. Diese Filme haben nicht die Absicht ihrer Figur vor dem Hintergrund ihrer Zeit nahe zu kommen, sie wollen der Zeit mit Hilfe ihrer Figur nahe kommen. Oder sie halten diverse Erlebnisse dieser Figuren einfach für einen guten Filmstoff.
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Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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Casino Hille hat geschrieben: 28. Dezember 2023 01:50 Ach Leute, glaubt mir bitte, ich will eigentlich nicht, aber ein bisschen negativer muss ich bei "Girl You Know It's True" dann doch sein. Auf der Habenseite gibt es einiges zu verzeichnen:
Ach du, abweichende Meinungen beleben das Geschäft. Das ist doch eher erfrischend als nervend. Und ich kann dir durchaus folgen. Meine hohe Wertung speist sich aus einer sehr besonderen Situation. Als Kind der MTV-Zeit, als Besitzer der originalen 12" von Girl you know ... und als Gast bei der Vorpremiere mit Anwesenheit und anschließender Diskussion mit Regisseur Verhoeven hatte ich da ein ganz besonderes Erlebnispaket.

Ich verstehe das mit Schweighöfer, den ich übrigens als Darsteller normalerweise nicht mag. Dass er drüber ist liest man ja in jeder zweiten Kritik. Und tatsächlich ist das hart an der Grenze. Aber er transportiert diese ambivalente Figur gerade durch diese Übertreibung sehr gut. Das manische Musikgenie, den knallharten Produzenten, den provinziellen Spießer. Bei seinen wenigen Auftritten malt er zugeben grell, aber Farian ist auch eine schillernde Figur.

Das Zeitkolorit, hat du ja auch geschrieben, ist famos eingefangen, das gelingt nur ganz selten. Eine der größten Stärken des Films. Gerade wenn man dabei war, ist man da sehr kritisch. Sicher Verhoeven war selbst dabei, aber das dann so authentisch umzusetzen ist dennoch großes Kino.

Casino Hille hat geschrieben: 28. Dezember 2023 01:50Außerdem verliert "Girl You Know It's True" nach hinten doch an dramaturgischer Qualität. Die eigentliche Tragödie, die in dem Stoff steckt, die wird dann nur auf personeller Ebene herausgekitzelt, aber über die Musikindustrie als solche und vor allem auch über die unangenehmen Implikationen des Milli-Vanilli-Niedergangs hinsichtlich Konsumkultur bleibt Verhoeven sehr dünn aufgestellt. Das ist für sich okay, man könnte positiv sagen, er setzt eben einen Schwerpunkt.
Das wird nicht nur heraus gekitzelt, das ist voll getroffen. Was die Musikindustrie betrifft, hätte man noch tiefer gehen können, ja. Aber dann hätte Verhoeven noch ne halbe Stunde drauf legen müssen, was wiederum den Unterhaltungswert geschmälert, den Fokus von den beiden Protagonisten weg genommen hätte. Klingt für mich in Summe dann unrunder. Witzig ist ja auch, dass in der heutigen Zeit das Ganze nicht mal ein Skandälchen wert wäre. Da singt jeder YouTuber, TikToker fröhlich Playback, da wird jeder zweite photogeshopt, da ist der Fake zur allseits akzeptierten und gelebten Normalität geworden. Auch eine interessante Entwicklung.
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Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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vodkamartini hat geschrieben: 28. Dezember 2023 11:04 Das sehe ich genauso. Sie sins damit dem literarischen Äquivalent sehr ähnlich. Ein gutes Beispiel ist der neue Napoleon Film. Er hält sich weitestgehend an Fakten, wobei er wiederum einige interpretiert, andere weglässt und vor allem bei Charakter Napoleons sich einige interpretatorische Freiheiten nimmt. Dennoch ein lupenreines Biopic.
Und warum siehst du dann Nixon nicht als Biopic? Ist Napoleon weniger ein Ridley Scott-Film als Nixon ein Oliver Stone-Film? Aus meiner Sicht ist Nixon ein lupenreines Biopic, weil er sich das gesamte Leben (ok, das gesamte Leben bis zur Amtsaufgabe - wobei wenn man die realen Beerdingungsszenen mitdazunimmt, dann ja doch das ganze Leben) von Nixon zum Thema macht und dabei auch versucht, Charakterzüge und Verhaltensweisen innerhalb der Biographie zu ergründen. Aus meiner Sicht ist der Film zudem erstaunlich wenig wertend angesichts Stones bekanntem politischem Background, sondern nähert sich der Person Nixon vergleichsweise neutral und wertfrei.
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Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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Hab ich nicht behauptet, da steht "Zwischending". Ich finde den Film superb, viel besser als JFK, weniger wirr und weniger manipulativ. Dennoch ist das ein sehr stark von Stone und vielen inszenatorischen Mätzchen geprägter Film. Hopkins übertreibt seine Darstellung dazu enorm, das trägt teilweise schon campige Züge. Ich wähnte mich zeitweise mehr in einem Shakespeare Drama als in einer Biographie über Nixon. Da inszeniert und erzählt er in Alexander deutlich nüchterner, auch wenn mir diese Interpretation aus biographischen und historischen Gesichtspunkten weit weniger gefällt.
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Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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Stimmt, du hattest Zwischending geschrieben. Ich finde Nixon allerdings gar nicht sonderlich eigenwillig inszeniert. Ja, es gibt einige kurze Sequenzen, in denen Stone sich visuell etwas hinreissen lässt (zB die Blutzellen oder ein paar Bildcollagen bei Kent State), allerdings ist das weit entfernt von Stones diesbezüglichen Extravaganzen wie bei NBK oder U-Turn. Hopkins Darstellung finde ich übrigens exzellent und in keinster Weise campy. Für mich ist das sein darstellerischer Zenit und eine zu 100% seriöse Darstellung. Ob der private Nixon tatsächlich dieses unbeholfen-grobe hatte, wie ihn Hopkins in Teilen spielt, kann ich nicht beurteilen. Den öffentlichen Nixon spielt er aber wiederum als sehr kontrolliert agierenden Menschen, was sich mit den Zeitdokumenten weitgehend deckt.
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Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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Gestern jetzt auch den Girl you know it's true geschaut und bin da hin und her gerissen. Der Film ist über weite Strecken schmissig im Stile einer wilden Achterbahnfahrt nach dem Motto "einmal Pophimmel und zurück". Ich finde, dass Regisseur Simon Verhoeven dabei der wilde, aufregende Aufstieg deutlich besser gelungen ist als der zwangsläufig dramatischer angehauchte (und auch deutlich kürzer und eher pflichtschuldig abgehandelte) Abstieg. Die beiden Hauptdarsteller sind sehr überzeugend, Schweighöfer dagegen eher enttäuschend.

