iHaveCNit: Tod auf dem Nil (2022) – Kenneth Branagh – 20th Century Studios
Deutscher Kinostart: 10.02.2022
gesehen am 10.02.2022 in Dolby Atmos
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kino 1 – Reihe 8, Platz 17 – 19:30 Uhr
Das Kinojahr 2022 startete ja ganz interessant – vor allem weil man direkt am 04.01.2022 noch einmal die Gelegenheit nutzen konnte, sich „Tod auf dem Nil“ aus dem Jahre 1978 von John Guillermin anzusehen – beste Vorbereitung also auf die Neuverfilmung von Kenneth Branagh, der hier nach „Mord im Orient-Express“ wieder inszeniert und auch die Titelrolle des Hercule Poirot übernommen hat. Leider hing auch Branaghs“ Tod auf dem Nil“ durch die aktuelle Situation lange in der Pipeline und konnte nun kurz nach der Wiederaufführung des Originals und kurz vor einem weiteren Film von Branagh, dem oscarnominierten „Belfast“ seinen Weg in die Kinos finden. Dies kann sowohl Fluch als auch Segen sein.
Hercule Poirot macht gerade Urlaub in Ägypten. Reiner Zufall ? Natürlich nicht, denn er gehört zum erlauchten Kreis der Gäste, die das frisch gebackene Ehepaar Lynette und Simon Doyle auf den Flitterwochen mit begleiten darf. Bis zu dem Moment, als an Bord des Dampfers Karnak ein Mord passiert und Poirot alle Hände voll zu tun hat, ebendiesen Mord aufzuklären.
Branagh hat wie bereits bei „Mord im Orient-Express“ ein großes Ensemble vor der Kamera versammelt, bei denen man vor allem neben ihm als wichtigste Namen Gal Gadot, Armie Hammer und Emma Mackey nennen kann. Gerade bei der Ausgestaltung der unterschiedlichen Charaktere und deren Hintergründe bringt Branagh ein wenig mehr Diversität und auch Varianz gegenüber dem 1978er-Film rein. Auch seine eigene Rolle ist mit ein wenig mehr Emotionalität in die gesamte Geschichte involviert. Das macht den Film etwas persönlicher, vielleicht etwas tragischer und bringt durchaus interessante Nebenstränge und Ergänzungen mit rein, bei denen man sich an der ein oder anderen Stelle fragen muss, ob das wirklich notwendig ist. Der Mordfall und das Mitraten hat mich ein wenig mehr beim 1978er-Film mitgerissen und unterhalten. Vielleicht ist das auch ein wenig Fluch, wenn man so kurz hintereinander beide Filme sieht, dass einen die Auflösung des Ganzen nicht mehr wirklich überrascht, aber hier ist es auf jeden Fall so gewesen. Und diese bereits erwähnte emotionale, persönliche Note nimmt dem Film ein wenig die Leichtigkeit und lässt ihn schwerer und ernster wirken als er tatsächlich sein müsste. Leider lässt er auch auf handwerklicher Seite ein wenig an Potential liegen. Alles, was tatsächlich handgemacht ist, sieht auch prächtig aus, wenn wir von Sets und Kostümen sprechen. Alles was das nicht ist, lässt den Film durchaus sehr künstlich wirken – vor allem wenn es sich dabei um computergenerierte 08/15-Panoramen handelt, die das 1:1 des ägyptischen, historischen Tourismus abdecken sollten.
„Tod auf dem Nil“ – My First Look – 7/10 Punkte.
Re: Der Agatha Christie Thread
107Auch gesehen und ganz nett unterhalten worden. Dennoch stört der künstliche und überbelichtete Look und raubt dem Film die Atmosphäre, welche den Ustinov-Klassiker auch heute noch sehenswert (und besser) macht. Hab den Roman schon ewig nicht mehr gelesen, glaube aber, dass Branagh hier wieder einiges dazu gedichtet hat. Wer den neuen Orient Express mochte, macht auch hier nicht viel falsch, umgekehrt gilt allerdings dasselbe.
http://www.vodkasreviews.de
https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/
https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/
Re: Der Agatha Christie Thread
108War auch kürzlich in "Tod auf dem Nil".
Nach der durchaus gelungen "Mord im Orientexpress" Hommage an das überragende Original ging ich voll hoher Erwartungen in das neue Stück Kenneth Branaghs. Dieser versteht es nach wie vor eine "Agatha Christie" Atmosphäre zu schaffen und es handelt sich um ein bildgewaltiges Werk. Leider bekommen die Charaktere zu wenig Tiefe und der Film versteht es absolut nicht das Erzähltempo anzupassen. In diesem Fall geht es zu Beginn sehr langsam und zäh zu. Hier wird das Potential der Charakterzeichnung verschwendet und der Film hängt sich eher an Oberflächlichkeiten auf. Am Ende, beim klassischen "Lösen des Falls" geht es dann vieeel zu schnell. Das passt vorne und hinten nicht. Der Cast ist eigentlich okay, bzw. passend, einzig Gal Gadot (die aktuell wohl Bekannteste des Casts) passt meiner Meinung nach überhaupt nicht - man kauft ihr die Angst nicht ab. Im Endeffekt bleibt ein, wie gesagt bildgewaltiger Film und das ist seine größte Stärke. Leider.
