Maibaum hat geschrieben: 10. August 2019 13:59Der Punkt ist, daß die Art wie Gibson den Krieg inszeniert, für mich zu keiner Sekunde zu dem Rest passt. Das hätte er ganz anders machen müssen, oder besser gar nicht bzw indirekter, aber das hätte den Rest des Films auch nicht aufgewertet.
Absolut. Gibson mag bezüglich der Gewaltdarstellungen ein Exploitation-Kino der Extreme und das wendet er auch auf die Gefechtsszenen in Hacksaw Ridge an. Realistisch soll das auf keinen Fall sein, sondern in erster Linie actionreich. Für mich liefert Gibson in diesen Szenen astreines Splatter-Kino mit dem Über-Thema: "Was lässt sich mit dem menschlichen Körper durch Beschuss alles so anstellen?" Teilweise ist das schon wuchtig, aber es ist weitaus weniger eine Darstellung von Kriegsgeschehen als mehr ein brachialer Mix aus einem Level "Call of Duty", der Zugabe eines Rammstein-Konzerts und einer obskuren Körperwelten-Ausstellung. Effektiv ist das sicherlich, soll es doch den Leidensweg von Ersatz-Jesus Andrew Garfield betonen (nichts anderes leistet Gibson in "The Passion of the Christ" auch, denn sein wir mal ehrlich: die dort gezeigte Tortur könnte wirklich einzig und allein Gottes Sohn, nicht aber ein Mensch aus Fleisch und Blut überleben) und seine sakrale Heiligsprechung in der Bahrenszene hervorheben. Erzählerisch kann man sich nun darüber streiten, ob das immersiv durch Mark und Bein geht oder nur platte Pathos-Bausteine bemüht. So oder so: Nach diesem Film hat kein Pazifist mehr eine Ausrede dafür parat, seine vaterländische Pflicht im Ernstfall nicht zu erfüllen. Perfide perfide, Herr Gibson!
Für meinen Geschmack bleibt Hacksaw Ridge wie bis auf Apocalypto alle Regie-Arbeiten vom alten Mel viel zu sehr an der Oberfläche und fühlt sich dort auch deutlich wohler. Die biografisch belegte Geschichte des Desmond Doss ist erstaunlich und sicher gebührt ihr Respekt, aber diese glorifizierende Inszenierung ist mir zu plump und substanzlos. Gefühlt steckt da viel in der Thematik und in der Geschichte, was eine spannende Auseinandersetzung hergeben würde, doch Hacksaw Ridge will seinen Inhalt eher
abhandeln als
behandeln. Dieses Gefälle aus Pflichtbewusstsein und Pazifismus, aus christlicher Prinzipientreue und dem (Auf-)Ruf zum Handeln, und vielleicht auch aus dem Spannungsfeld zwischen utopischen Idealen (ob nun religiöser Natur oder nicht) und der dreckigen Realität, das alles streift Gibson, doch letztlich ist ihm effektives, aber plakatives Erzählen wichtiger. Die "Full Metal Jacket"-artige Ausbildung ist eine einzige Tretmühle und kennt nichts außer Schikane und Spott von oben, und der Krieg ist so unmenschlich wie nur möglich, aber die Kamera ist an der exzentrischen Gewalt schnell interessierter als an dem, was es mit Desmond eigentlich anrichtet.
AnatolGogol hat geschrieben: 9. August 2019 17:13
Sowas leistet sich Gibson aber nicht und ich finde eh, dass es eine seiner Stärken als Filmemacher ist, dass man zwar seine eigene Überzeugungen in seinen Filmen erkennen kann, dass dies aber nie soweit geht, dass es dem Zuschauer gänzlich abnimmt eine eigene Meinung vom gezeigten zu bilden und die Moral bereits vorgekaut vorgibt.
