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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Ein paar Beobachtungen meiner unfreiwillig jüngsten CR-Sichtung:
- Der African Rundown ist schon eine irre Actionszene in bester PTS-Tradition. Trotzdem eine kleine Logikfrage: Als Bond von den Kränen runter gesprungen ist, sieht er den Bombenleger in der Ferne davon laufen. Er steht auf, tritt eine Tür ein und rennt in das Gebäude. Woher weiß er, dass er auf diesem Weg seinem Verfolger den Weg abschneiden kann? Gibt es da eine andere Antwort als "Weil es im Drehbuch steht"? Ergibt das irgendeinen Sinn, dass Bond wirklich weiß, wie der Baustellen-Komplex aufgebaut ist? Aber trotzdem: Die Szene ist irre gefilmt, Arnolds Score toll und die Stunt-Arbeit der Wahnsinn.
- Der Amoklauf in der Botschaft hat mir nie gefallen, und er gefällt mir immer noch nicht. Campbell will uns wohl zeigen, dass Bond am Anfang noch Fehler macht. Zwei Probleme hat das ganze aber. Erstens: Mehrere unschuldige Soldaten in die Luft zu sprengen und wie ein Irrer einen diplomatischen Zwischenfall zu riskieren ist kein Fehler, sondern eine gigantische Dummheit. Zweitens: Bond ist nicht 20 Jahre alt, sondern gut und gerne ein Mitdreißiger. Das jugendliche Draufgängertum kauf ich ihm nicht ab. Wer so drauf ist, wird niemals zum 00-Agenten befördert. Dafür braucht man mehr Erfahrung.
- Mads Mikkelsen hat als Schurke hier eine wirklich tolle Präsenz, die für Bond sehr untypisch ist. Der Schurke wirkt hier tatsächlich als menschliche Figur, und nicht als beliebiges Bedrohungselement. Das liegt aber vor allem auch daran, dass die Rolle in den Plot komplett anders eingebaut ist. Le Chiffre will im Film nur seine eigene Haut retten, und Bond will das verhindern, um Le Chiffre jede Hoffnung zu nehmen. Das ist eine sehr gegensätzliche Beziehung, die für die Reihe sehr untypisch ist und Mikkelsen viel Raum gibt, eine sehr menschliche Ausgabe eines Bondschurken zu spielen. Es gelingt ihm fabelhaft.
- Leider verpasst der Film aber auch eine große Chance im Zusammenspiel von Chiffre und Bond. Anders als in Flemings Roman (dem sich der Film erst nach einer Stunde Laufzeit widmet), ist in der Filmversion Bond für die missliche Lage des Schurken verantwortlich. Er hat den Skyfleet-Anschlag verhindert und seinen Gegner in die Scheiße überhaupt erst reingeritten. Der Film nimmt darauf aber gar keinen Bezug mehr, nicht einmal in der Folter-Szene, die sich dafür angeboten hätte. Hier hätte die Bond-Bösewicht-Beziehung viel Potenzial gehabt, welches Campbell und sein Team einfach verschenken. Schade!
- Die Zeichnung der Vesper-Rolle ist nicht wirklich kohärent. Immer wieder gibt es Momente, bei denen ich mich frage, warum sie sich auf einmal so extrem gegensätzlich verhält. Die Duschszene etwa passt gefühlt überhaupt nicht zu ihrem vorherigen Auftreten (und was der Film als Wendepunkt meint, geht bei mir deshalb nicht auf, es ist zu plötzlich). Auch ihre krasse Verliebtheit mit Kitsch-Dialog ("Du kannst mich haben, wo immer du willst") in der Reha kommt quasi aus dem Nichts. Besser wäre gewesen, die Actionunterbrechungen des Pokerspiels (Defibrilator, Treppenhaus) in die Beziehung der beiden zu investieren.
- Der Kampf im Treppenhaus ist viel härter, als ich ihn in Erinnerung hatte. Der Kill am Ende dürfte einer der härtesten in der Bondreihe sein. Definitiv eine starke Szene - und viel besser als die Action am Miami Airport, die gerne mehr Pfeffer hätte haben dürfen. Das ist etwas zu sehr Bond-Standard, und etwas zu unspektakulär aufgelöst. Überhaupt gibt Campbell seine Twists gerne zu früh Preis. Am Airport wird zu klar angedeutet, dass Bond den Schlüsselanhänger am Bombenleger befestigen konnte, in Venedig gibt es die blöde Szene mit Vesper auf dem Boot und Gattler am Steg, die den Twist schlicht vorweg nimmt!
- Alle Szenen am Pokertisch sind wirklich stark. Es war richtig, statt Baccara im Film auf Poker zu setzen. Es ist das spannendere Spiel und die Situationen im Film sind wirklich schön. Richtig unschön bleibt dafür die doofe Vergiftungsszene, bei der Craig extrem deplatziert ins Overacting abrutscht und der Film etwas hilflos versucht, mit aller Macht Suspense zu erzeugen, wo keine ist. Auch hier ein merkwürdiger Umgang mit Vesper: Erst nennt Bond sie "Blöde Kuh", dann rettet sie ihm dort als Deus Ex Machina das Leben, und isst kurz darauf mit ihm fröhlich zu Abend? Oh James... Junge, musst du gut sein.
