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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Verschollen im Bermuda-Dreieck
Bei wenigen Schauspielern ist das Wort „Legende“ so angebracht wie bei Christopher Lee. Und das nicht nur, weil er knapp sieben Jahrzehnte lang aktiv war und in über 285 Filmen mitwirkte, darunter zumeist als Bösewicht: vor allem in seinen mehrfachen Auftritten als „Dracula“ wurde er berühmt! Lee lebte auch abseits der Leinwand ein so hoch interessantes Leben, das es ihm nicht gerecht würde, bezeichnete man ihn „nur“ als eines von Hollywoods größten Talenten, wenngleich dies bei seiner Körpergröße von 1,96 Metern eine hübsche Doppeldeutigkeit hätte.
Er war adeliger Abstammung, seine Mutter eine Gräfin aus dem Adelsgeschlecht Carandiri. 1939 wurde er Augenzeuge der letzten öffentlichen Hinrichtung durch eine Guillotine auf dem europäischen Kontinent. Im Zweiten Weltkrieg spionierte er für den OSS, zusammen mit seinem Großcousin Ian Fleming, dessen literarische Schöpfung James Bond in Teilen auf Lee basiert. Er sprach zahlreiche Sprachen, hatte sie autodidaktisch erlernt. Er konnte fließend Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Spanisch und Swahili. Auch Deutsch beherrschte er, hatte er doch in einigen Edgar-Wallace-Verfilmungen wie „Das Rätsel der roten Orchidee“ mitgespielt, und später seinen Part im Zeichentrickklassiker „Das letzte Einhorn“ selbst nochmal für die deutsche Synchronfassung eingesprochen.
1977 erhielt er von der US-Stuntmen-Association deren höchste Auszeichnung, eine bronzene Gürtelschnalle, als er bei einem seiner eigenen Stunts fast zu Tode gekommen wäre – am Set des Katastrophenfilm-Blockbusters „Verschollen im Bermuda-Dreieck“. In diesem war Christopher Lee nur einer von vielen. Bei dem Actionabenteuer von Regisseur Jerry Jameson handelte es sich schließlich um den dritten Teil der „Airport“-Filmreihe, die sich in den Vorgängern bereits durch große Star-Ensembles ausgezeichnet hatte. Das Prinzip war simpel: es brauchte eine Katastrophe in Verbindung mit einem Flugzeug, an dessen Bord sich so ziemlich alles versammelte, was in Hollywood Rang und Namen hatte.
Das „Airport“-Original hatte 1970 eine Trendwelle an Nachahmern ausgelöst, die erste Fortsetzung „Giganten am Himmel“ verankerte sich in der Popkultur. Für „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ sollten die vorherigen Spektakel getoppt werden. Statt wie zuvor Flugzeugabstürze zu verhindern, stürzte eine luxuriöse Boeing 747 dieses Mal tatsächlich ab. Es handelt sich um den Privatjumbo eines steinreichen Philanthropen, der auf diesem Weg Bekannte und Verwandte nach Florida fliegen will und gleich die Gelegenheit nutzt, noch einen Haufen an Kunstgegenständen einzufliegen. Dumm nur, dass sich ein paar Gangster in die Maschine schmuggeln, mittels eines Spezialgases alle außer Gefecht setzen und die Maschine kapern. Noch dümmer, dass die Ganoven mitten über dem Bermuda-Dreieck einen Ölbohrturm streifen, und die Maschine somit mitten auf dem Ozean landet und sofort versinkt. Richtig dumm, dass bis auf einen von ihnen alle Schurken bei dem Manöver draufgehen.
