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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Ich habe mir zwei neue Boxen angeschafft und in den letzten Wochen endlich einige Hitchcock-Lücken aus den 1930ern geschlossen. Ein spassiges Unterfangen, denn die sechs bisher gesichteten Filme sind allesamt gut und gut gealtert, der noch vergleichsweise junge Hitch beweist bereits ein sehr gutes Händchen für Storytelling und visuelle Gestaltung, die Filme müssen sich keineswegs vor den "durchschnittlichen" Hitchcöckern (also die ganz grossen Highlights mal ausgeklammert) späterer Dekaden verstecken und übertreffen auch einige davon.
The Man Who Knew Too Much (1934)
Beim 34er-Mann bietet sich natürlich ein Vergleich mit dem losen Remake aus den 50ern an, und da fällt auf, dass der 34er bereits sehr stilsicher und durch die kurze Laufzeit auch knackig und temporeich in Szene gesetzt ist, was eine Stärke ist. Der 56er hat dafür mehr Scope und Scale, die bessere Konzertszene (die aus dem 56er ist aber auch wirklich schwer zu toppen) und mit Stewart und Day auch die stärkeren Leads (das Paar im 34er bleibt vergleichsweise blass), dafür hat der 34er wiederum mit Peter Lorre einen prägnanteren Gegenspieler und ein überraschend deftiges und grimmiges Schluss-Geballer. Im Zweifelsfall würde ich dem 56er knapp den Vorzug geben, der Unterschied ist aber sehr gering. Ein gelungener Auftakt für den Mini-Marathon.
Wertung: 8 / 10
The 39 Steps (1935)
Die Story eines zu Unrecht beschuldigten auf der Flucht - ein prototypischer und wegweisender Hitch. Die 39 Stufen sind erneut sehr knackig und stilvoll in Szene gesetzt, tempo- und abwechslungsreich und das schottische Hinterland bietet einen stimmigen Backdrop für einen Grossteil der Geschichte. Vor allem sind hier aber auch die beiden Leads sehr stark, ganz besonders die bezaubernde Madeleine Carroll, die mir nichts, dir nichts zu einer meiner liebsten Hitchcock-Blondinen geworden ist. Ihre aneinandergekettete Flucht mit Robert Donat in der zweiten Hälfte vermischt gekonnt Screwball-Elemente mit dem spannenden Spiel um das Vertrauen zwischen den beiden. Der Aufhänger bzw. die Auflösung der Geschichte ist vielleicht etwas gar skurril, passt aber eigentlich auch ganz gut.
Wertung: 8,5 / 10
Sabotage (1936)
Nicht zu verwechseln mit Saboteur (1942). Sabotage ist wohl der grimmigste und böseste der sechs Filme, im Kern ist das ein recht tragisches Domestik-Thriller-Drama, das für einige der Charaktere ein eher böses Ende nimmt. Rückblickend für mich der schwächste der sechs Filme, was aber vielmehr ein Lob für die anderen als Kritik an diesem hier ist. Der grösste Trumpf neben der tonalen Eigenständigkeit (zumindest unter diesen sechs) ist sicher auch, wie gekonnt Hitch Setting und Charaktere etabliert und wie gekonnt er den dramatischen Ansatz durchzieht, bis hin zu einigen doch recht drastischen Szenen.
Wertung: 7 / 10
Secret Agent (1936)
Bei Secret Agent bin ich fast eine Stunde staunend vor der Glotze gesessen, drauf und dran meine Hitchcock-Top-5 neu zu sortieren. Ich konnte kaum fassen, was mir hier geboten wurde: Im ersten Weltkrieg wird ein Typ, der ohne Witz fast genauso aussieht wie Michael Fassbender in Inglourious Basterds, von Geheimdienstchef "R" nach Bella Svizzera geschickt, um dem deutschen Spion das Handwerk zu legen. Und ebenso Bond-like geht es weiter, denn genau wie in LALD wird ihm an der Hotelrezeption mitgeteilt, dass seine Frau, die er nicht kennt, bereits eingetroffen sei. Fassbender hat von "R" nämlich Madeleine Carroll (schmacht) als Tarnungs-Gattin und Peter Lorre in der Rolle eines dauerquasselnden mexikanischen Womanizers (!) als Sidekick zur Verfügung gestellt bekommen. Das ungleiche Trio muss einen Doppelagenten kontaktieren, der sich als Kirchenorganist von Langenthal (!!!) tarnt findet im Casino einen potentiellen Spion und will ihn dann bei einem inszenierten Bergunglück eliminieren. Die erste Stunde geht runter wie Zuckerwasser, besondere inszenatorische Schmankerl finden sich in der Kirche von Langenthal (ich wiederhole: scheiss Langenthal, womöglich das letzte Kaff, das ich je in einem Hitchcock- oder überhaupt einem Film erwartet hätte) oder in der spannenden Parallelmontage der Bergszene. Leider lässt das letzte Drittel dann etwas nach, ist zwar immer noch gut, aber nicht auf dem Niveau der ersten Stunde. So ist dann auch der ganz grosse anfängliche Enthusiasmus etwas verflogen, alles in allem ist Secret Agent aber richtig dufte.
Wertung: 8 / 10
Young and Innocent (1937)
Hier steht das Motiv des zu Unrecht beschuldigten sogar im Titel. Young and Innocent ist ein schmissiger und leichtfüssiger Thriller, der viel Atmosphäre aus dem Setting in der englischen Landschaft und entlang der Küste schöpft. Auch das Lead-Duo ist charismatisch, diesen beiden schaut man gern bei ihren launigen Ermittlungen zu, um den Namen des Burschen wieder rein zu waschen. Viel mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen, hat Spass gemacht.
Wertung: 7,5 / 10
The Lady Vanishes (1938)
Mein heutiger Abschluss zumindest der 30er (einige ungesichtete Filme aus den 40ern hab ich noch) war zugleich auch der Höhepunkt. The Lady Vanishes ist wunderbar abwechslungsreich und alles andere als vorhersehbar, ich hatte oft nicht den Hauch einer Ahnung, was in den nächsten 30 Sekunden noch alles passieren könnte. In nur 90 Minuten bringt Hitch gekonnt Humor, Screwball, Paranoia, Action und ein Regiment an farbigen und interessanten Charakteren unter einen Hut. Das Hotel- und das Zugsetting sind toll, das zentrale Rätsel um die verschwundene Dame ist ein wirkungsvoller Aufhänger, auf dem sich Hitchcock aber auch nicht zu lange ausruht sondern das Geschehen immer geschickt weiterentwickelt. Die beiden Leads, die sich anfangs nicht ausstehen können, sich aber mehr und mehr zusammenraufen müssen, sind wieder grossartig, vor allem die exzellente und bezaubernde Margaret Lockwood. Prädikat grosser Spass.
Wertung: 9 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.