Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Lieblingsfilmreviews von HCN007 Nummer 19

Ein weiterer Film gibt sich die Ehre und reiht sich in die Liste folgender Filme ein:

Edge of Tomorrow
Collateral
Don Jon
The Last Samurai
Die Jagd
Die Insel
Rain Man
Unstoppable – Außer Kontrolle
Speed
The Town
Hercules
Eine Frage der Ehre
Black Rain
Planet Terror
Mad Max: Fury Road
Blood Diamond
Ohne Limit
Captain Phillips

Da ich mir aktuell von Clint Eastwood den auf Tatsachen beruhenden Film „Sully“ ansehen werde, dachte ich mir, dass die Zeit reif ist für meinen Lieblingsfilm von Clint Eastwood, der mich seit der Erstsichtung im Jahre 2005 immer wieder begeistert. Die Rede ist von ….

„Million Dollar Baby“ (2005)
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Paul Haggis
Schauspieler: Hilary Swank, Clint Eastwood, Morgan Freeman, Jay Baruchel, Michael Pena, Anthony Mackie und einige mehr.
Laufzeit: ca. 127 Minuten (DVD-Fassung)

Worum geht es in „Million Dollar Baby“ ?

Frankie Dunn ist schon seit Ewigkeiten Boxtrainer, Manager und Besitzer des „Hit Pits. Der Ex-Boxer Scrap, lebt in der Boxhalle und kümmert sich um die allgemeine Ordnung des Hauses. Beide verbindet eine enge Freundschaft und ein trauriges Geheimnis, da Frankie ein Champion bis jetzt immer verwehrt wurde. Als die 31 Jahre alte Maggie Fitzgerald in die Boxhalle zum Trainieren kommt, weigert er sich erst sehr vehement, sie zu trainieren, doch ihre Hartnäckigkeit, ihr Ergeiz und ihre Disziplin stimmt ihn mit der Zeit um. Beide verbindet anschließend eine aufkeimende, enge Freundschaft, die durch erbitterte Konsequenzen vor einer harten Prüfung steht.

Warum liebe ich „Million Dollar Baby“ ?

Mir gefallen Boxerfilme ! - Die Reichweite von Boxerfilmen reicht von starken Milieu- und Charakterdramen bis hin zu Komödien und echten Kampfsportfilmen. Einer der Pioniere dieses Films war Sylvester Stallones „Rocky“, dessen Themen und Formeln maßgeblich alle kommenden Boxerfilme beeinflusst haben. Etwas haben nahezu alle Filme gemeinsam – einen männlichen Hauptprotagonisten. „Million Dollar Baby“ ist hier eine der wohl wichtigsten Ausnahmen in dieser Regel. Hier werden nicht nur die bekannten Themen und Formeln integriert, sondern ein nahezu eigenständiges Meisterwerk geschaffen. Die Basis für diesen Film ist eine Kurzgeschichte des erfahrenen Boxtrainers und Cutman F. X. Toole, welche von Paul Haggis zu einem Drehbuch umgewandelt wurde. Den Kern des Films bilden die 3 Hauptakteure, Eastwood, Swank und Freeman.

Die Inszenierung des Films ist sehr ruhig, die audiovisuelle Umsetzung auf den Punkt und absolut unaufgeregt und liefert uns unzählig viele unaufgesetzte Einzelmomente, die nicht nur stark gespielt sind, sondern auch sehr respektvoll und behutsam. Freemans Scrap übernimmt im Film, wie es Freeman häufig tut, eine Voice-Over-Narration und mischt das Ganze trotz allem gekonnt mit einem wunderbaren unterstützenden Charakter. Eastwood gibt sich sehr reduziert und zurückhaltend, man spürt ihm in vielen Poren die Erfahrung als Boxstallbesitzer und die innere Zerissenheit an. Doch die wahre Offenbarung im Film ist Hilary Swank.