Die cineastische Prominenz ist somit im Schlund der Meere gefangen, darunter die aus „Asphalt-Cowboy“ bekannte Brenda Vaccaro, „Ich hab‘ dir nie einen Rosengarten versprochen“-Sweetheart Kathleen Quinlan sowie zwei großen Hollywood-Ikonen: „Citizen Kane“-Hauptdarsteller Joseph Cotten und „Vom Winde verweht“-Star Olivia de Havilland geben sich die Ehre und scharmützeln ein wenig miteinander. Gefordert werden sie nicht. Die Stars sind für die „Airport“-Filme an diesem Punkt ganz zum Selbstzweck geworden. Exemplarisch zeigt sich das an einer Szene, in welcher der blinde Schmusesänger Tom Sullivan selbstironisch die Ballade „Beauty is in the Eyes of the Beholder“ schmettert: eine Sequenz, die nur dadurch motiviert zu sein scheint, dass mit „Die Höllenfahrt der Poseidon“ und „Flammendes Inferno“ nur wenige Jahre zuvor gleich zwei Katastrophenfilme einen Oscar in der Kategorie Bester Song gewinnen konnten. Sullivan gibt nach dieser Gesangsszene dann auch schnell den Löffel ab, für mehr wird er nicht gebraucht.
In der Hauptrolle des heldenhaften Piloten Don Gallagher wurde „Manche mögen‘s heiß“-Komiker Jack Lemmon besetzt; eine angesichts seiner Physis denkbar ungewöhnliche Wahl für einen Actionfilm. Zudem wird an Land ein paar Mal der besorgte Millionär gezeigt, gespielt vom großartigen James Stewart. Wer aber Leistungen wie in Alfred Hitchcocks Meisterwerken „Das Fenster zum Hof“ oder „Vertigo“ erwartet, wird enttäuscht: Stewart durfte wenig mehr vorführen als den Umstand, wie alt er mittlerweile geworden war.
Für Zunder im Ensemble sorgen dann eben nur Christopher Lee und die aus „Shampoo“ bekannte Oscar-Preisträgerin Lee Grant als seine betrügerische Alkoholiker-Ehefrau. Grant hat sichtlich Spaß dabei, Gift und Galle in alle Richtungen zu spucken. Eine Szene, in der sie panisch unter Wasser die Flugzeugtür öffnen will, und dafür unsanft ins Land der Träume geboxt wird, soll bei Kinovorführungen frenetischen Applaus ausgelöst haben. Lee bleibt lange im Hintergrund, ehe sich seine unaufgeregte Figur als erfahrener Sporttaucher offenbart und Gallagher bei einem verzweifelten Rettungsplan helfen soll.
Zwar inszeniert TV-Veteran Jameson seinen Film durchaus kompetent, setzt auf ordentliche Spezialeffekte bei der Notwasserung und bekommt die klaustrophobische Stimmung an Bord des untergegangenen Fliegers souverän eingefangen, doch es fehlt sowohl am locker-leichten Spaß-Faktor der „Giganten am Himmel“ sowie an den psychologisch ausgefeilten Charakterporträts des ersten „Airport“-Films. Stattdessen bleiben die meisten Figuren flach gezeichnet, und ist der Flieger erstmal unter Wasser, beschränken sich Spannungsmomente die meiste Zeit auf ein paar knarzende Geräusche und besorgte Blicke. Mit der Fluchtaktion im zweiten Teil nimmt das Spektakel aber merklich an Fahrt auf. Dass der untrainierte Mittfünfziger Lee als angeblicher Sporttaucher keinen Deut glaubwürdig ist, macht angesichts dessen, dass der Film parallel auch Jack Lemmon als harten Kerl verkaufen will, kaum einen Unterschied.
