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von AnatolGogol
Agent
Achtung! Die Review enthält Spoiler und konkrete Hinweise auf die Handlungs- und Figurenentwicklung. Wer den Film also nicht kennt bzw. nicht vorab zu viele Informationen bekommen möchte, der sollte ab jetzt nicht weiterlesen!
Ride The High Country (1962) – Sam Peckinpah
Nichts ist mehr wie es einmal war. In seinem zweiten Kinofilm lässt Sam Peckinpah den Zuschauer direkt teilhaben am Übergang des „alten Westens“ in die Moderne und sägt gleichzeitig ordentlich an typischen Genre-Tugenden wie Freundschaft, Verlässlichkeit und Ehre. Enstprechend wirkt vieles an Ride The High Country bewusst aus der Zeit gefallen, exemplarisch wird dies bereits in der Einstiegsszene deutlich, wenn ein alter Cowboy in eine Stadt reitet, dabei beinahe von einem Automobil (und einem Kamel!) über den Haufen gefahren wird und sich den Unmut des lokalen Polizisten (nicht Sheriffs!) einhandelt.
Der alte Cowboy heisst Steve Judd, gespielt von Joel McCrea, einem Veteranen aus zahlreichen Western, ist ein ehemaliger Gesetzeshüter, der sich in der lokalen Bank um einen Job als „hired Gun“ bewerben möchte, welcher den Transport von Gold aus den Bergen in die Stadt überwachen und sicherstellen soll. Das Bewerbungsgespräch, welches er mit einer Vater-Sohn-Doublette aus grauen, unscheinbaren Männlein führen muss, macht erneut sehr deutlich, dass die grosse Zeit von Judd (und damit auch des alten Westens) vorbei ist. Statt Respekt für seine vormaligen Leistungen erntet er von den grauen Männlein höchstens ungläubige Skepsis und abfällige Blicke ob seines heruntergekommenen Äusseren. Gleichzeitig zeigt diese schöne Szene aber auch eindrucksvoll, dass mit dem alten Mann nachwievor zu rechnen ist, wenn er sich in einem wahren Handstreich von Initiative den Job zu sichern weiss, indem er die grauen Männlein einfach vor vollendete Tatsachen stellt.
Die endgültige Weichenstellung des Film erfolgt mit der Einführung des zweiten Hauptcharakters Gil Westrum, eines weiteren ehemaligen Gesetzeshüters und alten Freundes von Judd, gespielt von Randolph Scott, die Peckinpah elegant um die Bewerbungsszene legt. Im Gegensatz zu Judd wird Westrum von Anfang an als moralisch fragwürdig etabliert, wenn er beispielsweise Jahrmarktsbesucher mit einem getürkten Zielschiessen übers Ohr haut. Die beiden alten Freunde tun sich zusammen für die Überführung des Goldes, wobei die Ziele der beiden unterschiedlich sind. Während es Judd darum geht auch weiterhin eine erfüllende Aufgabe zu haben und gleichzeitig damit moralisch „das Richtige zu tun“, lässt Westrum keinen Zweifel daran, dass er den Job in erster Linie als Gelegenheit begreift selbst des Goldes habhaft zu werden und sich damit finanziell für die Zukunft unabhängig zu machen – auch auf Kosten der eigenen Vergangenheit und Integrität. Peckinpah etabliert diesen Konflikt geschickt, indem er den Zuschauer im Gegensatz zur Judd-Figur teilhaben lässt an Westrums Vorhaben und sich so auf figürlicher Ebene klassischer Supsense-Techniken bedient.
Verstärkt wird der Konflikt durch die Einführung einer weiteren zentralen Figur, des von Ron Starr gespielten moralisch fragwürdigen jungen Draufgängers Heck Longtree, des Partners von Westrum, der sich nur allzu leicht von dessen Vorhaben anstecken lässt, das Gold zu stehlen und Judd zu hintergehen. Was folgt ist der Ritt zum Goldminen-Camp in den Bergen, in welchem Westrum immer wieder versucht in Gesprächen mit Judd auszuloten, ob er seinen alten Freund nicht vielleicht doch auf seine Seite ziehen kann. Dadurch entwickelt sich eine spannende Dynamik zwischen den beiden Hauptfiguren, die sich aufgrund ihrer langen Freundschaft und gemeinsamen Vergangenheit blind verstehen, deren moralische Wertvorstellungen aber scheinbar unterschiedlicher nicht sein könnten. Gleichzeitig spielt Peckinpah geschickt damit, ob Westrum es sich vielleicht am Ende nicht doch anders überlegen wird – was gerade durch den freundschaftlich-vertrauten Umgang der beiden alten Recken (kongenial veredelt durch die fantastische Chemie zwischen den Western-Urgesteine McCrea und Scott) verstärkt wird.
