Rewatch mit einem Kumpel – Ja, der Hille hat wirklich Freunde …

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Meinen besten Freund kenne ich so lange ich lebe, könnte man sagen. Und trotzdem war ich nie ein sonderlich guter Einfluss auf ihn. Da haben wir über die Jahre wirklich zahlreiche Filme zusammen gesehen, lächerlich viel über unsere Lieblingsdarsteller/-innen und Regisseur/-innen geredet, aber doch irgendwie die schönste filmische Attraktion der Welt bitter vernachlässigt: 007! Er hat Bond nie gesehen. Ich habe sie nahezu alle viel zu häufig gesehen. Was liegt da näher, als gemeinsam einen Blick draufzuwerfen? Rewatch für mich, First Time für ihn.
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Re: Rewatch mit einem Kumpel – Ja, der Hille hat wirklich Freunde …

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Doctor No

Es soll ja Menschen geben, die noch nie einen James-Bond-Film gesehen haben, darunter auch ein guter Freund von mir. Um das zu ändern, schauen wir uns jetzt gemeinsam durch die Reihe und haben gestern mit DN und FRWL begonnen. Es war ein großer Spaß, wenngleich ich für mich immer wieder vermehrt feststelle, dass ich DN eher als Wegbereiter der Filme sehe, die ich so toll finde – er selbst aber noch nicht ganz dazugehört. Erstaunlich ist, wie es Harry Saltzman, Albert R. Broccoli und Terence Young direkt beim ersten Versuch gelungen ist, im Kleinen bereits die Art Film zu etablieren, die dann 60 Jahre lang folgen sollte. Die Bond-Reihe musste sich nach DN nicht erst finden, wie man bei einem langlebigen Phänomen denken könnte: Es ist schon nahezu alles da, was später Teil der gern zitierten Formel wurde. Gut möglich, dass das auch damit zu tun hat, dass dieser Film auf Ian Flemings sechstem Bond-Roman basiert und es von allen 26 Bond-Filmen der ist, der sich am dichtesten an der literarischen Vorlage bewegt. So hat DN sowohl das Frische von etwas gänzlich Neuem als auch die entspannte Selbstsicherheit eines längst etablierten Kosmos. Oder anders gesagt: DN ist der erste Bond-Film, aber er könnte theoretisch auch der zweite oder dritte sein.

Als Film für sich betrachtet ist DN sehr ordentlich. Die Einführung in den Film mit dem Doppelmord, den theatralisch präsentierten "Crab Key"- und "Doctor No"-Akten und der folgenden ersten Szene mit James Bond ist ziemlich selbstbewusst gestaltet. Ich finde, in der anfänglichen Casino-Szene merkt man, dass die Macher hinter den Kulissen bereits eine Serie planten und den Enthusiasmus hatten, ihre Heldenfigur dementsprechend vorzustellen – als hätten sie schon gewusst, dass sie etwas Großes vor sich haben, ehe das Publikum es wissen konnte. Wie erwähnt folgt DN der Fleming-Vorlage mehr als jeder andere Film der Reihe und ist dadurch noch etwas rauer und weniger Spektakel-lastig, erinnert in Teilen mehr an einen Detektiv-Inselkrimi als an einen Agentenfilm. Ein "richtiger" Krimi ist es natürlich nicht, alleine schon deshalb, da der Name des Täters (oder Strippenziehers) im Titel verraten wird und damit kein so großes Geheimnis ist. :mrgreen:

Aber DN lebt von Jamaika als Handlungsort, der exotisch und "sommerlich" eingefangen wird und natürlich von Sean Connery, der Bond in DN noch zynischer und weniger weltmännisch als später spielt, in den entscheidenden Szenen aber bereits auftrumpft. Unverschämt cool ist seine Interaktion in seiner Wohnung mit Sylvia Trench, die Ermordung Dents und wie souverän er sich beim Abendessen mit Dr. No schlägt – die üblichen Bond-Provokationen sind hier bereits enthalten ("Sagen Sie, entschädigt das Toppling amerikanischer Raketen für den Verlust zweier Hände?"). Auch der Plot ist weitgehend vernünftig entwickelt, und die noch sehr gering dosierte Action angemessen integriert. Die kleine Autojagd mit den Three Blind Mice war natürlich schon 1962 keine Sternstunde gelungener Rückprojektionen (und Connerys wildes Lenkrad-Rudern hilft wenig), aber der bissige Spruch hinten raus rundete es für mich immer doch noch in Ordnung ab und ein kleiner Höhepunkt des Films folgt ja direkt im Anspruch, wenn Miss Taro ganz verdutzt schaut, als unser aller Lieblingsschotte vor ihrer Tür steht.

