Downsizing
„Wachstum ist gut“, sagte der Luftballon und platzte. In diesem Sinne: Willkommen im Turbokapitalismus des 21. Jahrhunderts! Größer ist besser, Wachstum ist Wohlstand. Was aber, wenn alle Ressourcen irgendwann aufgebraucht sind, die Natur vollends ausgebeutet? Dann steht der Untergang der Menschheit schneller als gedacht bevor. In Norwegen, dem Land des Fortschritts, findet ein Wissenschaftler eine Lösung: Ein Prozess, bei dem Menschen auf eine Größe von 12 cm geschrumpft werden. Schnell wird daraus ein populäres Konzept – Wer winzig klein ist, lebt im Überfluss, hat unendlich Geld zur Verfügung, kann extrem platzsparend in riesigen Häusern wohnen und verbraucht kaum Strom, Nahrung etc. Die Utopie als Miniaturausgabe. Diese verrückte Idee dient Regisseur Alexander Payne für seine Sci-Fi-Parabel „Downsizing“ als Aufhänger, in der er das Verhältnis zwischen technischem Fortschritt und Gerechtigkeitsempfinden buchstäblich unter die Lupe nimmt.
Wie die meisten Filme, die das Thema des Schrumpfens in den Mittelpunkt stellen, so zieht auch „Downsizing“ seine visuelle Faszination aus dem Effekt der Disproportion, soll heißen: Durch die Gegenüberstellung der Schrumpfwelt mit der der Normalgroßen entstehen asymmetrische Größenverhältnisse. Von dieser Vorstellung lässt sich auch der Protagonist Paul anstecken. Matt Damon spielt diesen Paul als den alltäglichen US-„Everyman“. Sein piefiger Biedermeier-Charme, den Damons Kritiker ihm gerne attestieren, kommt ihm hierbei zu Gute. So wird er zur beinahe gesichtslosen Projektionsfläche des Zuschauers, der mit ihm in das luxuriöse Leben der Miniaturwelt Leisureland einsteigt. Dieser Einstieg, für den Payne sich viel Zeit lässt, zeugt von einem hohen Detailgrad an aufwändigem World Building. Das ganze erste Drittel seines 135 Minuten langen Films verwendet der Regisseur dafür, den Schrumpfprozess in aller Ausführlichkeit zu beleuchten. So müssen Paul sämtliche Körperbehaarungen und Zahnprothesen entfernt werden (da diese nicht mitschrumpfen), später wird er dann zusammen mit den anderen Geschrumpften auf viel zu großen Betten liegend von den Angestellten mit einem Pfannenwender weiter transportiert. Payne setzt in diese langen Sequenzen immer wieder auf Aufnahmen aus der Vogelperspektive, wahrt Distanz zum Geschehen und spielt – als Wink mit dem Zaunpfahl – ausgerechnet die „Badinerie“ von Johann Sebastian Bach im Hintergrund. Die Message ist klar: „Downsizing“ ist ein Gedankenspiel, eine filmische alternative Weltenrettungsmethode. Payne weiß das und nimmt gekonnt selbstironisch möglichen Glaubwürdigkeitsdefiziten jeden Wind aus den Segeln. Beeindruckend inszeniert!