4/10
Nach der durchaus gelungen "Mord im Orientexpress" Hommage an das überragende Original ging ich voll hoher Erwartungen in das neue Stück Kenneth Branaghs. Dieser versteht es nach wie vor eine "Agatha Christie" Atmosphäre zu schaffen und es handelt sich um ein bildgewaltiges Werk. Leider bekommen die Charaktere zu wenig Tiefe und der Film versteht es absolut nicht das Erzähltempo anzupassen. In diesem Fall geht es zu Beginn sehr langsam und zäh zu. Hier wird das Potential der Charakterzeichnung verschwendet und der Film hängt sich eher an Oberflächlichkeiten auf. Am Ende, beim klassischen "Lösen des Falls" geht es dann vieeel zu schnell. Das passt vorne und hinten nicht. Der Cast ist eigentlich okay, bzw. passend, einzig Gal Gadot (die aktuell wohl Bekannteste des Casts) passt meiner Meinung nach überhaupt nicht - man kauft ihr die Angst nicht ab. Im Endeffekt bleibt ein, wie gesagt bildgewaltiger Film und das ist seine größte Stärke. Leider.
4/10
Re: Der Agatha Christie Thread
109Ja, kann ich nachvollziehen. Ich halte das Original auch nach wie vor für unerreicht, für mich die beste Poirot-Verflmung. Die alte Orientexpress-Verfilmung mochte ich dagegen nie, trotz Sean. Finney mag dem literarischen Vorbild näher kommen als Ustinov, aber dessen Interpretation gefällt mir um Längen besser und prägt bis heute mein Poirot-Bild. Zudem halte ich den Krimi-Plot im Orientexpress für einen der schwächsten. So gesehen hat mich Branaghs Neuauflage positiv überrascht. Das alte Spiel mit der Erwartungshaltung. Bei nüchterner Betrachtung sind beide Neuverfilmungen nicht schlecht, aber auch nicht überragend. Der künstliche Digitallook und die deutlich erkennbaren CGI-Bauten und Landschaften stören mich am meisten, aber das ist aktuell eine Unart sehr vieler Produktionen.
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https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/
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Re: Der Agatha Christie Thread
110Odesa Filmstudio haben auf ihrem youtube-Kanal ihre russische Agatha-Christie-Verfilmung von 1987 komplett auf Deutsch (einige Szenen sind nicht synchronisiert) hochgeladen. Eine absolut gelungene Verfilmung von Agatha Christies „Und dann gabs keines mehr“, wie auf vielen Portalen zu lesen ist, sind sich wohl viele Kritiker einig, dass es sich hier um die gelungenste Verfilmung des Stoffes handelt
Der Trailer:
Der Film in voller Länge:
Der Trailer:
Der Film in voller Länge:
www.nachhilfe-graen.de
Re: Der Agatha Christie Thread
111iHaveCNit: See How They Run (2022) – Tom George – Fox Searchlight Pictures
Deutscher Kinostart: 27.10.2022
gesehen am 30.10.2022
Arthouse-Kinos Frankfurt – Cinema - Petit – Reihe 1, Platz 5 – 16:15 Uhr
In einem tollen Kino-Wochenende, dass für mich ganz im Zeichen von „Murder-Mystery“ und „Whodunit“ stand, gab es nach dem gestrigen Besuch von „Bodies Bodies Bodies“ nun heute Tom Goerges „See How They Run“ und somit an diesem Wochenende sehr gutes aus beiden Welten - der Moderne und der Tradition – wobei beide Filme auch beides sehr gut miteinander kombinieren. Und mit der Krimi-Komödie „See How They Run“ habe ich einen unfassbar tollen Spaß gehabt.
In einem Theater im Londoner West End wird Anfang der 50er-Jahre Agatha Christies „Die Mäusefalle“ aufgeführt. Für den Produzenten John Woolf sowie den Drehbuchautor Mervyn Cocker-Norris als auch den egozentrischen Regisseur Leo Köpernick steht fest, dass das Bühnenstück auf die große Leinwand gehört. Als Köpernick im Rahmen der 100. Aufführung des Stücks vor Ort mitfeiert, wird er noch am gleichen Abend tot aufgefunden. Die Ermittlungen in dem Fall übernimmt Inspector Stoppard und die übereifrige Constable Stalker.
Ein toller Cast, eine Reihe skurriler Charakter und ein klassischer Mordfall machen aus „See How They Run“ einen tpyischen, klassischen „Whodunit“-Krimi. Normalerweise hebt man sich somit nicht unbedingt aus der Masse heraus, aber „See How They Run“ kann sich doch mit einigem Interessanten hervorheben. Mit einem Anfangs stellenweise auftretenden Voice-Over von Adrien Brodys Leo Köpernick wird der Film kommentiert und auch sehr meta- und selbstreferenziell mit „Whodunits“ und Krimis im Allgemeinen auseinandersetzt. Sehr stark und für mich das Highlight des Films ist das Ermittlerteam aus Sam Rockwell und Saoirse Ronan, bei dem vor allem Ronan unfassbar witzig, unterhaltsam und nuanciert bei der Sache ist. Und da es rechtlich gesehen nur eine Verfilmung von Christies „Mäusefalle“ geben kann, wenn das Theaterstück über ein halbes Jahr nicht mehr aufgeführt wird, dann ist „See How They Run“ auch das bisher einzige Werk, dass filmisch etwas über das Werk zeigt, ohne die Auflösung zu liefern, denn dafür muss man selbst in das Theater, dass im mittlerweile fast ununterbrochenen 70. Jahr das Stück aufführt, wenn man mal Lockdowns in der Corona-Pandemie berücksichtigt, dank derer man auch am Originalschauplatz filmen konnte, dass ein sehr schönes, atmosphärisches Set-Design des Films begünstigt hat.