DN funktioniert als Auftakt der Reihe, weil Bonds Charakter und der "Stil seiner Abenteuer" stark vorgestellt werden. Seine Lizenz zum Töten, die im Dialog mit M erstmals erwähnt wird, wird in mehreren guten Szenen untermauert, die Bond als einen Pragmatiker festigen. "Warum?", fragt Honey, und Bond antwortet: "Weil es sein muss." Prof. Dent erschießt er ohne eine Notwendigkeit, weil er es eben für richtig hält. Später gibt er sogar zu, der Strang "Rache" in Dr. Nos Organisation wäre für ihn wohl am besten geeignet. Das sind kleine, sehr effektive Momente, die alle dazu beitragen, dass man nach 109 Minuten ein vollständiges Bild dieser Person vor Augen hat, wegen der man ein Jahr später erneut ins Kino kommen soll. Andere Stärken des Films: Terence Young inszeniert noch weniger geschickt und gekonnt wie in seinen späteren Bonds, sein Szenenaufbau insbesondere schwächelt in Teilen, aber sein Stil, auf Nahaufnahmen nahezu immer zu verzichten wenn möglich, lässt DN sehr groß und weit und aufwendig aussehen. Ganz toll kommen so Ken Adams Sets auf Crab Key zur Geltung, und generell ist es atmosphärisch gewinnbringend, dass nach Bonds und Honeys Gefangennahme der Film nur noch in Innenräumen spielt. Plötzlich ist Jamaika weg, das Inselfeeling ist vorbei, und so spürt man als Zuschauer die Gefangenschaft der beiden Figuren.

Trotzdem ist DN für mich im unteren Drittel der Reihe einzusortieren. Ich mag diesen Film, doch ich mag die meisten Bonds einfach noch ein wenig mehr. Die Gründe dafür sind vielfältig: DN ist sicherlich ein bescheidener Beginn dieser langlebigen Reihe, vielleicht für meinen Geschmack dann aber doch etwas zu bescheiden. Die Energie des Films ist vergleichsweise niedrig, richtig spannend wird es nur in vereinzelten Momenten. Dafür fehlt in DN dann doch das Bedrohungsszenario, dafür ist das Drehbuch meines Erachtens nicht präzise genug. Bonds anfängliche Mission, den Mörder von Strangways zu finden, verwässert irgendwann mehr und mehr und ohne es zu wissen, sterben die eigentlichen Mörder dann relativ nebensächlich, und alles, was Bond als Antwort erhält, ist Dents: "Strangways wurde erledigt. Wie, spielt keine Rolle."

Gleichzeitig schießt der Plot auch den ein oder anderen etwas skurrilen Bock. Lustig ist zum Beispiel die Szene in Pussfellers Club ("Jump Up"), in der Bond mit Leiter und Quarrel bespricht, welche Inseln Strangways abgesucht hat. Leiter erwähnt dann ganz beiläufig, dass eine der Inseln ja einem Chinesen gehöre, der da auch eine kleine Radarstation stehen hat und auf der man sich nicht aufhalten dürfe. – Ja mensch, von wo aus wird das Toppling wohl veranstaltet? :wink: An dem Punkt hätte ich meine gesamten Ermittlungen von Vornherein ausschließlich auf Crab Key konzentriert. Kein Wunder, dass Felix in den Filmen Bond häufig um Hilfe bittet, wenn er nicht einmal bis Zwei zählen kann … Ähnlich merkwürdig ist die Figur der Honey Ryder. Einerseits erfüllt sie als exotische Schönheit aus den Fluten ihre Sex-Appeal-Funktion für den Film ganz beträchtlich. Kurios ist aber wieder, wie wenig Energie sie als Figur innehat. Da wird in einem langen Dialog extra ausführlich erklärt, dass ihr Vater von Dr. No ermordet wurde, nur damit sie beim Aufeinandertreffen mit Dr. No nicht mehr als hübscher Blickfang ist? Ja, es war 1962 und Bond ist der Held des Films, aber viel mehr als ein attraktiver Klotz am Bein ist Ursula Andress leider wirklich nicht.