Wenn man mich fragt, was für mich eine der wohl großartigsten schauspielerischen Leistungen einer weiblichen Hauptdarstellerin ist, ist die von Hilary Swank gespielte Maggie Fitzgerald. Nicht nur optisch hat sie einen enormen Einsatz für die Rolle gebracht, indem sie trainiert und 19 Pfund Muskelmasse zugelegt hat. Ich verstehe auch den Ehrgeiz, die Hartnäckigkeit und den Drang nach Anerkennung in ihrer Rolle, da ich selbst in einem sozialen Umfeld aufgewachsen bin, das ganz unten gewesen ist und ich mein ganzes Leben schon um Anerkennung gekämpft habe und jedes Ziel was ich mir gesetzt, auch erreicht habe.

Ich kann mich immer noch erinnern, als ich mir 2005 diesen Film im kleinen Ortskino angesehen habe, dass von einem Mitarbeiter des städtischen Kulturforums in Personalunion geführt wurde. Die Reihe lautete Dienstags immer „Der besondere Film“ und in diesem Rahmen kam auch Million Dollar Baby. Ich habe damals noch kein Internet besessen und nur Schnipsel aus den Medien mitbekommen. Meine Wahrnehmung von Film war damals noch eine Andere, so dass das Erlebnis jedoch immer noch ähnlich ist wie heute. Dass der Film sich gegen Ende nicht nur um die Charaktere und das Boxen dreht, sondern auch das brisante Thema der Sterbehilfe respektvoll und ambivalent einbindet, ist ein Schlag in die Magengrube.

Der „Lucky Punch“ ist jedoch der ganze Film. Dramatisch, wunderbar gespielt und berührend. Und jeden Preis wert, den er verdienterweise abgeräumt hat.

„Million Dollar Baby“ bekommt von mir 10/10 Punkte.
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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iHaveCNit: Sully (2016)

Flugzeugabstürze eignen sich perfekt als Grundlage für klassische Kinofilme. Action, Drama, Thriller, Katastrophenfilm – alles ist quasi bereits in Stein gemeißelt bei Flugzeugabstürzen. Dabei ist es unerheblich, ob man dafür extra ein solches Szenario aus dem Nichts kreiert oder sich aus geschichtlichen Ereignissen bedient. „Sully“ ist nun ein Vertreter des Zweiten Punkts. Am 15. Januar 2009 auf dem Flug von New York nach Charlotte gerät der Pilot Captain Chesley Sullenberger (Spitzname „Sully“) mit den 155 Personen, bestehend aus Besatzung und Passagieren, in einen multiplen Vogelschlag, der alle Triebwerke ausfallen lässt. Die einzige Hoffnung für ihn ist eine Wasserlandung im New Yorker Hudson River, die er auch erfolgreich durchführen kann und damit alle Personen rettet. Doch in den Tagen danach muss er sich umfangreichen Untersuchungen und Anhörungen stellen, die der Meinung sind, dass eine Landung am LaGuardia-Flughafen noch möglich gewesen sein muss. Dieser seine Familie und Karriere belastende Druck sowie die mediale Aufmerksamkeit machen ihm zu schaffen.