„See How They Run“ - My First Look – 8/10 Punkte.
Deutscher Kinostart: 27.10.2022
gesehen am 30.10.2022
Arthouse-Kinos Frankfurt – Cinema - Petit – Reihe 1, Platz 5 – 16:15 Uhr
In einem tollen Kino-Wochenende, dass für mich ganz im Zeichen von „Murder-Mystery“ und „Whodunit“ stand, gab es nach dem gestrigen Besuch von „Bodies Bodies Bodies“ nun heute Tom Goerges „See How They Run“ und somit an diesem Wochenende sehr gutes aus beiden Welten - der Moderne und der Tradition – wobei beide Filme auch beides sehr gut miteinander kombinieren. Und mit der Krimi-Komödie „See How They Run“ habe ich einen unfassbar tollen Spaß gehabt.
In einem Theater im Londoner West End wird Anfang der 50er-Jahre Agatha Christies „Die Mäusefalle“ aufgeführt. Für den Produzenten John Woolf sowie den Drehbuchautor Mervyn Cocker-Norris als auch den egozentrischen Regisseur Leo Köpernick steht fest, dass das Bühnenstück auf die große Leinwand gehört. Als Köpernick im Rahmen der 100. Aufführung des Stücks vor Ort mitfeiert, wird er noch am gleichen Abend tot aufgefunden. Die Ermittlungen in dem Fall übernimmt Inspector Stoppard und die übereifrige Constable Stalker.
Ein toller Cast, eine Reihe skurriler Charakter und ein klassischer Mordfall machen aus „See How They Run“ einen tpyischen, klassischen „Whodunit“-Krimi. Normalerweise hebt man sich somit nicht unbedingt aus der Masse heraus, aber „See How They Run“ kann sich doch mit einigem Interessanten hervorheben. Mit einem Anfangs stellenweise auftretenden Voice-Over von Adrien Brodys Leo Köpernick wird der Film kommentiert und auch sehr meta- und selbstreferenziell mit „Whodunits“ und Krimis im Allgemeinen auseinandersetzt. Sehr stark und für mich das Highlight des Films ist das Ermittlerteam aus Sam Rockwell und Saoirse Ronan, bei dem vor allem Ronan unfassbar witzig, unterhaltsam und nuanciert bei der Sache ist. Und da es rechtlich gesehen nur eine Verfilmung von Christies „Mäusefalle“ geben kann, wenn das Theaterstück über ein halbes Jahr nicht mehr aufgeführt wird, dann ist „See How They Run“ auch das bisher einzige Werk, dass filmisch etwas über das Werk zeigt, ohne die Auflösung zu liefern, denn dafür muss man selbst in das Theater, dass im mittlerweile fast ununterbrochenen 70. Jahr das Stück aufführt, wenn man mal Lockdowns in der Corona-Pandemie berücksichtigt, dank derer man auch am Originalschauplatz filmen konnte, dass ein sehr schönes, atmosphärisches Set-Design des Films begünstigt hat.
„See How They Run“ - My First Look – 8/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "
Re: Der Agatha Christie Thread
112iHaveCNit: A Haunting In Venice (2023) – Kenneth Branagh – 20th Century Studios
Deutscher Kinostart: 14.09.2023
gesehen am 14.09.2023 in Dolby Atmos
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kino 10 – Reihe 9, Platz 15 – 20:00 Uhr
Kenneth Branagh hat scheinbar Gefallen daran gefunden, mit sich selbst in der Hauptrolle besetzt Agatha-Christie-Romane auf die große Leinwand zu bringen. Es kommt ja sicherlich nicht von Ungefähr, dass wir nun nach „Mord im Orient-Express“ und „Tod auf dem Nil“ mit „A Haunting In Venice“ den mittlerweile dritten Film bekommen. „A Haunting In Venice“ ist eine Adaption des Romans „Hallowe´en Party“. Und so wie es scheint – zumindest würde mir dieser Gedanke gefallen – hat sich Branagh bei der Inszenierung dieses Films einen Teil der Kritik an seinem Vorgänger zu Herzen genommen und als wäre er damit wieder einen Schritt in die richtige Richtung gegangen.
Hercule Poirot wollte eigentlich entspannt seinen Ruhestand in Venedig genießen, bis ihn die bekannte Schriftstellerin Ariadne Oliver auf eine Seance in einer scheinbar verfluchten, ehemaligen Klinik aufmerksam macht, die nach einer Halloween-Party stattfinden soll. Dort erfährt er nicht nur von einer Tragödie in der Vergangenheit der dort anwesenden Rowena Drake, schon kurze Zeit nach der ersten Seance kommt es zu einem Mordfall und Poirot hat mal wieder alle Hände voll zu tun.
