Gernot hat geschrieben: 25. Oktober 2021 17:17
danielcc hat geschrieben: 25. Oktober 2021 12:40
Mit dem letzten Satz im Film erlauben sich die Macher – bewusst oder unbewusst – eine bittersüße Doppeldeutigkeit. Ja, James Bond ist gerade im Film gestorben und so ist es zunächst nur eine geistreiche Abkehr von der Regel, insofern als dass der Satz nicht als Vorstellung aus dem Munde Bonds kommt und auch in der Vergangenheitsform fällt. Aber auf das Franchise bezogen könnte der Satz auch verbittert aus dem Munde manch treuer Fans stammen, von denen nicht wenige (wie heute sozialmedial üblich) feststellen werden „They killed my Bond!“
Ist das noch der Bond den wir kannten? Ist das noch der Bond den wir wollen?
James Bond is dead.
Viele fragen, ob ein solch tragisches Ende bei Bond funktionieren kann. Für mich funktioniert es, gerade weil es Bond ist. Warum sollte mich das Schicksal von beliebigen Filmfiguren berühren, aber nicht das Schicksal der Figur, mit der ich Jahrzehntelang groß geworden bin? Gerade weil Bond 45 Jahre lang nahezu emotionslos geblieben ist, gerade weil die Craig Ära dies dann auf so stimmige Weise und Stück für Stück geändert hat, gerade weil Craigs Bond klar ein „echter“ Mensch ist, kann ich dieses Ende akzeptieren. Ja, es ist gleichsam tragisch und frustrierend, aber auch befriedigend. Bond hat die Welt gerettet, hat sein Leben in vollen Zügen gelebt und jetzt auch etwas hinterlassen.
ich kann jetzt zeitlich nicht auf alles eingehen, was mir beim Lesen so eingefallen ist, aber ich finde es schon etwas süffisant dass du die Meinung vieler "Hardcore Bondfans", vor allem zum kontroversen Ende, einfach mit "sozialmedial üblich" abtust oder dass sie irriger Weise glauben würden, sie hätten gar ein Mitspracherecht, wie der Film sein soll. Ja, diese Typen gibt es natürlich auch bei Bond (die einfach laut schreien), aber zB. hier im Forum hat das eigentlich keiner so geschrieben. Alle, die den Film für das eine oder das andere kritisieren, haben das hier auf differenzierte Weise versucht bzw. haben versucht ihre Meinung entsprechend zu begründen. Und auch diese Meinungen sollte man respektieren - denn so gut wird der Film dann auch wieder nicht außerhalb der Bond-Bubble angenommen, als dass man die Meinung vieler Bondfans einfach vernachlässigen könnte. Der Film wird allgemein gesehen ziemlich sicher die Nr. 3 der Craig-Filme werden. Ich hätte mir ehrlich gesagt etwas besseres für seinen Abschluss gewünscht/erhofft. Vielleicht ist auch das mein Problem der zu hohen Erwartungshaltung...
Ich bin auch verblüfft. Für Daniel als den mit Abstand stärksten NTTD-Bewunderer hier ist der Tod von Bond viel gewichtiger als für mich als den mit Abstand lautesten NTTD-Ablehner hier. Und bis auf sehr wenige Personen (in- und außerhalb dieses Forums) habe ich nicht den Eindruck, dass der Grund für die Ablehnung, die der Film teilweise erfährt, ausschließlich der Tod der Hauptfigur ist.
Ich finde, Daniel, du gibst dir da sehr viel erkennbare Mühe, gegen eine Gruppe "anzukämpfen", die - so fürchte ich - gar nicht wirklich existiert, jedenfalls nicht hier. Und selbst wenn weiß ich nicht, ob es so schlüssig ist, gegen Rufe à la "They killed my Bond" zu antworten mit: "Bond gehört dir nicht." Ja, klar, logo, weiß jeder Schreihals doch.

Damit adressiert man nicht die tiefere Ebene, die diese Kritik hat - und sie hat eine, selbst wenn das gar nicht jeder Schreihals benennen kann.