Gut gefiel mir, wie Verhoeven mit einigen schönen inszenatorischen Tricks seinem Film noch mehr Schwung verlieh, etwa wenn er eigentlich ganz Biopic-unkonventionell von Pilatus kurz angerissener Kindheit direkt ins Jahr 1986 springt - "weil das ja eh das ist, was die Leute sehen wollen". Oder der Versuch die Geschichte abwechselnd aus unterschiedlichen Perspektiven zu erzählen - und das szeneweise aufeinanderfolgend und nicht streng getrennt wie bei Rashomon oder The Last Duel.

Anhand der letztgenannten Technik wird aber auch deutlich, dass Verhoeven am Ende dann doch nicht jeder gut gemeinte Ansatz so ganz geglückt ist. Denn trotz der angerissenen unterschiedlichen Perspektiven erliegt der Film letztlich doch der Versuchung einer einfachen schwarz-weiss-Zeichnung, wo es klare Opfer und Täter gibt. Das ist in sofern merkwürdig, da der Film ebenfalls nicht der Versuchung widerstehen kann Rob und Fabs ausschweifenden Lebensstil und ihren Wandel zu eher nicht ganz so erstrebenswerten Persönlichkeiten in allen Einzelheiten darzustellen. Dennoch lässt der Film keinerlei Zweifel, dass hier die Opfer der Affäre zu finden sind.

Noch schlimmer trifft es aber die Farian-Figur, die praktisch durchgängig von der Regie die Schurkenrolle zugeschoben bekommt. Nicht nur, dass sie mit dem darstellerischen Defizit kämpfen muss von einem oftmals chargierenden Schweighöfer gespielt zu werden, nahezu jede Szene mit Farian endet entweder damit, dass er wie ein Choleriker rumbrüllt (hier werden Erinnerungen an Ganz im Untergang wach) oder andere gemeinhin nicht gerade positive Dinge treibt (zB seine Lebensgefährtin mit der erstbesten Bekanntschaft zu betrügen).

Schade, da lässt der Film zu Gunsten einfacher Figurenzeichnung viel Potenzial liegen und es hilft ihm auf lange Sicht auch nicht seine Geschichte und Figuren glaubwürdiger zu machen. Denn wenn uns der Film eines lehrt, dann dass es keine Abkürzung auf dem Weg zur wahren Größe gibt - und zu guten Filmen auch nicht. Daher irgendwo so um die 7 Punkte rum.
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Re: Biopics / Filmbiographien - it's personal

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Ich stehe ja bekanntlich überhaupt nicht in dem Verdacht ein Schweighöfer-Sympathisant zu sein, aber in diesem Film macht er vieles richtig. Er ist ein cholerisches Arschloch (was eine legitime Interpretation ist, die zudem auch nicht völlig aus der Luft gerissen ist), er ist aber auch ein Biedermann vor dem Herrn (in seiner Landei-Idylle serviert er Kartoffelsuppe) und vor allem ein akribischer, fanatischer Arbeiter, wenn es um seien Musik geht. Verhoeven hat ihn hier mitnichten dämonisiert. Ich hab ihn ja bei der Kinovorstellung selbst gesprochen und er hat auch ein sehr interessantes Interview auf der Bühne gegeben. Seine Haltung zu Farian ist eine sehr ausgewogene. Die Sympathien gehören mehr den beiden "Musikern", aber eine platte schwarz-weiß-Zeichnung sehe ich da nicht.
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