In „A Haunting In Venice“ fühlt sich der Film bedingt durch die Dreharbeiten, die sicherlich direkt vor Ort stattgefunden haben, wesentlich bodenständiger und echter an als noch seine Vorgänger. Auch mit der Laufzeit von nur knapp über 100 Minuten ist der Film wesentlich kompakter. Mit dem Gefühl, dass der Film vor Ort gedreht worden ist und auch die Inszenierung und das Design des Films gelingt ihm auch eine etwas düstere Atmosphäre zu schaffen, die dem im Film platzierten übersinnlichen Thema mit leichtem Horror- und Gruselelementen gut tut. Das Ensemble kann zwar doch noch mit dem ein oder anderen großen Star wie zum Beispiel der aktuellen Oscarpreisträgerin Michelle Yeoh aufwarten, wirkt aber wesentlich entschlackter und ergänzt damit den eher kompakteren Charakter des Films. Auch wenn wir es in diesem Krimi mit einem integrierten Whodunit zu tun haben, ist der Film eher die Richtung Mitstaunen statt Miträtseln und der Fall selbst und die Verstrickungen der Beteiligten eher gleichermaßen rudimentär als auch überkonstruiert. Dennoch zeigt sich hier, dass weniger oftmals auch mehr ist.
„A Haunting In Venice“ – My First Look – 7/10 Punkte.
Deutscher Kinostart: 14.09.2023
gesehen am 14.09.2023 in Dolby Atmos
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kino 10 – Reihe 9, Platz 15 – 20:00 Uhr
Kenneth Branagh hat scheinbar Gefallen daran gefunden, mit sich selbst in der Hauptrolle besetzt Agatha-Christie-Romane auf die große Leinwand zu bringen. Es kommt ja sicherlich nicht von Ungefähr, dass wir nun nach „Mord im Orient-Express“ und „Tod auf dem Nil“ mit „A Haunting In Venice“ den mittlerweile dritten Film bekommen. „A Haunting In Venice“ ist eine Adaption des Romans „Hallowe´en Party“. Und so wie es scheint – zumindest würde mir dieser Gedanke gefallen – hat sich Branagh bei der Inszenierung dieses Films einen Teil der Kritik an seinem Vorgänger zu Herzen genommen und als wäre er damit wieder einen Schritt in die richtige Richtung gegangen.
Hercule Poirot wollte eigentlich entspannt seinen Ruhestand in Venedig genießen, bis ihn die bekannte Schriftstellerin Ariadne Oliver auf eine Seance in einer scheinbar verfluchten, ehemaligen Klinik aufmerksam macht, die nach einer Halloween-Party stattfinden soll. Dort erfährt er nicht nur von einer Tragödie in der Vergangenheit der dort anwesenden Rowena Drake, schon kurze Zeit nach der ersten Seance kommt es zu einem Mordfall und Poirot hat mal wieder alle Hände voll zu tun.
In „A Haunting In Venice“ fühlt sich der Film bedingt durch die Dreharbeiten, die sicherlich direkt vor Ort stattgefunden haben, wesentlich bodenständiger und echter an als noch seine Vorgänger. Auch mit der Laufzeit von nur knapp über 100 Minuten ist der Film wesentlich kompakter. Mit dem Gefühl, dass der Film vor Ort gedreht worden ist und auch die Inszenierung und das Design des Films gelingt ihm auch eine etwas düstere Atmosphäre zu schaffen, die dem im Film platzierten übersinnlichen Thema mit leichtem Horror- und Gruselelementen gut tut. Das Ensemble kann zwar doch noch mit dem ein oder anderen großen Star wie zum Beispiel der aktuellen Oscarpreisträgerin Michelle Yeoh aufwarten, wirkt aber wesentlich entschlackter und ergänzt damit den eher kompakteren Charakter des Films. Auch wenn wir es in diesem Krimi mit einem integrierten Whodunit zu tun haben, ist der Film eher die Richtung Mitstaunen statt Miträtseln und der Fall selbst und die Verstrickungen der Beteiligten eher gleichermaßen rudimentär als auch überkonstruiert. Dennoch zeigt sich hier, dass weniger oftmals auch mehr ist.
„A Haunting In Venice“ – My First Look – 7/10 Punkte.
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Re: Der Agatha Christie Thread
113Da ich … leider … aktuell nichts besseres zu tun habe, als schon um 6 Uhr morgens vor dem TV zu sitzen, habe ich mir heute ein Original vs. Remake Double Feature einverleibt: "Mord im Orient-Express", einmal aus dem Jahr 1974 von Sidney Lumet und einmal aus dem Jahr 2017 von Kenneth Branagh.
Nun war mir im Vorfeld klar, dass der 74er Film sehr sicher mein Favorit ist und bleiben wird. Für mich ist das der perfekte "klassisch gehaltene" Whodunit-Krimi (und damit ganz knapp vor dem ähnlich fantastischen "Tod auf dem Nil" von 78, den Branagh später ebenfalls neu auflegte). Dieser Film ist in meinen Augen ein ganz großer Genuss. Gründe dafür gibt es viele. Vorne weg die unfassbare Besetzung, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: Albert Finney! Martin Balsam! Ingrid Bergman! Sean Connery! Lauren Bacall! Vanessa Redgrave! Michael York! Jacqueline Bisset! Anthony Perkins! … Schlicht unfassbar. Diesen Edelmimen einfach nur bei ihrer Meisterschaft zuzugucken, ist schon ein großer Teil des Spaßes. Ich weiß, dass viele Sir Peter Ustinov als Hercule Poirot bevorzugen, und das verstehe ich durchaus: Ustinov spielt die Rolle tiefenentspannt, gemütlicher. Finney tritt sehr verschroben auf und kann auch mal richtig grob werden (zum Beispiel, wenn er die arme Redgrave anschnauzt, um Connerys Beschützerinstinkt zu wecken). Gerade diese fast schon ulkige, verkopftere Interpretation ist hier aber goldrichtig, unterstreicht sie doch kongenial den Rätselaspekt des Films, bei dem man wirklich jede Äußerung aller Verdächtigen auf die Goldwaage legen muss, um sich der Lösung anzunähern.