In diesem Forum begegnet einen häufig der Begriff "bondig" und der existiert aus Ermangelung eines besseren Begriffs für ein undefinierbares Empfinden beim Schauen, einem "Bond-Feeling", welches insbesondere für Fans die Filme mit Bond-Feeling von denen ohne Bond-Feeling unterscheidet. So eine kollektive Vorstellung davon, wie dieses Feeling sich anzuführen hat, existiert tatsächlich. Seit 2015 werden in einer Tour die neuen "Star Wars"-Filme von einem wesentlichen Teil der Fans nicht akzeptiert und wenn man sich sie Mühe macht, die Kritikpunkte zu "The Last Jedi" oder "The Rise of Skywalker" durchzulesen, entstammen die alle dem Gefühl, dass diese neuen Filme eine ganz bestimmte Tonalität verfehlen, eine gewisse Atmosphäre nicht erzeugen (können). Und das sind mitnichten alles nur konservative Hardliner, denn dieselbe Fangruppe feiert "The Mandalorian", eine TV-Serie im "Star Wars"-Kosmos, die ohne Jedi, Sith, Lichtschwertkämpfe, Han Solo, R2D2, John Williams berühmte Musik etc. auskommt - übrigens alles Elemente, die in den neuen Filmen vertreten sind.
Will sagen: Fans sind komplexer als man ihnen zugesteht. Ein einfaches Abhaken der Checkliste wird sie nicht zufriedenstellen, denn essentiell ist das Einhalten einer Geschmacksrichtung, die Erfüllung eines Versprechens, das sich hinter dem Markennamen verbirgt.
Wenn ich mir die Kritikpunkte vieler Fans an NTTD in diesem Forum, bei Reddit, im MI6-Forum oder privat von langjährigen Bewunderern anhöre sowie meine eigenen untersuche, dann lassen sich die allermeisten ebenfalls so erklären, dass für einen Teil der Bond-Fans das Versprechen des Markennamens "James Bond" nicht eingehalten wurde, dass die "bondige" Tonalität nicht zu spüren war. Natürlich sind ganz insbesondere Bond-Fans keine homogene Masse: Die einen lieben vor allem die Connery-Filme, andere stehen insbesondere auf Big-Bombast (YOLT, TSWLM, MR, TND), andere haben die Spionageabenteuer (FRWL, TLD, LTK) viel lieber. Die Bond-Fangruppe ist sehr divers und damit auch die Empfindung der "Bondigkeit".
Faszinierend ist aber für mich, dass NTTD erkennbar mit mehreren Entscheidungen bei einem wesentlichen Teil der Fans, die ansonsten ganz andere individuelle Bond-Parameter anlegen und pflegen, in ihrer Empfindung der Bondigkeit von NTTD geeint sind. Davon kann jeder halten, was er will. Dies aber auf eine vermeintliche sozialmediale Empörungskultur zu schieben und kritische Fans als Traditionalisten zu schubladisieren ist mir ein bisschen zu simpel gedacht. Ich finde: NTTD verdient seine Bewunderer und seine Ablehner gleichermaßen. Ein provokanter, bewusst polarisierender Film kann doch keine besseren Reaktionen erwarten, als die einer gespaltenen, beidseitig leidenschaftlich agierenden Anhängerschaft. Nur dann ist die Mission erfüllt.
Bei all dem sei noch gesagt, dass auch CR und SF auf dem Papier kontroverse Bond-Filme hätten sein müssen, aber mitnichten eine solche Radikalität der Ablehnung entfachen konnten, wie es nun NTTD bei einem Teil des Fan-Publikums "gelingt". Daher lässt sich - und ich hasse dieses Wort, hier aber trifft es zu - objektiv konstatieren, dass CR und SF bei aller Gewagtheit auf die gesamte Zuschauerschaft betrachtet die Bond-Tonalität besser getroffen haben als NTTD - und dabei waren sie trotzdem frisch und anders genug, um die Reihe zu erneuern. Denn das geht nie von hinten durch die Brust ins Auge, sondern immer nur als vollumfänglicher Teil des Ganzen. Ob diese Langzeitwirkung auch NTTD haben wird?
danielcc hat geschrieben: 25. Oktober 2021 17:33
Mich würde schon interessieren, über was sich die vezweifelten Fans da vor allem beklagen? es wird doch wohl kaum die Story, die Action, die Gags, die Charakter sein - sondern die Tatsache, dass der Film sehr emotional ist und Bond stirbt. Oder?
Unter uns Pastorentöchtern: Viele hier haben das sehr ausführlich erleuchtet. Ich habe gemäß meiner Wahrnehmung den ganzen Film glaube ich bereits komplett auseinander genommen. Aber auf solche recht detaillierten Kritikpunkte hört man dann: "Muss man das alles hinterfragen? Kann man nicht einfach Spaß haben?" Und dann heißt es später, stören würde die NTTD-Ablehner nur der Tod Bonds und das emotionale Script - und nicht die dutzenden anderen genannten Argumente.
Da frage ich mich: Ist die Kritik an der Kritik an NTTD nicht noch undifferenzierter als die Ablehnung des Films durch einige Fans?