sodala, nach 3x CR nun auch mein review dazu. ist etwas lange geworden...
"Casino Royale" (2006), Review von Gernot Seidl -
www.JamesBond.de
Einleitung
1966: nach dem für damalige Verhältnisse sehr futuristischen „Man lebt nur zweimal“ schickt man George Lazenby 1969 für ein einziges Mal in den realen „Geheimdienst Ihrer Majestät“, dieser kann’s kaum fassen und verliebt sich unsterblich.
Wir schreiben das Jahr 1981: nach Bonds Ausflug in den Weltraum 1979 in „Moonraker“ kehrt er in „In tödlicher Mission“ wieder auf die Erde und gleichzeitig auf den Boden der Realität zurück.
Fast 30 Jahre später, Jahr 2002: Nachdem der 49-jährige Pierce Brosnan nach „Stirb an einem anderen Tag“ sein unsichtbares Auto nicht mehr findet (ist er denn vielleicht schon so alt, dass er es nicht mehr sieht?) und die Produzenten und Drehbuchautoren auch keine passende Story (für das bewährte Action-Schema F), sind sie an einem Punkt angelangt, wo sie nicht so recht weiter wissen…
Aber nicht nur der 11. September 2001 soll einiges zu der bevorstehenden Veränderung beitragen, auch der Umstand, dass die 007-Produzenten endlich, nach knapp 50 Jahren und ewigem Hin und Her, auch die Filmrechte von Ian Flemings erstem Meisterwerk mit dem „Casino Royale“ bekommen haben.
Aber der Zug scheint ja wohl schon abgefahren zu sein. Nur weil es schon einmal irgend so ein – wie heißt er noch mal? – Tarantino vorgeschlagen hat? Wie will man nach über 40 Jahren und 20 Filmen aus dem allerersten Roman aus dem Jahre 1953 jetzt plötzlich einen neuen Film anfertigen?
Etwa einen neuen, relativ unbekannten, etwas jüngeren 007-Darsteller suchen, der vielleicht noch blond und kein „Schönling“ ist, sondern Ecken und Kanten besitzt und außerdem noch wenig Lust hat mit den Boulevardmedien über sein Privatleben zu sprechen? Die Filme von nun an weg von den Actionspektakeln und den unsichtbaren Autos wieder zurück zur harten, realistischeren Agentenaction welche gleichzeitig Teil der Handlung ist (und nicht umgekehrt!) führen, das ganze mit ironischen und humorvollen Dialogen wie in den guten alten 60ern verpacken? Und wenn man schon für so viel Verwirrung gesorgt hat, würde man gleich noch einen draufsetzen, in dem man einfach Bonds neue Chefin nicht abschießt und einen neuen männlichen M wie im Roman holt, sondern, da sie ja so eine tolle Schauspielerin ist und sogar von der Queen dafür einen Titel bekam, darf sie auch gleich beim Neuanfang wieder dabei sein…
Nein, also das klingt nicht nach Michael G. Wilsons und Barbara Broccolis EON-Productions, welche in den vielen Jahren zuvor so gut wie kein Risiko eingingen und immer lieber eineinhalb Augen auf die Einspielergebnisse als auf die Handlung gerichtet hatten…
Oder etwa doch?
Oktober 2005: Der neue Bond wird vorgestellt. Am Tag davor hat es schon seine Mutter den britischen Boulevardmedien verraten, aber nun sieht man ihn tatsächlich mit Regisseur und Produzenten – Daniel … wie heißt er noch mal? Graig? Nein! Genau! Craig, Daniel Craig! Die Schwimmweste (die er aus versicherungstechnischen Gründen anhaben musste, und die auch die (echten!) Soldaten tragen mussten) abgelegt, stellte er sich der internationalen Journalisten-Meute, ging aber auf keine privaten Fragen ein – der Mann wusste ja auf was er sich da eingelassen hatte (wusste er es eigentlich damals wirklich?).
Über ein Jahr später…
Die Pre-Title
Schwarz-weiß… Ich erinnere mich noch gut, als plötzlich die Meldung im Internet die Runde machte, der neue Bond würde am Anfang nicht in Farbe sondern in schwarz-weiß und die allererste Farbe im Film würde das Blut der Gunbarrelsequenz sein. „Wie können die das bloß machen? Das ist doch ein Bondfilm! Was soll der Schei*?“ So etwa waren damals meine ersten Gedanken.