Potenzial lassen die Filmemacher noch zu oft liegen in diesem Film. Während FRWL und GF sehr reizvoll die Fleming-Vorlagen variierten, ehe dann ab TB größtenteils nur noch Tabula Rasa stattfand, hätte es DN womöglich gut getan, noch dichter am Buch zu bleiben. Es fällt im finalen Akt jedenfalls auf, dass einiges sehr "schnell" abgehandelt wird. Doctor No als Charakter wird in der Abendessen-Szene schön gezeichnet, danach wird mit ihm aber nichts mehr veranstaltet. Bond entkommt aus seiner Zelle durch das enorm große Gitter in das erstaunlich geräumige Röhrensystem, klettert durch ein weiteres Gitter raus und beendet, wo er eh grade dabei ist, den Film noch schnell. Vielleicht wäre es effizienter gewesen, wie im Roman auf die Experimente / Tests zurückzugreifen, die Bond unter der Aufsicht von No durchlaufen muss, um dem Bösewicht noch mehr Profil zu verleihen und Bond als Helden eine Prüfung bestehen zu lassen, durch welche er sich den Sieg über seinen Gegenspieler wirklich verdient.

Ich mag DN für seinen Pulp-Charme (Ganz herrlich: Es handelt sich hier um die Art Film, bei der groß ein Blutfleck auf einem Teppich als Nahaufnahme gezeigt wird und eine Stimme aus dem Off erklärt, dass wir gerade einen Blutfleck zu sehen kriegen … ), für seine frühe Bond-DNA, für eine im Kontext der Reihe sehr kleine Ausrichtung und für seine ikonischen Momente. Als Film halte ich ihn für gelungen – trotz deutlicher Schwächen. Dazu zähle ich die vergleichsweise spannungsarme Handlung, das figürlich etwas unterentwickelte letzte Drittel, der Soundtrack von Monty Norman (der trotz des legendären Bond-Themes ansonsten eher nach den frühen 50ern als nach den frühen 60ern klingt) und kleinere inszenatorische Schwachstellen. Obwohl mit DN alles begann, schaue ich ihn eigentlich nur dann an, wenn ich mich durch die gesamte Reihe gucke. Für einen gemütlichen Abend zwischendurch lege ich 15-18 Bond-Abenteuer einfach noch lieber in den Player. Das spricht ausdrücklich nicht gegen DN, sondern für einen Großteil der Reihe.
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Re: Rewatch mit einem Kumpel – Ja, der Hille hat wirklich Freunde …

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From Russia With Love

Wie erwähnt schaue ich jetzt mit einem Freund, der noch nie einen Bond-Film gesehen hat, gemeinsam alle Filme chronologisch durch. Direkt im Anschluss an DN folgte FRWL und bei dieser direkten Gegenüberstellung strahlt der glänzende FRWL-Stern am Bond-Firmament gleich umso heller. Ist das ein Top-5-Bond? Ja, ja und nochmal ja! Es ist geradezu unverschämt, wie grandios allen Beteiligten und allen voran Terence Young dieser erst zweite Bond-Film gelungen ist. Als Vorlage diente der in den Augen vieler beste Roman von Ian Fleming, immerhin ist es sogar jenes literarisches Bond-Abenteuer, welches von John F. Kennedy höchstpersönlich einst auf eine Liste seiner 10 Lieblingsromane des damaligen Jahres gesetzt wurde. Jedenfalls ist 60 Jahre später bloß erstaunlich, dass es sich bei Film Nr. 2 der Reihe schon um einen perfekten Eintrag im Franchise handelt, der alles, was Bond ausmacht, bereits ideal ausbuchstabiert – und das, bevor einige Franchise-Ikonografien vollends manifestiert waren. Schon DN musste man loben, wie selbstsicher er seinen Helden vorstellte, so als wüsste er bereits, dass da gerade ein über 60-jähriger Kinomythos entsteht. FRWL versteht sich fraglos schon als Teil dessen.

Obwohl das große Schurkenhauptquartier fehlt, obwohl das einzige Q-Gadget ein Koffer mit Tränengaskapsel ist, obwohl man auf richtige Actionszenen die meiste Zeit vergeblich wartet und dann alles nur in den letzten 20 Minuten stattfindet: FRWL verkörpert für mich alles, was Bond in seinen besten Momenten ausmacht. Martin Scorsese hat vor ein paar Jahren die Marvel-Superheldenfilme abwertend als "Theme Park Rides" bezeichnet, aber in wertschätzender Weise beschreibt das für mich das Bond-Kino perfekt: Es sind aufregende Spionage-Themenparkveranstaltungen, irgendwo auf der Schwelle zwischen Pulp und Mystery, mit einer Prise Nervenkitzel, wann immer es sich anbietet. Terence Young, Albert R. Broccoli und Harry Saltzman haben das von Beginn an verstanden und schon beim zweiten Anlauf perfektioniert. Die ersten fünfzehn Minuten zeigen das genauestens auf: In insgesamt vier Szenen wird nicht nur der Plan der Schurken (und somit der Plot des gesamten Films) vorgestellt, sondern auch im Schnellverfahren einmal das ganze Bestehen deren Universums.