In Vorbereitung auf „Sully“ habe ich mir zum einen meinen Lieblings-Tom-Hanks „Captain Phillips“, meinen Lieblings-Clint-Eastwood „Million Dollar Baby“ und den thematisch ähnlich gelagerten „Flight“ angesehen. „Sully“ erreicht bei mir definitiv nicht die Favoritenregion wie die beiden erst genannten Filme, aber er ist in meinen Augen klar besser als „Flight“. Das hängt von einigen Faktoren ab. Man versucht aus dem Film nicht zwingend ein hauptsächliches Charakterdrama um die Folgen für den Piloten zu machen. Der Fokus liegt auf den Untersuchungen, Anhörungen, der Landung des Flugzeugs inklusive Ablauf der Rettungsaktion sowie die Auswirkungen auf den Charakter Chesley Sullenberger. Die Ereignisse werden dabei nicht linear aufgearbeitet, so dass sich die Phasen zwischen dialoglastigen Sequenzen und der Action mit einem guten Pacing abwechseln. Für 96 Minuten ist der Film sehr kurz, kompakt und rund geworden, auch wenn ich der Meinung bin, dass ein wenig mehr Zeit dem Film gut getan hätte. Die Inszenierung dabei ist trist, nüchtern und etwas kühl wie die Wetterlage zu dieser Zeit in New York. Nüchtern trifft auch auf die gute, reduzierte und nuancierte Darstellung von Tom Hanks zu, der als Pilot mit 42 Jahren Erfahrung durch die Vorwürfe der Anhörung und einer gewissen Altersmüdigkeit an seinen Fähigkeiten zweifelt. Auch als Typ, der einfach nur seinen Job gemacht hat und mit der Form an Dankbarkeit und medialer Aufmerksamkeit nicht umgehen kann, kann Hanks solide überzeugen. Tom Hanks ist eben ein sehr erfahrener, renommierter und erfolgreicher Schauspieler, dessen filmisches Schaffen nicht unbedingt jeden überzeugen muss. Mich auch in Teilen nicht, auch wenn ich Erfahrung und Erfolg akzeptiere und respektiere. Leichte menschliche und moralische Ankerpunkte für den sehr bescheidenen und nüchternen „Sully“ sind sein Co-Pilot Jeff Skiles, toll gespielt von Aaron Eckhart und auch seine Frau, die von Laura Linney gespielt wird. Gegen Heldengeschichten habe ich nichts, wenn sich diese auf einfache „Helden des Alltags“ wie bei „Sully“ oder auch „Deepwater Horizon“ beschränken, die einfach nur das richtige tun bzw. tun wollten. Dabei sollte die nationale Herkunft gleichgültig sein.

„Sully“ ist spannend, rund, kompakt und definitiv eine kleine Empfehlung, die man sich geben kann, wenn man mit Hanks / Eastwood und Filmen was anfangen kann, die sich reelle Ereignisse zur Vorlage nehmen.

„Sully“ - My First Look – 8/10 Punkte.
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Jeder hat ein Hobby ? Ach was - meine Stammkinos in Wiesbaden und das Kinopolis im MTZ Sulzbach sind vom Büro/zuhause aus sehr schnell für mich zu erreichen. Ich check einfach die Timeslots für die Filme auf die ich Bock habe und wenns passt, reserviere ich. Ich bin sonst bis auf Kino- und Filmeskapaden sehr sparsam.
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Teils/Teils - ich habe mal nachgeprüft und von den 40 Kinobesuchen habe ich 25 mal den Film alleine gesehen und ganze 15 mal in Gesellschaft.
Es gibt 4 Grenzfälle. 2 davon sind Filme, die ich zuerst alleine gesehen habe und danach mit meinem Bruder nochmal (Deadpool) und (Spotlight). Und bei den anderen beiden Grenzfällen war eigentlich mit Gesellschaft geplant, die dann jedoch gesundheitstechnisch kurzfristig absagen mussten.

Manch ein Film, auf den ich Bock habe, ist für mein Umfeld (Kollegen und Freunde) etwas zu speziell. Da ich in Wiesbaden arbeite und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln vom Büro zu den 3 Kinos des Cineplex Wiesbaden aus nur ca. 20 - 45 Minuten (inkl. Wartezeit und Fußwege) brauche und Gleitzeit habe, gehe ich in manch einen Film gerade an Kinotagen (DI/DO) so um die Startzeit von 16:30 bis 17:30.
Jeder Wiesbadener Kinobesuch ist ohne Gesellschaft, weil es z.B auch für meinen Bruder mit dem Zug keinen Sinn macht von Frankfurt nach Wiesbaden zu fahren und anschließend wieder mit mir im Zug nach Frankfurt zu fahren - sind knapp 2 Stunden Hin und Rück (mit Wartezeit und Fußweg).

