SAMARATON RUNDE 5 – Exkurs
Die Frage aller Fragen oder welche Fassung von Pat Garrett & Billy the Kid ist denn nun die beste?
Die Frage nach der besten Fassung des Films lässt sich natürlich nur subjektiv beantworten und eines gleich vorweg: es gibt keine Fassung, mit der ich wirklich vollumfänglich zufrieden wäre. Und tasächlich sind die Dinge, die mich davon abhalten den Film als Meisterwerk in der Klasse eines Wild Bunch einzustufen dann auch alles Dinge, die man in jeder Fassung findet. A propos jede Fassung: die Kinofassung (welche ich zugegebenermaßen aber auch nur einmal vor gefühlt Hundert Jahren gesehen habe) fällt qualitativ schon unangenehm raus und wird daher in den folgenden Ausführungen auch ignoriert.
Vorweg noch eine weitere Anmerkung: unabhängig von persönlichen Präferenzen stellt für mich der Turner-Cut, also Peckinpahs Preview-Fassung, letztlich die einzige von Sam abgenommene Fassung dar. Der Seydor-Cut mag in bester Absicht gemäß den Intentionen Peckinpahs erstellt worden sein, allein alle Änderung basieren auf Mutmaßungen, was Peckinpah eventuell noch gemacht hätte: das bekannte Spiel mit der Fahrradkette. Von daher mag dem Turner-Cut noch der Feinschliff fehlen und er mag auch Material an Bord haben, das letztlich rausgefallen wäre, aber zumindest ist er von Peckinpah autorisiert. Die diversen inhaltlichen und stilistischen Änderungen des Seydor-Cuts sehe ich daher grundsätzlich kritisch.
Worin unterscheiden sich die beiden Versionen denn nun genau? Grob in folgendem: der Seydor-Cut übernimmt vieles des Feinschnittes der Kinofassung. Soll heissen: während im Turner-Cut viele Szenen und Einstellungen noch deutlich länger sind, ist der Seydor-Cut hier bereits kürzer. Das nehme ich prinzipiell als positiv wahr, da dadurch der Film einen etwas flotteren Rhythmus bekommt. Da es sich hier – weitgehend – um handwerkliche Kürzungen handelt (wobei die Grenzen zu inhaltlichen Kürzungen natürlich immer fliessend sind, aber zumindest fällt hier inhaltlich nur wenig der Schere zum Opfer), sehe ich diesen Feinschnitt als eine handwerkliche Anpassung an, die dem Turner-Cut – hätte Sam weiter an seinem Film arbeiten dürfen – sicherlich auch noch zugekommen wäre. Vermutlich nicht identisch, aber in ähnlichem Maße.
Jedoch: es gibt immer wieder Einstellungen und Momente, die diesem Feinschnitt zum Opfer fielen, bei denen ich es sowohl aufgrund ihrer Qualität als auch inhaltlich bedaure, ja die Kürzungen sogar für grundlegend falsch ansehe. Ein Beispiel hierfür ist die Erschiessung von Olinger. Kurz vor seinem Ende steht Olinger in beiden Fassungen und schaut lächelnd den auf dem Galgen spielenden Kindern zu. Nachdem Olinger erschossen wurde gibt es im Turner-Cut eine Einstellung, in welchen die Kinder weiter munter auf dem Galgen spielen, als ob nicht passiert wäre. Diese Einstellung fehlt im Seydor-Cut und ich wette Haus und Hof, dass Peck diesen kleinen Moment nie rausgenommen hätte (allein schon, da er ja quasi die Beantwortung der ersten Einstellung mit den Kindern ist). Ein weiteres Beispiel ist der Cameo-Auftritt von Peckinpah. Im Seydor-Cut ist dieser kaum noch vorhanden, u.a. fehlen Sams Worte über den Sarg und dass er nachdem er Billy begraben hat abhauen wird, ebenso seine Beschimpfungen gegenüber Pat am Ende seiner Rede. Durch die extreme Kürze im Seydor-Cut macht die Szene keinen Sinn mehr und sie blieb vermutlich nur drin als Ehrerweisung gegenüber dem Regisseur. Also entweder länger und mit entsprechender Relevanz oder ganz raus!
Ein weiterer Punkt bezüglich des Feinschnittes: es gibt immer wieder Einstellungen im Seydor-Cut, denen man bei genauer Betrachtung die Kürzungen anmerkt. So hat man häufig Momente, in denen jemand zB der einen Einstllung nach rechts schaut und in der nächsten dann in eine ganz andere Richtung - eben weil Material entfernt wurde. Sowas hat man zwar in vielen Filmen, bei PG&BTK kommt es aber bemerkenswert häufig zu solchen unrund wirkenden Übergängen. Auch wirken manche Szenen aufgrund der Kürzungen etwas gehetzt und eben auch unrund.
