"Oh Hell, let's just do what we always do - hijack some nuclear weapons and hold the world hostage, yeah?"
Meinem Mod-Kollegen sei Dank habe ich mir gestern noch in tiefster Nacht NSNA einverleibt - und kann glücklich sagen: Mir hat der Ausnahme-Bondfilm nie besser gefallen. Es gibt so vieles an dieser gerne übersehenen Perle, das einem Spaß machen kann, vorne weg die ultimative Rückkehr des einzig wahren King of Cool in seiner Paraderolle. Connery dominiert, kontrolliert und bereichert diesen Film in jeder Nanosekunde seines Auftretens. Als er auf Palmyra entkommt, einen Mann vom Pferd reißt, sich in den Sattel schwingt, die Fluppe aus dem Bild wirft und lässig zu Dominos Rettung eilt, habe ich doch glatt gedacht: "Das könnte unter den 5 coolsten Bond-Momenten aller Zeiten landen." Die Selbstverständlichkeit, mit der er seinen Bond spielt, die ist und die bleibt unübertroffen. Selbst von Largo in Ketten gelegt und von Fatima Blush zum Beinespreizen gezwungen, lässt Connery nie einen Zweifel daran, wer der König im Ring ist.
NSNA ist ein Fest und seine Andersartigkeit (es fehlen Gunbarrel und Bond-Theme) macht ihn umso interessanter als bewusster Außenseiter - zumindest war das so, ehe dank der Craig-Ära die Gunbarrel und das Bond-Theme längst nicht mehr als zwingende Notwendigkeit betrachtet werden. Gleich in mehreren Entscheidungen übertrifft NSNA in meinen Augen die EON-Konkurrenz: Nie war Blofeld beispielsweise besser dargestellt als hier durch Max von Sydow. Die alte schwedische Charaktervisage ist näher dran an der Originalfigur als Flemings Romanen als jede Besetzung zuvor und zudem ist sein Auftreten exzellent: Seine betont besonnen-freundliche Sprechart, sein gepflegter Henriquatre-Bart, der geniale Satz "Bei allem, was den Tod anbelangt, ist SPECTRE stets unparteiisch", all das zeichnet Bruder Ernst in diesem Film phänomenal als einen Geschäftsmann, als einen terroristischen Verwalter. Keine Frage: Es ist mein liebster Blofeld, und es ist im Vergleich zu allen anderen Besetzungen in der vermeintlich "offiziellen" Chronologie nicht einmal eng.
Selbiges gilt für Bernie Casey, der ohne echte Konkurrenz der lässigste, beste und sympathischste aller Felixe ist. Einzig und allein in ausgerechnet diesem Film ist für mich eine echte Freundschaft zwischen Bond und seinem CIA-Bruder spürbar. Casey hat dabei eine enorme Souveränität in dem Part, und schlafwandelt wie ein saucooles Ausstellungsstück durch seine Szenen. Achtet mal drauf: Nachdem Bond Fatima Blush gesprengt hat, kommt er mit einem Gang in die Szenerie, cooler geht das nicht. Und dann entwischen 007 und Leiter auch noch spitzbübisch im Unterhemd radelnd bzw. joggend, wie echte Buddies. Grandios. Übrigens steht Casey die Wumme in der Hand unten bei den Tränen von Allah auch exzellent und ich hätte mir fast gewünscht, man hätte die beiden Agenten im Showdown zu zweit die ganze Schlussaction übernehmen lassen, statt noch ein paar CIA-Dödels hinterher zu schicken. Allein dafür ist es gut, dass es NSNA gibt: Der beste Blofeld und der beste Felix im selben Film.