Aber im Kino knapp 1,5 Kilometer und 10 Minuten mit dem Bus entfernt ist das einfacher, meinen Bruder mitzunehmen !
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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Mir hat Sully Spass gemacht, gerade im direkten Vergleich mit Deepwater Horizon, der ja durch die Darstellung eines Unglücks der jüngeren US-Geschichte und dessen heroische Aufarbeitung ziemlich gut vergleichbar ist. Im Gegensatz zu Bergs Klischee-Pathos-Keule hat Eastwood aber einen sehr charmanten, kleinen, und völlig unaufgeregten Film aus weitgehend nüchterner Perspektive gedreht, seinen besten seit Invictus. Der hier im Forum so unbeliebte Hanks hat sich in letzter Zeit offenbar auf den Rollentypus des leicht in die Jahre gekommenen Normalos, der die ihm attestierte Heldenrolle ablehnt spezialisiert, und verkörpert diese Figur auch im dritten Anlauf absolut überzeugend und authentisch. Für mich eine gute 7 / 10.
We'll always have Marburg

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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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HCN007 hat geschrieben:Teils/Teils - ich habe mal nachgeprüft und von den 40 Kinobesuchen habe ich 25 mal den Film alleine gesehen und ganze 15 mal in Gesellschaft.
Es gibt 4 Grenzfälle. 2 davon sind Filme, die ich zuerst alleine gesehen habe und danach mit meinem Bruder nochmal (Deadpool) und (Spotlight). Und bei den anderen beiden Grenzfällen war eigentlich mit Gesellschaft geplant, die dann jedoch gesundheitstechnisch kurzfristig absagen mussten.

Manch ein Film, auf den ich Bock habe, ist für mein Umfeld (Kollegen und Freunde) etwas zu speziell. Da ich in Wiesbaden arbeite und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln vom Büro zu den 3 Kinos des Cineplex Wiesbaden aus nur ca. 20 - 45 Minuten (inkl. Wartezeit und Fußwege) brauche und Gleitzeit habe, gehe ich in manch einen Film gerade an Kinotagen (DI/DO) so um die Startzeit von 16:30 bis 17:30.
Jeder Wiesbadener Kinobesuch ist ohne Gesellschaft, weil es z.B auch für meinen Bruder mit dem Zug keinen Sinn macht von Frankfurt nach Wiesbaden zu fahren und anschließend wieder mit mir im Zug nach Frankfurt zu fahren - sind knapp 2 Stunden Hin und Rück (mit Wartezeit und Fußweg).

Aber im Kino knapp 1,5 Kilometer und 10 Minuten mit dem Bus entfernt ist das einfacher, meinen Bruder mitzunehmen !
45 Minuten zum Kino??? Eieiei... :shock:
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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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GoldenProjectile hat geschrieben:Mir hat Sully Spass gemacht [...] hat Eastwood aber einen sehr charmanten, kleinen, und völlig unaufgeregten Film aus weitgehend nüchterner Perspektive gedreht
Damit werde ich diesen Film wohl auch im Kino anschauen gehen. Danke Eric, für deine wertvolle Entscheidungshilfe! :D
https://filmduelle.de/

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Re: Die Filme von und mit Clint Eastwood

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GoldenProjectile hat geschrieben:Mir hat Sully Spass gemacht, gerade im direkten Vergleich mit Deepwater Horizon, der ja durch die Darstellung eines Unglücks der jüngeren US-Geschichte und dessen heroische Aufarbeitung ziemlich gut vergleichbar ist. Im Gegensatz zu Bergs Klischee-Pathos-Keule hat Eastwood aber einen sehr charmanten, kleinen, und völlig unaufgeregten Film aus weitgehend nüchterner Perspektive gedreht, seinen besten seit Invictus. Der hier im Forum so unbeliebte Hanks hat sich in letzter Zeit offenbar auf den Rollentypus des leicht in die Jahre gekommenen Normalos, der die ihm attestierte Heldenrolle ablehnt spezialisiert, und verkörpert diese Figur auch im dritten Anlauf absolut überzeugend und authentisch. Für mich eine gute 7 / 10.
Klingt trotz deiner positiven Ausführungen irgendwie langweilig und nach Eastwood-business-as-usual. Und "Invictus" taugt auch nicht gerade als Muntermacher. Zumal sein letzter wirklich guter Film imo Gran Torino war.
http://www.vodkasreviews.de


https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/

This is the captain. Brace for impact.