Der Feinschnitt ist aber natürlich beileibe nicht der einzige Unterschied zwischen den Fassungen. Es gibt mehrere Szenen, die in der jeweils anderen Fassung fehlen. Im Seydor-Cut wurden zwei Szenen mit Pat Garrett neu hinzugefügt, eine mit seiner Frau und die andere mit Billys Freundin Ruthie-Lee. Beide Szenen dienen in nicht unerheblichem Maße zur Charakterisierung von Pat als einem Mann, der wenn nicht innerlich bereits komplett tot (wie es ihm seine Frau vorhält), dann doch zumindest in den letzten Zügen liegend. Beide Szenen funktionieren auch perfekt als Doublette, da jeweils Pat mit einer Frau interagiert. Und so gewohnt und frei er im Umgang mit den Huren ist, so verklemmt und ungewohnt ist sein Umgang mit seiner Gattin. Im Turner-Cut gibt es dafür eine Szene im letzten Drittel, welche Garretts „Partner“ Poe zeigt, wie er Informationen aus einem alten Mann rausprügelt. Diese vergleichsweise lange Szene fügt dem Film nichts Wesentliches an Information hinzu (und ist im Gegensatz zu praktisch jeder anderen Szene auch nicht charakterrelevant für eine der beiden zentralen Figuren) und verstärkt eher das etwas schleppende Tempo der zweiten Hälfte. Roger Spottiswoode äusserte sich auch so, dass die Szene nur von Peckinpah integriert wurde, damit er diese bei Kürzungsaufforderungen von Studioseite wieder rausnehmen konnte. Von daher ist diese Szene eher entbehrlicher Natur.
Auch in der Szenenanordnung gibt es Unterschiede, so kommen einzelne Szenen mal früher, mal später im Handlungsablauf. Grössere Auswirkungen sowohl auf Dramaturgie als auch auf den Film kann ich dadurch aber nicht erkennen.
Die vielleicht augenscheinlichsten Fassungsunterschiede finden sich im Beginn und im Schluss des Films. Der Prolog unterscheidet sich in den zwei Fassungen darin, dass der Seydor-Cut hier nicht die Titelsequenz integriert, während im Turner-Cut über Freeze-Frames die Titel eingeblendet werden. Der Seydor-Cut hängt nach Pats und Billys Gespräch dafür eine eigene Titelsequenz an. Zudem wird im Turner-Cut die zweite Zeitebene über die Titeleinblendung viel früher etabliert, im Seydor-Cut schiesst der (junge) Billy auf den alten Pat ohne Ankündigung. Durch die fehlenden Freezeframes und die damit ebenfalls fehlenden Pausen (durch die Titel) wirken diverse Umschnitte nach den kurzen Kommentaren von Bright, Jones und Stanton etwas unrund. Der Seydor-Cut endet mit dem davon reitenden Pat, der Turner-Cut schneidet über zu Pats Tod aus dem Prolog und endet mit einem Freezeframe seiner Kutsche. Kann ich mit allen Änderungen des Seydor-Cuts einigermaßen gut leben, dann sind diese Eingriffe für mich ein No-Go. Der in der Turner-Fassung so rund laufende Prolog mit seinem selbstverständlichen Zeitebenen-Wechseln wirkt bei Seydor angestrengt. Statt wie im Turner-Cut eine fliessend integrierte Titelsequenz wird eine gefühlt viel zu spät kommende und abgetrennte nachgereicht. Durch den sterbenden Garrett am Ende schliesst der Turner-Cut die Klammer des anfänglichen Prologes und beendet den Film auch inhaltlich stimmig: Garrett stirbt (innerlich) mit der Ermordung von Kid, es gibt keine Zukunft für ihn. Das Ende des Seydor-Cuts mit dem davonreitenden Garrett wirkt dagegen etwas belanglos.
Von daher: eine Mischung aus beiden Fassungen mit stärkerer inhaltlichen Gewichtung auf den Turner-Cut wäre wohl mein Ideal. Der Feinschnitt des Seydor-Cuts plus ein paar elementare Einstellungen (Olingers Tod, die zugenähte Hose, das Kartenspiel während der Belagerung, die nackten Huren während Poes Besuch, Pats „what you want and what you get“ Monolog) sowie beide zusätzliche Szenen des Seydor-Cuts, ohne die Poe-prügelt-Opa-Szene des Turner-Cuts und mit Anfang & Ende gemäß der Turner-Fassung. Und muss ich es explizit erwähnen: natürlich Knockin‘ on Heaven’s Door in der instrumentalen Version ohne Schlagzeug bei Slim Pickens Sterbeszene am Fluß!