Den brutalen Killer Red Grant, der den ganzen Film über das finale Ziel verfolgt, James Bond zu töten, wird eingeführt, in dem er – genau – erstmal James Bond tötet (oder zumindest einen Mann mit James Bond Maske). Der geniale Terroristen-Pläneschmieder, der dank seines brillanten Verstands schon um mehrere Züge die Reaktionen seiner Gegner vorhergesehen hat, wird beim Schachspielen eingeführt (er hätte aber auch Strippenzieher im Marionettentheater sein können). Das Mastermind im Hintergrund wird nie direkt gezeigt, sinniert nur über die Brutalität seiner gezüchteten Kampffische und verfüttert diese gemütlich an die Katze auf seinem Schoß. Die ausführende russische SPECTRE-Omi watschelt auf dem Rekrutierungsgang ihrer Terroristensuche wohlwollend nickend an einer Schussmauer vorbei, an der die Attentäter-Azubis am lebenden Objekt Schießübungen vollziehen. All das ist eigentlich ziemlich gaga, komplett drüber und in seiner Natur einem Comic Strip näher als einem Agentenfilm. Aber genau das ist eben das Konzept: Young versucht gar nicht erst, diese Elemente als geerdet zu präsentieren, nimmt sie in ihrer überzogenen Darstellung aber auch ernst.

Ein großer Triumph der der Bond-Reihe besteht darin, sich immer sehr effektiv in einem filmintern eigenen Universum aufgehalten zu haben, dessen Wiedererkennungswert hoch ist. Young rückblickend dabei zuzuschauen, wie er im ersten Akt diese überkandidelte, in sich aber stimmige Glamour-Spionagewelt etabliert, ist, als schaue man ihm dabei zu, wie er allein den Filmmythos Bond vor den eigenen Augen zusammenbastelt – ohne Sean Connery überhaupt auftreten zu lassen. Wenn der dann ins Bild kommt, ist gar keine Einführung à la Casino aus DN mehr nötig. Schmusend hockt er da in seinem kleinen Boot, eine hübsche Frau an seiner Seite, und das Büro muss zugunsten eines gemeinsamen Schäferstündchens nochmal eine halbe Stunde länger warten. Connery agiert mit schlafwandlerischer Gelassenheit, ist dabei aber eben unverschämt cool. Die Spionagemission, auf die James Bond in FRWL geschickt wird, lässt sich übrigens wie folgt zusammenfassen: "Mr. Bond, es gibt irgendwo in Istanbul eine russische Blondine, die einmal ein Foto von Ihnen gesehen hat und jetzt mit Ihnen direkt in die Kiste hüpfen will. Fahren Sie doch einfach mal hin und schauen Sie, was da los ist." :mrgreen: Genial auch, dass M gegenüber Bond diese wirklich idiotische Geschichte ausführlich erzählt und Bond nur reagiert mit: "Das Ganze ist so absurd, dass es beinahe wahr sein könnte." – Mensch, da ist aber einer wirklich von sich überzeugt …

In der Horizontalen ermittelt es sich jedenfalls am angenehmsten und so verschlägt es Bond nach Istanbul, und spätestens hier ist FRWL ein Gedicht von einem Bond-Film. Die orientalische Kulisse wird dermaßen stimmungsvoll, atmosphärisch und sogar spannend eingeführt, das es eine Freude ist. Neben der Hagia Sophia ist vor allem die Kanalisation von Kaiser Konstantin für mich persönlich ein großes Schmankerl. Bond-Filme sind in ihren stimmigsten Momenten zumeist ironisches Kino und somit könnte es kaum passender sein, dass Bonds Fahrer auf dessen Bemerkung, sie würden verfolgt und ob dies denn in Istanbul so üblich sei, ganz gelassen entgegnet: "Klar, so machen wir das hier. Die Bulgaren verfolgen uns, wir verfolgen sie. Das tut der Freundschaft keinen Abbruch." :lol: Das Ensemble von FRWL ist fantastisch. Mit Kronsteen, Rosa Klebb und Red Grant hat man drei famose Gegenspieler etabliert, die alle auf ihre Art funktionieren – insbesondere Grant als stiller Verfolger im Hintergrund hat über die gesamte Laufzeit eine immense Präsenz, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass wir seine Rolle im Plot von Beginn an kennen und Bond fast 100 Minuten lang dabei zuschauen, wie er auf unseren Wissensstand aufholt. Wenn das dann passiert, und Bond und Grant und damit auch Sean Connery und Robert Shaw sich gegenseitig endlich reinen Rotwein einschenken, ist das Dialogduell der beiden nicht mehr oder weniger spannend wie der direkte brutale Faustkampf, der folgt, und bei dem sich beide Schauspieler spürbar mit vollem Körpereinsatz ineinander werfen. Der fraglose Höhepunkt des Films!