Auf dem Weg zum Camp macht das Trio halt auf der Farm eines frommen Einsiedlers (eindringlich gespielt von R.G. Armstrong als fanatisch- gottesfürchtigen Frömmler, einer Rolle, die er bei Peckinpah nicht das letzte Mal spielen sollte), wo wir die vierte und letzte zentrale Figur des Films kennenlernen in Person der Tochter des Einsiedlers, der von Mariette Hartley gespielten Elsa. Zwischen dem von ihrem Vater drangsalierten und von der Welt ferngehaltenen Mädchen und Heck entwickelt sich schnell eine Beziehung, wobei Peckinpahs Inszenierung ernsthafte Zweifel an der Aufrichtigkeit von Hecks Gefühlen säht, während Elsa offensichtlich in erster Linie einen Weg aus dem Gefängnis ihres Vaters sucht. Elsa reisst von daheim aus und schliesst sich den drei Männern an auf dem Weg zum Camp, mit der Absicht dort ihren Quasi-Verlobten Billy Hammond zu heiraten als ultimativer Flucht vor ihrem Vater. Während des Rittes streut Peckinpah weitere Zweifel an Hecks moralischer Eignung, welche in einer versuchten Vergewaltigung von Elsa kulminiert und von den beiden alten Westmännern eindeutig unterbunden wird. Damit zieht Peckinpah die Konflikt-Schraube effektiv weiter an, indem er Heck scheinbar eindeutig als „Schurken“ definiert, während an Westrums „Schurken-Status“ (der hier eindeutig moralisch richtig handelt) weiterhin, trotz seiner Bekundungen das Gold stehlen zu wollen, zumindest starke Zweifel angebracht werden.
Das Mitteldrittel des Films zeigt dann die Ankunft des Quartetts im Goldminen-Camp in den Bergen. Elsa wird in die Obhut ihres Verlobten Billy Hammond gegeben, welcher mit seinen vier Brüdern regelrecht im Dreck lebt. Und entsprechend ihrer verkommenen Unterkunft werden die fünf Brüder auch als moralisch verkommen eingeführt. Hier nutzt Peckinpah einen spannenden lokalen wie moralischen Kontrast, indem er im Anschluss an die Szene auf der abgeschotteten und gottesfürchtigen Farm das Goldminen-Camp als regelrechten Sündenpfuhl zeigt. Spannend auch, dass Elsas vom Zuschauer zuvor als so herrisch (und durchaus auch brutal) empfundene frömmelnde Vater durch das rücksichtslose und brutale Auftreten der Hammond-Brüder (auch Elsa gegenüber) nun in gewisser Weise rehabilitiert wird. Jedenfalls wird schnell deutlich, dass er durchaus einen Punkt hatte, wenn er seine Tochter vor Männern wie Billy Hammond schützen wollte.
Der filmische Mittelteil findet seinen Höhepunkt in der Hochzeits-Sequenz, welche bezeichnenderweise in einem Hurenhaus stattfindet, geleitet von einem offenkundig trunksüchtigen Friedensrichter. Die Szene eskaliert, als sich Elsa erneut einer versuchten Vergewaltigung durch die gesamte Hammond-Sippschaft erwehren muss und nur durch das Eingreifen von Steve und Heck gerettet wird. Und wiederum dreht Peckinpah hier ordentlich an den figürlichen Konstellationen, denn der zuvor so moralisch fragwürdig dargestellte Heck gewinnt spätestens ab dem Mitteldrittel immer mehr Kontur und beginnt sich zu wandeln – auch durch seine offenbar doch ernsthaften Gefühle gegenüber Elsa. Die weitere Entwicklung im Mittelteil dient neben der dramaturgischen Zuspitzung Peckinpah dann auch in erster Linie, um seine Figuren weiter zu definieren. So lässt sich Judd – ganz Gesetzstreu – auf eine Camp-Verhandlung über das weitere Schicksal von Elsa ein, während bezeichnenderweise Westrum die Sache in die eigenen Hände nimmt und mittels Einschüchterung des Friedensrichters für das gewünschte Resultat sorgt. Und gerade diese Szene ist bemerkenswert, weil sie das Ende des Films bereits vorwegnimmt. Ja, Westrum handelt eigentlich unmoralisch und streng genommen unterstreicht sein Handeln ja auch den bereits angekündigten Verrat an seiner Freundschaft mit Judd durch den geplanten Gold-Diebstahl. Gleichzeitig ist es aber auch er, der „das Richtige“ tut, indem er Elsa aus den Klauen der Hammonds befreit – wenn auch mit moralisch fragwürdigen Mitteln.