Es ist einfach unfassbar, wie Lumet all diesen vielseitigen und hochbegabten Leinwandlegenden ihren Platz einräumt und sie arbeiten lässt. Viele Einstellungen hält er in langen Nahaufnahmen durch, geschnitten wird gerade in den Verhören nur wenig. Absolut sensationell und der schauspielerische Höhepunkt des Films ist sicher das Verhör der armen Greta Ohlsson. Über vier Minuten lang und ohne einen einzigen Schnitt hält Lumet die gesamte Szene lang die Kamera ganz nah an das Gesicht von Ingrid Bergman, die so viele doppelbödige Nuancen in ihr Spiel legt, dass man beim wiederholten Anschauen immer wieder Neues entdeckt. Kein Wunder: Sie bekam für den Film einen Oscar als Beste Nebendarstellerin und mutmaßlich wirklich nur für diese eine grandiose Szene. Aber auch die anderen glänzen allesamt. Besondere Highlights sind für mich die schönen kleinen Momente nach jedem Verhör, wenn Zuggewerkschafter Martin Balsam und der Doktor George Coulouris ihre Mutmaßungen äußern und ganz aufgeregt dabei sind, dem Meistergehirn Poirot über die Schulter zu gucken.
Der Fall, der in "Mord im Orient-Express" erzählt wird, ist sehr kompliziert, und – wie so oft bei Agatha Christie – ist dessen Auflösung eine große Mäander. Ein Verhör folgt auf das nächste, alle zwölf Verdächtigen werden der Reihe nach von Poirot bearbeitet und danach präsentiert er über eine halbe Stunde lang seine Auflösung. Im Orient-Express läuft es nicht anders, aber es ist die Liebe bis ins kleinste Detail, die diesen Film für mich herausragen lässt. Lumet inszeniert unauffällig und effizient, aber mit so wunderbaren kleinen Ideen und Einstellungen. Ganz toll zum Beispiel, wie er am Bahnhof die Passagiere des Zuges alle nach und nach "auftreten" lässt, als finde man sich gerade im Theater wieder – eine Idee, die am Ende gespiegelt wird, wenn alle Schauspieler noch einmal in einer Nahaufnahme "abgehen". Richtig toll auch, dass er nach der Einführung aller Figuren einmal lange den Zug mit der Kamera abfährt und an die einschaltende Lampe heranzoomt, so als stelle der zum Schluss den Orient-Express als eigenen Charakter vor. Genau das hat der Zug und auch der Film: Charakter.
Es stecken sehr viele schöne Elemente im Orient-Express. Bei einem Kameramann wie Geoffrey Unsworth ist es sicher nicht überraschend, wie auffallend hübsch der Film trotz seines Kammerspiel-Settings fotografiert ist. Wenn ein Film ausschließlich in engen Räumen spielt und auf seine Schauspieler setzt, muss vor allem das Blocking stimmen, und da arbeiten Lumet und Unsworth mustergültig zusammen. Die Filmmusik gefällt durch ihre beschwingte Leitmelodie, in der sich Richard Rodney Bennett wiederholt als unterschätzter Musiker beweist. Ach, hatte ich die kleinen schönen und oft auch lustigen Dialogzeilen schon erwähnt? Zum Glück war auch hier mit Paul Dehn (der u.a. an "Goldfinger" mitschrieb) ein Könner an Bord. Sehr amüsant etwa, wenn Poirot ausgerechnet "Psycho"-Ikone Anthony Perkins gegenüber die freudsche Frage stellt, ob dieser seine Mutter liebe. Ansonsten lernen wir von Poirot: "Wenn Sie sich übergeben müssen, dann bitte aus dem Fenster, und kotzen Sie keinesfalls gegen den Wind." Ein echter Lacher auch das Gespräch zwischen Mr. Beddoes und Antonio Foscarelli:
"Was lesen Sie da?"
– "'Gefangener der Liebe' von Arabella Richardson."
"Sex?"
– "Nein, es ist gleich halb 11."