Und damit hört die grandiose Besetzung nicht auf: Wie genial ist bitte Klaus Maria Brandauer als Largo? Da nimmt er im Kern schon den Christopher Walken aus AVTAK vorweg, und hat sichtlich am meisten Spaß von allen, so richtig die Sau rauszulassen! Alles, wirklich alles was er macht, ist überlebensgroß, theatralisch, und trotz seiner knabenhaften Attitüde bleibt er als Bedrohung im Film jederzeit erkennbar und ist sogar das Hauptelement, welches in NSNA für Spannungserzeugung sorgt. Zugegeben: Celi ist in TB als Largo noch etwas ikonischer, aber ich möchte Brandauer auf keinen Fall missen - und wer es immer noch nicht getan hat, sollte sich übrigens umgehend "Das Russland-Haus" ansehen, in dem Connery und Brandauer (beide natürlich in Bestform!) erneut aufeinandertreffen. Ähnlich gut gefiel mir Kim Basinger. Ja, auch hier ist im Vergleich zu TB die gute Claudine Auger als Domino ikonischer, aber Basinger ist a) wahnsinnig sexy in jedem Fummel, den sie hier trägt, und b) funktioniert ihre Chemie mit Connery bestens (die Massageszene, hach) ...
Jetzt muss ich natürlich noch die anderen Besetzungs-Glanzlichter erwähnen: Jeder weiß, dass Barbara Carrera das Highlight des Films ist, und es stimmt! Sie spielt als Fatima Blush weniger eine Nachfolgerin von Fiona Volpe und mehr das Vorbild für Xenia Onatopp, macht mir aber um Welten mehr Spaß als Letztere. Es ist eine Schau, ihr zuzusehen! Ihre Einführung (die Kamera zeigt nur ihr Schuhwerk) ist genial, ihre Domina-Art gegenüber Dominos Bruder wunderbar fies, ihre Sexszene mit Bond eine der besten Szenen dieser Art in der Reihe, ihr Treppentanz im Casino Gaga-Entertainment pur und ihr durchgeknallter Tod ein Dialog-Highlight ("Nun, es gab da mal eine Kleine in Philadelphia ..."), all das ist großartig.
Und jetzt schüttelt so mancher den Kopf, aber ein großes Lob geht noch an die MI6-Crew: Pamela Salem als Miss Moneypenny ist meine Nummer 2 in der Rolle hinter Lois Maxwell, Edward Fox als M ist meine Nummer 2 in der Rolle hinter Bernard Lee und Alec McGowen als Q ist meine Nummer 2 in der Rolle hinter Desmond Llewelyn. Hier trumpft NSNA richtig auf und zeigt tolle Alternativversionen der bekannten Parts: Fox' M ist ein Bürokraten-Schleimer, der Bond erst naserümpfend die Leviten liest, nur um im letzten Drittel per Telefon wieder angescheißert zu kommen - klasse! Salem ist ähnlich überzeichnet unterwegs und spielt jeden ihrer kurzen Auftritte mit den größten Rehaugen, die je eine Frau hervorgebracht hat, ihr merkt schon, die MI6-Crew ist hier zum schießen.
McGowen aber übertrifft sie alle - sein kurzer Auftritt als erkälteter Q, der in einem kleinen kümmerlichen Kellerloch an seinen Gerätschaften bastelt, von einem CIA-Job träumt (da haben sie mehr als 20 Eissorten in der Kantine!) und den besten Satz des ganzen Films spricht ("I hope we're going to have some gratuitous sex and violence!") ist viel zu kurz und die beste Szene des Films! Bond kommt kaum zu Wort, so arg beschwert sich der kauzige kleine Mann und schmeißt noch ganz beiläufig Bonds Rolex verbittert auf den Boden, um ihm seine neue Laserkanonen-Uhr zu überreichen.

Übrigens nimmt NSNA nicht nur im Falle Blush als frühe Onatopp, sondern auch in dieser Szene GE vorweg: Der Gag aus Brosnans Erstling, in dem Q Bond ein Brot aus der Hand reißt ("Das ist mein Mittagessen!") taucht hier bereits mit einem obskuren Gegenstand auf, der sich als Nasenspray für den Quartiermeister entpuppt.
