Re: Sight and Sound - Die 50 besten Filme aller Zeiten

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vodkamartini hat geschrieben:Das stimmt. Gilt inzwischen auch für den guten Dustin.
Letzten Sonntag war ich beim Freiluftkino auf dem Hamburger Rathausmarkt.
Da wurde "The Graduate" gezeigt, und es waren hunderte Zuschauer da, von denen die meisten eindeutig zwischen 18 und 35 waren.
Dustin Hoffman spielt in einer Liga mit Jack Nicholson, Robert DeNiro, Al Pacino und Co.
Und auch die "Jugend" weiß, wer er ist.

Aber das hat ja nichts mit so einer Liste zu tun.
Denn ob ein 13-jähriger Teenager in Deutschland Dustin Hoffman kennt oder nicht, macht ja einen Film nicht besser oder schlechter. ;-)

Re: Sight and Sound - Die 50 besten Filme aller Zeiten

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vodkamartini hat geschrieben:
Maibaum hat geschrieben:Es läuft halt auf die Besten heraus ... ;)

Und bei individuellen Listen kommt es genau so darauf an wer sie erstellt.
Ja, aber da wird es ziemlich sicher größere Überraschungen geben.

Das betrachte ich nicht wirklich als Überraschungen, weil ich es für normal halte daß auch viele unbekannte Filme hoch geschätzt werden, und daß dann eine Gesamtliste logischerweise wieder verstärkt die üblichen Verdächtigen enthält, das ist dann auch wieder logisch.
Aber das interessante ist halt welche der üblichen Verdächtigen drin sind, und welche nicht. Die Auswahl ist groß, und das zum Beispiel Bressons beliebtester Film Zum Beispiel Balthasar ist, und nicht Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen, das finde ich eben interessant.

In der S&S Sound Liste sind 20 -30 der Hundert Ersten sicherlich diejenigen die ich da auch erwarte, aber bei den anderen hätte ich mir auch 300 andere vorstellen können.

Re: Sight and Sound - Die 50 besten Filme aller Zeiten

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Maibaum hat geschrieben: 30. November 2022 10:51 Er ist ja auch sehr begabt, und hat zumindest bis Ende der 90er ein recht abwechslungsreiches, und trotzdem stringentes Oeuvre geschaffen, und da ist es auch klar, daß er dafür auch Anerkennung von Seiten der Filmkritik findet, und logisch auch Preise bekommt.
Ich finde es eher umgekehrt überraschend, daß er nicht noch sehr viel mehr Oscars bekommen hat.

Er wird in der neuen Sight & Sound Liste, die übrigens wohl morgen online geht, auch wieder prominent vertreten sein. Was will man mehr?
https://www.bfi.org.uk/sight-and-sound/ ... s-all-time
https://www.bfi.org.uk/sight-and-sound/ ... s-all-time

Die Sight & Sound Liste ist erschienen (Kinder, war es nicht erst gestern als hier die S&S-Liste von 2012 Thema war? Wie die Zeit verfliegt!)

Touki-Bouki hat besser abgeschnitten als C'era una Volta und andere Kuriositäten. So hat ein Kartoffelschälfilm die beiden Platzhirsche Vertigo und Kane verdrängt. Ich glaube einige aus der 2012er-Top 10 sind in die Top 20 abgestiegen.

Ohne jetzt nachgezählt zu haben scheinen die jüngeren Jahrzehnte etwas besser vertreten zu sein als letztes Mal. Portrait de la Jeune Fille en Feu (2019), der schon das Listenprojekt bei Criterion gewonnen hat, ist z.B. recht weit oben - verdient so. Und Mulholland Drive und In The Mood for Love sind diesmal in der Top 10 gelandet.

Spielberg ist in der Top 100 der Kritiker nicht vertreten, aber mit Jaws bei den Regisseuren. Welche auch lieber 2001 schauen als Kartoffeln zu schälen und so des Kübels Meisterwerk auf Platz 1 gewählt haben. Allerdings haben die Herrschaften Regisseure noch Mängel beim Content Management und Teile ihrer Top 20 sind durch einen Datenfehler gar nicht ersichtlich.
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Re: Sight and Sound - Die 50 besten Filme aller Zeiten

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Ja, die neue Liste, einerseits ist sie sehr erfreulich, weil jetzt doch ein paar mehr neuere Filme drin sind als üblich, sie also nicht mehr ganz so konservativ ist wie früher, aber gleichzeitig wurde sie jetzt auf eine für mich etwas befremdliche Art und Weise durcheinander gewirbelt.

