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von ollistone
Agent
Will man NTTD und damit die Craig-Reihe insgesamt beurteilen, kommt man meines Erachtens um eine Bewertung von SF als Schlüsselfilm nicht umhin. Das "Herzstück" der Craig-Reihe ist gleichzeitig Taktgeber.
Ich schätze SF sehr, ganz großer Film, aktuell auf Platz 4 meiner Bestenliste. Ich liebe seine Farben, die Inszenierung, die gelungene Wiedereinführung von Q und Moneypenny, und er ist so verdammt episch. Und dennoch nagt schon seit Jahren eine kleine Unzufriedenheit an mir, die ich bisher nie ganz fassen konnte. Mir ist erst in den letzten Wochen klar geworden, woran das liegen könnte, vielleicht offenbart sich das tatsächlich erst mit dem Abschluss der Craig-Ära. Meines Erachtens verlässt SF die Richtung, die CR und QOS vorgegeben haben, und SP manifestiert die falsche Ausfahrt, die EON seitdem genommen hat. NTTD bringt es dann nur noch konsequent (meiner Meinung nach aber bravourös) zu Ende. CR verzichtet (weitgehend) auf Over-the-top-Elemente und Fantastereien, CR (und auch QOS) wollen, dass man sie ernst nimmt. Wer sich prügelt, der blutet, wer tötet, hadert mit sich. Ein schmutziges Geschäft. Die ersten beiden Craig-Bonds sind bodenständige, realistische, knallharte Beiträge. Diese Seriosität geht schon SF auf eine gewisse Weise ab, SP erst recht.
Um es mal am Villain festzumachen: Ich finde Bardem als Silva großartig, und dennoch hat mich die Figurenüberzeichnung immer etwas gestört. Inzwischen ergibt sich ein Bild: genau das ist der Fremdkörper, die Fehlnote, die zwischen Realismus und Surrealismus unterscheidet. Besonders die Szene, in der Silva seinen Unterkiefer rausnimmt. Hätten sie darauf verzichtet, die ganze Figur des Silva etwas weniger "too much" entworfen, würde mir SF noch viel besser gefallen. So bringt SF ein Element rein, das ich im Rahmen der Craig'schen Interpretation nicht nur des James Bond, sondern der ganzen Reihe, als Misston empfinde. Und exakt diesen Misston treiben sie dann mit SP weiter und auf die Spitze. Blofeld, die Bruder-Nummer, die Folter-Szene, Hinx, diese Jeder-Schuss-ein-Treffer-Ballereien, das Finale im MI-6-Gebäude, das schlägt alles die völlig falsche Richtung ein und hätte vielleicht sogar mit einem Brosnan noch besser funktioniert. Ab SF und erst recht ab SP wirken die Beiträge merkwürdig ambivalent und kann man sich nicht recht entscheiden; nehmen wir das jetzt ernst oder nicht?
Mein Vorwurf an die Produzenten wäre daher, dass sie eingeknickt sind und auf Teufel komm raus wieder Elemente in die Reihe einbringen wollten, die mit dem Craig-Bond eigentlich unvereinbar sind. Das hat alles wenig mit der Frage zu tun, die viele umtreibt, ob man Bond persönlich zeigen kann, ob einem die ganze Thematik Verrat, Misstrauen, Verlust, Selbstzweifel zusagt oder nicht. Es geht mir nicht um seinen Charakter. Die Macher haben irgendwie den Faden verloren oder sich nicht getraut, die Filme konsequent im Sinne von CR weiterzuentwickeln. Insofern setze ich mich wohl in Opposition zu einigen anderen hier, wenn ich behaupte, dass es der Kardinalfehler der letzten Jahre war, Bondfilme wieder mehr zu dem zu machen, was sie früher waren. Das Gegenteil wäre richtig gewesen. Mehr Härte, mehr Realismus, weniger Quatsch. Das finde ich für die Beurteilung der Reihe ab 2006 deutlich schwerwiegender als die Frage, ob Bond nun eine Tochter haben darf oder nicht.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."