Aber auch abseits von SPECTRE ist der Cast großartig: Ali Kerim Bey ist der wohl beste Verbündete, den man Bond je an die Seite stellte und wird von Pedro Armendáriz mit Lebensfreude und viel Charme verkörpert. Seine Figur ist deshalb so prägend für den Film, weil er als "Kenner" der vertrackten Istanbul-Welt Bonds einzige echte Anlaufstelle ist. Besonders hervorheben sollte man noch Daniela Bianchi, denn Tatjana Romanova ist für mich in der absoluten Bond-Girl-Topliga. Sie sieht nicht nur absolut phänomenal aus, sie ist auch integraler Teil der Schurken-Scharade und es ist beinahe tragisch, wenn sie von Bond an Bord des Orient-Expresses geohrfeigt und angebellt wird, obwohl sie ja selbst gar nicht mehr weiß, was hinter den Kulissen eigentlich gespielt wird. Bonds Machogehabe und sein Sextrieb stellen eine wesentliche Komponente des Plots da – so würde man das heute wohl nicht mehr machen. Der ganz fantastische Vorspann (einer der besten der Reihe) etabliert aber schon als Motiv, wie Sex in Bond-Filmen funktioniert: Auf die nackten Beine und Bäuche orientalischer Tänzerinnen werden die Namen der Beteiligten projiziert. Ein Hingucker, sicher, aber dann doch so präsentiert, dass man alles gut und in Ruhe durchlesen kann. Im Vordergrund steht nämlich der Text. Angedeutete Erotik bringt nur die gewisse Würze.

A propos Vorspann: John Barrys Soundtrack ist fantastisch, eingängig, explosiv und dramatisch. Der Bond-Sound, den kein Komponist mehr prägte als er, tönt hier aus jedem Stück heraus; ein immenses Upgrade zum direkten Vorgänger. Genau das gilt auch für die Regie von Terence Young: Wieder verzichtet der Filmemacher bei jeder Gelegenheit auf Nahaufnahmen und sorgt damit für "große" Bilder, die gerade in den Actionszenen mächtig was hermachen. So passt es zu seinem Stil, dass er beim großen Geballer im Zigeunerlager nicht nur zwischen schießenden Menschen auf beiden Seiten hin und her schneidet, sondern mit der Kamera Bond folgt, der einen Rundgang über das Schlachtfeld macht und sich beinahe scharmützelnd an den Kämpfen beteiligt. Actionhighlights hat FRWL auch ansonsten reichlich: Die Schlacht im Zigeunerlager und die abschließende Bootsjagd mit gehörig Explosionen sind dabei genauso beeindruckend wie die vergleichsweise "kleineren Kämpfe", einmal die zweier Zigeunerinnen auf Leben und Tod und natürlich die erwähnte brutale Auseinandersetzung zwischen Bond und Grant an Bord des Orient-Express'. Unbedingt hervorheben sollte man noch den Helikopter-Angriff, bei dem die Kufen mehr als einmal wirklich gefährlich nah am Stuntmann (oder war es gar Connery selbst?) vorbeirasen, ehe die Szene selbst durch einen hübschen Witz abgerundet wird.