Nach diesem großen Spaß ging es dann weiter mit der "modernen" Version von Branagh. Mein Fazit: Uff. Schon nach zehn Minuten war ich gewillt, den Direktvergleich beider Filme frühzeitig zu beenden und Branaghs Vision auf Disney+ versauern zu lassen. Kinners, was ein künstlicher Film, der es gar nicht abwarten kann, mit trendiger Farbgebung und CGI-Elementen jede Erinnerung an die Farbgebung der echten Welt vergessen zu lassen. Von Anfang an stimmt an Branaghs Interpretation der Poirot-Rolle wenig. Finney war nah am Original (Christie war von ihm regelrecht begeistert), Ustinov brachte viel Gelassenheit und Gemütlichkeit mit in den Part und der spätere David Suchet zeigte Poirot in erster Linie als Genie, aber in zweiter Linie als bonvivanten Genussmenschen. Ihnen allen gemein war aber, dass die Integrität der Rolle in ihrem Intellekt lag, der nie der Lächerlichkeit preisgegeben wird, der aber auch immer in der Realität verwurzelt ist. Ausgerechnet Branagh, der für seine vorlagengetreuen Shakespeare-Adaptionen bekannt wurde, wirft all das in der Einführungsszene über Bord:
Sein Poirot ist nicht bloß verschroben, sondern muss regelrecht zwangsgestört auftreten (viele Momente wecken Erinnerungen an die TV-Serie "Monk", bzw. sind direkt aus dieser geklaut) und leistet zudem Schlussfolgerungen, die jeder Herleitung und Deduktion entbehren. Als er dann nach einer kleinen überzogenen Einführung seine eigene Weltsicht erklärt (er könne die Welt nur als so makellos sehen, wie sie sein sollte), hat Branagh die Figur bereits so absurd überhöht, dass sie ihren Charme und ihre auch immer ironische Komponente, die schon bei Christie veranlagt ist, sofort verloren hat. Generell lässt sich feststellen: Der Besetzung von 74 können die Stars aus 2017 nicht annähernd das Wasser reichen. Obwohl die Liste an großen Namen beachtlich ist (Judi Dench, Willem Dafoe, Olivia Colman, Johnny Depp, Michelle Pfeiffer, Penélope Cruz, Derek Jacobi), bekommen sie alle nur wenig Momente, um zu glänzen – hauptsächlich weil Branagh damit beschäftigt ist, die Geschichte künstlich spektakulärer zu machen, als sie ist, und dafür den Plot auch beiseite schiebt, wenn dafür nötig. Richtig lachhaft sind zwei Versuche, Actionszenen in die Geschichte unterzubringen, die zu keiner Sekunde vernünftig vorbereitet wurden. Sieht man genau hin, findet man derlei Redundanzen mehrfach.
Ansonsten sieht man im Direktvergleich die stark veränderten Sehgewohnheiten. 1974 nimmt sich Lumet viel Zeit dafür, seine Geschichte einzuführen, kann sich in langen Einstellungen auf seine Darsteller und seine Dialoge verlassen. Branagh schneidet 2017 schnell von einer Figur zur anderen, um mit Vollgas in den Orient-Express zu kommen und wenn er mal einen Long Shot über mehr als eine Minute Laufzeit wagt (Poirot am Bahnhof steigt in den Zug ein), dann muss möglichst viel im Bild passieren: Unzählige Statisten wuseln herum, mehrere Charaktere reden gleichzeitig auf den Detektiv ein, in der Küche entsteht eine Stichflamme … hauptsache alles bewegt sich, damit der Zuschauer nie auf die Idee kommt, er könnte sich gerade langweilen. Dagegen ist an sich nicht unbedingt etwas zu sagen, doch es verstärkt den Eindruck, dass Branagh die Geschichte künstlich aufbläht und aufplustert, um sie "interessant zu verkaufen", während das Original ohne Effekthascherei und Nebenkriegsschauplätze auskam und einfach seinem Plot vertraute. Kaum ein Verhör zeigt Branagh am Stück von Anfang bis Ende, stattdessen wählt er unentwegt die Montage. Wie man als Zuschauer so die Übersicht behalten soll: Keine Ahnung.
Übrigens drollig: Auch Branagh versucht dem abfahrenden Zug eine Art "Charakter" zu vermitteln, doch es geht fatal daneben. Da fährt nun also die CGI-Lokomotive durch die CGI-Stadt und wird dabei von allerhand Personen bejubelt und bewunken: Was machen die da? Warum winken irgendwelche fremden Türken ganz begeistert dem Orient-Express hinterher, der da ja nun nicht zum ersten oder zum letzten Mal abfährt?
Die Effektqualität ist wirklich bestürzend: Viele Außenaufnahmen vom Zug in freier Natur sehen regelrecht beschissen aus! Ansonsten gibt es nicht viel zu sagen: Die Essenz der Geschichte kommt auch bei Branagh irgendwie durch, aber seine Version ist eine, die von Eitelkeit geprägt ist und die meiste Zeit vor allem langweilt. Natürlich dichtet er seinem Poirot eine vollkommen überflüssige Privatgeschichte an, die mit dem Fall rein gar nichts zu tun hat und in letzter Konsequenz bedeutet, dass Branagh im letzten Drittel durch die eigentliche Auflösung regelrecht hetzen muss, weil er bei der entsprechenden Vorarbeit gespart hat. Natürlich ergeht sich alles in neumodernem inszenatorischen Schick, der selten eine andere Funktion erfüllt, als halt "cool" auszusehen. Und natürlich bricht Poirot am Ende auf eine Art und Weise aus, die sich Finney und Ustinov und Suchet nie erlaubt hätten, immerhin kann Shakespeare-Star Branagh es nicht ohne das ganz dick aufgetragene Spiel.
Dick aufgetragen ist das Sprichwort: Während das Original subtil, detailverliebt und mit viel Überlegung inszeniert und erzählt ist, ist bei Branagh alles pompös, schnell und enorm aufdringlich (– und sehr türkis). Beim Publikum hat es offenbar funktioniert und vielleicht muss man in diesem Genre heute so dick auftragen, um die Leute ins Kino zu bekommen. Aber für mich persönlich ist der 2017er Film vollkommen überflüssig. Eine gute Geschichte braucht all diese Spielereien nicht – das wusste man 1974.