Und jetzt Monate später im fertigen Film? Perfekt! Düstere Stimmung, man kann den grauslichen Geruch auf dieser Toillette förmlich riechen, Craig als härtester und gleichzeitig realistischster Bond aller Zeiten zeigt gleich zu Beginn wies bei seinem Bond lang geht. Sah die härtere und deswegen auch realistischere Gangart (denn ich stelle mir jedenfalls vor, dass ein echter Mord alles andere als nett anzusehen ist und einem nach seinem ersten Mord auch einiges durch den Kopf geht, was Craigs Gesichtsausdruck grandios zeigt) bei Timothy Dalton im Vergleich zu Daniel Craig irgendwie verkrampft aus, nehme ich dem neuen 007 seine Brutalität und Entschlossenheit voll ab…
Gunbarrel, Titelsequenz und Titelsong
Einer meiner wenigen Kritikpunkte: Okay sie funktioniert, und im Prinzip ist das 3D-Blut auch ganz schön anzusehen, aber ehrlich gesagt freue ich mich schon auf die hoffentlich klassische Gunbarrelsequenz mit Craig in BOND 22 zu Beginn des Filmes (mit 2D-Blut und gewohnter Pose!).
Dieses mal verrenken sich bei der Titelsequenz keine hübschen Frauen ihre Körper, sondern diese wird mit Absicht (fast) ohne weiblichen Einfluss und im Retrostyle (wie auch der restliche Film) gehalten, passend dazu Chris Cornells YOU KNOW MY NAME welches sich mit der Titelsequenz gleich noch um eine Klasse besser anhört. Erst am Schluss wird der „007-Status confirmed“ und der neue Bond zeigt sich in bekannter Pose (mit seinen leuchtenden stahlblauen Augen).
Der Film
War ich nach meinem ersten Mal im „Casino Royale“ noch etwas perplex, schon begeistert aber vielleicht noch nicht vollständig überzeugt, ging es mir ab dem 2. Mal komplett anders. Möglicherweise lag es einfach daran, dass ich im Hinterkopf noch die 20 anderen Bondfilme und ich nicht komplett realisiert hatte, dass hier Bonds Werdegang gezeigt wird und er nicht mit dem Anzug und seiner Walther auf die Welt gekommen ist… Vielen ging es da wahrscheinlich ähnlich.
Ab dem 2. Mal Ansehen waren diese „Bedenken“ jedoch weg und ich war einfach BEGEISTERT. Seit vielen Jahren wieder einmal dieses unbeschreibliche Bondfeeling (seit „GoldenEye“ um genau zu sein) nach dem Kinobesuch. Dann verstand ich anscheinend auch die einzelnen Facetten des neuen (eigentlich alten) Bonds. Dieser Bond macht Fehler, verhält sich noch nicht wie ein britischer Gentleman, ist aber keineswegs dumm. Das beweist er auch, als er die für ihn eigentlich peinliche Situation, wo er für einen Parkburschen gehalten wird, gekonnt zum eigenen Vorteil nutzt und gleichzeitig noch seines Spaß dabei hat.
Wie bei keinem einzigen Bondfilm, kommt natürlich auch bei „Casino Royale“ die Action nicht zu kurz. Aber keine Matrix-Sequenzen mehr, endlich wieder Verfolgungsjagden, Schießereien und harte Faustkämpfe.
Die fulminante, minutenlange Verfolgungsjagd in Madagaskar, die bombastische Tankersequenz auf dem Miami-Airport, der toll choreographierte Treppenfight oder der Showdown in Venedig mit grandioser digitaler Technik (so soll CGI eingesetzt werden, man soll es nicht merken!). Bei CR ist die Action im Vergleich zu seinen Vorgängern besser dosiert, abgeschlossener, realistischer, einfach atemberaubend und spannend. Aber auch ganz wichtig: sie ist Teil der Handlung – und nicht umgekehrt!
Aber gleichzeitig kommen hier aber auch meine 2 Hauptkritikpunkte: Einerseits sind mir die Schnitte manchmal etwas zu schnell vorgekommen beziehungsweise manche Szenen allgemein zu kurz. Gerne hätte ich einige Einstellungen und Kameraperspektiven länger gesehen, etwa der bereits angesprochene erste Mord auf der Toilette (möglicherweise wäre der Film aber dann zu brutal geworden), das Pokerspiel, oder die „Verfolgungsjagd“ mit dem Aston Martin DBS vor der Folter, aber da sich viele bereits über die knappen 2,5 Filmstunden beschwert haben, wäre das wohl kaum realisierbar gewesen (uns Bondfans bleibt ja noch die Hoffnung auf die DVD!).
Andererseits das in der Bondreihe bekannte Product-Placement. An und für sich habe ich nichts dagegen, solange es auf gewisse Art und Weise zur Handlung des Filmes gehört oder sich dezent im Hintergrund hält. Und dass bei einer Sony-Produktion keine Nokia-Handys benutzt werden, ist mir auch klar, aber etwas dezenter hätte seinen Zweck wohl auch erfüllt…
Ansonsten wurden, was aber im Prinzip nicht anders zu erwarten war, schon relativ viele Aktualisierungen und Veränderungen im Vergleich zum Original-Roman vorgenommen, wobei ich die Annäherung an die aktuellen Umstände rund um 9/11 und den anderen Terroranschlägen als sehr gelungen bezeichne.