Beide wollen sich in einer Kammer einschließen und diese fluten, um danach an die Wasseroberfläche zu gelangen. Der Ausgang dieser Szene gehört zum bizarrsten, was das Genre zu bieten hat: Minutenlang durfte Lee über seiner Taucherfähigkeiten lamentieren, nur damit seine Figur auf der Stelle verstirbt, als ihm bei der Kabinenflutung die Tür gegen den Kopf knallt. So kam es immerhin zum beinahe tödlichen Stunt: Die Passagiere schauen aus ihren Fenstern, als plötzlich der tote Taucher vorbeitreibt. Lee drehte die Passage selbst, ohne Atemgerät, und hielt für die Aufnahme so lange durch, dass ihm die Luft ausging. Der Einsatz hat sich gelohnt, denn es ist genau dieser Moment des Schreckens, den „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ gebraucht hat, um neue Energie zu erhalten.
Lemmons Gallagher schafft es nämlich an die Oberfläche und kontaktiert die Marine. Die leiten eine große Aktion der Marine ein, bei der das Flugzeug durch Luftkissen angehoben werden soll. Was hier an Schiffen und Tauchern aufgefahren wird, ist angesichts des Budgets von 6 Millionen Dollar wirklich beachtlich und das minutiöse Durchführen der riskanten Unterwasser-Aktion an der beschädigten Boeing liefert nachträglich die erhofften Spannungsmomente. Der Mix aus echten Marine-Geräten und Modell-Tricks bestand den Test der Zeit.
„Verschollen im Bermuda-Dreieck“ wurde ein recht ansehnlicher Erfolg, wenngleich sich das finanzielle Level der ersten Teile sowie deren filmische Qualität nicht mehr ganz erreichen ließ. TV-Routinier Jameson verzichtete auf die Macho-Helden der Vorgänger, dort noch hemdsärmelig von Burt Lancaster, Dean Martin oder Charlton Heston gespielt. Passenderweise hat George Kennedy in seiner Paraderolle als Flugzeug-Experte Joe Patroni als einziger Rückkehrer aus den vorherigen Filmen nur noch einen Gastauftritt, ist bloß für 91 Sekunden zu sehen.
Jameson fokussierte lieber das Spektakel, die Anziehungskraft der Attraktionen, erschuf einen filmgewordenen Rummelplatz. Es war daher nur folgerichtig, dass in den Universal Studios Hollywood kurz nach Kinostart eine eigene Themenpark-Attraktion zum Film veröffentlicht wurde. Dort konnten Tourbesucher in nachgebauten Sets die Charaktere von der großen Leinwand nachäffen und ihren eigenen Film“ drehen lassen. Die ganze Attraktion war ziemlich gewaltig, beinhaltete mehrere Wasserbecken. Selten konnte sich der normale Fan so sehr wie ein Hollywood-Star fühlen.
Für die „Airport“-Reihe war der Ausflug ins Bermuda-Dreieck ein letztes Aufbäumen, ehe der letzte Teil „Airport ‘80 – Die Concorde“ dann 1979 in Trash-Gefilden wilderte. Jerry Jameson tauschte 1980 ein untergegangenes Flugzeug gegen ein gesunkenes Schiff und drehte den Edel-Flop „Hebt die Titanic“. Jack Lemmon äußerte mehrfach, er hätte es trotz seiner charismatischen Performance bereut, sich als Actionheld versucht zu haben. Und Christopher Lee? Der wischte sich nach der kleinen Nahtod-Erfahrung am Set den Mund ab und lebte sein erstaunliches Leben weiter, hatte im hohen Alter noch ikonische Auftritte als Lichtschwert-schwingender Count Dooku in den „Star Wars“-Prequels oder als betrügerischer Zauberer Saruman in den Mittelerde-Filmen des „Der Herr der Ringe“-Kosmos, wurde 2009 zum Ritter geschlagen und nahm mit über 90 Jahren noch ein eigenes Heavy-Metal-Album auf.
Am 7. Juni 2015 starb er im Alter von 93 Jahren und hinterließ ein gewaltiges Vermächtnis. „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ mag davon nur ein sehr kleiner Teil sein, doch dient er als Beweis dafür, dass sich überall in Lees Lebenswerk denkwürdige Passagen und Leistungen finden.
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Let the sheep out, kid.