Das letzte Filmdrittel beginnt dann mit dem so lange vorbereiteten Verrat. In einer der Schüsselszenen des Films versucht Westrum erneut in einem Gespräch mit Judd diesen auf seine „moralische Seite“ zu ziehen, was jedoch krachend scheitert wenn Judd ihm klar macht, dass für ihn das wichtigste sei, sein Leben rechtschaffen zu Ende zu bringen („all I want is to enter my house justified“ - der Leitsatz von Peckinpahs Vater, mit dem in einem Satz der gesamte Konflikt des Filmes zusammengefasst wird). So kommt es wie es kommen musste: Westrum initiiert einen nächtlichen Überfall und zwangsverpflichtet den aufgrund seiner moralischen Zweifel und seines charakterlichen Wandels eigentlich nicht mehr wirklich an dem Gold interessierten Heck kraft seiner Autorität. Der Überfall geht aber schief, da Judd den Braten längst gerochen hat. Der Verrat von Westrum trifft Judd hart und lässt ihm – getreu seines Wertesystems – keine andere Wahl, als die beiden den Behörden übergeben zu wollen. Damit präsentiert Peckinpah ein weiteres seiner Schlüsselthemen, welches sich durch seine gesamte Karriere ziehen sollte, nämlich den Verrat und Vertrauensbruch innerhalb einer jahrelangen Beziehung. Vordergründig ist es die Verlockung des Goldes, welches Westrum zum Verrat veranlasst. Aber genau so wird der Vertrauensbruch auch durch die veränderten Zeiten definiert bzw. wie sich die zentralen Figuren damit arrangieren. Während Judd weiterhin versucht sein altes Wertesystem allen Änderungen zum Trotz aufrecht zu halten, ist Westrum dazu nicht bereit und passt sich den Veränderung durch moralischen Verfall an. Was mit Betrügereien und kleinen Lügen beginnt, endet mit Verrat. Gleichzeitig spitzt Peckinpah damit auch noch ein weiteres elementares Motiv des Films zu: den Umgang mit dem Älterwerden und wenn man so will die Akzeptanz, dass man nicht mehr die Person von Früher ist. Damit einhergehende drohende Einsamkeit und Überflüssigkeit spielt am Ende genau so in die Charakterentwicklung von Judd und Westrum ein, wie vordergründige die Erledigung ihres Jobs. Der Film lässt dabei keinen Zweifel: die beiden Hauptfiguren haben sich ausseinander gelebt und sich jeweils anders positioniert, wie sie den Rest ihres Lebens bestreiten wollen („all I want is to enter my house justified“ - oder eben auch nicht).
Jedoch – so leicht macht es Peckinah seinen Figuren und seinem Publikum dann eben doch nicht. Die beiden Hauptcharaktere mögen einen unterschiedlichen Weg eingeschlagen haben, aber er lässt Westrum am Ende doch noch einen Ausweg. Als die Gruppe zweimal von den Hammond-Brüdern überfallen wird, ist dies Westrums Chance (wie auch die von Heck) sich zu rehabilitieren und auf den moralisch rechten Pfad zurückzukehren. Beim ersten Überfall schenkt ihm der schwer gekränkte Judd noch kein Vertrauen (im Gegensatz zu Heck, dessen moralischer Wandel längst weitgehend abgeschlossen ist), beim finalen Hinterhalt auf der Farm von Elsas Vater (welcher andere Schauplatz des Films wäre geeigneter für den finalen, gerade auch moralischen Klimax!?) ist es dann aber die freie Entscheidung des mittlerweile freien Westrums die schwer in die Bredouille geratenen Judd, Heck und Elsa rauszuhauen. Und Peckinpah treibt diese Rückbesinnung auf moralische Werte und Freundschaft dann in einem epischen Duell auf die Spitze, in welchem sich Judd und Westrum – zum letzten male vereint – den verbliebenen Hammond-Brüdern stellen. Der zwar vergleichsweise kurz gehaltene, aber spektakulär inszenierte Shoot-Out endet mit der moralischen Rehabilitierung von Westrum, dem wiederhergestellten Vertrauen der beiden Freunde und mit dem Ende des tödlich verwundeten Judd. Wehmütig, aber auch zufrieden wendet er sich in der letzten Einstellung des Films ein letztes Mal den Bergen und damit auch seiner Vergangenheit und seinem Leben zu – er ist bereit, sein Leben rechtschaffen zu verlassen.
Ride the High Country hat seinen Status als wegweisender Genremeilenstein zu recht, da er viele Motive und Elemente einführt, die innerhalb des Westerns in der Folgezeit immer wieder aufgegriffen werden sollten. Das Ende des alten Westens, der Umgang mit Altern und Tod, moralische Grundsatzentscheidungen, Verrat und Vertrauensbruch – Peckinpah liefert eine äusserst reichhaltigen Vermengung großer Themen, die seinen nominell eher kleinen Film (mit einem Budget auf DN-Niveau) auf eine ganz andere Ebene heben. Die exzellent gezeichneten Figuren, werden kongenial durch hervorragend besetzte und agierende Darsteller mit Leben gefüllt. Vor allem die beiden Hauptdarsteller Scott und McCrea ragen dabei heraus und liefern am Ende ihrer langen Karrieren eine Gala-Vorstellung. Zu kritisieren gibt es nur wenig, am ehesten noch, dass das Mitteldrittel verglichen mit den beiden anderen Teilen etwas an Fahrt verliert, was auch der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass hier der Fokus deutlich weniger auf den beiden Hauptfiguren liegt. Das wird aber spätestens durch den ausgezeichneten letzten Akt und das unvergessliche Finale schnell vergessen gemacht.
Wertung: 8,5 / 10
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"