Nun war mir im Vorfeld klar, dass der 74er Film sehr sicher mein Favorit ist und bleiben wird. Für mich ist das der perfekte "klassisch gehaltene" Whodunit-Krimi (und damit ganz knapp vor dem ähnlich fantastischen "Tod auf dem Nil" von 78, den Branagh später ebenfalls neu auflegte). Dieser Film ist in meinen Augen ein ganz großer Genuss. Gründe dafür gibt es viele. Vorne weg die unfassbare Besetzung, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: Albert Finney! Martin Balsam! Ingrid Bergman! Sean Connery! Lauren Bacall! Vanessa Redgrave! Michael York! Jacqueline Bisset! Anthony Perkins! … Schlicht unfassbar. Diesen Edelmimen einfach nur bei ihrer Meisterschaft zuzugucken, ist schon ein großer Teil des Spaßes. Ich weiß, dass viele Sir Peter Ustinov als Hercule Poirot bevorzugen, und das verstehe ich durchaus: Ustinov spielt die Rolle tiefenentspannt, gemütlicher. Finney tritt sehr verschroben auf und kann auch mal richtig grob werden (zum Beispiel, wenn er die arme Redgrave anschnauzt, um Connerys Beschützerinstinkt zu wecken). Gerade diese fast schon ulkige, verkopftere Interpretation ist hier aber goldrichtig, unterstreicht sie doch kongenial den Rätselaspekt des Films, bei dem man wirklich jede Äußerung aller Verdächtigen auf die Goldwaage legen muss, um sich der Lösung anzunähern.
Es ist einfach unfassbar, wie Lumet all diesen vielseitigen und hochbegabten Leinwandlegenden ihren Platz einräumt und sie arbeiten lässt. Viele Einstellungen hält er in langen Nahaufnahmen durch, geschnitten wird gerade in den Verhören nur wenig. Absolut sensationell und der schauspielerische Höhepunkt des Films ist sicher das Verhör der armen Greta Ohlsson. Über vier Minuten lang und ohne einen einzigen Schnitt hält Lumet die gesamte Szene lang die Kamera ganz nah an das Gesicht von Ingrid Bergman, die so viele doppelbödige Nuancen in ihr Spiel legt, dass man beim wiederholten Anschauen immer wieder Neues entdeckt. Kein Wunder: Sie bekam für den Film einen Oscar als Beste Nebendarstellerin und mutmaßlich wirklich nur für diese eine grandiose Szene. Aber auch die anderen glänzen allesamt. Besondere Highlights sind für mich die schönen kleinen Momente nach jedem Verhör, wenn Zuggewerkschafter Martin Balsam und der Doktor George Coulouris ihre Mutmaßungen äußern und ganz aufgeregt dabei sind, dem Meistergehirn Poirot über die Schulter zu gucken.
Der Fall, der in "Mord im Orient-Express" erzählt wird, ist sehr kompliziert, und – wie so oft bei Agatha Christie – ist dessen Auflösung eine große Mäander. Ein Verhör folgt auf das nächste, alle zwölf Verdächtigen werden der Reihe nach von Poirot bearbeitet und danach präsentiert er über eine halbe Stunde lang seine Auflösung. Im Orient-Express läuft es nicht anders, aber es ist die Liebe bis ins kleinste Detail, die diesen Film für mich herausragen lässt. Lumet inszeniert unauffällig und effizient, aber mit so wunderbaren kleinen Ideen und Einstellungen. Ganz toll zum Beispiel, wie er am Bahnhof die Passagiere des Zuges alle nach und nach "auftreten" lässt, als finde man sich gerade im Theater wieder – eine Idee, die am Ende gespiegelt wird, wenn alle Schauspieler noch einmal in einer Nahaufnahme "abgehen". Richtig toll auch, dass er nach der Einführung aller Figuren einmal lange den Zug mit der Kamera abfährt und an die einschaltende Lampe heranzoomt, so als stelle der zum Schluss den Orient-Express als eigenen Charakter vor. Genau das hat der Zug und auch der Film: Charakter.
Es stecken sehr viele schöne Elemente im Orient-Express. Bei einem Kameramann wie Geoffrey Unsworth ist es sicher nicht überraschend, wie auffallend hübsch der Film trotz seines Kammerspiel-Settings fotografiert ist. Wenn ein Film ausschließlich in engen Räumen spielt und auf seine Schauspieler setzt, muss vor allem das Blocking stimmen, und da arbeiten Lumet und Unsworth mustergültig zusammen. Die Filmmusik gefällt durch ihre beschwingte Leitmelodie, in der sich Richard Rodney Bennett wiederholt als unterschätzter Musiker beweist. Ach, hatte ich die kleinen schönen und oft auch lustigen Dialogzeilen schon erwähnt? Zum Glück war auch hier mit Paul Dehn (der u.a. an "Goldfinger" mitschrieb) ein Könner an Bord. Sehr amüsant etwa, wenn Poirot ausgerechnet "Psycho"-Ikone Anthony Perkins gegenüber die freudsche Frage stellt, ob dieser seine Mutter liebe. Ansonsten lernen wir von Poirot: "Wenn Sie sich übergeben müssen, dann bitte aus dem Fenster, und kotzen Sie keinesfalls gegen den Wind." Ein echter Lacher auch das Gespräch zwischen Mr. Beddoes und Antonio Foscarelli:
"Was lesen Sie da?"