Der Plot musste natürlich aus TB entnommen werden, und obgleich TB unter meinen 3 absoluten Favoriten aller Bondfilmen zu finden ist, finde ich viele Variationen in NSNA sehr gelungen. Das entschlankte erste Drittel in Shrublands ist sogar die beste Passage des Films und feuert ein richtiges Gagfeuerwerk ab ("Ich brauche noch eine Urinprobe von ihnen, Mr. Bond!" - "Von hier aus?"), bei dem es zu lange dauern würde, alle Knüller aufzuzählen. Natürlich ist der "Weißbrot"-Spruch absolut legendär, mein persönlicher Favorit ist aber Bonds Kampf mit Lippe, gespielt vom Indiana-Jones-Kultgegner Pat Roach. Nicht nur ist der Kampf erstaunlich gut choreographiert und kommt gänzlich ohne Musik aus (!), sondern reiht einen schönen Kalauer an den nächsten, angefangen mit dem Hausmeister, der von Roach in etwa 2,7 Sekunden bewusstlos gewürgt wird und kurz darauf nochmal wie in einem "Looney Tunes"-Cartoon hervorgeholt und wieder weggeworfen wird. Klasse auch der kurze Moment, in dem Bond und Lippe kämpfen, während die Senioren in Seelenruhe ihren Boxkampf direkt nebenan schauen und so passend mitjubeln. Und die tödliche Waffe, die Bond am Ende gewinnbringend einsetzt, das ist dann einfach nur kultig, völlig drüber und doch zu hundert Prozent Bond.
Wenn sich NSNA kritisieren lässt, dann wohl hinsichtlich dessen, dass er eigentlich zu keinem Zeitpunkt je spannend wird. Selbst der schräge und durchweg selbstparodierende DAF setzt vereinzelt auf brenzlige Situationen für unseren James, aber NSNA ist so tiefenentspannt, dass er der einzig wahre Urlaubsfilm im Bond-Kosmos ist. Einzige Ausnahme ist vielleicht die herrliche Domination-Szene, die einen Bond zeigt, wie ich ihn liebe: als Provokateur der Extraklasse! Und selbst die funktioniert als Momentaufnahme wohl nur deshalb so gut, weil Brandauer und Connery ein enigmatisches Duo vor der Kamera sind. So sehr sie sich auch in ihren Rollen befinden, spürt man den gegenseitigen Respekt zweier Weltklasse-Mimen füreinander, auch in Palmyra scheint das nochmal durch. Übrigens, es ist nicht wichtig, soll aber erwähnt werden: Ich habe NSNA wirklich gestern nochmal auf ganz neue Art lieben gelernt, gebe aber gerne zu, dass der Plot selbst überhaupt gar keinen Sinn ergibt. Dagegen sind SPECTREs Plan in FRWL und Silvas Ausbruch in SF dezidierte Abhandlungen über Logik und Wahrscheinlichkeiten.
Bond stößt in Shrublands zufällig auf Petachi und Blush (geschenkt, Gevater Zufall unterstützt ihn ja schon in TB an ähnlicher Stelle), und findet nicht mehr als eine Streichholzpackung mit dem Logo von Largo darauf. Später beim MI6 recherchiert er dieser Streichholzverpackung (!) wegen die Personalie Largo, ehe M ihn ohne einen Anhaltspunkt zu haben, dass Largo überhaupt mit dem Diebstahl der Atombomben zu tun hat, nach Nassau entsendet. Dort leistet Bond absolut gar nichts, außer zwei Frauen abzuschleppen und sich von Johnny English darüber informieren zu lassen, dass Largo mit seinem Schiff nach Südfrankreich schippert. Erst DORT nimmt Bond Kontakt zu Domino auf, tritt erstmals auf Largo etc., hat aber streng genommen noch immer keinen Grund, auch nur in Erwägung zu ziehen, Largo könnte irgendetwas mit SPECTRE oder den Atombomben zu tun haben.

Das ist schon bemerkenswert dusselig konstruiert und offensichtlich der kruden Entstehungsgeschichte des Films geschuldet, bei der zig Autoren an dem Skript rumbastelten, teils während der Dreharbeiten ganze Passagen neu erdachten und Regisseur Irvin Kershner am Set rege improvisieren musste. Erstaunlicherweise ist es aber auch vollkommen egal, weil sich ohnehin kein Mensch auf Mutter Erde NSNA ansehen wird, um echten Agententhrill zu erleben.