Naja, das ist mir, wenn ich mit etwas Distanz Filme schaue aber bei absolut jedem Film möglich, auch eine vorgekaute Moral bringt mich ja nicht automatisch dazu, diese zu übernehmen. Allerdings finde ich, dass in Hacksaw Ridge eben dann doch genau das passiert - und die Endszene mit der Gondelschwebebahn macht das sogar ganz eindeutig klar: Doss ist ein Held und seine Taten sind nur gut, richtig und moralisch, sie sind vor allem sogar göttlich/gottgewollt, auf jeden Fall aber ein fast schon heiliger Akt. Das ist die Plumpheit, die ich meinte: Gibson diskutiert in Hacksaw Ridge die selbstgewählten Themen nicht (was für mich das Äquivalent dazu wäre, dem Zuschauer Freiraum zu geben, das Geschehen selbst zu bewerten), sondern drängt seine Überzeugung dem Film und seinem Publikum auf (ob diese das annehmen, ist dann wieder eine andere Sache, aber das ist wie gesagt immer so, auch bei subtilerer Arbeit). Deshalb finde ich auch Maibaums gebrauchte Vokabel der "Missionierungstendenz" durchaus zutreffend, denn auf nicht viel weniger will dieser Pathos-Holzhammer heraus.
AnatolGogol hat geschrieben: 10. August 2019 14:31
Ich würde ihn nicht per se dafür loben, aber es ist mir allemal lieber als der typische zeitgenössische Film, der zwanghaft um Ausgleich bemüht ist, um ja niemanden auf die Füße zu treten. Ich brauche bei einem Film, der streng aus einer Sicht erzählt nicht ein filmisches Ausrufezeichen das sagt: "sie waren böse, aber nicht alle und es gab auch gutes". Das ist heutzutage so eine Tendenz, dass immer alles relativiert werden muss, damit sich ja niemand angegriffen fühlen kann.
Dazu muss man aber relativierend (
) sagen, dass die Verantwortlichen in früheren Filmzeiten keinesfalls mutiger waren und sich anders als heute noch trauten, kontrovers zu sein. Oft genug hat man sich um solche Dinge wie Ausgleich, historische Korrektheit oder möglichen Rassismus einfach keine Gedanken gemacht, weil es einem relativ egal war, weil es auch nicht unbedingt ein Thema war und weil es gesellschaftlich nicht gewollt (im Sinne von: ausdrücklich verlangt) wurde, ambivalenter an bestimmte Stoffe heranzugehen. Nicht immer, aber ich denke überdurchschnittlich oft herrschte da eher ein Desinteresse an korrekten Darstellungen, die auch etwas mehr Sorgfalt und Arbeit benötigen als eine simple/simplifizierte Herangehensweise. Der heutige Trend ist daher per se nichts negatives, er geht mit einem gesellschaftlichen Wandel einher, von dem viele durchaus auch profitieren. Wie schnell Hollywood bei solchen Entwicklungen dann eben auch über die Stränge schlägt, und es dann eben übertreibt, liegt in der Natur der Sache und derzeit resultiert das in viele sehr mutlose, weil glattgebügelte Filme, die auf den kleinsten gemeinsamen Nenner runtergebrochen werden müssen (aber das war früher kaum anders, nur zeigte es sich in anderen Bereichen).
Ob man Hacksaw Ridge jetzt direkt rassistisch oder einfach riskant provozierend nennen kann oder nicht, da habe ich mir keine Meinung zu gebildet. Aber ich sehe in der Darstellung der Japaner einen bewusst eingeengten Blickwinkel, wobei Gibson eben ganz der Perspektive von Doss und seinen Kameraden folgt, für die die Japaner nun einmal die bedrohliche Horde waren, als die der Film sie zeigt. Trotzdem hat Maibaum nicht Unrecht: Mit diesem erzählerischen Argument lässt sich letztlich fast jeder Film verteidigen, der eine sehr einseitige Darstellung aufweist und selbst Propaganda kann man so narrativ entschuldigen oder gar legitimieren, denn auch die sind oft nur aus der Perspektive ihrer Hauptfigur erzählt und folgen eben seinem (meinetwegen verklärten) Blick auf die Dinge. Schwieriges Thema.