Aber das sie teils meinen Geschmack widerspiegelt, und teils überhaupt nicht, das ist das Wesen solcher Listen. Auch die massiven Veränderungen, also die Filme die raus sind, und die Filme die reingekommen sind, scheinen mir die Liste auf den ersten Blick weniger "gut" zu machen.

Die neue #1 habe ich tatsächlich nie gesehen, und es ist auch ein Film der mich bislang nie groß interessiert hat.

Re: Sight and Sound - Die 50 besten Filme aller Zeiten

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Casino Hille hat geschrieben: 2. Dezember 2022 13:09 Aber immerhin ist jetzt ein Film einer Regisseurin auf Platz 1, damit ist doch viel gewonnen. Oder?

Oder?
Reicht denn heutzutage nur Frau überhaupt noch aus? :?

(Bitte ebenfalls nicht ernstnehmen, einfach ein weiterer kleiner Spaß.)

Interessante Liste und es ist in gewisser Weise beruhigend, dass immerhin 20 der Top100 von Filmemachern sind, die auf meiner gestrigen "Klassiker-Liste" stehen. [sich-voller-Eigenbegeisterung-anerkennend-auf-die-Brust-schlagend] :D
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Re: Sight and Sound - Die 50 besten Filme aller Zeiten

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Maibaum hat geschrieben: 2. Dezember 2022 12:25 Die neue #1 habe ich tatsächlich nie gesehen, und es ist auch ein Film der mich bislang nie groß interessiert hat.
Ich habe die neue #1 jetzt tatsächlich mal gesehen, einen sperrigen Film mit einem sperrigen Titel: "Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles". Mein geschätzter Ko-Moderator hat den weiter oben ganz salopp als Kartoffelschälfilm bezeichnet und ich bin mir nicht sicher, ob ihm bewusst ist, wie richtig er damit eigentlich liegt.

Man kann viel darüber lesen, erst recht seit der Sight & Sound Liste, es handle sich hier um ein zutiefst feministisches Werk, um einen Film, der das Hausfrausein in einer patriarchalen Herrschaftsordnung illustriert. Die visuelle Sprache dieses avantgardistischen Experimentalfilms ist eine extrem reduzierte. Es gibt keinerlei Kamera-Bewegung, nur statische, oft unerträglich lang durchgehaltene Einstellungen, die beinahe immer im direkten 90 Grad Winkel zu einer Wand im Hintergrund stehen. Der Film verzichtet gänzlich auf Spektakuläres und Fantastisches, auf alles, was als Puffer zwischen Film und Publikum dienen würde, und hinterlässt uns eine brutal ehrliche Darstellung eines vollkommen alltäglichen Lebens. Jeanne Dielman ist als Protagonistin also quasi die moderne Frau, die sich an die Rituale ihrer täglichen Pflichten klammert, um in einer männerdominierten Welt, die unaufhörlich gegen sie arbeitet, ein gewisses Maß an Kontrolle zu behalten.

210 Minuten geht das und so schaut man Dielman in Echtzeit dabei zu, wie sie Hack knetet, Kartoffeln schält, mit ihrem Sohn zu Abend isst und all das tut, was Hausfrauen halt eben den ganzen Tag im heimischen Gefängnis tun, erst recht, wenn sie keinen Partner haben, der im Haushalt helfen kann. Es geht noch eine kleine Spur weiter, denn Dielman ist nebenbei auch noch Prostituierte, empfängt Herrenbesuche und nimmt natürlich Geld dafür. Es wird wenig geredet, es passiert sogar noch weniger. Dielmans Leben besteht aus Wiederholung und Unterwerfung. Sie hat die Rollenerwartungen an sich als Frau gänzlich verinnerlicht, sie ist ganz und gar domestiziert. Bis ihre Routinen irgendwann durchbrochen werden, ihr beim Geschirrtrocknen eine Gabel auf den Fußboden fällt, sie mal beim Verlassen eines Raumes das Ausschalten des Lichts vergisst oder in ihrem Café ihr Stammplatz von einer anderen Frau belegt wird. In den letzten 10 Minuten führt das zu einer Kurzschlussreaktion ihrerseits, die für uns neutrale Betrachter völlig unverständlich ist, aber irgendwie auch Sinn ergibt.