Die Actionszenen, die ich in der Vergangenheit oft etwas abgestraft habe, sind übrigens durch die Bank besser als in meiner Erinnerung: Die Motorradjagd ist sogar richtig cool. Es fehlen die großen Stunts, man backt spürbar kleinere Brötchen und die richtigen Wow-Momente, die parallel John Glen in der EON-Reihe bot, die bleiben hier aus. Es passt wunderbar zur entspannten Attitüde des Films, trotzdem fehlt mir ein neuer Sprung vom Asgard (wenn ihr wisst, was ich meine). Und an alle Pappenheimer, die sich gerne über Michel Legrand und seinen Score für diesen Film aufregen: Schämt euch! Seine Jazz-Klänge sind wahnsinnig elegant und haben mich gestern gar vergessen lassen, dass das Bond-Theme hier nicht einmal gespielt wird. Die Musik beim Diebstahl der Bomben ist ja wohl einsame Spitze und verdient es, in die Hall of Fame der besten Bond-Melodien aufgenommen zu werden. Noch besser ist der Tango, zu dem Bond und Domino ... tanzen. Wandert ab heute für ewig in meine Spotify-Liste für lange Zugfahrten, die, wie ich kürzlich feststellte, für den gewählten Anlass doch etwas zu kurz ist.
So saß ich also letzte Nacht da und dachte: Hille, du musst NSNA kräftig aufwerten und unter deine absoluten Top-Bonds aufnehmen. Aufwerten werde ich den zweiten TB zwar, doch letzteres bleibt ihm verwehrt. Warum das, fragt ihr euch? Nun: In den letzten 15 Minuten hat mich NSNA dann leider komplett verloren. Das Geballer in den Tränen von Allah ist so lustlos von Kershner und allen Beteiligten runtergekurbelt, dass sogar die Abrechnung mit einigen Figuren einfach entfällt (oder hat jemand von euch mal rausgefunden, was eigentlich mit Dr. Kovacs passiert?). Kershner selbst sagt in einem der Extras auf der Blu-ray, dass es ihn langweilte, Männer beim Rumballern und am Boden robben zu filmen, und so ungefähr sieht es dann auch aus. Noch schlimmer ist aber der angehängte Mini-Showdown unter Wasser mit Bond und Largo (in dem dann aus heiterem Himmel Kampftaucherin Domino auftaucht), das ist dann wirklich nur gelangweilter Dienst nach Vorschrift und verhindert NSNA einen Platz an der Bond-Sonne.
Aber ich will nicht mit dem Negativen endet: NSNA ist eine große, sensationell unterhaltsame und witzige Sean-Connery-Show, in der alle seine Spielpartner sichtlich Spaß mitgebracht haben, an dieser Sause teilzunehmen. Es ist auch (trotz der gegenüber EON feindseligen Absicht) eine schöne Liebeserklärung an Connerys Bond-Ära, etwa, wenn selbstironisch über Bonds Auto gesprochen wird ("Immer noch in einem ganz guten Zustand") oder ein Wachmann auf Palmyra Bonds Zelle betritt und zuerst an die Decke schaut (da er offensichtlich GF kennt und sich nicht ähnlich übertölpeln lassen will). Es ist aber vor allem auch ein würdiger Teil der James-Bond-Reihe, der nicht länger wie das ungeliebte Stiefkind der Reihe behandelt werden soll, sondern wie ein Film, der sich stolz zum Mythos dazu zählen darf.
Die größte Selbstironie ist dann historisch gesprochen die letzte Einstellung: Erneut, wie einst nach DAF, sagt Connery "Never", als er von Mr. Bean und Vicky Vale gefragt wird, ob er doch nochmal zum britischen Geheimdienst und damit zu seiner Paraderolle zurückkehren könnte. Auf eine erneute Nachfrage zwinkert er in die Kamera und damit uns, seinen Fans zu, während Lani Hall erneut "Never Say Never Again" singt. Warum das heute sogar noch witziger ist? Tatsächlich wurde auch dieses 83er "Never" von Connery später wieder über Bord geworfen, als er 2005 ein wirklich finales Mal in die Rolle des James Bond schlüpfte - für das Videospiel "Liebesgrüße aus Moskau", in dem er im englischen Originalton tatsächlich dem Superspion seine Stimme lieh.