– "'Gefangener der Liebe' von Arabella Richardson."
"Sex?"
– "Nein, es ist gleich halb 11."

Nach diesem großen Spaß ging es dann weiter mit der "modernen" Version von Branagh. Mein Fazit: Uff. Schon nach zehn Minuten war ich gewillt, den Direktvergleich beider Filme frühzeitig zu beenden und Branaghs Vision auf Disney+ versauern zu lassen. Kinners, was ein künstlicher Film, der es gar nicht abwarten kann, mit trendiger Farbgebung und CGI-Elementen jede Erinnerung an die Farbgebung der echten Welt vergessen zu lassen. Von Anfang an stimmt an Branaghs Interpretation der Poirot-Rolle wenig. Finney war nah am Original (Christie war von ihm regelrecht begeistert), Ustinov brachte viel Gelassenheit und Gemütlichkeit mit in den Part und der spätere David Suchet zeigte Poirot in erster Linie als Genie, aber in zweiter Linie als bonvivanten Genussmenschen. Ihnen allen gemein war aber, dass die Integrität der Rolle in ihrem Intellekt lag, der nie der Lächerlichkeit preisgegeben wird, der aber auch immer in der Realität verwurzelt ist. Ausgerechnet Branagh, der für seine vorlagengetreuen Shakespeare-Adaptionen bekannt wurde, wirft all das in der Einführungsszene über Bord:
Sein Poirot ist nicht bloß verschroben, sondern muss regelrecht zwangsgestört auftreten (viele Momente wecken Erinnerungen an die TV-Serie "Monk", bzw. sind direkt aus dieser geklaut) und leistet zudem Schlussfolgerungen, die jeder Herleitung und Deduktion entbehren. Als er dann nach einer kleinen überzogenen Einführung seine eigene Weltsicht erklärt (er könne die Welt nur als so makellos sehen, wie sie sein sollte), hat Branagh die Figur bereits so absurd überhöht, dass sie ihren Charme und ihre auch immer ironische Komponente, die schon bei Christie veranlagt ist, sofort verloren hat. Generell lässt sich feststellen: Der Besetzung von 74 können die Stars aus 2017 nicht annähernd das Wasser reichen. Obwohl die Liste an großen Namen beachtlich ist (Judi Dench, Willem Dafoe, Olivia Colman, Johnny Depp, Michelle Pfeiffer, Penélope Cruz, Derek Jacobi), bekommen sie alle nur wenig Momente, um zu glänzen – hauptsächlich weil Branagh damit beschäftigt ist, die Geschichte künstlich spektakulärer zu machen, als sie ist, und dafür den Plot auch beiseite schiebt, wenn dafür nötig. Richtig lachhaft sind zwei Versuche, Actionszenen in die Geschichte unterzubringen, die zu keiner Sekunde vernünftig vorbereitet wurden. Sieht man genau hin, findet man derlei Redundanzen mehrfach.
Ansonsten sieht man im Direktvergleich die stark veränderten Sehgewohnheiten. 1974 nimmt sich Lumet viel Zeit dafür, seine Geschichte einzuführen, kann sich in langen Einstellungen auf seine Darsteller und seine Dialoge verlassen. Branagh schneidet 2017 schnell von einer Figur zur anderen, um mit Vollgas in den Orient-Express zu kommen und wenn er mal einen Long Shot über mehr als eine Minute Laufzeit wagt (Poirot am Bahnhof steigt in den Zug ein), dann muss möglichst viel im Bild passieren: Unzählige Statisten wuseln herum, mehrere Charaktere reden gleichzeitig auf den Detektiv ein, in der Küche entsteht eine Stichflamme … hauptsache alles bewegt sich, damit der Zuschauer nie auf die Idee kommt, er könnte sich gerade langweilen. Dagegen ist an sich nicht unbedingt etwas zu sagen, doch es verstärkt den Eindruck, dass Branagh die Geschichte künstlich aufbläht und aufplustert, um sie "interessant zu verkaufen", während das Original ohne Effekthascherei und Nebenkriegsschauplätze auskam und einfach seinem Plot vertraute. Kaum ein Verhör zeigt Branagh am Stück von Anfang bis Ende, stattdessen wählt er unentwegt die Montage. Wie man als Zuschauer so die Übersicht behalten soll: Keine Ahnung.
Übrigens drollig: Auch Branagh versucht dem abfahrenden Zug eine Art "Charakter" zu vermitteln, doch es geht fatal daneben. Da fährt nun also die CGI-Lokomotive durch die CGI-Stadt und wird dabei von allerhand Personen bejubelt und bewunken: Was machen die da? Warum winken irgendwelche fremden Türken ganz begeistert dem Orient-Express hinterher, der da ja nun nicht zum ersten oder zum letzten Mal abfährt?

Dick aufgetragen ist das Sprichwort: Während das Original subtil, detailverliebt und mit viel Überlegung inszeniert und erzählt ist, ist bei Branagh alles pompös, schnell und enorm aufdringlich (– und sehr türkis). Beim Publikum hat es offenbar funktioniert und vielleicht muss man in diesem Genre heute so dick auftragen, um die Leute ins Kino zu bekommen. Aber für mich persönlich ist der 2017er Film vollkommen überflüssig. Eine gute Geschichte braucht all diese Spielereien nicht – das wusste man 1974.
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https://letterboxd.com/casinohille/
Let the sheep out, kid.
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