An dieser Stelle mal ein Einwurf meines Mitguckers: "Helikopter sahen in den 60ern irgendwie ulkig aus, so, als sollten die Dinger eigentlich nicht fliegen können." Recht hat er, allzu lange fliegt das Ding dann ja auch nicht. Übrigens auch in echt nicht: Terence Young hatte bei einem Helikopter-Flug während der Dreharbeiten einen heftigen Unfall. Das Teil stürzte überraschend ins Meer, Young wurde gerettet, blutete aber an beiden Beinen. Weitergedreht wurde dennoch nur 35 Minuten nach dem Beinahe-Unglück, Young soll an dem Abend schon Witze über das Ereignis gemacht haben: Bei solchen Vorfällen wohl kein Wunder, dass FRWL selbst in seinen halsbrecherischsten Momenten noch pointiert sein kann und sich dadurch seinen Platz an der Bond-Sonne verdient. Die Welt der Bond-Filme ist eine Welt des ungehemmten und ganz wichtig bedingungslosen Spaßes. Ohne ein wenig Gefahr ist der einfach nicht möglich. Da passt dann auch wieder der Themenpark-Vergleich. Eine Achterbahn macht nur Spaß, wenn man sich zumindest kurz der Illusion des Waghalsigen hingibt. Wer sich drauf einlässt, wird bei der Fahrt garantiert geschüttelt, nicht gerührt.

PS: Warum kommen die Liebesgrüße eigentlich "from Russia" bzw. "aus Moskau"? Müssten sie nicht "from Türkiye" bzw. "aus Istanbul" stammen?
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Re: Rewatch mit einem Kumpel – Ja, der Hille hat wirklich Freunde …

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Goldfinger

Selbst wenn jemand – so wie mein Kumpel – sich mit James-Bond-Filmen nie auseinandergesetzt hat und die Filme quasi überhaupt nicht kennt, hat man bereits von "Goldfinger" gehört. Im gewissen Sinne ist dieser Film bis heute der Bond aller Bonds, der bekannteste Titel des Franchise. Es mag sich bei DN und insbesondere bei FRWL um sehr gute bis exzellente Kinoabenteuer gehandelt haben, aber zum modernen popkulturellen Ereignis wurde 007 erst beim dritten Anlauf. Auf gewisse Art und Weise ergibt das aus heutiger Sicht, fast 60 Jahre später, sehr viel Sinn und dann doch irgendwie wieder so gar nicht. Einerseits hat GF nämlich alle Zutaten, die der Ottonormalverbraucher heute mit Bond in Verbindung bringt: Da ist Sean Connery so cool wie eh und je als Macho-Womanizer (und in keinem Film ist Bond so sehr Macho wie hier), da ist der größenwahnsinnige und charismatische Oberschurke, der kultige Henchman mit dem besonderen Gadget, der Aston Martin DB5 mit all den üblichen Q-Extras, die selbstbewusste aber letztlich doch hingebungsvoll dem Helden ergebene Bondine, das große Finale samt Atombombe im Anschlag und der explosive Cocktail aus Action, Sex, Charme und Humor, den die Reihe über die nächsten Jahrzehnte quasi perfektionieren sollte.

Und dennoch: Wäre er nicht durch seinen Einfluss der große Überklassiker, dann würde GF wohl als einer der ungewöhnlicheren Bond-Filme betrachtet werden, denn trotz all dieser Elemente ist er dann irgendwie wieder gar nicht so sehr auf Linie mit vielen seiner Nachfolgern. Der gemeinhin bekannte omnipotente Alleskönner 007 bekommt in seinem wohl bekanntesten filmischen Outing nämlich erstaunlich wenig geschissen, und wird entweder fortlaufend gefangengenommen oder mindestens k.o. geschlagen. Von der erfolgreichen Verführung zweier Frauen und einem etwas schelmischen Betrug beim Golfspiel gelingt Bond so gut wie nix im Verlauf der fast zwei Stunden. Schlimmer noch: Obwohl sich Guy Hamilton auf dem Regiestuhl sowie die Drehbuchautoren Richard Maibaum und Paul Dehn alle erdenkliche Mühe geben, einen anderen Eindruck zu erwecken, ist Bond über weite Teile der zweiten Hälfte des Films zur Passivität verdammt und befindet sich als unfreiwilliger Gast auf Goldfingers Pferderanch. Sicher ist dies der Romanvorlage von Ian Fleming geschuldet, die hier wie in den Vorgängern noch halbwegs als Gerüst für den Film taugte, ehe dann spätestens ab TB und YOLT seitens der Filmemacher Tabula rasa mit dem literarischen Erbe veranstaltet wurde.