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Sully

"Everything is unprecedented until it happens for the first time." - Manchmal genügen nur zweihundertacht Sekunden, um aus einem gewöhnlichen Piloten eines Passagierflugzeuges einen Helden zu machen, dessen Geschichte schlagartig die ganze Welt begeistert zurücklässt. Am 15. Januar 2009 ist es die Geschichte von Chesley Sullenberger, die in Bildern um die ganze Welt geht, Bilder des Airbus A320-214, wie er seelenruhig im Hudson River von New York City schwimmt. Infolge eines Vogelschlags beim Startabflug vom New Yorker Flughafen fielen beide Triebwerke der Maschine aus. Und in den zweihundertacht Sekunden danach rettete "Sully" durch die gewagte Wasserlandung 155 Menschenleben. Regisseur Clint Eastwood untersucht in Form eines biografischen Spielfilms sieben Jahre nach der abgewendeten Tragödie die Ursachen für den Erfolg des Wunders und findet die Antwort weder in Schicksal noch Glück, sondern bei Sully.

Trotz dieses überaus spektakulären Falls musste sich wohl auch Eastwood die Frage stellen: Warum einen Film über ein Ereignis, dass weniger als 4 Minuten dauerte? Doch der Film des Altmeisters ist weniger eine reißerische Ausgestaltung des Beinahe-Unglücks, sondern vielmehr eine überlegte, ruhige und sachliche Wiedergabe, die sich voll und ganz auf den Menschen im Cockpit konzentriert, den Eastwood mit diesem Film hauptsächlich ein Denkmal setzen will. Sullenberger selbst hat die Öffentlichkeit und den Rummel um seine Person stets gescheut und wollte sich nie als Helden sehen. Tom Hanks, der unter Eastwoods fähigen Händen die ihm optisch tatsächlich sehr ähnelnde Titelrolle übernimmt, kommt diesem Wunsch nach. Nie stilisiert die Regie Sully zur Heldenfigur, Hanks bleibt in seinem Mimenspiel wunderbar zurückhaltend, unsicher und menschlich, mit einer erschreckenden Authenzität, die völlig natürlich wirkt und damit der historischen Persönlichkeit so nahe wie nur möglich kommt. In einer der besten Einstellungen des Films joggt Sully nach der Wasserlandung durch das abendliche New York und sein überlebensgroßer Schatten schrumpft mit jedem weiteren Schritt auf seine tatsächliche Körpergröße zusammen. Sully ist ein Normalo, ein Jedermann, ein Mittfünfziger mit altertümlichem grauen Schnauzbart, der im entscheidenden Moment alles getan hat, was in seiner Macht stand. Dieser erfrischend menschliche und ehrliche Blick dient Eastwood immer wieder als Leitmotiv für seinen Film, der schon mit seiner kurzen Länge von 95 Minuten klar signalisiert, dass Effekthascherei und künstliche Ausuferungen der Tatsachen hier nicht im Vordergrund stehen sollen.