Dennoch weiß er der Materie dramatisches Potential abzugewinnen: Als Paul erfährt, dass Ehefrau Audrey spontan einen Rückzieher gemacht hat, fällt er in ein tiefes Loch. Leider in eines, aus das auch der Film sich nicht mehr erholen mag. Statt in Folge dessen Pauls langsame Akklimatisierung in der künstlichen Umwelt in den Vordergrund zu rücken, macht Payne einen Zeitsprung. Nach über einem Jahr stellt Paul nun fest, dass auch Leisureland keine schöne neue Welt ist. Auch hier gibt es Elendsviertel, in denen Zwangsgeschrumpfte ein trostloses Dasein fristen oder als Haushaltssklaven für den oberen Mittelstand der Wohlfühlgemeinschaft dienen. „Downsizing“ spricht in Folge dessen wichtige Themen an: Überbevölkerung, Urbanisierung, Klassenantagonismen. Doch keines von ihnen wirkt je wirklich zu Ende gedacht, schlimmer noch verschwendet er dafür seine eigens erdachte Prämisse. Alle Probleme, denen Paul in Leisureland begegnet, hätten genauso auch in der normalen Welt stattfinden können. Während Payne glaubt, diese Erkenntnis als wirksame Desillusionierung einsetzen zu können, kommt eher der Eindruck auf, das eigentliche Potenzial der geschrumpften Welt würde nicht genutzt werden. Zu Konflikten zwischen den „Großen“ und den „Kleinen“ kommt es nicht, die als Ehefrau Pauls lange etablierte Kristen Wiig verschwindet mit einem Mal völlig aus dem Film. Die neu eingeführten Charaktere, insbesondere die Menschenrechtskämpferin Ngoc Lan, bleiben blass und teils inkonsequent gezeichnet. Besonders schwer trifft das den als Pauls serbischen Nachbar auftretenden Christoph Waltz: So sehr es auch Spaß macht, den toll aufspielenden Waltz als regelmäßigen Gastgeber wilder Partys zu erleben, so wenig führt seine Figur irgendwo hin. Anfangs scheint er eine Symbolfigur für globalisierten Hedonismus zu sein, später taugt er nur noch für plumpe Lacher und steht tatenlos im Bildhintergrund herum.
Das eigentliche Problem aber ist nicht, dass „Downsizing“ – ist Paul erstmal geschrumpft – keinen Fokus auf ein übergeordnetes Thema oder eine stringente Story entwickelt. Schwerwiegender fällt auf, dass daraus auch ein Genre-Durcheinander resultiert, der zwar durch seine willkürliche Dramaturgie interessant anzusehen ist und erst recht überrascht, wenn das letzte Drittel gar apokalyptische Züge annimmt, aber an sich selbst vorbei läuft. Suggerieren frühe Gastauftritte von Komikern wie Neil Patrick Harris und Jason Sudeikis einen Komödien-Anstrich, wird der Film mit zunehmender Laufzeit merklich schwerfälliger, ohne konkret etwas dabei auszusagen. Vielleicht ist es auch ein Problem, dass Paul (mit so viel gekonntem Understatement Damon ihn auch zu spielen weiß) schlicht zu langweilig bleibt. Da hilft es auch nicht, dass er im Laufe der Handlung den nächstenliebenden Altruismus für sich entdeckt. Der Kerngedanke des Plots wirkt so zwar: Wer im echten Leben keine große Nummer war, der ist es auch in der geschrumpften Welt nicht. Allerdings dauert es deutlich zu lange, diese Botschaft zu entwickeln. Die wirklich interessanten Themen der Welt reißt Payne nur beiläufig in fiktiven TV-Reportagen an: Analog zu überfüllten Flüchtlingsbooten reisen geschrumpfte Flüchtlinge nun in kaputten Flatscreens durch die Welt, während Zentimeter große Terroristen unbemerkt jedwede Grenzen überqueren können. Tolle Ideen, die ganze Filme füllen könnten, hier aber leider nur Ideen bleiben.
Fazit: Der Anfang verspricht großes, doch sobald Alexander Payne und Co-Autor Jim Taylor ihren Protagonisten schrumpfen, verkommt „Downsizing“ ironischerweise zum leicht übersehbaren Moralstück, welches ohne den Sci-Fi-Aufhänger niemanden hinter dem Ofen hervorgelockt hätte. Die erzählerische Unentschlossenheit sorgt zwar für manche Überraschungen, sodass der Film trotz langer Laufzeit
kurzweilig ausfällt, darüber hinaus aber keinen echten Nährwert bietet.
5/10
http://derkinoblog.de/downsizing-kritik/