- Bis zur Folterszene ist Casino Royale in der Tat ein geglückter Actionfilm, dessen Reboot-Ansätze mir nicht gefallen (alle Gespräche mit Vesper über Bonds Kindheit, seine Beziehungen zu Anzügen, Alkohol und Frauen etc. gehen für mich am Bond-Charakter der vorherigen 21 Filme vorbei!), der aber sein Ding straight durchzieht. Bei der Folterszene bricht das alles aber stark ein. Der Elchtest ist bereits ein hemmungsloser Over-the-top-Moment, der mir zu sehr drüber ist, die Folter selbst ist aber kaum besser. Alles ein bisschen gritty, ein bisschen brutal, aber nicht so richtig Bond und weder Fisch noch Fleisch.
- Was dann im letzten Drittel wirklich stört, ist, dass mich die Liebesgeschichte kaum toucht - und ich ihr auch gar nicht folgen will, weil der Plot eigentlich zu Ende ist. Chiffre ist tot, Mathis als vermeintlicher Verräter abgeführt. Je länger das alles läuft, umso klarer wird, dass da noch was kommen muss - und als der Film in Venedig wie erwähnt seinen Twist dann sogar selbst spoilert, ist die Luft raus. Sehr merkwürdig auch, wie Bond am Strand mit Vesper darüber philosophiert, wie sein Job nach langer Ausführung die Seele angreift... Hochtrabende Worte für jemanden, der den Job seit 2 Wochen erst macht.
- Die Venedig-Action ist besser, als ich sie in Erinnerung hatte. Die schöne Idee, dass Bond in einem Gebäude nach oben will, während das Gebäude selbst gerade nach unten versickert, ist cool und es gibt einige klasse Einstellungen. Sowieso hat Campbell den Film auffallend schön gefilmt. Die Tunnelblick-Optik von GE ist komplett verschwunden, stattdessen gibt es viele tolle Shots (die erste Einstellung vom Skyfleet, die BMW-Fahrt zum Ocean Club bei Tageslicht, das Öffnen von Mr. Whites Tor am Ende des Films, die letzte Einstellung am Miami Airport, die auf Craigs Gesicht fokussiert bleibt etc).
- Keine echte Kritik, aber dennoch merkwürdig: M sagt in der vorletzten Szene des Films zu 007, dass er seine Lektion gelernt habe im Bezug darauf, dass Bond nun niemandem mehr vertraue. Ich frage mich ein wenig: Ist das nicht mehr eine hohle Phrase, angesichts der Tatsache, dass Bond bereits VOR der Begegnung mit Vesper im Film ein recht kaltschnäuziges Schwein gewesen ist, der sich sichtbar für M von seinem Job emotional distanzieren konnte? Klar, in Vesper hat er sich verliebt, aber damit hat sich James im Nachhinein nicht entwickelt, sondern ist wieder der geworden, der er schon vor Vesper war.
Insgesamt hat sich bestätigt, was ich mir so bereits gedacht habe. Nach dem mir der Film bei der letzten Sichtung vor 2 Jahren erstaunlich gut gefallen hat (besser als bei der Kinosichtung), hat sich jetzt doch wieder der erste Eindruck als der nachhaltigere bestätigt. Casino Royale funktioniert als rasanter Actionfilm mit Thriller-Komponente, bleibt aber in seiner Charakterarbeit etwas schwammig und bricht am Ende unschön ein, weil der Film dort sein Pacing-Problem offenbart (letztlich haben wir hier einen Film, der sich in der zweiten Hälfte am Roman grob orientiert, ihm aber vorher eine einstündige Vorgeschichte andichtet und am Ende mehr dramatisieren muss: Entsprechend grob fällt auch die Dreisatz-Struktur auf). Mit James Bond hat die Rollenauslegung von Daniel Craig für mich wenig zu tun, dennoch spielt er mit wenigen Ausnahmen (die Defibrilator und Folter Szenen) seinen Part überzeugend. Judi Dench, Jeffrey Wright und Eva Green machen ihren Job ordentlich, aber ohne aufregend zu sein, Giancarlo Gianni ist das wahre Glanzlicht, während Mads Mikkelsen als ungewöhnlicher, aber toller Schurke leider nicht bis zur Klimax erhalten bleibt. Arnolds Score ist toll, aber wohl sein einziger, der nur im Zusammenspiel mit den Bildern überzeugt. Inszenatorisch gelungen gefilmt, kann Campbell die deftigen Pacing-Probleme und das sehr wacklige Script nicht immer verbergen. Die recht tiefe Platzierung in meinem Ranking konnte sich damit bestätigen.
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Let the sheep out, kid.