Natürlich wäre Flemings Bakkarat eleganter als das Pokerspiel rüber gekommen, aber ich bin froh, dass man Szenen wie Bonds Vergiftung, die Folter, Vespers Selbstmord (in SEHR adaptierter Form!) und Bonds Schlusssatz „The bitch is dead“ im Film halten konnte. Und gerne hätte ich Daniel Craig wie Ian Flemings Originalbond mit einer Zigarette am Spieltisch gesehen, aber man kann wohl nicht alles haben...
Kann man über die ein oder andere oben angeführte Veränderung noch streiten, sind die ausgereiften und humorvollen Dialoge, die über den gesamten Film verstreut liegen, meiner Meinung nach als grandios zu bezeichnen. Britischer Humor wie er im Bilderbuch steht - großes Kino das wieder an die guten alten Bondklassiker erinnert. Wobei ich eigentlich noch nie in einem Bondfilm eine solche Pointen-Dichte erlebt habe, und auch selten (in einem Actionfilm allgemein!) an vielen Stellen so herzhaft gelacht habe wie in CR. Hier gilt wohl der gesamte Dank Paul Haggis!
Obwohl die einzelnen Charaktere des Filmes im Vergleich zu den letzten Bondfilmen im Großen und Ganzen sehr gut beschrieben wurden, hätte ich noch gerne etwas mehr Zeit mit Felix Leiter (zum ersten Mal vom tollen Jeffrey Wright gespielt, den wir hoffentlich wieder sehen!) verbracht, und auch über Le Chiffre hätte ich gerne mehr erfahren, aber dann hätte mein „Casino Royale“ wohl 4 Stunden gedauert…
Und weil wir schon bei Mads Mikkelsen sind, der meiner Meinung nach eine tolle Performance abgeliefert hat: Seine deutsche Synchronstimme (Axel Malzacher) passt leider überhaupt nicht, auch Adreina de Martin klingt auf Solange sehr „aufgesetzt“, aber viel Text hat sie eigentlich eh nicht. Ansonsten passt die deutsche Synchronisation im Großen und Ganzen, auch Daniel Craig klingt WUNDERbar (obwohl ich immer noch der Meinung bin, Dietmar Wunder wäre nicht die optimale Wahl, aber er hat Talent und ist wandlungsfähig, das hat er uns mit CR bewiesen!).
Zum Schluss zur Hauptattraktion des neuen Filmes: Daniel Craig.
War ich ihm vom Anfang an neutral gegenübergestellt und konnte er mich schon während der Dreharbeiten mit dem diversen Bild- und Videomaterial von sich überzeugen, aber das, was er dann im fertigen Film zeigt, ist schlichtweg genial. Kein Darsteller hat Bond glaubhaft mit so vielen Facetten, Kanten und Ecken darstellen können wie er es tut. Ist er in einer Szene noch der brutale Killer Ihrer Majestät, präsentiert er sich in der nächsten dem Publikum im perfekt passenden Smoking als wahrer 007. Oder sitzt er in der einen Szene mit Vesper unter Dusche und spielt eine der gefühlvollsten Szenen der Bondgeschichte, verschafft er uns wenig später mit der Folterung die brutalste aber gleichzeitig auch lustigste Szene des gesamten Filmes. Für mich der beste Schauspieler, der sich jemals den Bondsmoking übergezogen hat, da kann er soviel blond sein wie er will! =)
Und die Sache mit der Eleganz und dem „Bondlike“ bekommen wir in BOND 22 sicherlich auch noch präsentiert, spielen kann Craig es auf alle Fälle…
Alles in allem ist „Casino Royale“ endlich der bodenständige, realistische und harte BOND in Agentenmanier den ich mir schon so lange gewünscht habe, mit tollem Drehbuch (endlich wieder einmal!) und einem großartigen neuen 007-Darsteller, der Lust auf MEHR macht! Gleichzeitig hoffe ich, dass man diese realistische und harte Gangart auch für die nächsten Bondfilme mit Daniel Craig beibehält.
Abschließend gebe ich zu, dass ich auch 2002 nach dem ersten Kinobesuch von „Die Another Day“ begeistert war, aber ich glaube, das kann man einem Bondfan nicht übel nehmen, immerhin habe ich über mehrere Jahre fast Tag für Tag darüber berichtet und mich riesig darauf gefreut. Habe ich ihm nach dem ersten Mal noch eine 8/10 gegeben, ging meine Begeisterung darüber nach fast jedem Ansehen irgendwie mehr verloren, so landete der Film am Schluss als er auf DVD erschien bei 5/10 Punkten, aufgrund der starken ersten Hälfte des Filmes. Bei CR ist es dieses mal aber genau umgekehrt – ein gutes Zeichen wie ich denke…
Insgesamt bekommt „Casino Royale“ von mir 9/10 „egal ob geschüttelt oder gerührte Vodka-Martinis“!
Achja, eine große Bitte hab ich noch: Paul Haggis for BOND 22!!