GF ist ein ikonischer Film, und das hat sicherlich mit seiner Berühmtheit zu tun, aber auch sehr viel damit, wie Momente seitens Kamera und Regie ausgestellt werden. Anders als bei Regie-Vorgänger Terence Young, dessen Regie sich stets dem Pacing, also dem Hochhalten des Tempos verpflichtet fühlt, setzt Guy Hamilton einige Bilder und Momente länger in Szene und inszeniert sie wie ein Bühnenkünstler, der seinen nächsten Trick so lange händeringend anpreist, bis der Applaus verstummt ist. Die vielleicht berühmteste Szene aus über 60 Kinojahren Bond, in der Sean Connery fassungslos die tödlich vergoldete Jill Masterson vorfindet, wirkt heute so, als sei sie im Zusammenspiel mit der pompösen John-Barry-"Enthüllungsmusik" von Anfang an als ikonisch konzipiert gewesen, als ein Filmmoment, an dem man sich noch in 60 Jahren erinnern soll. Besonders amüsant ist dieser Franchise-prägende Augenblick im direkten Kontrast zur vorherigen Einführung der titelgebenden Schurkenfigur: Gert Fröbe kommt da einfach ohne Glanz und Glorie im Pool-Outfit eine Treppe runter gewatschelt. Dafür, dass er einer der bekanntesten Bösewichte des 60s Kinos ist, schreit sein erster Auftritt nicht wirklich nach einem Darth Vader oder Hannibal Lecter.

Im Kräftemessen zwischen Bond und Goldfinger liegt die gesamte Spannung des dritten 007-Films. Direkt nach dem Bond süffisant und ultra lässig dem Schurken erst sein Kartenspiel versaut und dann sein Mädchen ausgespannt hat, schlägt dieser zurück und lässt Jill über die Klippe springen. Von nun an liefern sich die beiden ein Ego-Duell, ob auf dem Golfplatz, in der bedenklichen Nähe eines Laserstrahls, auf Goldfingers Veranda oder in einem Privatjet in Richtung des Weißen Hauses. Es ist ein absoluter Genuss, Fröbe und Connery dabei zuzuschauen, wie sie sich gegenseitig die (Golf-)Bälle zuspielen. Es hilft, dass die Dialoge zwischen den beiden durchweg deliziös sind (ein persönlicher Liebling: "Beautiful animal, isn't she?" – "Certainly better bred than the owner" :mrgreen: ). Fans nennen den intellektuellen Schmuggler regelmäßig als einen der Topschurken der Reihe und das ergibt vollkommen Sinn, ist doch in keinem anderen Bond-Film der Antagonist selbst so sehr die zentrale Hürde, die Bond überwinden muss. Ein ganz toller, oft übersehener Moment ist jener, in dem Bond seinem Kontrahenten das Unternehmen Grand Slam vorrechnet, nur um nach und nach dadurch hinter Goldfingers Absichten zu kommen – was dieser mit diebischer Freude beobachtet und ihn sogar lobend unterstützt. Zwei Gegenspieler auf Augenhöhe!

In erster Linie ist GF mehr noch als andere Bonds ein Dekor-Film. Seine Ausstattung macht einen elementaren Teil seines Spaßes aus. Ken Adam übertrifft sich mit vielen Sets selbst, absolut fantastisch ist die unglaubliche Mischung aus goldener Kathedrale und Goldbarren-Knast, die das Innere von Fort Knox darstellt. Ähnlich opulent sind Goldfingers Büro (in dem ein herrlich naives Treffen von Klischee-Mafiosi stattfindet), das Laserstrahl-Laboratorium und der Privatjet der Pussy Galore. Im Zusammenspiel mit Hamiltons betont ruhiger, ausstellender Inszenierung harmoniert das sehr gut. Viele lange Szenen, die man so heute auf keinen Fall mehr machen würde (die lange Vergasung der Fort-Knox-Soldaten, die pressante Verabredung des Mr. Solo), charakterisieren GF als einen Film, der aus seiner Ausführlichkeit Energie schöpft, der Rhythmus über alles andere gewichtet. John Barry bekommt so genügend Möglichkeiten, als allen Rohren zu feuern und die Zuschauer regelrecht vor sich her zu treiben. Nirgendwo zeigt sich der Hang des Films für die brillante Mixtur aus Hochglanz und Gefahr besser als im Vorspann von Robert Brownjohn, in dem auf vergoldete Frauenkörper Szenenschnipsel projiziert werden. Ein hinreißendes Opening so kurz nach der prägnanten Bond-Einführung per Miniepisode, und sicherlich der prägnanteste Vorspann im Bond-Universum – nicht zuletzt, da Shirley Bassey einem ihren Titelsong mit fulminanter Wucht entgegen schmettert.