Bis auf Aaron Eckhardt, der ebenfalls angenehm nuanciert und menschlich agiert, in der Rolle des Copiloten Jeff Skiles (und als dramaturgischer Humorlieferant) konzentriert sich die Kamera ganz auf Sully, der sich in Folge seiner Wunderlandung plötzlich mit der NTSB konfrontiert, einer staatlichen Behörde, die Flugzeugunglücke analysiert und ihn in die absurde Situation bringt, sich für seine Meisterleistung zu rechtfertigen. Der Vorwurf: andere Flughäfen wären ebenfalls erreichbar gewesen und hätten somit den enormen Sachschaden verhindert. Die Skurrilität dieser Gegenüberstellung (ein Pilot mit 42 Jahren Flugerfahrung rechtfertigt sich gegen ein Gremium, welches in Computersimulationen mühsam eine mögliche Alternative kosntruiert hat) arbeitet Eastwood gekonnt heraus, auch wenn er hier zu Gunsten der Spannung mit einigen Übertreibungen arbeitet, stets mit dem Wissen im Hintergrund, dass die reale Geschichte 2016 immer noch im Bewusstsein des Kinopublikums gegenwärtig ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist es nur umso bewundernswerter, dass Eastwood die Spannung über die ganze Laufzeit konsequent aufrecht erhalten kann, ohne groß mit Pathos und Dramatisierungen zu arbeiten, sondern nur durch die Verdichtung der eigentlichen Narration. Er erzählt unchronologisch, arbeitet mit Traumsequenzen, Rückblenden auf Sullys Jugend und zeigt die entscheidenden zweihundertacht Sekunden nie in voller Länge, sondern immer nur Teilmengen des Ereignisses, stets zu passenden und folgerichtigen Augenblicken. Dieses anfangs ungewisse Element der Erzählung sorgt für den richtigen Aufhänger und verleiht "Sully" trotz der dünnen Handlung eine filmische Relevanz.

Gekonnt ist, wie Eastwood über die eigentliche Darstellung der wahren Begebenheiten hinaus thematisch entfaltet, und zwar in Form der Albträume, mit denen Sully geplagt ist. Mehrmals lässt uns die Regie an diesen Horrorvorstellungen teilhaben: Horror deshalb, weil sie Worst-Case-Szenarios aufzeigen, wie der kurze Flug der A320-214 ebenfalls hätte enden können. Wenn der Airbus nun eng an den hohen Bürogebäuden der New Yorker Skyline entlang vorbei fliegt und schließlich in einem von ihnen in Rauch aufgeht, erinnern die suggestiven Bilder in beklemmender Intensität an die Terroranschläge von 9/11, die Eastwood später im Film sogar direkt erwähnen wird. Behutsam und nur über die Bilder kommunizierend wagt "Sully" sich an die Ikonographie und das tiefsitzende Trauma der USA mit sublimer Kompression, um nach diesen Assoziationen im finalen Akt seinen Protagonisten den Wert des Kollektivs zu beschwören. Sully hält nicht sich für den Helden der Hudson-Landung, sondern alle: Die Rettungskräfte der Küstenwache, die Stewardessen, die Passagiere, alle diejenigen, die überlebt haben. Schade ist, dass die dennoch ergreifend umgesetzten Absturzszenen animatorisch blass und konturarm geraten und die tricktechnische Qualität der visuellen Umsetzung der Flugszenen oft nicht mit der nötigen Sorgfalt ausgestaltet wurde, was sich angesichts der differenzierteren Schwerpunktsetzung allerdings verkraften lässt.

Fazit: Die hypothetische Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Landung auf dem Hudson River liegt niedriger als die, einen Flugzeugabsturz zu überleben. In der Theorie war der Tod der Passagiere beschlossene Sache. Allen Computersimulationen zum Trotze hält Sully an seiner Überzeugung fest, richtig gehandelt zu haben mit seiner riskanten Entscheidung: Es sei der Faktor Mensch, der den Berechnungen fehle. Eastwoods Film hingegen stellt eben diesen in den Vordergrund und erlangt dabei eine neutrale und nie glorifizierende Momentaufnahme, die nicht mehr und nicht weniger als ein Stück Zeitgeschichte festhalten und ihren wichtigsten Akteur ehren will. Das Ergebnis ist ein unterhaltsames und ehrliches Stück Kino, welches jeglichen Bewegungsparametern des Publikums zum Trotze nur der einen wirklich wichtigen Zahl seine Aufmerksamkeit widmet: 155.

7/10
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