Es ist schon eine harte Geduldsprobe, diesem Film ohne jedes Ereignis beizuwohnen. Dramaturgie wird völlig verleugnet. Filmzeit ist hier nicht erzählte Zeit, sondern erlebte Zeit. Man kann gewissermaßen konstatieren, dass Chantal Akerman als Regisseurin daran erinnert, wie vieles von dem, was Hausfrauen in ihren Routinen und Abläufen den lieben langen Tag machen, in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, weil sie es in den Innenräumen ihrer Wohnungen verrichten (müssen), während Kultur und Gesellschaft draußen stattfinden; ein Raum sind, von dem sie ausgeschlossen werden.

Hat mich das gepackt? Hmm, schwer zu sagen. Kann es packend sein, einer fremden Person weit über drei Stunden lang beim schnöden Haushalt zuzuschauen? Die Langeweile, die man verspürt, ist einkalkuliert, denn Akerman weiß, dass man von "Langeweile" bzw. Ereignislosigkeit nur erzählen kann, wenn man die Langeweile auch auf den Zuschauer überträgt. Sagen wir so, ich bin nicht traurig, "Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles" mal gesehen zu haben.

Ist es der beste Film aller Zeiten? Nein. Aber das sind "Vertigo" und "Citizen Kane" auch nicht. Und auch kein zukünftiger Film, den Sight & Sound als solchen küren werden.
https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/

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Re: Sight and Sound - Die 50 besten Filme aller Zeiten

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Sicher, Vertigo und Citizen Kane nicht, sind ja nich tmal die besten Filme ihrer Regisseure, aber wenn sie 2001 wählen, was die Kritiker ja bereits getan haben, dann ... ;)

Aber ich habe Jeanne Dielman auch geschaut als er letztes Jahr auf Arte lief, logisch.

Hier habe ich Langweile erwartet, und wurde nicht enttäuscht. Ich mag ja viele reduzierte Filme, aber nicht den hier.
Ich stimme dir in vielem zu, nur daß ich Langeweile ja immer als schlecht empfinde, mir aber schon vorstellen kann das JD auch Leute faszinieren kann, aber ich mochte es so wenig daß ich teils vorgespult habe. Nach fast 3 Stunden begann die monotone Gleichmäßigkeit dann doch etwas interessant zu werden, aber das Ende war dann fast schon lachhaft, auch wegen seiner armseligen Inszenierung.
Insgesamt ein etwas gräßlicher Film, von dem ich auch nicht denke daß ich ihn irgendwann doch noch "verstehen" werde. Trotzdem habe ich vor so einem für mich gescheiterten Film mehr Respekt als vor einem gescheiterten Kommerzfilm der ähnlich gräßlich ist, wie z.b. Jacksons King Kong.

Und die S&S Abstimmung ist ja zumindest in der aktuellen 2022er Version, sehr wahrscheinlich von vielen TeilnehmerInnen zugunsten von Frauenfilmen massiv manipuliert worden, also nicht ganz so aussagekräftig. Und das finde ich etwas schade, denn so etwas macht nur Sinn wenn man sich bemüht ehrlich zu sich selber zu sein.

Re: Sight and Sound - Die 50 besten Filme aller Zeiten

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Ja, 2001 an der Spitze würde Sinn ergeben. Ich konnte den dieses Jahr zum x-ten Mal im Kino sehen und wage zu behaupten: er war (noch) besser als je zuvor.

Für mich ist Vertigo aber tatsächlich Hitchcocks bester und einer der besten Filme aller Zeiten. Und Citizen Kane ist glaube ich der beste von Welles, von dem ich aber nur... drei? Filme gesehen habe.

23 Quai du Commerce habr ich nie gesehen, ich weiss bereits, wie man Kartoffeln schält
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