Aber was genau definiert GF bis heute als den Bond-Film, der die Figur, die Reihe und all ihre Errungenschaften in absurd kulturelle Höhen schleuderte? Erst recht, da zuvor FRWL doch eigentlich schon die perfekte Rezeptur präsentierte. Es klingt banal, aber vieles hat damit zu tun, dass GF vor allem eines ist, und für diese Eigenschaft hat die englische Sprache den perfekten Begriff: "Silly". Man kann dieses Wort mit "Dumm", "Albern", "Lächerlich" oder "Beknackt" übersetzen, aber keiner dieser Ausdrückte trifft GF so perfekt wie das englische Pendant. In GF wird der unsterblich coole Superagent mit der Lizenz zum Töten eingeführt, wie er sich unter Wasser an eine Basis anschleicht – mit einem Entenhelm auf dem Kopf. Im späteren Verlauf wird eine Frau, die er mir nichts dir nichts ins Bett bekommen hat als Racheaktion vergoldet. Sein Gegenspieler hat einen Handlanger, der Menschen tötet, in dem er seinen rasiermesserscharfen Hut auf sie wirft. Bond selbst kann so viel tüftlerische Extravaganz mit einem Sportwagen mit Schleudersitz kontern, und als dieser ihm versagt, muss er sich erneut auf seine Verführungskünste bei der Pilotin Pussy Galore verlassen … :lol: Als Fan, der mit Bond aufgewachsen ist, nimmt man all diese Elemente in GF und späteren Filmen hin, sie sind "typisch Bond". Guckt man die Filme aber mit einem Freund, der mit Bond nie irgendwelche Berührungspunkte hatte, öffnet einem das nochmal ganz frisch die Augen: GF ist ein völlig absurder Film, voll mit ausgeflippten Comic-Strip-Elementen.

Young nahm die überzogenen Elemente, die Bond von Beginn an hatte, immer noch in ihrem filmisch internen Universum ernst. Hamilton hingegen macht sich gemeinsam mit dem Publikum über all das lustig. Für ihn ist Bond ein großer Jux, ein herrlicher Nonsense, und genau den liefert er – mit Trompeten und Fanfaren. "Wenn wir die Herzensdame schon Pussy Galore nennen, warum dann nicht ihre ganze Fliegerstaffel mit blonden Atombusen besetzen?" – Ungefähr so müssen viele von Hamiltons Gedankengängen damals abgelaufen sein. "Ich scherze nie, wenn es um meine Arbeit geht", sagt Q in seiner großen Szene im Film, aber für den Regisseur gilt das Gegenteil: Seine Arbeit ist ihm ein einziges Scherzen, ein lustvoller Spaß am Überdrehen. Die professionell gemachten Actionszenen (besonders geglückt: die Jagd mit dem Aston Martin DB5 und Bonds finaler Kampf gegen Oddjob) sorgen für Spannung, viel mehr interessieren Hamilton aber die absurden Momente: Wenn Bond nach und nach alle Gucklöcher an Bord des Privatjets versperrt, wenn er blöd grinsend den Wachmann vor seiner Zelle foppt, wenn Felix Leiter und sein Kollege wie die letzten Deppen Goldfingers Scharade nicht durchschauen, wenn Bond und Pussy im Stall ihren Karateunterricht vollziehen, wenn der finale Atombomben-Counter bei "007" stehenbleibt oder wenn bei der Schlacht um Fort Knox ein unglücklicher Schurke dooferweise von der Tresortür gegen das Gitter gequetscht wird, dann formvollendet Hamilton genau das, was Bond für ihn ausmacht.

Natürlich ist bei GF nicht alles rund, und kleinere Kritikpunkte meines Mitguckers trafen den Nagel auf den Kopf: Tilly Mastersons Figur ist reichlich überflüssig, inkohärent gespielt und geschrieben, und so unvermittelt wieder raus aus dem Film wie sie reingekommen ist. Und Bonds Passivität über weite Strecken der zweiten Hälfte ist erstaunlicherweise nur selten ein Problem, sorgt aber dafür, dass es zu lange an den richtig gefährlichen Situationen mangelt. Alleine: Es spielt keine große Rolle, sind nur kleine Schönheitsflecken eines ansonsten überlebensgroßen Films. Mein persönlicher Lieblingsbond wird "Goldfinger" nie werden, denn wie es als Fan oft so ist, sind die eigenen individuellen Highlights selten die, auf die sich ohnehin alle einigen können. Aber GF ist eben genau das: Der eine Bond-Film, auf den wir uns irgendwie alle einigen können. Er ist ein großartiger Spaß, er ist die Geburtsstunde des durchweg selbstironischen Bond-Kinos, und irgendwie der Film, an dem sich alle Franchise-Einträge messen lassen müssen. "The film with the midas touch", wenn ihr so wollt.
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